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Dienstag, 24. Juni 1924

Heute war ein guter Tag. Obgleich ich nicht nur neun Stunden, sondern sogar neuneinhalb Stunden auf dem Holzhof stramm gearbeitet habe und obwohl die letzte Nacht immer noch gar nicht berühmt war, habe ich die Anstrengung gut ausgehalten. In den Armen habe ich überhaupt keine Ermüdungserscheinungen, nur in den Füßen noch immer von dem langen Stehen in den ungewohnten Lederpantoffeln ziemlich starke Schmerzen, die jedoch lange nicht so stark wie am vergangenen Sonnabend sind. Ich sehe also, daß ich – und wenn ich diese Woche erst ganz überstanden habe, werde ich mich überhaupt nicht mehr darum sorgen –, daß ich also körperlich das von mir Geforderte leisten kann. Damit ist mir ein großer Stein vom Herzen.

Anders steht es natürlich mit der Geschicklichkeitsfrage. Es scheint wirklich so, daß ich etwas ganz Außergewöhnliches an Unanstelligkeit bin. Am Vormittag mußte ich mich schrecklich mit der Säge abquälen, die immer klemmte und sehr schwer ging, und ich begann schon ganz ernstlich meinem Partner, einem Alten mit weißen Haaren, zu grollen, ob er nicht vielleicht doch etwa gegebenenfalls daran schuld wäre. Er ermahnte mich zwar von Zeit zu Zeit, nicht so auf die Säge zu drücken und sie leicht anzufassen, aber ich hielt sie doch so leicht: Es kam mir vor: mit zwei Fingern. Am Nachmittag erbarmten sich dann zwei andere, die wunderbar flott und spielend sägten, des Alten, der schweißender Braue mit beiden Armen gegen mich anzog: Siehe da, er kam mit ihnen wunderbar zurecht, ich aber mit ihnen gar nicht.

Es lag also jedenfalls an mir!

Daß mich dies gar nicht bekümmerte, will ich nicht behaupten, ich möchte, daß alles glatt und ohne Schwierigkeiten geht, und dieses Gestoppel wirkt doch recht störend. Gottlob fand der Alte dann eine ganz scharfe Säge, und mit ihr ging es den Rest des Abends vorzüglich. Zwar tat sich, statt des früheren Klemmens, jetzt eine Neigung bei mir auf, mit Hopsern, einer Art Stottern über Holz, zu sägen, aber dies war stets rasch zu unterdrücken.

Was mir bei alledem Freude macht (und was mich überrascht hat), ist, daß mir keiner meiner Gefährten, trotzdem diese doch die Last von meiner Ungeschicklichkeit haben, je ein böses oder auch nur ein unfreundliches Wort gesagt hat. Diese Leute verstehen ohne weiteres, daß ich mir alle Mühe gebe und nicht anders kann, sie wiederholen mit einer unendlichen Geduld immer wieder: »Halte die Säge nicht so fest.« Und: »Nicht drücken. Nicht so drücken.«

Sonst habe ich allerdings auch kaum etwas zu sagen über sie. Sie scheinen mir völlig durchschnittlich und überaus gleichgültig. Bei zweien, die am Bock neben mir sägten, konnte ich heute eine sehr spaßhafte Neigung zum Übertreiben der »weltlichen« Erfolge und Kenntnisse feststellen. Der eine, der, wenn er »hier fertig ist«, seinen Doktor in Holland machen möchte, »nur, es nützt ihm ja hier nichts«, bekannte seine Neigung zur Musik. Er hatte in Berlin ein Orchester mit sieben Mann gehört … Der andere, Pole, deutschenfeindlich, künftiger Ausrotter der oberen Zehntausend, bricht in ein Hohngelächter aus: »Wir haben in Stettin im Kino ein Orchester mit vierzig Mann …!« Eine Weile kann ich nichts verstehen. Dann erzählt der Doktor vom Philharmonischen Orchester, vierhundert Mann. Doch der Pole schlägt ihn glatt, er hat ein Orchester mit sechshundert Mann gehört, der Dirigent, Kapellmeister nannte er ihn, hielt in der einen Hand die Uhr, mit der anderen taktierte er nach dieser Uhr, was selbst mir Musikunverständigem reichlich russisch vorkommt.

Später erzählte der Doktor von Sumatra, wo er gewesen sein will, von der Genügsamkeit der Chinesen, von dem Aussehen der Malaien. Der Pole sagte ekstatisch: »Denen müßte man ›Bescheid sagen‹, dann wäre Deutschland rasch kaputt.«

Etwas schauerlich Hübsches an Dummheit.

Diese beiden sind aber die einzigen, die sich unterhalten, wenn der Aufseher gerade etwas ferner ist. Sie sind auch die einzigen, bei denen ich eine Neigung zum Zoten bemerkt habe. Die andern sind sämtlich sehr ruhig, sehr still. Ein Scherzwort, oder jemand lächelt einem plötzlich aus einem Winkel gut zu, das ist alles. Gottlob, daß Schweigen mir gar nicht schwerfällt! Schwer wäre es, wenn ich nicht diese Freude am Abend hätte, schreiben zu können. Es ist beinahe so, als lebte ich tagsüber nur für sie, ich sammele Material, ich sehe dies, ich höre das, aber endlich dann sitze ich endlich doch wieder hier, vor dem weißen Papier, und schreibe. Das Haus kommt langsam zur Ruhe. Draußen hört man noch die Vögel zwitschern, das Licht wird langsam dämmeriger. Einmal schreit noch eine Lokomotive, ein wenig später höre ich den Zug anfahren. All das sickert durch die Milchglasscheiben meiner Zelle, und wie ich die Welt draußen nicht sehen kann, baut sie sich eigenwilliger und leuchtender hier vor mir auf.

Ich habe den ganzen Tag den Blick über den Sägebock fort, ließ es der gleichmäßige Schnitt nur immer dazu kommen, auf einer blühenden Akazie jenseits der Hofmauer gehabt. Ich sah sie besonnt, von einer Wolke verschattet, im Wind geschüttelt, später dann in einem seltsamen klaren gegenstandslosen Abendlicht. Es gab Augenblicke, in denen dieser junge Baum in viele Einzelteile mir zerfiel, einzelne Figuren, gebildet aus ein paar Blättern, Blüten, dem Stück eines Astes oder auch jedem dieser Teile allein, mit einem Stück Wolke dahinter, einem Schieferziegel daneben – es schien solcher Unsinn, diese vielerlei Gestaltungen als die Inkarnation des einen Begriffes »Akazienbaum« zu sehen … Und ich begriff plötzlich manche Bilder der Japaner tiefer, ich könnte diese Akazie japanisch zeichnen: ein paar schlangenartig gewundene Äste und über sie hin wie waagerechte Augenbrauenstriche das Weiß der Blüten, das helle Gefieder der Blätter, immer doppelt geschichtet. Ich sehe das, ich sehe das.

Es ist, als malte man einen Sternenhimmel oder eine Meer(land)schaft, über der der Mond aufgeht, also Dinge, die zeitlich und körperlich unendlich weit auseinanderliegen, wir sehen sie nur zusammen, und die meisten von uns haben kein Gefühl dafür, daß der Begriff »Sterne« etwas viel Wesenverschiedeneres in einem Wort zusammenfaßt als der Begriff »Mensch«. Aber Japan malt seine Bilder so. Man begreift vor ihnen das Zufällige jeder körperlichen Gruppierung. Ich erinnere mich von einem Bilde, das ich einmal besaß, der schönen Geste eines Japanermädels; einen Baum in seiner Besonderheit wie die Geste eines Mädels malen, da vielleicht liegt es.

Übrigens mußte ich heute zum Schluß noch eine halbe Stunde Holz hacken. Dies wurde eine wilde Angelegenheit, ich geriet in Schweiß, und daß weder ich noch meine Nachbarn zu Schaden kamen, bleibt ein Wunder. Mancher von den andern lachte, niemand wagte aber eine Bemerkung, denn der Oberwachtmeister war keiner guten Stimmung. Ich zitterte ein wenig vor ihm und erwartete einen fürchterlichen Anschnauzer wegen meiner Anstellerei und Ungeschicklichkeit. Denn ich hatte für meine Finger auch Angst vor dem Beil. Schließlich kam er an mich heran. Es muß ein grauenvoller Anblick für das Auge jedes auf körperliche Geschicklichkeit (die gerade Schönheit ist) Wert Legenden gewesen sein. Er nahm mir milde das Beil aus der Hand. »Nein, das können Sie nicht. So müssen Sie das machen. Woher sollen Sie das auch können? Das kann niemand von Ihnen verlangen. Das muß jeder einsehen.«

Gute Worte, goldene Worte, die einem Feigling sehr Wohltaten. Deinetwegen, Oberwachtmeister, gehe ich heute besonders fröhlich zu Bett. Habe ich nicht besonders davor gezittert, angeschnauzt zu werden? Erinnere ich mich nicht aus meinen ruhmreichen neun Tagen Militärzeit, wie ich ob meiner Ungeschicklichkeit abgekanzelt und schikaniert wurde? Hier nimmt jeder die weitestgehende Rücksicht auf mich. Ich habe in den vier Tagen, die ich nun hier bin, noch nicht ein scheltendes oder auch nur ungeduldiges Wort gehört. Alles Ruhe, eine Zuvorkommenheit, die sich’s nicht merken läßt.

Als ich gestern zum Arzte gerufen wurde, hielt mich der Vorsteher auf der Treppe an: »Nun, wie bekommt Ihnen die Arbeit auf dem Holzhofe?«

»Natürlich ein bißchen müde, aber sonst …«

»Aber das ist nur gut, die Müdigkeit. Ich bin ganz überzeugt, nichts wird Ihren Nerven so guttun wie die Holzarbeit. Na, gehen Sie immer rauf, Sie müssen dem Arzt noch vorgestellt werden.«

Meinen Nerven guttun! Aber, lieber Gott, ich bin doch ein Strafgefangener, ein Auswurf, ein Verbrecher, und er spricht von meinen Nerven! Ich bin noch in keinem Sanatorium, in keiner Irrenanstalt so anständig behandelt worden wie hier. Wenn ich meine Arbeit tue, kümmert sich kein Mensch um mich weiter. Ich bin in meiner Zelle, ich kann lesen, schlafen, schreiben, singen, auf und ab gehen: Niemand fragt danach. Und die schöne Ruhe hier, nachts und in der Mittagspause. Das Guckloch an meiner Tür ist in diesen vier Tagen ein einziges Mal benutzt worden, am ersten, man hört nämlich, wenn die Deckscheibe zurückgeschoben wird.

Nein, dieses läßt sich wahrhaftig gut ertragen. Es (oder ich) müßte sich dann sehr ändern.

Gefängnistagebuch 1924

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