Читать книгу Vier Jahre Türkei - Hans Bahmer - Страница 7

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WIE ZU NEROS ZEITEN

Den Brauch, Tiere gegeneinander kämpfen zu lassen, gibt es in vielen Ländern. Obwohl solche Spektakel alte Traditionen und einen hohen Unterhaltungswert für den Menschen haben, muss man sie durch die Bank weg alle als überholte Vergnügungen betrachten, da sie für das Tier eine mehr oder weniger große Quälerei oder gar den Tod bedeuten. Das gilt nicht nur für den blutigen spanischen Stierkampf, die nicht minder blutigen, in vielen Ländern heimlich abgehaltenen, Hundekämpfe, und für Hahnenkämpfe, bei denen man die Tiere durch Anbringen von Rasierklingen an ihren Spornen zusätzlich aufgerüstet hat, sondern auch für scheinbar harmlose Singwettkämpfe zwischen Vogelmännchen, Wettstreiten zwischen Grillen oder dem albernen Krötenrennen in Australien. Betrachtet man die Sache genau, gehören auch Pferdesport und Hunderennen, obwohl beide bei uns einen hohen gesellschaftlichen Stellenwert genießen, zu den oben genannten zu verurteilenden „Tierkämpfen“. In der Türkei war das Einhöckrige Kamel, das nur als Haustier bekannt ist, früher ein wichtiges Nutztier, das Lasten schleppte und den Menschen trug. Inzwischen ist es aber auch in diesem Land ein eher rares Tier geworden. Wenn es die Höckertiere noch gibt, die zoologisch zu den Schwielensohlern zählen, dann sind es hauptsächlich Hengste, die allerdings nicht zur Arbeit herangezogen werden. Man hält die Tiere heute überwiegend für die Kamelkämpfe, die in verschiedenen Gegenden einmal jährlich stattfinden. Darüber hinaus soll es noch Hahnenkämpfe in Denizli und Widderkämpfe in Erzurum geben. Bis diese Art der Tierkämpfe der Vergangenheit angehören, geht aber eher ein Kamel durch ein Nadelöhr. Nach Eugen Roth „zählen auch wir zu den Kamelen“. Möglicherweise hat er Recht!

Bildungsreisende werden beim Namen Efes wahrscheinlich an das historische Ephesos denken. Vermutet man doch an diesem Ort das Grab Marias, der Mutter von Jesus. Der Evangelist Johannes soll hier ebenfalls seine letzte Ruhe gefunden haben, und Paulus hielt sich in dieser Gegend gut zwei Jahre lang auf. Wer diesen Ort besucht, interessiert sich gewöhnlich für die antiken Ruinen. Unter den steinernen Überresten findet man sowohl die berühmte Celsus-Bibliothek aber auch das so genannte Freudenhaus. Von dieser umstrittenen Einrichtung ist es gedanklich nicht mehr sehr weit zum Bier mit dem Namen Efes.

Ebenso zur Basis populärer Vergnügungen gehören die seit sechzehn Jahren in Efes veranstalteten Deve Güresleri Festival?, die Kamelkampffestspiele, die in der Türkei bereits eine lange Tradition haben. Im Mittelpunkt dieses Festwochenendes steht Camelus dromedarius, das Einhöckrige Kamel, bekannt unter dem Namen Dromedar. Dieses zähe Tier der arabischen Wüsten, das schon zu Abrahams Zeiten nur noch als Haustier bekannt war, hat über Jahrtausende Menschen und Güter transportiert. Einst wichtige Arbeitstiere, werden die genügsamen Wüstenschiffe heute in der Türkei nur noch zu Kamelkämpfen gehalten. Diese finden zwischen Januar und März, der Brunstzeit der Tiere, an verschiedenen Orten statt.

Die Veranstaltung in Efes beginnt mit einem Umzug der prächtig geschmückten Tiere durch die Straßen des Ortes. Der Anblick der herausgeputzten, mächtigen Landtiere ist nun wirklich ein wahrer Augenschmaus und versetzt den Betrachter in eine orientalische Märchenwelt. Von dem typischen Kamelhöcker ist gar nichts mehr zu sehen, denn er ist vollkommen verpackt, wodurch das Tier optisch vergrößert wird. Überall leuchten bunte, bestickte Stoffe; Perlendeckchen, Ketten und Bänder schmücken das Kamel vom Kopf bis zum Schwanz. An den Tieren hängt die Palette der Utensilien, die man dann oft im Touristenladen wieder findet, wo sie wegen ihrer Pracht gekauft und zweckentfremdet verwendet werden. Auf manchem Dromedarhöcker flattert sogar die türkische Flagge im Wind. Glockenketten hängen an den Seiten der Dromedare, schwingen bei jedem ihrer Passschritte hin und her und läuten, als sei bereits der jüngste Tag angebrochen.

Dieser Tag gehört den Kamelen, die Nacht dagegen dem Raki, den Bauchtänzerinnen und dem Gesang. Treffen sich doch die Kamelbesitzer, Kameltreiber und die Prominenz des Ortes abends im Saal. Während gegessen und getrunken wird, läuft das Unterhaltungsprogramm ab. Vom Essen gesättigt, vom Raki leicht enthemmt, wird das Männerpublikum von einer raffiniert bekleideten Sängerin weiter aufgeheizt. Aber nicht die Tombola, bei der es einen Teppich, einen Fernseher und ein tragbares Radio zu gewinnen gibt, ist der Höhepunkt des Abends, sondern die drei Bauchtänzerinnen, die sich in sich selbst windend und verdrehend auf Stuhl und Tisch ihre verführerische Kunst demonstrieren und der Männerwelt die sauer verdienten Millionenscheine entlocken, die ins knappe Kostüm gesteckt werden.

Der Abend endet mit einer hübschen Geste eines Kamelbesitzers: Er hat zum Ausklang sechs junge Damen engagiert, die im güldenen Minikostüm mit schwarzem Maxigesichtsschleier sich tanzend von ihren besten Seiten zeigen und den Männern das Gefühl vermitteln, endlich einmal der Pascha zu sein, der die Puppen tanzen lässt.

Danach muss man in die kalte Nacht und zurück in die noch kältere Realität, denn am nächsten Morgen geht es endlich zur Sache. Um zehn Uhr ist der Beginn der Kamelkämpfe im zur Regierungszeit Neros gebauten Stadion angesagt. Das bedeutet früh aufstehen. Die Kamele müssen geschmückt und sicher zur Wettkampfstätte geführt werden. So nach und nach trudeln alle Beteiligten an dem historischen Ort ein. Im 230 Meter langen und 30 Meter breiten Stadion ist ein Teil für den Wettkampf abgetrennt, davor und dahinter stehen die Dromedare, die man inzwischen angepflockt und vom störenden Zierrat befreit hat. An den Hängen des Stadions lagert das Publikum, das sich mit Essen und Trinken die Zeit vertreibt. Auf den mitgebrachten Grills wird allerlei gebrutzelt, Rauch steigt gen Himmel, Händler drängen sich durch die Menschenmassen. Musikanten mit Trommeln und Flöten sind unterwegs und spielen auf Wunsch ein Ständchen. Bereits ohne Kamele ein archaisches Bild, das durch Auftritt dieser urigen Lebewesen noch verstärkt wird.

Man fühlt sich unwillkürlich in die Zeit Conrad Gesners versetzt, der in seinem Thierbuch 1669 über das Dromedar schreibt: „Sie werden in unseren Landen als Schauspiel zum Wunder umher geführet.“ Lonicerus weist 1679 auf die Musikalität der Kamele hin: „Der Music/ Drommeln/ Drompetten und andern dergleichen Musicalischen Instrumenten hören sie mit grossem Lust und Begierde zu/ und lernen auch etwan nach denselbigen dantzen.“ Trotz der Musik, die in der Luft liegt, ist den Kamelen heute nicht zum Tanzen zu Mute, schließlich sind es alles gestandene Kamelhengste, die sich gegenseitig nicht ausstehen können und nur darauf warten, dem Nachbarn zu zeigen, wer hier das Sagen hat.

Wie erregt die Tiere sind, belegt ihr Verhalten: Hochheben des Kopfes, Zeigen des Kehlbartes, Schlagen mit dem Schwanz, starke Speichelbildung, Spreizen der Hinterbeine, Koten und Harnen gelten als Imponierverhalten der männlichen Dromedare. Aber kein Ton dringt aus den aufgeputschten Tieren, obwohl diese mit einem aus dem Mund ausgestülpten Brüllsack von ihrer Natur her nicht zu den Stimmlosen gehören.

Des Rätsels Lösung für das stumme Leiden der Kreatur: Man hat ihnen den Mund zu gebunden, so können sie sich gegenseitig bei ihren Kämpfen nicht beißen, aber auch keinen Ton hervorbringen. Trotz dieser Entschärfung ist der Kampf, bei dem die beiden Hengste versuchen, sich mit ihren Hälsen in einer Art Ring- und Schiebekampf niederzudrücken, nicht ganz ungefährlich. Schließlich wiegt so ein Kamel bis zu 700 kg und kann den unterlegenen Gegner leicht erwürgen. Um dieses zu verhindern, gibt es zwei „Tauziehmannschaften“, die, wenn der Schiedsrichter den Kampf entschieden hat, den beiden Kontrahenten Taue um Höcker und Beine werfen, um dann die ineinander verkeilten Tiere zu trennen. Nicht ganz ungefährlich für alle Beteiligten, denn es ist nie vorherzusehen, wie sich der Knäuel aus Kamelen, Tauen und Helfern entwirren wird.

An diesem Wettkampftag verläuft alles glimpflich. Nur ein Kamel durchbricht den Zaun der Wettkampfarena und überrennt dabei einige im Weg stehende Menschen. Eine anderes wird gerade noch, bevor es den Wagen mit der Wettkampfleitung erreicht, zum Stehen gebracht. Für die 80 Kamele, die in 40 Zweikämpfen gegeneinander antreten, gibt es allerdings nichts zu gewinnen. Kein Weibchen wartet auf den Sieger. Verletzen sich die Tiere lebensgefährlich im Kampf, werden sie notgeschlachtet und landen im Kochtopf. Überstehen sie die Auseinandersetzung, packt man sie auf Lastwagen, verschnürt sie wie ein Paket und fährt sie nach Hause bis zum nächsten Auftritt. Sterben sie irgendwann eines natürlichen Todes, steht ihnen eine Beerdigung in Aussicht.

Gewinner ist in jedem Fall der Mensch. Jedem Wettkampfteilnehmer gehört ein Teppich, den Siegern winken Geldpreise und die vergoldete Statue der „vielbrüstigen Artemis Ephesia“. Für den einheimischen Zuschauer ist es ein Volksfest mit Tierhatz wie zu Neros Zeiten. Ein überholtes Fest auf Kosten einer anderen Kreatur, ein Anachronismus in einer Zeit der aufkommenden virtuellen Unterhaltung im Cyberspace.

Vier Jahre Türkei

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