Читать книгу Wohnt Gott im Gehirn? - Hans Goller - Страница 10
Reduktionistische Deutung des religiösen Erlebens und Verhaltens
ОглавлениеDie Wirklichkeit an sich werden wir nie erkennen, die absolute Wahrheit und ein absolutes Wissen werden wir nie erreichen. Wenn wir die Wirklichkeit verstehen wollen, so Alper, dann müssen wir zuerst begreifen, wie unser Gehirn Informationen verarbeitet. Der in allen Kulturen feststellbare Glaube an Gott, an eine Seele und an ein Leben nach dem Tod sei nichts anderes als die Art, wie wir Menschen Informationen verarbeiten und die Wirklichkeit deuten. Gott sei kein übernatürliches Wesen, sondern ein von unserem Gehirn erzeugtes subjektives Phänomen. Natürlich sei es für viele schwer, eine reduktionistische, evolutionäre und neurobiologische Interpretation des Glaubens an Gott zu akzeptieren. Wenn wir aber erkennen, dass unser religiöses Erleben und Verhalten bloß die Folge der Art und Weise ist, wie unser Gehirn funktioniert – was dann? Wenn uns dämmert, dass die natürliche Selektion uns dazu programmiert hat, an eine geistige Wirklichkeit zu glauben – was dann? Wenn wir begreifen, dass religiöse Erfahrungen nichts anderes sind als die Wirkung eines neuronalen Schaltkreises, der in unserem Gehirn eingebaut ist – was dann? Um seine These zu verdeutlichen, fordert Alper uns zu einem Gedankenexperiment über die Beziehung zwischen Bild und Linse auf:
Stellen Sie sich vor, Sie schauen in einen Spiegel, der Ihnen ein klares und makelloses Bild Ihrer selbst bietet. Nun stellen Sie sich vor, dass zwischen Ihnen und dem perfekten Spiegelbild mehrere unsichtbare Linsen eingebaut sind, die Ihr perfektes Bild verzerren. Da Sie nicht wissen, dass es diese Linsen gibt, haben Sie keine Möglichkeit herauszufinden, dass ihre Wahrnehmung verzerrt ist. Obwohl Sie glauben, ein einwandfreies Bild von Ihnen vor sich zu haben, werden Sie in Wirklichkeit falsch informiert. Solange Sie nicht merken, dass es diese Linsen gibt, und solange Sie diese nicht beseitigen, werden Sie nie ein wahres Bild von sich selbst erhalten. Alper glaubt, die menschliche Spiritualität sei eine solche Linse, die unsere Sicht der Wirklichkeit verzerrt. Sie lasse uns eine geistige Wirklichkeit wahrnehmen, obwohl nichts Derartiges existiere. Interessanterweise verzerre diese Linse die Wahrnehmung der Philosophen und Wissenschaftler ebenso wie die aller anderen. Was wäre, wenn uns bewusst würde, dass es eine solche Linse gibt? Was wäre, wenn wir diese Linse beseitigten, unsere Wahrnehmung von spirituellen Verzerrungen befreiten und uns eine klarere Sicht der Wirklichkeit leisteten? Das spirituelle Bewusstsein sei eine Notlüge der Natur, eine eingebaute Fehlwahrnehmung, die uns Menschen helfen soll, unsere Angst vor dem Tod zu verringern. Würde die Natur tatsächlich so etwas tun, so eine Programmierung vornehmen? Die Natur kümmere sich lediglich darum, Organismen mit einer größeren Überlebenschance zu erzeugen. Richard Dawkins, der Autor des Buches Das egoistische Gen, drückt es so aus: „Wir und alle anderen Tiere sind von unseren Genen konstruierte Maschinen. Wir sind Überlebensmechanismen, Roboterfahrzeuge, blind darauf programmiert, die Moleküle zu erhalten, die als Gene bekannt sind.“ (zit. nach Alper, 2008, 230) Alper fragt, ob irgendetwas zu gewinnen sei durch ein Leben der bewussten Verleugnung unserer wahren Umstände. Liege es nicht in unserem besten Interesse, die Realität unserer Situation anzuerkennen? (vgl. Alper 2008, Book II, 19)