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ОглавлениеInnere Achtsamkeit
Die beiden Schwerpunkte
„Schau mal!“ klopft von außen bei uns an und fordert uns auf, aus uns herauszugehen: Vergiss dich selbst und was dich gerade beschäftigt und wende deine ganze Aufmerksamkeit etwas ganz anderem zu! Das ist die Außenseite der Achtsamkeit.
„Schau mal, dieser schöne Sternenhimmel!“ Ich kann nicht gleichzeitig staunen und meine grüblerischen Gedanken weiterpflegen. Ich muss mich davon losreißen, wenn ich mich auf die Einladung einlasse. Entweder – oder. Aber ich werde nur staunen und genießen können, wenn ich der Einladung freiwillig folge. Ungezwungen! Da klopft etwas an, aber ich öffne nur die Tür, wenn ich es selbst möchte.
Das ist der andere Schwerpunkt: die Innenseite der Achtsamkeit. Innerlich achtsam sind wir, wenn wir unter allen Umständen die innere Freiheit bewahren. Wir lassen uns nicht einfach von außen her in Beschlag nehmen. Wir entscheiden selbst, ob wir das wollen oder nicht.
Die innere Achtsamkeit ist das Entscheidende. Sehr sensible Menschen sind sozusagen „von Haus aus“ sehr achtsam für Außenreize. Sie empfinden ästhetisch intensiv – das Schöne, aber auch das Hässliche. Sie lassen sich leicht beeindrucken. Sie nehmen auch das Unscheinbare und die feinen Unterschiede wahr. Das ist grundsätzlich sehr gut, aber es kann auch sehr anstrengend werden. Sensible Menschen brauchen darum ganz besonders den Gegenpol: Sie müssen sich auch verschließen können. Sie müssen ihre innere Freiheit schützen.
Das Gewicht auf den inneren Schwerpunkt der Achtsamkeit zu verlagern bedeutet, dass wir zu uns selbst kommen und bei uns selbst bleiben. Das finden wir nicht unbedingt einladend, vor allem dann, wenn wir mit uns selbst im Clinch liegen und viel Stress haben. Aber wenn wir nicht zu uns selbst kommen, können wir uns Tipps zur Achtsamkeit sparen. Sie werden nicht zu uns durchdringen.
Die Voraussetzung zur inneren Achtsamkeit ist daher, dass wir innerlich zur Ruhe kommen. Wer sehr gestresst ist und Probleme mit der Selbstakzeptanz hat, wird jetzt wahrscheinlich antworten: „Das kann ich nicht!“
„Ich kann nicht“ heißt in diesem Fall aber nur entweder „Ich will nicht“ oder „Ich weiß nicht, wie es gehen soll“.
Nehmen wir Letzteres an und versuchen wir eine Antwort, wie das geht: innerlich zur Ruhe kommen.
Zur Ruhe kommen
Man kann sich das Zur-Ruhe-Kommen natürlich sehr erleichtern, wenn man das Beunruhigende ausschaltet. Das meinen wir ja auch, wenn wir sagen:
„Ich muss einfach mal ein bisschen abschalten.“
Es soll heißen, dass wir uns von dem, was uns beunruhigt, distanzieren. Oft ist das eine räumliche Distanz. Wir wechseln die Umgebung. Der Urlaub ist wahrscheinlich unsere beliebteste Abschalt-Methode.
Wenn wir das äußerlich Beunruhigende hinter uns lassen und in eine angenehme andere Umgebung eintauchen, kann das sehr förderlich für das innere Zur-Ruhe-Kommen sein. Darum sei es hiermit auch als wichtige Hilfe (und manchmal auch als notwendige Bedingung) sehr empfohlen. Aber erstens können wir nicht immer Urlaub machen, wenn wir ihn gerade bräuchten, und zweitens können wir uns keinen Urlaub von den Problemen nehmen, die uns innerlich quälen. Wir nehmen sie mit. Dann liegen wir vielleicht bei schönstem Sonnenschein am schönsten Strand der Welt und fühlen uns doch hundeelend. Das sind besonders bittere Enttäuschungen.
Innerlich zur Ruhe zu kommen, ist vor allem und zuerst eine Frage der Akzeptanz. Konkret: Nehmen Sie hin, was Sie im Augenblick nicht ändern können, und lassen Sie sich den Augenblick dadurch nicht verderben!
„Hinnehmen ist ein
Annehmen, ohne Spaß
daran zu haben.“
Hinnehmen ist ein Annehmen, ohne Spaß daran zu haben. Es ist, wie es ist! Also mache ich das Beste daraus. Was wir nicht oder nur um einen zu hohen Preis ändern können, hat schon genug Gewicht, wenn wir es so lassen, wie es ist. Wenn wir es nicht akzeptieren, erhöhen wir das Gewicht sinnlos –es bedrückt uns nur noch mehr.
Praktisch kriegen Sie das hin, wenn Sie anfangen, sich selbst zu beobachten. Der Mensch besitzt nämlich die interessante Fähigkeit, sein Bewusstsein zu verändern. Wir machen das die ganze Zeit, aber wir machen es uns nur selten klar. Zum Beispiel kann ich mich einfach ärgern oder wahrnehmen, dass ich mich ärgere. Wir neigen oft dazu, so etwas nicht wahrnehmen zu wollen, weil es nicht in unser Selbstbild passt, und dann stellen wir so unsinnige Behauptungen auf wie „Ich ärgere mich überhaupt nicht!“ – mit hochrotem Kopf, in höchster Spannung, mit wütendem Blick und bebender Stimme.
Wir besitzen also auch die Fähigkeit, etwas, das wir wahrhaben könnten, nicht wahrhaben zu wollen. Das ist der Punkt, an dem wir die Weiche zur inneren Achtsamkeit stellen können: Wir entschließen uns dazu, wahrzunehmen und wahrzuhaben, was schlicht und einfach so ist, wie es ist. Das ist übrigens nichts anderes als eine Definition von Wahrhaftigkeit.
Das „Schau mal“ richtet sich jetzt also nach innen. Ich selbst sage mir:
„Schau dir mal an, was da gerade in dir vorgeht.“
Schau es dir an und nimm es hin, wie es ist. Erlaube diesen Gefühlen und Gedanken in dir ihre Existenz in deinem Bewusstsein. Diesem seelischen Schmerz, zum Beispiel. Er ist sehr unangenehm, er tut richtig weh, er ist schlimm, aber nicht so schlimm, dass er nicht sein darf. Er ist jetzt gerade ein Teil von dir. Du musst ihn nicht gutheißen, aber du musst ihn auch nicht ablehnen. Er darf sein.
Wenn wir so die Vorgänge in unserem Leib und unserer Seele einfach nur beobachtend wahrnehmen und hinnehmen, ereignet sich das, was wir den „gesunden Abstand“ zu nennen pflegen. Wir gehen ein klein wenig auf Distanz zu unseren eigenen Problemen. Dadurch kommen wir in die Lage, sie uns freundlich anzuschauen.
„Was ist denn los mit dir?“, können wir uns selbst fragen.
Und indem wir uns einfach nur anschauen, was in uns vorgeht, finden wir auch einen Weg, um damit umzugehen. Ohne diesen inneren Abstand finden wir ihn nicht.
Die folgende Übung soll Ihnen dabei helfen, genau diesen inneren Abstand zu gewinnen und zur Ruhe zu kommen. Geben Sie Ihren Gedanken und Gefühlen Raum und beobachten Sie, was in Ihnen vorgeht.
Übung 1
Teil 1
Sorgen Sie dafür, dass Sie ungestört sind.
Nehmen Sie eine entspannte Sitzposition ein, am besten auf einem Stuhl mit Rückenlehne. Setzen Sie sich aufrecht hin. Achten Sie darauf, dass Sie sich ganz auf der Sitzfläche niederlassen und dass die Wirbelsäule elastisch angespannt ist. Schieben Sie Ihr Gesäß dazu so weit zurück, dass Ihr Steißbein die Rückenlehne berührt. Stellen Sie die Füße mit der ganzen Sohle auf den Boden.
Schließen Sie die Augen und achten Sie auf alle muskulären Anspannungen in Ihrem Körper. Entspannen Sie die Muskulatur, so weit es Ihnen möglich ist. Legen Sie die Hände auf die Oberschenkel und lassen Sie die Schultern locker hängen.
Nehmen Sie Ihren Atem wahr. Versuchen Sie nicht, „richtig“ zu atmen, sondern konzentrieren Sie sich einfach nur auf die Empfindung, dass Sie atmen. Spüren Sie der Atemempfindung nach. Der Atem möchte sich ganz ruhig bis zum Bauchraum ausdehnen. Überlassen Sie ihm diesen Raum.
Beobachten Sie, was in Ihnen vorgeht, als würden Sie einen Film betrachten. Lassen Sie alles zu, was Ihnen in den Sinn kommt, ohne es zu kommentieren oder sonst irgendetwas zu unternehmen, ganz gleich, ob es etwas Angenehmes oder Unangenehmes ist.
Richten Sie Ihre Aufmerksamkeit im Lauf dieses Beobachtens immer wieder neu auf den Atem. Wenn Sie neue Körperanspannungen spüren, versuchen Sie erneut, die betreffenden Muskeln wieder zu lockern.
Bleiben Sie ungefähr eine halbe Stunde in dieser Haltung. Beobachten Sie auch allen Widerstand in Ihnen dagegen, alle Unruhe, alle Impulse, irgendwie tätig werden zu wollen.
Teil 2
Machen Sie direkt im Anschluss an diese Übung für sich allein einen Spaziergang. Machen Sie sich unterwegs über das Gedanken, was Ihnen gerade in den Sinn kommt, weil es Sie bewegt. Wenn Sie wollen, können Sie sich der Frage widmen, was es für Sie bedeutet, bei sich selbst zu Hause zu sein.
Nachdem wir uns nun ein Stück innere Gelassenheit erarbeitet haben, können wir uns mit dem nächsten Aspekt im achtsamen Umgang mit uns selbst beschäftigen: der Geduld.