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RAUCHEN MIT DER BLUMENVASE

Ich bin weder Zigaretten-, Zigarren- noch Pfeifenraucher und trotzdem üben Wasserpfeifen auf mich eine unwiderstehliche Anziehung aus, die dazu führt, dass ich jedes Mal, wenn ich an meinem Wasserpfeifencafé vorbeikomme, einen Blick hineinwerfe. Ich weiß nicht, woran es liegt, aber immer, wenn ich eine Wasserpfeife sehe, gleiten meine Blicke über das barocke Gerät. Vom glimmenden Tabak mit seinen aschgrauen Holzkohlestückchen wandern meine Augen über den „Kerzenständeraufsatz“ zum Glasfuß, von dort den Windungen des Schlauches entlang zum pelzigen Hand- und weiter zum Mundstück, das gewöhnlich in einem zufriedenen, gelösten Mund steckt, wie der Schnuller beim Säugling. Das Gerät ruft wie ein Dinosaurier Erinnerungen an vorsintflutliche Zeiten, also längst vergangene Zeiten, wach. Vermutlich an Zeiten, in denen Zeit noch wirklich Zeit war. Sowohl das Laden der Wasserpfeife als auch das Rauchen braucht seine Zeit und das ist vielleicht die Faszination, die von diesem Gerät ausgeht, in einer Zeit, die immer schneller verfliegt und in die gleichzeitig immer mehr hineingepackt wird. Die Wasserpfeife zwingt ihren Benutzer für einen Moment innezuhalten, eine Pause einzulegen. So gesehen, hat die Wasserpfeife sogar einen positiven Einfluss auf Körper, Geist und Seele und kompensiert damit vielleicht die negativen Auswirkungen, die durch Tabakkonsum entstehen. Wenn ich also Raucher werden müsste, fände man mich in einem Wasserpfeifencafé hinter der Wasserpfeife sitzend, das Handstück auf Brust und Bauch liegend und versonnen an einem Bernsteinmundstück nuckelnd, während die Rauchblasen durch den Glasfuß blubbern und Rauchschlieren in Richtung Himmel schlingern.

Während selbst die Istanbuler nur vage Angaben zur Einwohnerzahl ihrer Metropole machen, sind sie sich über den Stadtteil Tophane erstaunlich einig. Im Urteil vieler Bürger gilt dieses Viertel als eine Brutstätte von Gaunern aller Art. Der linkische Gelegenheitsdieb als auch der berufsmäßige Killer sollen hier ihr Zuhause haben. So kommentieren Istanbuler das Fehlverhalten ihres Nachwuchses noch immer mit dem Satz: „Benimm dich nicht wie ein Tophaner!“

In diesem etwas verrufenen Stadtteil gibt es nun noch eine traditionelle türkische Einrichtung, das Café Tayfun, das Bürger aus der ganzen Stadt anlockt. Grund dieser Attraktivität ist „eine Glaskaraffe voll Wasser mit einer angezündeten Tabakspfeife oben darauf, an der ein ellenlanger biegsamer Schlauch mit einem Mundstück aus Messing hängt.“ So beschreibt Mark Twain die Nargile, die Wasserpfeife, die in den Ländern des nahen und mittleren Ostens geraucht bzw. bei den Türken getrunken wird. Das Wort „nargile“ stammt aus der persischen Sprache, wo es Kokosnuss bedeutet. Vielleicht ein Hinweis auf den Urtyp der Wasserpfeife, bei der es sich ursprünglich einmal um eine halb mit Wasser gefüllte Kokosnuss handelte, die mit einem Pfeifenkopf und einem Mundstück versehen war und als Huka im arabisch-indischen Raum bekannt ist. Während sich am Funktionsprinzip nichts geändert hat, es entspricht der Arbeitsweise einer Gaswaschflasche aus dem Chemielabor, erinnert am Design nichts mehr an das Vorläufermodell Kokosnuss.

Der mit Wasser gefüllte Fuß zeigt große Ähnlichkeit mit einer mehr oder weniger stark verzierten Blumenvase. Auf dieser steckt ein Messinggestell, das man ebenso gut als dekorativen Kerzenständer verwenden könnte. Wo bei diesem die Kerze ihren Platz hat, befindet sich bei der Wasserpfeife ein Tonaufsatz, der mit Tabak gefüllt ist. Der echte Genießer lässt sich den schweren einheimischen Tabak bringen, der nur an der türkisch-syrischen Grenze wächst. Der türkische Tabak thront als dicke, mit Tabakblättern umwickelte Tabakwurst auf dem Schälchen aus Ton, wie die Hochfrisur auf dem Kopf einer Frau. Den ebenfalls angebotenen arabischen, mit verschiedenen Aromen versetzten Tabak lehnt der Kenner ab und bezeichnet ihn herablassend als japanische Erfindung. Zu den beliebtesten Geschmacksrichtungen gehören Apfel-,Pfirsich-, Rosen- und Cappuccino-Aroma.

Um den Tabak zum Brennen zu bringen, werden glühende Holzkohlestückchen benötigt. Aber nicht irgendeine Grillholzkohle, sondern Holzkohle aus Eichenholz muss es sein. Diese wird auf den Tabak gelegt, sozusagen die Sahne auf dem Cappuccino.

Der Rauch strömt nun durch den „Kerzenständer“, blubbert durch das Wasser der „Blumenvase“, das ihm etwas von seiner Hitze und seinen Giftstoffen nimmt, dringt durch einen gut ein Meter langen Schlauch, der sich durch seine Schlichtheit von den übrigen Teilen des Gerätes abhebt und einem Duschschlauch oder einer Gänseluftröhre gleicht. Der Rauch gelangt dann durch das Handstück, das mit Teppich besetzt ist und von dort in das Mundstück. Stellung und Reichtum des Wasserpfeifenbesitzers können gerade in diesem letzten, als Ziegenzitze bezeichneten Teil durch das Material und die Gestaltung in besonderem Maße zum Ausdruck kommen. Im Topkapi-Palast können honigfarbene Bernsteinmundstücke, die noch durch Edelmetalle und funkelnde Steine verziert sind, bewundert werden. Ins Auge fällt dort die Wasserpfeife von Mustafa Pasha, der im 18. Jahrhundert Gouverneur von Van war. Der Fuß seiner Pfeife besteht aus einem Goldgefäß, auf dem natürlich ebenfalls ein Gestell aus diesem gelben Edelmetall sitzt. Dieses ist mit Blättern und Ranken aus dem gleichen Material geschmückt. Dazwischen schauen Bündel von Früchten aus weißen Perlen hervor. Milchig grüne Steine geben dem Ganzen den letzten Schliff. Der Wohlhabende hat selbstverständlich auch heute noch sein eigenes Mund- und Handstück, das im Wasserpfeifencafé aufbewahrt wird, denn die Wasserpfeife raucht man nicht zu Hause. Für den, der sich eine Pfeife ausleiht, gibt es inzwischen ein Wegwerfmundstück aus Plastik, so dass die Erfahrungen von Mark Twain vermutlich der Vergangenheit angehören: „Der Rauch hatte einen scheußlichen Geschmack, und der Geschmack der tausend ungläubigen Zungen, der an jenem Messingmundstück haftete, war noch scheußlicher.“ Das Präparieren und Anrauchen der Wasserpfeife ist Aufgabe des Kellners, der auch immer wieder frische Holzkohle auflegen muss. Während M. Twains Raucherlebnis mit der Erkenntnis endete: „Nie wieder eine Nargileh!“, verschafft die Wasserpfeife einem geübten Benutzer allerhöchste Glücksgefühle.

Allerdings muss man Zeit mitbringen, denn mit seiner Wasserpfeife kann man leicht ein bis zwei Stunden verbringen und die Welt vergessen. Vielleicht trinkt man einen Tee oder Kaffee dazu, spielt Tavla oder sitzt einfach so da. Wer Wasserpfeife raucht, ist weder ein Malboro- noch ein Camel-Typ, sondern ein stiller Genießer. Zu den bekannten Wirkstoffen des Tabakrauches addieren sich noch die akustischen Reize des durch das Wasser perlenden Gases und die taktilen Reize, die vom Material des Hand- und Mundstückes stammen. Helmuth von Moltke, der als Militärberater das Osmanische Reich besuchte, entdeckte noch eine besondere Spaß-Variante der Wasserpfeife: „Der Türke tut eine Rose oder eine Kirsche hinein und hat seine harmlose Freude daran, wie diese bei jedem Zuge auf der bewegten Oberfläche tanzt.“

Beherrscht man die Sache, erreicht man jenen Zustand, in dem der Geist, befreit von den Fesseln des Körpers, seine eigenen Wege geht. In diesem Befinden, das von den Türken als keyf bezeichnet und von Moltke als „eine gleichmütige Seelenstimmung mit gänzlicher Vermeidung aller Emotionen“ beschrieben wird, vergisst man die Kakofonie des Straßenlärms, das Geschrei der Fußball spielenden Kinder, den Ruf des Muezzins, das Gezwitscher der Kanarienvögel aus den Räumen des Kanarienvogelvereins im zweiten Stock, das Gehämmer des benachbarten Altwarenhändlers. Wer Glück hat, dem erscheint die sich genussvoll auf der Holzkohle in der Sonne räkelnde Katze schon mal als eine in leichte Tücher gehüllte Sklavin aus dem Harem und der eher schmuddelige Köftekoch, der die Mahlzeit gewöhnlich auf einer Doppelseite der Tageszeitung „Fanatik“ serviert, verwandelt sich schnell in einen Mundschenk, der die leckersten Gerichte auf dem kostbarsten Geschirr kredenzt. Während man gerade dabei ist, sich wie ein Sultan zu fühlen, holt einen das piepsende Handy des Nachbarn in die raue Realität zurück und die ist auch für Wasserpfeifencafés in Istanbul nicht rosig, soll es doch nur noch eine Handvoll davon geben.

Unter Murad IV und Ibrahim sah es schon einmal schlecht aus mit den Cafés. Die beiden Sultane ließen nicht nur diese Einrichtungen schließen, sondern das Tabakrauchen wurde auch noch mit dem Tode bestraft. Hammer-Purgstall weiß auch warum: „Den Vorwand gab die Feuergefahr, welche aus dem Gebrauche der Pfeife der Hauptstadt drohe, in der Tat aber war es Maßregel höherer Polizei, um durch Verbot des Kaffees und Tabaks alle Zusammenkünfte müßiger Schwätzer zu zerstäuben, und die Vereine zu zerstreuen, in welchen bei Kaffee und Pfeife die Regierung bekrittelt ward; der Despote fürchtete nicht mit Unrecht, dass aus rauchenden Tassen und Pfeifen unruhiger Sinn und Widerstand aufdampfe.“ Sogar heute sitzt der Tod dem Raucher noch im Nacken, denn selbstverständlich schadet auch die Wasserpfeife, wie der Konsum aller Tabakprodukte, der Gesundheit, obwohl kein Gesundheitsminister darauf aufmerksam macht. Neueste Untersuchungen haben sogar gezeigt, dass beim Genuss einer richtigen türkischen Wasserpfeife 22 mal mehr Teer und ein Vielfaches an Kohlenstoffmonoxid in den Körper gelangt als beim Rauchen einer Zigarette. Dem berühmten persischen Arzt und Denker Avicenna, der die Medizin weit über seine eigene Lebensspanne hinaus geprägt hat, scheint die Wasserpfeife wohl bekommen zu sein. Nach seinen eigenen Aussagen jedenfalls erholte sich der Gelehrte des Nachts bei Wasserpfeife und Tee von den Strapazen des Tages. Er wurde 57 Jahre alt. Dank oder trotz der Wasserpfeifenkur?

Vier Jahre Türkei

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