Читать книгу Gefängnistagebuch 1924 - Ханс Фаллада - Страница 8

Оглавление

Montag, 23. Juni 1924

Ich war am Sonntagabend, da mir noch alle Glieder schmerzten, schon um acht Uhr ins Bett gegangen, mit der stillen Hoffnung, bis Montag früh durchschlafen zu können, damit ich für die Leistungen dieses Tages recht frisch sei. Aber dann war ich wieder von dem bekannten stechenden Schmerz, der ein sofortiges Kratzen auslöst, wach. Die Wanzen sind wieder da, meine Sonntagsarbeit scheint vergeblich. Es ist dunkel, eine Weile darauf höre ich es zehn Uhr schlagen. Ich will mir einreden, es sei doch nicht ganz so schlimm wie in der Vornacht, ich lege mich auf den Rücken, sage irgendein Gedicht auf, und schon hocke ich wieder, kratze wie wahnsinnig, taste blind das Laken ab und lege mich wieder zurück.

Das schlimmste ist, daß man diesen Bestien in der einzigen Zeit, da sie unterwegs sind, nachts, vollständig hilflos ausgeliefert ist, da man kein Licht hat (meine Zelle ist überhaupt nicht beleuchtbar). Man ist ganz verzweifelt, tastet im Dunkel über das Laken, findet Krumen (wo sammeln sich in einer Nacht soviel Krumen an?), erwischt aber fast nie eine Wanze. In dieser Nacht bin ich noch glücklich gewesen: Eine erwischte ich auf meinem Gesicht, eine an meinem Bein entlang spazierend. Ich prüfe durch den Geruch, ob ich mich noch nicht getäuscht habe. Wanzen riechen unverkennbar, es ist ein süßlicher (der Farbe nach grüner) Geruch, der an Gras erinnert. Bei dieser Geruchprobe muß ich immer an Flaubert denken, der den süßlichen Geruch der Wanzen bei Rustschuk Hanem besonders erregend findet.

Es ist ganz seltsam, wie sehr mich dieses Wanzengetier stört. Neben dem Gedanken, ob ich meine Arbeit auch werde leisten können, nimmt diese Sorge entschieden den Hauptplatz ein. Immer wieder ertönt es in mir: »Ich wäre ganz zufrieden, wenn ich nur ruhig ohne Wanzenplage nachts schlafen könnte.« Heute sah ich ihre platten bräunlichen und weißlichen Figuren überall, sogar beim Sägen schienen sie sich zwischen dem Sägemehl, das aus dem Einschnitt unter dem Sägezahn aufstäubte, zu verbergen. Und die Frage wird für mich akuter: Sind diese Wanzen nicht vielleicht überhaupt eine Halluzination von mir?

Ich erinnere mich daran, daß ich in den letzten Tagen bei Kagelmacher abends beim Einschlafen den gleichen Juckreiz mit Schlaflosigkeit verspürte, sobald ich abends keinen Alkohol genossen hatte. Freilich fand ich dort nicht am nächsten Tage die Bißwunden dieser Tiere an Arm und Bein vor. Aber ich erinnere mich noch gerade zur rechten Zeit daran, daß eine Hysterikerin ein Geschwür auf der Hand so stark »denken« kann, daß es am nächsten Tage da ist. Wenn es mir ebenso ginge? Und ich versuche, mich vergeblich damit zu trösten, daß ich ja die Gestalten der Wanzen gesehen habe. Aber ist nicht vielleicht gerade dieses Sehen meine Halluzination? Umsonst rufe ich mir zurück, wie ich sie am ersten Tage auf meinem Kopfteil sah, zwei braune Prachtexemplare, die sehr viel Blut ließen, als ich sie zerdrückte. Ich sehe auch noch, wie sie aus einer Spalte zwischen Holz und Eisen meines Bettes beim Einpinseln hervorkamen, ich sehe sie in den Falten meiner Seegrasmatratze sitzen. All das bewiese nur etwas, wenn sie ein anderer auch gesehen hätte. Aber der Oberwachtmeister antwortete mir auf meine Beschwerde: »So, sind Wanzen bei Ihnen? Der Schullehrer hat sich nie darüber beklagt.«

Also direkt vor mir hat ein Schullehrer diese Zelle bewohnt und hat nichts von Wanzen gesagt. Nun halte ich es aber für ausgeschlossen, daß irgendein Mensch Anzapfungen dieses Maßstabes ohne Widerstreben erträgt. Er würde sicher etwas gesagt haben. Da er nichts gesagt hat, sind also auch keine …

Weiter. Als man mir die Vertilgungsbrühe brachte: ein Wachtmeister mit dem Kalfaktor, sahen wir uns das Bett an. Von Wanzen war nichts zu sehen. Zum Beweise, daß welche da seien, zeigte ich meinen rechten Unterarm vor, der mit seinen achtundsiebzig Bißwunden wirklich toll aussieht; sie sahen beide darüber fort, als sähen sie nichts. Also …

Gerade als ich dies zu schreiben begann, fühlte ich ein Kitzeln im Nacken, griff zu und verspürte gerade noch das Verschwinden eines Tieres unter meinem Hemd. Ich riß sofort das Hemd ab (ich sitze nur in Hemd und Hose da), ich hätte das Tier finden müssen, wenn es dagewesen wäre: Ich fand es nicht.

Gestern wie heute erscheinen während des Schreibens an der Innenseite meines linken Unterarms, mit dem ich das Papier halte, zwei, drei Bißstellen. Wie ist es möglich, daß ich eine Wanze an diesem nackten Unterarm, der während des Schreibens sozusagen ständig unter meinem Blick liegt, nicht kommen, saugen, fortgehen sehe. Es war eben keine Wanze, das Geschwür …

Natürlich liegt in all dieser Schreiberei über die Wanzenplage viel Spielerei. Wenn man Gedanken, von denen man den einen jetzt, den andern später gehabt hat, aneinanderreiht, gibt dies immer ein falsches Bild. Natürlich denke ich nicht daran zu glauben, daß die Wanzen Halluzination sind, aber ich glaube vielleicht sehr daran, daß irgendein krankhaftes Gefühl diese Wanzenplage zur Deckung für seine privaten Verheerungen nimmt. Das ist das Lange und das Kurze von der Sache.

Trotz der unruhigen Nacht erwachte ich morgens ziemlich frisch. Das Reinigen der Zelle ging schon viel leichter. Zu dem Viertelliter Roggenkaffee aß ich heute zum ersten Male das halbe Pfund trockenen Brots, das es in einem Stück – gut, daß ich mir meine Zähne habe machen lassen! – morgens und abends gibt. Ich tunkte es in den Kaffee, werde es aber nicht wieder tun, weil es erstens nicht besonders schmeckt, dann aber das Reinigen des Bechers mir auch zu viel Mühe macht.

Nach dem Kaffee hatte ich noch eine ganze Weile Zeit, Bloem zu lesen, der nun glücklich unter Schrapnells seinen Herrgott (bezeichnenderweise erhebt sich Seine Stimme zu einem Spruch des Alten Testaments) findet. Ich werde heute wohl noch mit ihm fertig und muß ihn dann bis Sonntag, ehe es ein neues Buch gibt, aus Mangel an Stoff noch mal lesen. Ich werde Kalauer in ihm suchen gehen.

Ich war sehr erstaunt, als ich beim Antreten nicht meine Arbeitskollegen vom Sonnabend, sondern lauter neue Gesichter, hauptsächlich Untersuchungsgefangene, die durch ihre Privatkleidung kenntlich sind, vorfand. Aber noch erstaunter war ich, als es nicht auf den Holzhof, sondern in den Spazierhof ging, wo wir fünfzehn Mann im Abstand von ca. fünf Metern einen Spaziergang begannen. Es war der richtige Ringelreihen aus der Reading-Ballade.

Aber ich war glücklich. Ich hatte mich umsonst vor der Holzarbeit geängstet. Der Vorsteher hatte irgendeine Innenarbeit für mich gefunden und läßt mich fürsorglich vorher eine Stunde Spazierengehen. Freilich wurde mir diese Stunde in meinen Pantoffeln bei geschwollenen Füßen schwer genug. Aber dann winkte die Innenarbeit!

Als die andern in ihre Zellen gingen, erhielt ich den Befehl, gleich unten zu warten. Was würde ich für eine Arbeit bekommen?!

Ein wenig wüst war mir doch im Innern zumute, als ich meine Arbeitsgefährten von Sonnabend herunterkommen sah: Durch einen Irrtum hatte ich vor meinen neun Stunden Holzarbeit eine Stunde Spazierengehen müssen.

Aber ich erholte mich schnell. Und dieser Tag ging viel besser als der Sonnabend, die Füße schmerzen nicht annähernd so, trotzdem ich den ganzen Tag habe sägen müssen. Den Armen wird es überhaupt viel leichter. Leider scheine ich mich noch immer sehr untalentiert anzustellen, mein Partner war wenigstens nicht sehr zufrieden mit mir. Ich faßte die Säge zu fest an, ich drückte zu sehr usw. Dabei war aber er wie alle überaus freundlich zu mir, kein brummiges oder mißgünstiges Wort, trotzdem ich entschieden von den Aufsehern stets die leichteste Arbeit zugeteilt erhalte.

Mittags Erbsen mit Kartoffeln, zum ersten Male schaffte ich meine volle Portion. Freilich ist das Essen nicht übermäßig wohlschmeckend, nicht der spezifische angenehme Erbsengeschmack schmeckte hervor, sondern etwas Fades. Ich erinnere mich, einmal gelesen zu haben, daß man in Gefängnissen zur Dämpfung des Geschlechtstriebs den Speisen Soda zusetzt. Ob es das ist?

Nachmittags von ein bis halb sechs Uhr Holzhacken, mich schnell gewaschen, dann zum Abendessen Haferschleim und trocken Brot. Vollständig erledigt. Wieder das ganze Bett ausgeräumt und gegen Wanzen gepinselt. Geschrieben. Und nun höchste Zeit (halb neun) ins Bett zu gehen. Bitte, lieber Gott, keine Wanzen!

Gefängnistagebuch 1924

Подняться наверх