Читать книгу Im Herbst verblühen die Rosen - Hans Ernst - Страница 7
Оглавление3
Zu Hubers Geburtstagsfeier fand sich als Gast außer dem Kammerdiener Eberlein, dem Oberförster Rucker und dessen Frau auch der Sägemüller ein. Als man ihm unter den vielen Geschenken die »Birken im Sturm« zeigte, wusste er sofort, dass es sich dabei um das rechtmäßig ihm gehörende Gemälde handele, und es hätte keineswegs der Erläuterung Eberleins bedurft, das Bild stamme von dem Maler Sebald.
»So, so, vom Sebald«, sagte er und biss einer Zigarre die Spitze ab. »Ein gutes Bild, soweit ich mich darauf verstehe.«
»Das beste jedenfalls in seiner hinterlassenen Sammlung.«
»Ich möchte mir auch einmal so ein Bild zulegen. Darf man fragen, wie da ungefähr die Preise sind?«
»Ganz gesalzen«, plapperte Siegmund. »Die Frau weiß schon, was sie verlangen muss. Zweitausend zum Beispiel für dieses Bild.«
»Wenn Ihnen der Siegmund vielleicht etwas besorgen sollte«, meinte der Inspektor, »er versteht sich darauf.«
»Ja, herzlich gerne«, antwortete Siegmund eilig, in dem Gedanken, dann bald wieder im Malerhäusl vorsprechen zu können. »Übrigens eine charmante Frau.«
Kaum merklich zog der Sägemüller die Brauen zusammen. »Wer?«
»Na, die Irene halt.«
»Ach so. Möglich. Ich habe noch nicht darauf geachtet.« Der Sägemüller brach dieses Gespräch ab und wandte sich an Rucker. »Was machen die Wildschützen?«
Der Oberförster strich sich seinen grau gesprenkelten Bart. »Augenblicklich ist es etwas ruhiger. Aber es wird nicht lange dauern, dann wird es wieder an allen Ecken und Enden krachen. Wir haben einfach zu wenig Personal und das Revier ist zu groß, stößt auch an zwei Stellen an die Grenze, was sich besonders ungünstig auswirkt.«
»Merkwürdig, dass man niemals einen erwischt.«
»Sie sind zu gut organisiert. Seit der Mirisgleich den Tobler Hartl niedergestreckt hat, ist uns keiner mehr in die Hände gelaufen. – Wie werden die Holzpreise im Herbst, Antretter?«
»Ich denke, dass sie sich halten, zumal, wenn sich die Regierung entschließen könnte die Einfuhr etwas zu stoppen.«
Bald jedoch war man über diese fachlichen Gespräche hinweg. Es wurde noch recht gemütlich, aber um elf Uhr brach der Sägemüller dennoch auf.
Es war eine helle Mondnacht. Eilfertig plätscherte der Bach neben der Straße. Auf der Brücke blieb Antretter stehen und schaute zum Sternenhimmel auf. Seine Gedanken waren heute Abend, wo er wieder einmal in einem Familienkreis gewesen war, mehr als es gut tat, zu der schönen Witwe gewandert, er wurde nicht fertig damit, dass sie das Bild zum zweiten Mal verkauft hatte.
Das war doch Betrug? Trotzdem versuchte er ihr Verhalten zu entschuldigen, weil er von Irene nur Gutes denken wollte. Oft war er in den Wochen seit dem Tod des Malers zu ihr gegangen, aber noch nie hatte er eine entscheidende Aussprache herbeizuführen gewagt, obwohl er doch sonst gar nicht so vorsichtig war. Ja, eigentlich konnte ihr Schwindel mit dem Gemälde ihm doch nur recht sein, denn dadurch hatte sie sich doch irgendwie in seine Hand gegeben, sodass er aus der Situation letzten Endes sogar noch etwas herausschlagen konnte!
Mit diesem Gedanken legte er das letzte Stück Weges bis zum Sägewerk zurück und wollte gerade den Schlüssel in die Haustür stecken, als er einen leisen Pfiff vernahm. Er ging nochmals auf den Hof zurück, wo sich hinter einem Bretterstapel eine Gestalt löste und auf ihn zuging.
Anton Antretter zerrte diese Gestalt sofort wieder in den Schatten.
»Bist du verrückt – bei dem hellen Mondlicht? Was gibt’s?«
»Zwei Hirsche und drei Rehböcke müssen morgen Nacht weggebracht werden.«
»Ja – und?«
»Der Gschwendner Martl macht nicht weiter mit, wenn nicht mehr bezahlt wird, sagt er.«
»Der Gschwendner soll den Mund nicht so voll nehmen, sagst du ihm. Am Sonntagnachmittag komm ich gegen drei Uhr zur Grandlalm, dann sprechen wir weiter. Sonst noch was?«
»Auf der letzten Fahrt, sagt der Martl, ist er kontrolliert worden und da hätten ihn die Polizisten scharf ins Verhör genommen, woher das Blut im Wagen käm.«
»So ein Hornochs. Kann er nicht Stroh genug mitnehmen? Wie Anfänger stellt ihr euch manchmal an. Aber es ist gut, dass ich Bescheid weiß.«
Die Gestalt verschwand jetzt hinter der Sägehalle und Anton Antretter betrat sein Haus.
Als Adrian Sebald am nächsten Sonntag kurz nach zehn Uhr vor dem schmiedeeisernen Tor des Schlossparkes stand, klopfte ihm doch das Herz ein wenig. Durch die kleine Seitenpforte trat er ein. Uralte, hohe Bäume säumten den Weg, bis er zu einem weiten, fein besandeten Platz kam, den Blumenbeete und zwei plätschernde Fontänen zierten. Das feine Geriesel ihrer Tropfen fiel wie silberner Staub in die Kronen der Büsche.
Wie oft hatte er hier als Kind mit Isabella gespielt! Ob sie wohl hier war? Wie mochte sie jetzt nach den Jahren aussehen, die sie beide sich nicht gesehen hatten?
Nachdenklich betrachtete er das Schloss. Warum konnte er jetzt nicht mehr wie einst unbekümmert hineingehen und nach Isabella fragen? Was hatte sich geändert?
Nun, zunächst einmal, dass er heute als Bittsteller kam, nicht als Spielgefährte. Er wandte sich zu dem Eingang im rechten Seitenflügel, wo sich die Kanzlei des Oberförsters befand.
Als Adrian nach kurzem Klopfen eintrat, hob Rucker den Kopf. Er erkannte den jungen Menschen nicht und fragte darum kurz angebunden:
»Was willst du?«
»Ich wollte fragen, ob die Möglichkeit besteht, dass ich hier in den Forstdienst eintreten könnte.«
Rucker fuhr mit dem Kopf herum und maß den Bittsteller aus zusammengekniffenen Augen.
»Forstdienst? Was heißt hier Forstdienst! Holzfällerarbeiten sind auch Dienst am Forst. Dazu aber sind mir deine Hände zu fein.«
»Ich möchte die Forstlaufbahn einschlagen und Jäger werden.«
»Aha. Jäger werden. Weiter nichts! Wer bist du denn eigentlich?«
»Adrian Sebald ist mein Name. Mein Vater ist der verstorbene Maler Sebald.«
Der Förster schloss ein Fach seines Schreibtisches und raunzte dann: »Warum sagst du das nicht gleich? So, so, der Sebald war dein Vater. Mag ein guter Maler gewesen sein, ich verstehe zu wenig davon. Aber Jäger war er einer, dass Gott erbarm. War einmal zur Treibjagd eingeladen. Wenn du auf diesem Gebiet in seine Fußstapfen trittst, dann lass die Idee vom Jägerwerden nur gleich ins Wasser fallen.«
Adrian lächelte und dachte an seinen Vater.
»Ich glaube, Herr Oberförster, dass man alles erlernen kann, wenn man den guten Willen dazu mitbringt.«
»Sehr richtig. Was hast du bisher gelernt?«
»Ich bin noch zur Schule gegangen, Biologie und Physik waren meine Lieblingsfächer!«
»Biologie ist gut. Wie alt bist du eigentlich?«
»Neunzehn. Im Übrigen war es ja nur eine Frage. Wenn es nicht geht, muss ich mich nach etwas anderem umsehen. Auf alle Fälle kann ich jetzt nicht weiterstudieren, sondern muss verdienen.«
Oberförster Rucker gefiel die offene und gerade Art des jungen Menschen immer mehr. Jetzt erst schob er ihm einen Stuhl hin.
»Setz dich einmal her. Ich will mir die Sache überlegen. Wir brauchen notwendig jungen Nachwuchs. Der alte Holly kann nicht mehr lange arbeiten und der Egger schafft das große Revier nicht allein. Ich selber komme auch nimmer so ’naus wie früher, es gibt immer mehr Schreibarbeiten. Wenn du wirklich Lust und Liebe hast zu diesem Beruf, will ich deine Bewerbung gerne befürworten. Einstellen kann ich dich nicht gleich, das hat sich der Freiherr selber vorbehalten. Reich eine schriftliche Bewerbung mit handgeschriebenem Lebenslauf ein und schau in acht Tagen wieder her.«
Adrian stand beglückt auf.
»Danke schön, Herr Oberförster.«
»Oberförster bin ich zwar, ja, aber ich lege keinen Wert auf Titel. Sag nur Förster zu mir. So – dann hätten wir eigentlich alles. Halt, noch was. Du musst dir nicht einbilden, dass du gleich mit einer Büchse herumlaufen kannst. Zuerst musst du eine Zeit lang so mitgehen. Der Egger ist ein ausgezeichneter Jäger, bei dem du was lernen kannst, auch Holzvermessen und -berechnen, das gehört alles dazu. Und dann musst du auch bei mir ein halbes Jahr in der Kanzlei arbeiten. Das gehört alles zur Laufbahn eines Forstangestellten, es sei denn, du willst es nicht weiter bringen als bis zu einem Jagdgehilfen. Aber dazu hast du schon zu viel Wissen in dich hineingestopft. So – und nun überleg dir alles noch mal, bevor du deine Bewerbung einreichst.«
Rucker reichte ihm die Hand, stand auf und geleitete ihn zur Tür. Im Vorraum wartete niemand mehr.
Es war ganz still im Schlosshof. Nur die Springbrunnen plätscherte leise. Von den Rosenbeeten stieg ein betäubender Duft auf. Und über allem lag die pralle Mittagssonne. Ein schwarzer, schmaler Schatten kam eiligen Schrittes auf einem schmalen Seitenweg daher. Es war Herr Siegmund Eberlein, der in der Gärtnerei gerade Rosen geholt hatte um damit die Mittagstafel zu schmücken. Als er Adrian bemerkte, blieb er sofort stehen und zog witternd die Nasenflügel auf.
»Was wollen Sie hier?«
»Ich war in der Forstkanzlei.«
»Wenn mich nicht alles täuscht, sind – bist du doch der junge Sebald.«
»Ja, Herr Eberlein.«
»Donnerwetter, du hast dich gut herausgewachsen. Früher kamst du so oft zu uns.«
Adrian lächelte beglückt in Erinnerung an diese unbeschwerte Zeit. Und nur weil Herr Eberlein so freundlich zu ihm war, konnte er fragen:
»Ist Isabella zur Zeit hier?«
Sofort zog Herr Eberlein die Brauen schmerzhaft zusammen.
»Es heißt jetzt nicht mehr Isabella, sondern Baroness oder Freiin. Ja, Baroness Isabella weilt augenblicklich hier, reist aber morgen wieder ab. Übrigens, was wolltest du in der Kanzlei?«
»Ich habe mich für eine Anstellung im Forstdienst beworben.«
»So? Im Forstdienst? Warum kommst du da nicht zu mir? Ich hätte es unmittelbar dem Herrn Baron vorgetragen. Reich deine Bewerbung gleich beim Herrn Baron ein, ich werde inzwischen vorarbeiten.«
»Ja, danke, Herr Eberlein. Aber warum tun Sie das?«
Da sah Herr Eberlein den jungen Menschen ganz zärtlich an, so ganz vertraulich, als sei er sein eigener Sohn, dem er nun etwas ganz Gutes sagen müsse.
»Warum? Nun, mein lieber, junger Mann. Weil ich dich schon kannte, als du noch die Hosen voll machtest, und weil – ja, weil deine Frau Mama eine entzückend charmante Frau ist, der du die besten Empfehlungen von mir ausrichten sollst.«
Er nahm drei Rosen aus dem Strauß und reichte sie Adrian.
»Bring sie deiner Frau Mama mit einer Empfehlung von mir. Dein Vater, Gott hab ihn selig, hat auch Rosen gezüchtet, aber er hatte keine glückliche Hand dafür.«
Eiligen Schrittes ging Herr Eberlein nun auf das Hauptportal zu, während Adrian mit drei Rosen in der Hand verloren auf das Geriesel der Fontänen schaute und an die Spielkameradin der Kindheit dachte, die er nun nicht mehr Isabella nennen durfte, sondern Baroness von Siebenzell.
Wie lange hatte er sie eigentlich nicht mehr gesehen? War es wirklich schon fünf Jahre her, dass sie oben im Wald über offenem Feuer Forellen gebraten und dann gegessen hatten? Die Fische waren aus dem Weiher des Sägemüllers gestohlen. Darum hatten sie so gut geschmeckt. Ach ja, eigentlich war Isabella immer ein verwegener Spielkamerad gewesen. Man hätte Pferde stehlen können mit ihr. Ob die Jahre sie nun so gewandelt hatten, dass auch sie ihn mit gerunzelten Brauen ansehen würde, wenn er sie Isabella nennen würde?
Der Sägewerksbesitzer kam jetzt immer öfter ins Malerhäusl. Es gab zwar keine Brennholz mehr zu besorgen, aber man konnte sich auch so unentbehrlich machen. Die Frau war ein wenig unbeholfen in den praktischen Dingen des Lebens, sie brauchte da einen Rat und dort einen. Und der Sägewerksbesitzer wusste ihn zu geben.
Zuerst vermied Irene es, ihn ins Atelier zu führen. Vielleicht hatte sie am Anfang sogar die ernste Absicht, ihm den doppelten Bildverkauf zu beichten. Aber dann unterließ sie es doch wieder aus irgendeinem Grund. Eines Tages jedoch ergab es sich ganz unabsichtlich, dass der Sägewerksbesitzer ins Atelier kam. Irene griff sofort nach einer Lüge und gab vor aus Unachtsamkeit das Bild ein wenig beschädigt zu haben. Darum habe sie es einem Restaurator übergeben.
Anton Antretter ging kaum darauf ein, tat so, als habe er das Bild längst vergessen. Er sprach von ganz was anderem. Sie könne doch ihr Häusl viel besser ausnutzen, meinte er, könne Fremdenzimmer anbauen und vermieten.
Doch, aber es fehlen ihr dazu eben die Mittel.
»Mittel? Wieso Mittel? Haben Sie denn darüber noch nie nachgedacht, wie spottbillig das kommt?«
»Nein, ich habe darüber noch nicht nachgedacht.«
So stieg der Antretter auf den leeren Dachboden hinauf und hantierte mit dem Meterstab.
»Es ist lächerlich«, meinte er, »wie gering die Kosten sind. Hier gibt es mindestens drei Fremdenzimmer. Ich liefere Ihnen Bretter und Balken zum Selbstkostenpreis«.
Am anderen Tag kamen die Bretter und Balken. Oh, er war voller Hilfsbereitschaft, dieser Anton Antretter. Sein Schwung riss Irene mit, sie sah sich bereits als Besitzerin einer gut gehenden Pension. Erst als die drei Zimmer ausgebaut und die Handwerker bezahlt waren, begriff sie, welch ein gewagtes Spiel sie getrieben hatte. Und es wurde ihr immer schwerer, dem Sägewerksbesitzer, wenn er kam, ein lächelndes Gesicht zu zeigen, denn er war es doch schließlich gewesen, der ihr das alles aufgeschwatzt hatte. Aber sie war ihm so willig gefolgt, weil es doch schön war, mit dem Gedanken an die Einnahmen zu spielen.
Nun aber hatte er plötzlich keine Pläne mehr. Er besah sich den Umbau und war zufrieden. Die Rechnung für das Bauholz schrieb er nicht und Irene wagte auch nicht, ihn daran zu erinnern. Sie wagte auch nicht, ihm das Kommen zu verwehren, obwohl sie längst merkte, was ihn eigentlich herzog. Es bedurfte erst eines zufällig im Kramerladen aufgefangenen Wortes, das Irene klarmachte, wie man im Dorf über sie und den Antretter tuschelte.
Nun musste sie dem Unsinn wohl ein Ende machen, denn schließlich war sie noch nicht lange Witwe und hatte einen erwachsenen Sohn.
Als der Sägemüller einige Tage darauf wieder einmal vorsprach, sagte sie ihm geradeheraus, dass es besser sei, wenn er nicht mehr käme.
»Ich weiß nicht, Antretter, ob Sie auch gehört haben, dass man über uns beide spricht.«
Seine Mundwinkel zuckten kaum merklich. »Auf das Gerede der Leute habe ich noch nie etwas gegeben.«
»Sie sind ein Mann, der nimmt die Sache eben leichter als eine Frau.«
»Zunächst wäre einmal zu fragen, ob es über uns beide wirklich etwas zu reden gibt.«
»Bis jetzt noch nicht«, plapperte Irene unbedacht heraus.
»Noch nicht, ist gut«, meinte er lächelnd. »Dann bist du also der Meinung, dass es über kurz oder lang etwas zu reden gäbe über uns.«
Irene wurde nervös. »So habe ich das nicht gemeint, Antretter. Und – Sie sollen mich nicht duzen.«
»Hm …«, er strich mit einer wirschen Handbewegung durch die Luft. »Lass doch diese Förmlichkeiten. Aber wenn ich recht verstanden habe, dann soll ich jetzt umkehren und gehen.«
»Um ganz recht zu verstehen: Es wäre besser gewesen, Sie wären nie gekommen. Weil Sie nun doch schon da sind, können Sie auch mit mir Kaffee trinken. Dabei wollen wir die Sache einmal ganz ruhig besprechen.«
Zweifellos, Irene beherrschte die Situation wieder. Sie ging ein paar Mal hin und her, brachte Tassen, Weißbrot, Butter, Marmelade und schließlich den Kaffee.
»Wir wollen uns gar nichts vormachen, Antretter«, begann sie dann das Gespräch. »Sie sind ein gesetzter Mann, und ich bin nicht mehr jung genug um auf eine Art Werben hereinzufallen, das nach Gefühl und gutem Willen aussieht und doch von Anfang an nur Berechnung war. So ist es doch?!«
Wo ist der Mann, der sofort unumwunden zugibt, wenn seine Schwächen aufgedeckt werden?
»Du hast eine sonderbare Art die Dinge beim Namen zu nennen.«
Irene merkte jetzt, dass sie von seinem Du nicht mehr bestürzt war wie vorher, sondern dass sie es gerne hörte.
»Sie meinen die Wahrheit auszusprechen?«
Um seine Verlegenheit zu verbergen und um eine Pause zu gewinnen nahm er langsam ein Stück Zucker aus der Dose, legte es auf seinen Löffel und sah zu, wie das Stückchen auf der Oberfläche des Kaffees in seiner Tasse langsam zerfloss. Plötzlich nahm er den Kopf zurück.
»Ich will dir einmal was sagen, Irene. Zum Teil magst du Recht haben. Am Anfang wollte ich dir wirklich nur gefällig sein. Aber dann bekam ich heraus, dass du nicht so wohlhabend bist, wie man es allgemein angenommen hat. Ich warf dir sozusagen die Karte hin und du schobst den Stich ein ohne einen rechten Trumpf zu haben. Und dann – ich gebe es zu – wollte ich dich in eine gewisse Abhängigkeit bringen. Da kam mir aber zunächst der Kammermops vom Schloss mit seinem Bilderkauf dazwischen.«
Irene erblasste. Ihre Hand zitterte so heftig, dass sie die Tasse niederstellen musste.
»Welchen Bilderkauf?«, fragte sie sinnloserweise. Aber der Antretter war großzügig und machte eine abwehrende Handbewegung.
»Denk bloß nicht, dass ich mir aus dem Bild etwas mache. Ich nehme eben ein anderes dafür.«
Lange schwieg Irene. Die Rücksichtsnahme des Mannes war doch echt. Er schonte sie, sagte nichts von Betrug. Endlich fand sie die Kraft und die Ruhe ihn voll anzusehen.
»Warum tun Sie das alles, Antretter?«
»Muss ich dir das wirklich erst sagen? Ich dachte, dass eine Frau doch fühlen müsse, wenn sie – einem Mann nicht ganz gleichgültig ist.«
»Ja, doch, das freilich schon«, gestand sie ehrlich.
»Aber überlegen Sie doch, Antretter, ich bin erst seit kurzem Witwe – und ich habe einen erwachsenen Sohn«.
Erregt stand er auf, ging ein paar Mal im Raum auf und ab, die Hände hinter dem Rücken verkrampft. Schließlich blieb er vor dem Fenster stehen und starrte hinaus. Dann drehte er sich heftig um und stieß hervor. »Irene, ich kann und will nicht mehr länger warten. Lass uns heiraten, bald. Dein Sohn wird vernünftig genug sein einzusehen, dass wir nicht länger warten wollen. Was soll aus dem Burschen übrigens werden?«
»Adrian hat sich auf Siebenzell als Forsteleve beworben.«
Kaum merklich zuckte der Sägewerksbesitzer zusammen. In seine Augen war ein harter, kalter Glanz gekommen.
»Dann soll das ganze Geld zum Fenster hinausgeworfen sein, das ihr für seine Schulbildung ausgegeben habt?«
»Adrian meint, dass nichts im Leben umsonst gelernt sei.«
Anton Antretter starrte wieder eine Weile zum Fenster hinaus. Dann meinte er: »Kann man ihm das mit der Jägerei nicht ausreden?«
»Ich glaube kaum. Wenn sich Adrian einmal etwas in den Kopf setzt, kann man ihn nur schwer davon abbringen. Und wenn er Lust und Liebe zu diesem Beruf in sich fühlt –«
»Lust und Liebe«, sprach der Antretter spöttisch nach. Dann griff er nach seinem Hut.
Irene reichte ihm die Hand. Allerdings sagte sie nicht: »Auf Wiedersehen«, sondern: »Leben Sie wohl, Antretter.«
Dann ging er und er hatte es sehr eilig auf die Straße hinauszukommen.