Читать книгу Verblüffend einfach Ziele erreichen - Hans-Georg Willmann - Страница 8

2. AUFHÖREN

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Wenn etwas nicht funktioniert,

hör auf damit.

Es ist verblüffend, wie viele Dinge wir tun, mit denen wir nur aufhören müssen, damit sie den Weg freigeben für das, was uns wirklich wichtig ist. Im Coachinggespräch geht es deshalb häufig um einen vermeintlich einfachen Tipp. Er lautet: Wenn etwas nicht funktioniert, hör auf damit.

Wenn es nicht funktioniert, gleichzeitig konzentriert an einer Aufgabe zu arbeiten und die Neuigkeiten auf Facebook zu checken, dann hör auf damit, Facebook zu checken. Wenn es nicht funktioniert, schlanker zu werden und Chips zu essen, dann hör auf damit, Chips zu essen.

Da es jedoch nicht einfach ist, mit etwas aufzuhören, das uns in Versuchung führt und uns eine schnelle Belohnung verspricht, brauchen wir dafür einen guten Trick. Und den gibt es:

Der 10-Minuten-Trick

Wir können damit anfangen, aufzuhören, indem wir zehn Minuten warten, bevor wir einer Versuchung nachgeben, und damit etwas tun, das uns von dem abhält, was wir eigentlich machen wollen. Wir hören also gar nicht ganz damit auf, sondern fangen nur damit an, aufzuhören, indem wir warten und uns die Erlaubnis erteilen, nach zehn Minuten Wartezeit der Versuchung nachzugeben, wenn unser Verlangen dann noch immer so groß ist.

Wenn wir beispielsweise an einer wichtigen Präsentation arbeiten und der Impuls groß ist, nach dem Smartphone zu greifen, um unsere Social-Media-Kanäle zu checken, dann können wir uns sagen: »Stopp. Ich warte zehn Minuten. Wenn mein Wunsch nach zehn Minuten immer noch so stark ist, kann ich der Versuchung nachgeben.« Bei diesem Trick ist es sehr hilfreich, wenn wir uns während der zehn Minuten Wartezeit das wichtige Ziel ins Gedächtnis rufen, das wir erreichen, wenn wir der Versuchung widerstehen und an unserer Präsentation weiterarbeiten, etwa: »Ich werde im Meeting den Vorstand überzeugen und habe dadurch Chancen auf eine Beförderung.« Nicht hilfreich ist es dagegen, wenn wir während der zehn Minuten ständig an die Versuchung denken.

Zehn Minuten Verzögerung wirken Wunder! Wir können dadurch unser starkes Verlangen nach einer sofortigen Belohnung in den Griff bekommen. Die neurobiologischen Einzelheiten erspare ich Ihnen hier, aber Neurowissenschaftler haben herausgefunden, dass bereits zehn Minuten Wartezeit die Art, wie unser Belohnungszentrum im Gehirn reagiert, entscheidend verändern. Wenn eine unmittelbare Befriedigung erst mit zehnminütiger Verzögerung in Aussicht steht, behandelt das Gehirn sie wie eine zukünftige Belohnung. Dadurch wirkt das Belohnungsversprechen weniger stark, wodurch das unwiderstehliche Verlangen nach dem, was uns eine sofortige Belohnung verspricht, ausbleibt. So können wir der Versuchung leichter widerstehen.

Der 10-Minuten-Trick

Wenn ich das Verlangen spüre, etwas zu tun, das mich von dem abhält, was ich eigentlich tun will, warte ich zehn Minuten, bevor ich der Versuchung nachgebe. Zwei Dinge sind dabei hilfreich. Erstens: die Selbsterlaubnis, nach zehn Minuten Wartezeit der Versuchung nachzugeben, wenn mir dann noch danach ist. Und zweitens: während der zehn Minuten Wartezeit an mein Ziel denken, das ich erreiche, wenn ich der schnellen Belohnung widerstehe und das mache, was ich eigentlich machen will.

Noch ein Tipp: Um die zehn Minuten Wartezeit durchzuhalten, hilft es, wenn wir einen räumlichen oder visuellen Abstand zum »Objekt der Begierde« schaffen, zum Beispiel indem wir das Smartphone in die Schublade oder die Chips-Tüte in den Schrank packen.

Bei mir waren es Gummibärchen, die mir während meiner ersten drei Schreibjahre 20,4 Kilogramm mehr Gewicht auf der Waage beschert haben. Ich hatte immer eine große Familienpackung in Reichweite auf dem Tisch stehen. Es war so einfach – und so lecker. Sitzen, schreiben, Gummibärchen essen. Tag für Tag und Woche für Woche.

Als der Knopf an meiner Jeans nicht mehr zuging und die Waage bedenkliche 95 Kilogramm anzeigte, habe ich den 10-Minuten-Trick genutzt. Gummibärchen in den Schrank. Immer, wenn ich den Impuls verspürte, aufzustehen, um eine Handvoll zu essen, habe ich zehn Minuten gewartet und mir selbst erlaubt, danach zuzugreifen, wenn ich dann noch wollte. In der Wartezeit habe ich an meinem Buch weitergeschrieben und mich so mit meinem eigentlichen Ziel beschäftigt. Das hat geholfen. Denn nach zehn Minuten war ich wieder so konzentriert bei der Sache, dass ich gar keinen Heißhunger mehr auf die Gummibärchen hatte.

Es dauerte eine Weile, und neben dem 10-Minuten-Trick für die Gummibärchen brauchte ich noch einen anderen Trick, der mir beim Thema Bewegung geholfen hat, aber dazu später mehr. Nach und nach habe ich die 20 Kilogramm wieder abgenommen.

Um leichter damit aufzuhören, einem plötzlichen Verlangen nach einer schnellen Belohnung nachzugeben, wirken zehn Minuten Warten verblüffend einfach. Wenn wir das nächste Mal konzentriert ein Fachbuch lesen wollen und das Verlangen verspüren, immer wieder auf unser Smartphone zu schauen, wenn wir weniger Zucker essen wollen, aber die Versuchung groß ist, nach den Gummibärchen oder der Schokolade zu greifen, dann können wir tief durchatmen, lächeln und warten – nur zehn Minuten.

Doch es sind nicht nur die Versuchungen, die schnellen Belohnungen, die uns davon abhalten, das zu tun, was notwendig wäre, um unsere Ziele zu erreichen. Es sind auch unsere eingeschliffenen Lösungsmuster, die uns immer wieder auf alte Wege führen, wo uns doch neue Wege offenstehen. Das erleben wir beispielsweise, wenn wir vom Mitarbeiter zur Führungskraft aufsteigen und versuchen, unsere neuen (Führungs-)Aufgaben mit unseren alten (Mitarbeiter-)Lösungen anzugehen. Oft versuchen neu ernannte Führungskräfte mit noch effizienteren Zeitmanagementtechniken alle Aufgaben selbst abzuarbeiten, statt mehr Aufgaben zu delegieren, um den Kopf für die Mitarbeiterführung und für wichtige Entscheidungen frei zu haben. Hier gilt der gleiche einfache Tipp: Wenn das, was du schon immer tust, nicht (mehr) funktioniert, dann hör am besten damit auf.

Nun ist auch das leichter gesagt als getan. Denn Lösungsmuster sind ja Verhaltensweisen, die einmal ganz gut funktioniert haben. Was machen wir, wenn ein Verhalten, das einmal funktioniert hat, jetzt leider nicht mehr hilfreich ist? Auch dafür gibt es einen Trick: Wir können damit anfangen, aufzuhören, das zu tun, was wir schon immer tun, indem wir uns erlauben, einmal etwas ganz ander(e)s zu machen. Wichtig ist dabei wiederum die Selbsterlaubnis. Wir können uns dazu entscheiden, etwas ganz ander(e)s zu machen, wir müssen aber nicht. Wir können uns auch dafür entscheiden, den alten Stiefel weiterzumachen, obwohl er nicht (mehr) funktioniert. Aber auch das müssen wir nicht.

Ein Mitarbeiter hat wieder einmal eine Aufgabe nicht richtig verstanden und liefert ein unbrauchbares Ergebnis ab. Der Chef merkt, wie er den Mitarbeiter wieder zurechtweisen will: »Herrje, zum wievielten Mal habe ich Ihnen das jetzt schon erklärt? Wann kapieren Sie das denn endlich? Machen Sie das so …!« Doch halt, hat eine Zurechtweisung des Mitarbeiters in der Vergangenheit zu guten Ergebnissen geführt? Nein? Dann wäre jetzt vielleicht ein guter Zeitpunkt, einmal etwas ganz ander(e)s zu machen. Der Chef könnte seinen Mitarbeiter zum Beispiel einmal fragen, welche Unterstützung ihm helfen würde, um besser zu arbeiten. Er könnte mit dem Mitarbeiter auch in die Besprechungsecke gehen und erst einmal eine Tasse Kaffee mit ihm trinken. Um einmal etwas ganz anders zu machen, ist es hilfreich, wenn wir einmal etwas ganz anderes machen, zum Beispiel den Kontext wechseln – weg vom Schreibtisch, hin zur Besprechungsecke oder zur Kaffeeküche.

Wenn das, was wir schon immer tun, nicht (mehr) funktioniert, dann hören wir also am besten damit auf und machen etwas ander(e)s. Klingt eigentlich ganz einfach, allerdings sind wir es gewohnt und geschult darin, wenn etwas nicht funktioniert, noch mehr desselben zu tun und es noch härter zu versuchen. Try hard, try harder. Wenn es dann immer noch nicht klappt, dann haben wir einfach noch nicht genug getan – denken wir. Manchmal stimmt das auch. Manchmal müssen wir noch mehr und noch härter arbeiten, um unser Ziel zu erreichen. Aber ganz oft stimmt es auch nicht. Ganz oft holen wir immer und immer wieder unseren Hammer aus der Schublade, obwohl wir schon längst Schrauben in die Wand drehen wollen.

Ich erinnere mich noch ganz genau an jenen heißen Tag im Juni 2014, als ich den »Hammer« nicht aus der Hand legen konnte. Ich hatte mir die Pfingstwoche freigenommen, um in aller Ruhe zu schreiben. Eine Woche keine Termine. Telefon aus. Autoreply im E-Mail-Account. Frau alleine im Urlaub. Freunde und Familie informiert. Jetzt nur noch mein Mac-Book und ich an meinem großen Holztisch in Freiburg mit Blick über den Schwarzwald. Ein Traum. In den vergangenen Wochen hatte ich mich auf eine Fragestellung für mein neues Buch »Erfolg durch Willenskraft« konzentriert. Dazu hatte ich viele Gespräche geführt, Artikel gelesen und Notizen gesammelt. Und jetzt war wieder Schreibwoche: früh morgens aufstehen, unmittelbar danach an den Rechner, anfangen zu schreiben, den ganzen Tag. Unterbrochen nur von einigen kurzen Pausen. Bis spät in die Nacht. Am nächsten Morgen das gleiche Programm. Flow-Erlebnis pur.

Die ersten beiden Tage liefen wunderbar. Pfingstmontag wollte ich genauso weitermachen. Irgendwie hat es aber nicht geklappt. Keine Konzentration. Schon am Vormittag 25 Grad. »Egal«, dachte ich. »Ich habe einen Plan: schreiben, bis ich einschlafe.« Nach vier Stunden am Rechner hatte ich fünf Sätze geschrieben. Immer wieder kamen mir Gedanken ans kühle Wasser im nahegelegenen Schwimmbad in den Sinn. »Nein. Selbstregulation. Du musst schreiben.« Nachmittag. Die Luft steht in der Wohnung. Dachgeschoss. 37 Grad. Ich sitze und schwitze und versuche zu schreiben, weil das mein Plan ist und bislang auch immer geklappt hat. Sitzen und konzentriert schreiben, bis etwas Brauchbares dabei rauskommt. Mittlerweile habe ich schon fast eine Seite geschrieben – in sieben Stunden. »Schwimmbad? Nein! Du musst schreiben, das ist dein Plan.« Abend. Immer noch über 30 Grad. Jetzt habe ich die Seite vollgeschrieben – und gelöscht. War nichts. Ich will raus, weg vom Holztisch und dem Rechner und schaffe es nicht.

Nach zehn Stunden starrend vor dem Bildschirm muss ich plötzlich laut über mich selbst lachen. »Prima, HG, hast den ganzen Tag verbockt. Nix zu Papier gebracht. Nicht im Schwimmbad gewesen. Rückenschmerzen.« Ich wollte zu sehr mit meiner üblichen Schreibstrategie, die ja immer prima funktioniert hat, das Kapitel zu Ende schreiben und habe dabei versucht, »mit dem Hammer Schrauben in die Wand zu klopfen«. Doch mehr desselben Verhaltens war nicht die Lösung. Ich hätte einfach aufhören und etwas ganz ander(e)s machen können. Eben ins Schwimmbad gehen und danach frisch und erholt einige Seiten zu Papier bringen. Das wäre viel besser gewesen, als dazusitzen und den Bildschirm anzuglotzen. Am nächsten Tag habe ich freigemacht. Wenn etwas nicht funktioniert – dachte ich mir –, dann hör auf damit und mach etwas ander(e)s.


Unser Weg nach Tamanrasset, ein ehemaliger Karawanenstützpunkt und heute die größte Oase im Süden Algeriens, ist anspruchsvoll. Der Himmel bleigrau, die Luft voller Sand. Asphaltierte Straßen verschwinden, weil sich durch die Hitze und den LKW-Verkehr der Asphalt auflöst. Übrig bleiben Pisten. Unser Weg entsteht oft dadurch, dass wir uns eine Spur durch den Sand pflügen. Auf den unendlichen Kilometern nach Süden begreife ich zum ersten Mal, wie es sich anfühlt, wenn kein Weg mehr vorgegeben ist. Ich denke mir: Da kann man auch verloren gehen. Das muss man echt wollen und aushalten können.

Wenn Sie das nächste Mal über einer Aufgabe brüten – so wie ich an meinem Schreibtag bei 37 Grad – und einfach nicht weiterkommen, wenn Sie mit Ihrem Partner streiten und erfolglos versuchen, ihn davon zu überzeugen, dass natürlich Sie recht haben, wenn Sie versuchen, mit noch effizienteren Zeitmanagementtechniken Ihr Karriereziel zu erreichen, es aber einfach nicht klappt, dann wäre es vielleicht einen Versuch wert, einmal etwas ganz ander(e)s zu machen. Erlauben Sie sich, es auszuprobieren.

Verblüffend einfach Ziele erreichen

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