Читать книгу Freche Fee und lustiger böser König. Märchen - Hanns Heinz Ewers - Страница 8
Lise auf der Milchstraße
ОглавлениеEin paar Tage darauf erzählte die Großmutter den beiden Jungen eine Geschichte:
Die kleine Lise war von ihrer Mutter mit hinausgenommen worden auf die große Wiese, wo das Feuerwerk stattfand; aber da das Feuerwerk erst zu einer Zeit anfing, zu der Lise für gewöhnlich schon längst im Bette lag, und da sie an diesem Sonntagnachmittag noch besonders eifrig mit anderen kleinen Mädchen herumgetollt hatte, so war sie todmüde, daß sie gleich die Äuglein zumachte, als die Mutter sie auf den Arm nahm.
Das Feuerwerk war sehr schön; Raketen blitzten eine nach der anderen auf und schossen himmelhoch in die Luft; prächtige Feuergarben prasselten dann aus der Höhe herab und große Flammenräder drehten sich im Kreise. Am schönsten aber waren die roten, blauen und gelben Kugeln, die hoch hinaufflogen, oben stehenzubleiben schienen und einen prächtigen Regenbogenstreifen zur Erde warfen, bis sie endlich mit einem Knalle zerplatzten.
»So sieh doch zu, dummes Ding!« sagte die Mutter zu Lise und stieß sie an.
Gerade flog eine schöne blaue Kugel in die Luft hinauf, als Lise die Augen aufmachte. Sie sah den bunten Streifen, der dicht vor ihr zur Erde niederging. Schlaftrunken griff sie mit beiden Händen danach, und ehe die Mutter sich dessen versah, war das kleine flinke Ding daran in die Höhe geklettert.
»Ich komme gleich wieder,« rief sie ihrer entsetzten Mutter zu, »ich will nur die schöne Kugel da herunterholen!«
Aber als sie schon so hoch war, daß sie glaubte, die Kugel mit den Händen greifen zu können, zerplatzte ihr diese vor der Nase.
Sicher wäre Lise nun heruntergefallen, wenn sie nicht eine lange weiße Schnur gesehen hätte, die in der Luft baumelte. Schnell griff sie danach und hielt sich tapfer daran fest. Sie fühlte, wie sie langsam immer höher hinaufgezogen wurde; bald konnte sie gar nichts mehr da unten auf der Erde erkennen. Ihr wurde ganz schwindlig; sie schloß beide Augen und hielt sich nun so fest wie möglich an der Schnur. – Das ging so eine gute Weile; endlich fühlte sie, wie sie auf festen Boden heraufgezogen wurde.
Jetzt erst schlug sie die Augen auf; da sah sie am Rande zwei Engelein sitzen, die mit den Beinen baumelten. Hinter ihnen standen noch drei andere Engelchen, die noch die weiße Schnur in der Hand hatten, an der sie Lise heraufgezogen hatten.
»Was für einen komischen Vogel wir da gefangen haben!« sagte der eine der Engel, ein kleiner pausbackiger Kerl.
Die Lise machte einen Knix und wollte ihnen die Hand geben; da bemerkte sie, daß ihre beiden Hände an die Schnur angeklebt waren; auch ihr Kleidchen klebte fest daran.
Sie wollte sich losreißen, aber es ging nicht, worüber die kleinen Engel sehr zu lachen anfingen. Endlich hatten die beiden, die vorne mit den Beinen gebaumelt hatten, Mitleid mit ihr; sie standen auf, spuckten in die Hände und lösten vorsichtig die Schnur von der Lise ab.
»Mir gehört der Vogel,« sagte der pausbäckige Engel, »ich habe ihn gefangen.«
»Ich bin gar kein Vogel!« sagte die Lise. Dann entdeckte sie, daß ihr ganzes Kleid gelb war von dem Leime der Schnur; sie rief entrüstet: »So! Und mein neues Sonntagskleid habt ihr auch schmutzig gemacht; das werde ich meiner Mutter sagen; ihr seid sehr unartig!«
Da fingen die kleinen Engel erst recht zu lachen an.
»Hört doch einmal den dummen Vogel an! Er will noch schelten!« rief einer.
»Ich werde ihn gleich in einen großen Käfig sperren!« sagte der Pausback.
»Wir wollen ihm die Flügel stutzen, damit er nicht fortfliegen kann,« rief ein dritter, nahm eine große Schere und lief hinter ihren Rücken.
Dann machte er ein sehr dummes Gesicht und sah die anderen groß an.
»Es ist wirklich kein Vogel,« sagte er, »es hat keine Flügel.«
Die anderen umringten nun auch die Lise, suchten nach Flügeln, konnten aber natürlich keine finden.
»Was bist du?« frugen sie.
»Ich bin ein kleines Mädchen und heiße Lise,« antwortete sie.
Das wollten aber die Engel nicht glauben.
»Kleine Mädchen laufen auf der Erde herum,« sagte der Pausback. »Wie kommt es denn, daß wir dich aus der Luft gefischt haben?«
Da erzählte Lise, wie sie an dem bunten Streifen der Feuerkugel heraufgeklettert sei. Die Engel stellten sich dicht um sie herum und hörten aufmerksam zu.
»Willst du bei uns bleiben?« fragten sie dann.
»Recht gern,« sagte die Lise, die jetzt schon mehr Mut bekommen hatte. »Wie heißt ihr denn?«
»Ich heiße Litti!« sagte der erste Engel.
»Ich heiße Titti!« sagte der zweite.
»Ich heiße Kitti!« sagte der dritte.
»Ich heiße Pitti!« sagte der vierte.
»Und ich heiße Plums, aber sie nennen mich immer den Pausback,« sagte der fünfte.
»Ich finde, daß ihr recht dumme Namen habt, aber da könnt ihr wohl nichts für! – Was sollen wir spielen?«
»Sollen wir Vögel fischen?« fragte Litti.
»Nein,« sagte die Lise, »das ist zu langweilig.«
»Sollen wir mit den Beinen baumeln?« fragte Titti.
»Nein,« sagte die Lise, »da werde ich schwindlig.«
»Sollen wir Ringelreihen tanzen?« fragte Kitti.
»Nein,« sagte die Lise, »das tun die da unten auch.«
»Sollen wir Fliegen und Haschen spielen?« frug Pitti.
»Nein,« sagte die Lise, »ich habe ja keine Flügel!«
»Dann wollen wir mit den Schäfchen spielen!« sagte der Pausback.
Damit war Lise einverstanden. So gingen sie also durch das weiße Land, die Lise mit dem Pausback voran, der ihr am besten gefiel.
»Wo sind wir denn eigentlich?« frug sie.
»Auf der Milchstraße,« antwortete der Pausback. »Wußtest du das nicht?«
Sie kamen zu einer weiten weißen Wiese, die dicht voller Gänseblümchen stand. Darauf weideten viele tausend weiße Schäfchen, die kleine Glocken am Halse trugen. Pausback setzte sich auf eins; die anderen Engel und die Lise taten dasselbe; dann ritten sie eine Weile herum. Als sie genug geritten waren, stiegen sie wieder ab, und Titti sagte, daß es nun Zeit zum Melken wäre. Die fünf setzten sich hin, und Lise zu ihnen, und alle fingen an zu melken, ein Schäfchen nach dem anderen. Dabei tranken sie so viel Milch als sie mochten; es blieben aber noch viele Eimer voll stehen.
»Was macht ihr denn mit der anderen Milch?« fragte die Lise.
»Damit wird die Milchstraße frisch angestrichen,« sagten die Engel, und alle nahmen große, mächtige Pinsel und begannen den Boden zu tünchen.
»Seht einmal da!« rief Lise plötzlich, »was kommt da an?«
Durch die Luft kam ein seltsames kleines Männchen anspaziert. Es hatte einen kugelrunden roten Kopf und eine Brille auf der Nase. In der einen Hand trug es einen Regenschirm, in der anderen ein paar Bücher. Das komischste an ihm aber war sein langer roter Schwanz, der aus den Rockschößen heraushing und viel größer war als das Männchen selbst.