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Die Stumme

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Der junge Arzt vom Nachtdienst des Krankenhauses war hocherfreut, den berühmten Mimen einmal persönlich kennenzulernen: »Ich gehe in jeden Film, bei dem Sie mitspielen, Herr Babendererde, da lasse ich keinen aus! Und dann habe ich Sie natürlich jetzt in ›Liebe auf sachten Sohlen‹ gesehen, sogar zweimal schon! Fabelhafte Geschicklichkeit im Klettern, sind Sie Alpinist? Ich klettere nämlich selber, da kann ich Ihre Leistung beurteilen!«

Babendererde machte jenes höfliche, eine Spur gelangweilte Gesicht, mit dem er stets die Lobsprüche der Bewunderer – sein Lebensvitamin – anhörte. Doktor Altpeter aber, den es zu seinem Haufen Leute zog, fragte: »Und die junge Dame? Schläft sie, oder ist bei ihr noch immer die Stunde, eh’ sie schlafen geht?«

Das Gesicht des jungen Arztes verwandelte sich aus dem menschlich interessierten in das berufsmäßig ernste. »Vor einer halben Stunde lag sie noch mit offenen Augen, ziemlich apathisch, fürchte ich. Ihren in Aussicht stehenden Besuch habe ich ihr mitgeteilt, Herr Babendererde, sie hat aber nicht sichtbar darauf reagiert.«

»Nun, wir werden sehen«, sagte der Schauspieler. »Wenn ich zu ihr spreche, wird sie vielleicht reagieren.«

Der Arzt sah zweifelhaft drein. Doktor Altpeter fragte: »Und das Allgemeinbefinden, Herr Kollege?«

»Oh, das ist in Ordnung! Die paar Kontusionen brauchten nur ein wenig Heftpflaster. Die Temperatur kaum erhöht. Sie hat auch eine Kleinigkeit gegessen, etwas Toast und Tee und ein Ei, glaube ich. Nein, insoweit ist alles in Ordnung. Aber …«

Er sah die beiden Herren zweifelnd an. »Aber?« fragte Doktor Altpeter höflich.

»Aber, die Wahrheit zu sagen, wir sind in einiger Verlegenheit, was wir mit dem jungen Mädchen anfangen sollen. Hier ist die chirurgische Station, und wir sind ziemlich belegt. Zur Not können wir sie noch einen Tag behalten, aber dann …«

»Kann sie nicht in die Nervenabteilung überwiesen werden?« erkundigte sich Altpeter.

»Natürlich. Nur, es wird da vielleicht einige Schwierigkeiten geben: kein Name, keine Angehörigen, keine Nachtsachen, nicht einmal eine Zahnbürste …«

»Was das Finanzielle angeht«, sagte Babendererde rasch, »springe ich gerne ein. Ein bißchen Nachtzeug ist leicht beschafft, und auch was die Kurkosten angeht, bitte ich ganz über mich zu verfügen.«

»Oh, wegen des Geldes müssen Sie sich keine Sorgen machen! Die junge Dame hatte immerhin gegen achthundert Mark in der Tasche. Scheint sich für einen längeren Aufenthalt in Berlin eingerichtet zu haben. Nein, es handelt sich darum, mit ihren Angehörigen in Verbindung zu kommen.«

»Sie haben in Lübeck angefragt?«

»Ja, und wir haben auch schon Bescheid: keine Vermißtmeldung. Was machen wir nun?« Er sah den Schauspieler auffordernd an. Als der aber schwieg, fuhr er vorsichtig fort: »Wir haben Ihren Wunsch respektiert, Herr Babendererde, und in Lübeck noch nichts von Ihren Mitteilungen gesagt. Der Chef, Professor Eicken, meint aber – vielmehr, er läßt Sie bitten, uns jetzt von diesem Schweigegebot zu entbinden.«

Babendererde stand nachdenklich da. Doktor Altpeter sagte überredend: »Ich finde auch, Gerd, das könntest du ruhig tun. Es ist ja nichts Entehrendes, der Mutter mal auszureißen.«

Und der junge Arzt: »Sie übernehmen unter Umständen eine erhebliche Verantwortung. Die Verwandten könnten Ihnen später Vorwürfe machen.«

»Ganz das, was ich ihm schon gesagt habe!« rief Altpeter.

Babendererde sagte: »Erst möchte ich sie einmal sehen, Herr Doktor. Vielleicht können Sie mich ein paar Minuten mit ihr allein lassen? Ich hoffe, sie reagiert auf mich.«

Die beiden Ärzte wechselten einen raschen Blick. Dann sagte der junge Doktor: »Bitte schön, ich habe da keine Bedenken. Wenn ich vorausgehen darf?«

Sie gingen zu dritt über den langen weißen Korridor. Manche Türen standen offen, beim Schein von Nachtlampen sah man Schwestern neben Betten sitzen, auf denen Weißverhülltes stumm oder schmerzlich seufzend lag. Es roch stark nach Verbandzeug, nach Jodoform, Äther, Karbol – ein Gemisch von Gerüchen, das Babendererde nicht ungern atmete. Wie viele Menschen erregte ihn dieser Geruch, der an Wunden und Schmerz erinnerte, rührte an seinem Lebenswillen, machte ihn bewußter und wacher.

Vor einer Tür blieb der Arzt stehen.

»Wir haben ihr ein Einzelzimmer gegeben«, sagte er. »Auch eine Nachtschwester ist bei ihr, für den Fall, daß sie doch sprechen sollte, und …«

»Zur Beobachtung?« fragte Doktor Altpeter.

»Ja, gewiß.« Und leise zum Kollegen: »Die Wahrheit zu sagen, wir sind eine Spur zweifelhaft – wegen des Schocks, Sie verstehen?« Der junge Arzt öffnete die Tür: »Bitte sehr, meine Herren.« Und zu der Kranken: »Sehen Sie, da ist Herr Babendererde schon, er ist direkt vom Theater hergekommen. Er hat einen Arzt mitgebracht, solche Sorgen machen Sie ihm.«

Die Schwester war vom Bett zur Seite getreten. Die Kranke lag auf dem Rücken, das Gesicht sehr weiß im Kranz der dunklen Haare. Sie sah nicht auf den Besucher, sie blickte gerade vor sich hin, über das Fußende des Bettes fort, in einen Winkel des Zimmers, ins Ziellose.

Das gedämpfte Licht der Nachtlampe erhellte ihr Gesicht: der Mund war so fest geschlossen, daß die Lippen nur wie ein dunkler Strich wirkten. Wenn Babendererde noch eine leise Hoffnung gehabt hatte, es könnte hier ein anderes Mädchen liegen – wie viele Mädchen liefen vielleicht mit seiner Adresse im Täschchen herum! –, es möchte nicht die so hart behandelte Sängerin aus dem Treppenhaus sein, so war es mit dieser Hoffnung jetzt vorbei. Sie war es – und sie sah mehr denn je wie die Ilsebill aus, nach deren Kopf die Welt zu gehen hat.

»Nun, Schwester, etwas Neues, eine Änderung?« fragte der Arzt.

· · ·

Während die beiden miteinander flüsterten, war Babendererde an das Bett getreten. Er legte seine Hand leise über die der Kranken und sagte halblaut: »Ja, Fräulein Ilse, da bin ich! Als Kinder hatten wir einen Reim: ›Die Ilse, die Ilse, keiner will se! Da kam der Koch und nahm sie doch!‹ Also bin ich gekommen, ich schlechter Koch, der die Suppe versalzen hat.« Ganz überraschend zauberte er aus der weiten Tasche seines Automantels ein Sträußlein Maiglöckchen: »Es ist Frühling draußen, Fräulein Ilsebill, da werden Sie doch nicht im Bett liegen wollen?!«

Doktor Altpeter, im Hintergrund, blickte seufzend seinen Kollegen an. »Haben Sie das gesehen?« fragte er, »Babendererde bringt Blumen, und zwar heimlich besorgte! Nun haben wir zwei Kranke!«

»Meinen Sie wirklich?«

»Natürlich meine ich das! Er bildet sich ein, er hat Gewissensbisse – aber er ist einfach verliebt! Und er merkt es nicht einmal!«

»Nun«, sagte der junge Arzt und lachte, »vielleicht wird sie es ihm sagen. Das wäre ein ganz lohnender Anfang mit dem Wieder-Sprechen-Können! Kommen Sie, Herr Kollege, kommen Sie, Schwester, wir wollen die beiden für fünf Minuten einander überlassen!«

Die Hand hatte kühl und unbewegt unter der seinen gelegen, das Auge hatte unverändert in den Zimmerwinkel gesehen und nicht auf das Sträußchen. Babendererde zog einen Stuhl heran und setzte sich an das Bett.

»Mein Kind«, sagte er, und ganz unbewußt legte er all seine Kunst in diese Worte, jene Kunst, die ihm die Zuneigung so vieler verschafft hatte. »Mein liebes Kind«, sagte er noch einmal, und seine Stimme ließ dabei dunkel ein tieferes Gefühl mitschwingen. »Ich bin heute recht häßlich zu Ihnen gewesen. Ich habe es gleich bereut. Ich sah Ihnen vom Balkon nach, und schon da wollte ich Ihnen folgen und sagen, daß Sie schön gesungen haben, sehr schön. Eines Tages werden Sie eine große Sängerin sein!«

Er schwieg einen Augenblick, sah sie an, die unverändert in ihren Kissen lag. Dann begann er von neuem: »Ich bin Ihnen nicht nachgegangen, leider nicht. Da ist immer so vieles, das einen ablenkt, das von dem Eigentlichen, dem allein Wichtigen fortzieht. Sie, die sich schon mit der Kunst beschäftigt haben, die schon ein Stück Künstlerin sind, werden es bereits wissen, daß unsere Kunst den ganzen Menschen braucht, unzersplittert. Sie ist eine sehr eifersüchtige Geliebte, diese Kunst, sie gibt sich nur dem, der ihr ganz gehören will. So verstehen Sie, daß ich bei Ihrem Kommen, Ihrem Gesang, bei Ihrem Fortgehen nur dachte: Laß dich in nichts ein! Du kannst ihr kaum helfen, und dir selbst schadest du so sehr!«

Wieder machte er eine Pause. Wie immer, wenn er von sich und seinem Verhältnis zur Kunst sprach, hatte er alles andere darüber vergessen. Er glaubte jedes Wort, das er sagte, er dachte nicht mehr daran, daß er sie nur darum so brüsk fortgeschickt hatte, weil er in ihren Augen jenen Liebesblick gesehen zu haben meinte, dem er sich im Interesse seiner Arbeit so lange schon versagte. Das war die fixe, sein ganzes Tun und Denken beherrschende Idee geworden, daß er alles meiden müsse, um ganz Künstler zu sein. Wenn er frisch war, dachte er kaum an derartiges. Die schwerste Leistung wurde ihm leicht. Aber je abgearbeiteter er wurde, je gereizter seine Nerven auf die kleinste Störung reagierten, um so mehr klammerte er sich daran, daß er alles meiden müsse, um Großes zu erreichen.

Seit über einem Jahr hatte er sich keine Woche Freizeit gegönnt. Immer hatte er abends auf der Bühne gestanden, nachdem ein langer Arbeitstag ihn in den Ateliers der Filmgesellschaften schon übermäßig beansprucht hatte. Er war mit seinen Nerven zu Ende. In gesünderen Tagen hätte er der fortgeschickten Ilsebill nicht einen Gedanken mehr gegönnt, er hätte ihr kaum vom Balkon aus nachgesehen. Aber jetzt in dem inneren Zwiespalt, da ein tiefes Ruhebedürfnis mit seinem Arbeitsgewissen in Streit lag, bildete er sich ein, er habe eben durch dieses Wegschicken eine Schuld auf sich geladen, die ihn so lange zu jeder Leistung unfähig machte, bis die Schuld getilgt war.

»Sehen Sie«, sagte er plötzlich, »ich habe heute abend im Theater zum ersten Mal umgeschmissen. Ich bin steckengeblieben. Das ist mir in meiner ganzen Schauspielerlaufbahn noch nie passiert. Und gerade bei dem Lied, das Sie mir vorgesungen haben – ist das nicht seltsam?« Und er summte leise: »Die Stunde, eh’ du schlafen gehst, die schenk du mir, die schenk’ ich dir … – Ja, und nun habe ich mit Ihnen gesprochen, und es wird Zeit für Sie zu schlafen. Aber ich wollte Ihnen dies alles doch sagen. Ich werde für Sie da sein, wenn Sie wieder singen können …?« fragte er plötzlich, und die tiefe Angst, die er seines eigenen Schicksals wegen bei ihrem Schweigen empfand, brach unvermittelt durch. Er versuchte sich selbst zu beruhigen: »Natürlich! Selbstverständlich werden Sie wieder singen können, morgen schon, oder doch übermorgen! Doktor Altpeter sagt auch, es ist nur der Schreck, so etwas geht rasch vorbei …«

Er sah sie dringend, er sah sie auffordernd an. Aber in ihrem Gesicht veränderte sich nichts, mit keiner Miene verriet sie, daß auch nur eines seiner Worte zu ihr gedrungen war.

Er legte seine Hand gegen ihre Wange, er drehte ihr Gesicht zu sich. »Aber Sie können mich doch hören!« rief er. »Sie verstehen doch, was ich spreche! Nicken Sie doch einmal zum Zeichen, daß Sie mich verstanden haben!«

Ihr Blick sah ihn leer an, leer, wie er in jene Zimmerecke geschaut hatte. Dann ging er durch ihn hindurch, sah ihn nicht mehr, sah nichts mehr.

»O Gott!« rief er verzweifelt. »Was habe ich da bloß angerichtet! Ich werde morgen nicht filmen können!«

Und er fing an, in der Krankenstube auf und ab zu laufen, völlig verzweifelt, daß er morgen würde nicht filmen können!

»Nur noch fünf oder sechs Drehtage!« sagte er halblaut. »Aber gerade jetzt muß so was passieren! Das ist wie ein Verhängnis! Als wir ›Colomba auf Korsika‹ drehten, bekam ich kurz vor dem Schluß Zahnschmerzen. Und bei ›Wintergewitter‹ war es eine schlechte Auster …«

Er hatte die Kranke ganz vergessen, er erinnerte sich all der kleinen Widerwärtigkeiten, die seine Arbeitspläne einmal durchkreuzt hatten. Dann begann er zu überlegen: »Ich muß sehen, daß ich heute abend noch Hensel erreiche. Er könnte die Aufnahmen mit mir um eine Woche verschieben, erst den anderen Kram erledigen. In einer Woche müßte doch diese Sache hier in Ordnung zu bringen sein …«

Er wandte sich wieder zu der Kranken. »Sie müssen jetzt schlafen«, sagte er sanft. »Sie werden schlafen – mir zuliebe! Ich sehe morgen früh zeitig wieder nach Ihnen, und dann werden wir plaudern! – Nicht wahr, wir werden doch plaudern?«

Die Hand lag schlaff in der seinen und sank, kaum hatte er den Griff gelockert, kraftlos auf die Bettdecke zurück.

»Also, dann gute Nacht!« sagte er ein wenig entmutigt und wandte sich zur Tür. Plötzlich erinnerte er sich der Maiglöckchen auf der Bettdecke. Nach kurzem Zögern holte er vom Waschtisch ein Mundspülglas und stellte den Strauß auf den Nachttisch. »Ich werde Ihnen morgen eine schöne Vase mitbringen«, sagte er. »Nochmals gute Nacht!«

Die beiden Ärzte standen plaudernd am Flurfenster.

»Nun, was hast du ausgerichtet?« fragte Doktor Altpeter gespannt.

»Noch nichts!« sagte er etwas kurz, denn es ärgerte ihn, gestehen zu müssen, daß er, der berühmte Schauspieler, ohne Wirkung auf solch junges Ding geblieben war. »Ich werde morgen wieder nach ihr sehen.«

Der junge Arzt fragte: »Und was darf ich Professor Eickens wegen Ihres Schweigegebotes sagen? Sind Sie zu einem Entschluß gekommen?«

»Ich denke«, sagte Babendererde nach kurzem Überlegen, »ich werde morgen Ihren Chef persönlich sprechen. Bis dahin hat es wohl Zeit?«

»Natürlich. Sie treffen den Professor am sichersten zwischen elf und eins hier auf der Station.«

»Schön. Ich werde pünktlich sein. – Und nun unseren besten Dank, Herr Doktor. Ich hoffe, wir haben Sie nicht zu sehr von wichtigeren Beschäftigungen abgehalten.«

Im Auto fragte er dann: »Und wohin soll ich dich fahren, Altpeter? Wo lechzt der Haufen Leute nach dir?«

»Ach, für den ist es längst zu spät geworden. Fahr mich zu Kießling an den Stammtisch. Das heißt, wenn dir das nicht zu unbequem liegt!«

»Aber gar nicht! Ich werde noch selber bei Kießling reinschauen. Vielleicht treffe ich dort Direktor Hensel …« Und während sie schon fuhren: »Ich habe es mir überlegt, Doktor. Du hast ganz recht, ich bin ein bißchen überarbeitet. Ich werde Hensel bitten, meine Aufnahmen um acht oder zehn Tage später zu legen. Das läßt sich ganz gut so einrichten. Zur Not kannst du mir bestätigen, daß ich Schonung brauche?«

»Das will ich gern, Gerd. Aber wohlverstanden, du brauchst völliges Ausspannen – von allem!«

»Darauf kannst du Gift nehmen, mein Guter: weder Film noch Theater bekommen in den Tagen auch nur ein Eckchen von mir zu sehen!«

»Ich meinte mit Ausspannen von allem auch unsere bewußte junge Dame!«

»Jetzt finde ich dich einfach albern, Doktor! Was hat das junge Mädchen mit meiner Überarbeitung zu tun?«

»Nichts! Aber mit deinen Nerven, fürchte ich, hat sie vielleicht viel zuviel zu tun!«

»Ich habe es dir schon einmal erklärt, Doktor, daß ich es für meine verfluchte Pflicht und Schuldigkeit halte, mich um sie zu kümmern. Ist sie erst wieder gesund, ist der Fall für mich erledigt.«

»Das denkst du! Aber was denkt sie?«

»Leider hört sie vorläufig nicht einmal, was man ihr sagt. Ich existiere im Moment nicht für sie.«

Doktor Altpeter überlegte. Dann aber schien es ihm doch besser, den Freund zu warnen.

»Der junge Kollege im Krankenhaus«, meinte er vorsichtig, »hält es nicht für ganz ausgeschlossen, daß deine Verehrerin eine Spur simuliert.«

Babendererde fuhr wütend los: »Simuliert? Wieso simuliert? Was simuliert? Ihr Ärzte seid doch die mißtrauischste Bande von der ganzen Welt! Ein harmloses, unerfahrenes Ding …«

»Mein lieber Babendererde, Simulieren ist in einem solchen Falle nichts Schlechtes. Sie hat einen Schock erlitten, einen doppelten, durch dich und durch den Autobus, und nun verkriecht sie sich, vor ihren Angehörigen, vor dir, vor der ganzen Welt – will einfach nicht mehr mitmachen. Auch das kann eine Krankheit sein.«

»Das glaube ich nie!« sagte Babendererde überzeugt. »So wie ich mit ihr geredet habe, hätte sie reagiert. Aber sie hat mich eben einfach nicht gehört!«

»Wenn sie dich doch nicht hören kann, wäre es da nicht das beste, du überläßt sie den Ärzten? Sie wird morgen in eine Nervenklinik gebracht …«

»Den Teufel wird sie dorthin gebracht! Was ihr euch alles ausdenkt! Sie ist doch nicht verrückt!«

»Mein Lieber, ein Mann deines Bildungsgrades sollte wirklich nicht mehr Neurologie und Psychiatrie verwechseln! Natürlich ist sie nicht geisteskrank, aber vielleicht ist ihr seelisches Gleichgewicht im Augenblick ein wenig gestört.« Und bei sich dachte er: Und nochmals, vielleicht ist sie bloß eine durchtriebene Schelmin und freut sich, wie schön sie unserem ahnungslosen Babendererde seine Ruppigkeit heimzahlen kann!

Aber das laut zu sagen, verbot sich. Statt dessen fragte der Arzt: »Nun erzähle mir doch endlich einmal, Gerd, was willst du mit dem jungen Mädchen eigentlich anfangen?«

»Ich werde sie gesund machen!«

»Ein Kranker taugt nicht zur Krankenpflege!«

»So, nun bin ich also auch krank! Vielleicht willst du mich ebenfalls in die Nervenklinik bringen – soll ich gleich hinfahren?«

»Du bist der unvernünftigste Kindskopf von ganz Berlin, Babendererde! Eben hast du mich gebeten, dir bei Hensel Überarbeitung zu bestätigen! Überarbeitung ist auch ein krankhafter Zustand. Sei doch vernünftig, Gerd«, setzte er überredend hinzu, »ich will ja nur, daß die junge Dame vorläufig für dich abgetan ist, wenn auch dein morgiger Besuch zu keinem Erfolg führt!«

»Nichts verspreche ich! Gar nichts verspreche ich!« schrie der Schauspieler fast. »Und nun will ich dir sagen, daß ich dieses Geschwätz über das verdammte Mädel bis dahin habe! Ich verbitte mir jedes weitere Wort darüber!«

»Schön, schön, mein Lieber«, sagte der Arzt, ganz ungerührt von diesem Ausbruch. »Wenn du mir nur sagen wolltest, was du mit ihr vorhast! Auf der Chirurgischen im Krankenhaus wird man sie nicht länger behalten.«

Aber Babendererde antwortete nicht mehr, und in völligem Schweigen verlief der Rest der Fahrt zum Stammtisch bei Kießling.

Die Stunde, eh' du schlafen gehst

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