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3. ANFANGEN

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Wenn du weißt, was funktioniert, fang damit an.

Manche Leute erwarten im Coaching etwas Gewaltiges, etwas Spektakuläres, das sie von Grund auf verändern wird. Einige Leute kommen mit der Vorstellung von viel Puff und Paff ins Coachinggespräch – und mit dem ebenso nachvollziehbaren wie unrealistischen Wunsch, auch große Ziele »über Nacht« zu erreichen. Doch wirksames Coaching ist unspektakulär. Es geht dabei sehr häufig um eine ganz einfache Erkenntnis: Wenn du weißt, was funktioniert, fang damit an.

Du willst ein Buch schreiben? Du kannst schreiben? Fang damit an! Du willst eine Stunde auf dem Laufband trainieren? Du kannst laufen? Fang damit an! Du willst für eine Prüfung lernen? Du weißt, welche Themen abgefragt werden? Fang damit an!

Leider ist es nicht so einfach, mit etwas anzufangen, das uns anstrengt. Wie oft sind wir hoch motiviert, wissen genau, was zu tun ist, tun es aber nicht, obwohl wir genügend Zeit dafür haben? Stattdessen machen wir tausend Dinge, die leichter und schneller zu erledigen sind und die uns sofort eine Befriedigung geben: telefonieren, Mails beantworten, einkaufen, duschen, ja sogar Fenster putzen oder den Keller aufräumen.


Frühjahr 1996. USA – im Südwesten. An der Grenze zwischen Arizona und Utah. Ich bin seit zwei Monaten und schon einige Tausend Kilometer unterwegs. Der Weg zum Monument Valley, einer Hochebene des Colorado Plateaus mit seinen einzigartigen Tafelbergen, ist weit. Aber ich habe ein Ziel und weiß, wie ich da hinkomme: Ich mache das Mögliche und verliere das große Ziel nicht aus den Augen.

Wenn wir vor einer anstrengenden Aufgabe stehen, werden wir oft sehr erfinderisch, um den Anfang hinauszuzögern. Wir lenken uns ab und fangen oft genug überhaupt nicht an. Eine der größten Hürden auf dem Weg zu unseren Zielen besteht darin, überhaupt erst loszulegen. Dafür brauchen wir definitiv einen guten Trick. Und den gibt es auch:

Der Fang-an-bevor-du-anfängst-Trick

Wir können damit anfangen, anzufangen, indem wir uns sagen: »Ich mach das jetzt zehn Minuten lang.« Wenn die zehn Minuten um sind, erteilen wir uns die Erlaubnis, aufzuhören, wenn uns dann noch danach ist. Wir fangen also gar nicht »ganz« damit an, sondern machen nur den ersten Schritt – wir begrenzen damit die Anstrengung.

Den 10-Minuten-Effekt kennen wir schon andersherum: Damit haben wir es bereits geschafft, einer Versuchung, einer schnellen Belohnung zu widerstehen und mit etwas aufzuhören, zum Beispiel damit, ständig zum Smartphone, zu den Gummibärchen, der Schokolade oder der Chipstüte zu greifen. Hier drehen wir den Trick einfach um.

Wer zum Beispiel Englisch lernen will, genau weiß, wie das funktioniert und auch genügend Zeit dafür hat, es aber trotzdem nicht schafft, damit anzufangen, kann sich sagen: »Ich mach das jetzt zehn Minuten lang. Wenn ich nach zehn Minuten nicht mehr will, erlaube ich mir, aufzuhören.« Auch hier gilt, dass man sich während der zehn Minuten das wichtige längerfristige Ziel ins Gedächtnis rufen sollte, das man erreicht, wenn man anfängt, beispielsweise: »Ich will fließend Englisch sprechen können, bis der neue Chef aus England kommt, um beruflich aufzusteigen.«

Wenn wir erst einmal angefangen haben, entwickelt die Tätigkeit in Verbindung mit unserem Ziel und der Selbsterlaubnis, nach zehn Minuten wieder aufhören zu dürfen, eine verblüffend große Anziehungskraft. Dann wollen wir nach zehn Minuten gar nicht mehr aufhören, sondern weitermachen.

Der Fang-an-bevor-du-anfängst-Trick

Wenn ich mit einer Aufgabe anfangen will, aber es einfach nicht schaffe, kann ich zumindest damit anfangen, anzufangen, und die Aufgabe zehn Minuten lang ausführen. Wenn die zehn Minuten um sind, erteile ich mir die Selbsterlaubnis, aufzuhören, wenn mir dann noch danach ist. Und während der zehn Minuten denke ich an mein Ziel, das ich erreiche, wenn ich an der Aufgabe dranbleibe.

Der Trick funktioniert, weil unser Gehirn keine unerledigten Aufgaben mag: Wenn wir erst einmal angefangen haben und nach zehn Minuten eine Unterbrechung droht, will es weitermachen und einen Abschluss herstellen.

Wichtig ist dabei allerdings, dass wir unsere Umgebung während der zehn Minuten ablenkungsarm gestalten, um unsere Aufgabe konzentriert angehen zu können. Es ist riskant, wenn während der wertvollen zehn Minuten jemand zur Tür hereinkommt oder das Smartphone surrt. Denn bereits eine 20 Sekunden lange Störung schneidet den Sog des 10-Minuten-Effekts ab.

Wir können uns den 10-Minuten-Anfang sogar noch einfacher machen, indem wir uns alles, was wir benötigen, um anzufangen, schon zuvor bereitlegen. Wollen wir vor der Arbeit joggen, stellen wir uns die Sportschuhe ans Bett. Wollen wir nach Feierabend lernen, räumen wir den Schreitisch zu Hause auf und legen die Bücher bereit – sodass wir abends an den vorbereiteten Lernplatz kommen. Damit setzen wir einen zusätzlichen Anfang vor dem 10-Minuten-Anfang. »Anfangen« ist Schwerstarbeit, da brauchen wir jede noch so kleine Hilfe, die es uns leichter macht.

Gleichgültig, ob wir die jährliche Steuererklärung machen oder das Haus putzen wollen, ob wir ein Buch schreiben oder uns auf das Medizinexamen vorbereiten wollen, ob wir für die Besteigung des Mount Kinabalu trainieren, Englisch lernen oder regelmäßig joggen wollen, der 10-Minuten-Trick funktioniert, um damit anzufangen.

Anfang 2011. Wie schon erwähnt, war ich nach meinen ersten drei Schreibjahren »ein bisschen« aus den Fugen geraten. Das lag an meiner Vorliebe für Gummibärchen, aber auch daran, dass ich aufgehört hatte, mich sportlich zu bewegen. Nun brachte ich 20,4 Kilogramm mehr auf die Waage, meine Hosen passten mir nicht mehr, und bei Vorträgen war ich immer öfter kurzatmig. Meine Hausärztin wollte mir nun sogar ein blutdrucksenkendes Mittel verschreiben.

»Ne«, dachte ich, »das kann nicht sein. Ich bin erst 42 Jahre alt. Ich muss wieder anfangen, Sport zu treiben. Macht mir doch eigentlich auch Spaß.« Aber fangen Sie mal damit an nach drei Jahren der Untätigkeit! Ist der Mensch erst einmal träge, schaffen es auch zehn Pferde nicht, ihn zu bewegen – so fühlte ich mich. Ich hätte heulen können, so schwer fiel mir die Selbstüberwindung. Und ich war ehrlich überrascht, wie viele Ausreden mir eingefallen sind, um mich davor zu drücken, zum Sport zu gehen: »Eigentlich habe ich heute ja zwei Stunden Sport eingeplant, aber jetzt gerade geht es leider gar nicht, ich muss noch eben … das Auto in die Werkstatt bringen, für heute Abend einkaufen, staubsaugen, die Wäsche aufhängen, ein Telefonat führen, ganz, ganz dringend E-Mails checken, eine wichtige Doku im Fernsehen anschauen, duschen …«

Natürlich führte kein Weg daran vorbei, mich wieder sportlich zu betätigen, wenn ich mein Normalgewicht erreichen, wieder in meine Anzüge passen, bei Vorträgen besser Luft bekommen und meiner Hausärztin beweisen wollte, dass ich meinen Blutdruck auch ohne Medikamente in den Griff bekomme.

Also habe ich den 10-Minuten-Trick genutzt, um mit dieser anstrengenden Aufgabe zu beginnen. Ich habe mir gesagt: »Mach es zehn Minuten. Wenn dir dann noch danach ist, kannst du ja wieder aufhören.« Währenddessen habe ich an mein Normalgewicht und meine Lieblingsjeans gedacht und daran, wie fit ich mal war und jetzt wieder werden wollte. Als ich dann erst mal auf dem Stepper stand und losgelaufen war und die Unterbrechung nach zehn Minuten drohte, wollte ich nicht mehr aufhören. Es war anstrengend, aber ich sagte mir immer wieder: »Noch zehn Minuten, dann kannst du ja aufhören.« Und ich hatte mein Ziel vor Augen: Normalgewicht (75 Kilogramm), die passende Jeans, Luft zum Atmen und auf jeden Fall keine Medikamente. Nach sechs Monaten war ich unter 80 Kilogramm, nach acht Monaten auf Normalgewicht. Blutdrucksenker habe ich bis heute nicht genommen.


Das Monument Valley liegt im Land der Navajo-Indianer, die das Nation-Reservation auch verwalten. Es ist Februar und ziemlich kalt hier. Ich campiere auf einer Fläche direkt im Navajo-Gebiet. Mein erster Blick am Morgen: atemberaubend. Kein Fünf-Sterne-Hotel hat so einen Ausblick. Ich höre die indianischen Gesänge der Navajo und denke: Ich habe parallel zum Studium ganz schön viel jobben müssen, um mir das Geld für diese Reise zu verdienen. Aber ich habe damit angefangen, und jetzt bin ich hier.

Viele Dinge werden einfacher, wenn wir damit anfangen, sie zu tun. Das gilt für alle unsere Ziele. Für die kleinen Ziele, wie beispielsweise die Steuererklärung, genauso wie für die großen Ziele, unsere Herzensziele, die wir nicht über Nacht erreichen. Deshalb lautet die Frage, die uns auf dem Weg zu unseren Zielen weiterbringt, nicht etwa: »Wie werde ich bloß damit fertig?«, sondern immer: »Wie fange ich damit an?«

Wenn Sie das nächste Mal vor einer anstrengenden Aufgabe stehen, nicht wissen, wie Sie eine Etappe auf Ihrem Weg schaffen sollen, und selbst überrascht darüber sind, mit welchem Erfindungsreichtum Sie den Anfang hinauszögern, dann können Sie durchatmen, lächeln und versuchen, anzufangen, bevor Sie anfangen. Nur zehn Minuten.

Verblüffend einfach Ziele erreichen

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