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Zweites Kapitel

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Gegen neun kommt der Landjäger Elliot, eine Hopfenstange mit einem Tomatenkopf, diensteifrig auf seinem Motorrad herangebraust. Lebrun begrüßt ihn in seiner gewinnenden Weise und läßt sich Rapport erstatten. Jawohl — drei Verdächtige hat man schon festgenommen. Die Suchaktion geht noch weiter, inzwischen von mehreren Gendarmen auf das Peinlichste organisiert.

Lebrun ist zufrieden, was sich bei ihm in einem schmunzelnden Brummen äußert.

„Einen vierten Verdächtigen habe ich hier selbst festnehmen können!“ bemerkt er, „ich habe ihn nach dem Bahnwärterhäuschen, einen Kilometer von hier auf Valence zu, schaffen lassen. Wir wollen uns gleich mal dorthin begeben, um ihn unter die Lupe zu nehmen. — Wo haben Sie Ihre Verhafteten?“

„In der Haftzelle in Etoile.“

„Getrennt natürlich?“

„Jawohl, Herr Kommissar!“

„Schön. Also wandern wir! Oder kann ich mit auf Ihr Vehikel steigen?“

„Vehikel? Aber, Herr Kommissar! Eine der besten Maschinen, die es überhaupt gibt. Ich bin stolz darauf!“

„Nichts für ungut. War nicht böse gemeint, Elliot! Wo haben Sie denn diese schwere Maschine her?“

„Gelegenheitssache, Herr Kommissar! Natürlich nicht neu gekauft!“

„Hm. — Wird es denn gehen auf dem schmalen Feldweg neben der Böschung?“

„Na selbstverständlich! Es lohnt sich kaum, erst zur Straße hinüberzufahren!“

Unterwegs begegnet ihnen ein Materialzug der Eisenbahn, der auf dem anderen freien Geleise fährt. Die Reparatur der Brücke soll sofort in Angriff genommen werden, damit der Verkehr nicht unnötig lange umgeleitet zu werden braucht.

Der Häftling blickt Lebrun düster entgegen, als der auf ihn zufritt. Er ist ein untersetzter, etwas schwächlich erscheinender Mensch mit einem ausgesprochen spitzen Kinn und dunklen, unruhigen Augen. Lebrun hält ihm die Skizze vor.

„Warum haben Sie das gemacht?“

Der Kleine blickt den Kommissar düster an. Ein Zucken geht über das scharfe Kinn. In seinem Blick liegt etwas Stechendes.

„Das ist schließlich meine Sache!“ erwidert er widerspenstig. Lebrun zieht die Schultern hoch, was er immer tut, wenn er ärgerlich wird. Sonst aber zeigt er eine beherrschte Ruhe.

„So — Ihre Sache! Na schön! Wie heißen Sie überhaupt?“

„Jean Latour.“

„Herr Elliot — bitte, notieren Sie! — — Ihr Beruf, Monsieur Latour?“

„Schriftsetzer. Das heißt, augenblicklich ohne Beschäftigung.“

„Geboren?“

„28. XI. 04 in Montélimar.“

„Adresse?“

„Etoile, Rue de la paix 26.“

„Warum sind Sie nach der Unglücksstelle gekommen?“

„Weil ich mir das auch einmal ansehen wollte.“ „Na ja. Aber Sie brauchten das doch nicht aufzuzeichnen!“

Latour zupfte an seinem Fliegenbart und blickte den Kommissar wieder herausfordernd an.

„Ich kann zeichnen soviel und was ich will!“

„Sie mußten doch aber einen Grund dazu haben!“

„Der geht niemanden etwas an!“

„Hören Sie — wenn Sie aufsässig werden, verschlimmern Sie nur Ihre Lage. Ich muß Sie in Haft behalten!“

„Tun Sie, was Sie nicht lassen können!“

Lebrun ist wütend. Aber er beherrscht sich auch jetzt noch. Ohne weiter ein Wort an den Mann zu richten, wendet er sich Elliot zu.

„Wir werden den Häftling nach Valence schaffen lassen. Auch die anderen möchte ich dorthin haben. Können Sie das veranlassen, Elliot?“

„Bedaure, dazu reichen meine Befugnisse nicht, Herr Kommissar!“

Richtig! Na schön — — dann fahren wir jetzt gemeinsam nach Etoile. Und Sie —“ er wandte sich dem Bahnwärter und einem weiteren Beamten zu, in deren Obhut Latour Zurückbleiben mußte, „Sie bürgen mir für den Mann! Halten Sie ihn hier so lange fest, bis wir wiederkommen!“

In Etoile, das man bald erreichte, wurden Lebrun die anderen Verhafteten vorgeführt. Er hielt sich aber zunächst nicht mit langen Verhören auf. Es genügte ihm, daß die drei von einem Kollegen als hinreichend verdächtig bezeichnet würden. Man schaffte sie in ein Auto, fuhr zunächst nach dem Bahnwärterhäuschen zurück, nahm dort Latour dazu und fuhr sogleich nach Valence weiter. Feldjäger Elliot blieb zurück, um sich weiterhin an der Suchaktion zu beteiligen. Außerdem sollte er Lebrun auf dem laufenden halten.

Inzwischen hatte Kriminalassistent Seidler bereits vorgearbeitet. Das Ergebnis wurde sofort mit dem französischen Kommissar durchgesprochen.

„Also, wie verhält sich das mit der Stelle, von der aus man den Zug anrief?“ fragte er interessiert.

„Es handelt sich um eine Ölgroßhandlung“, erwiderte Seidler, „die abends bereits um fünf ihre Räume schließt. Während der Anrufzeit, elf Uhr fünfzehn nachts, ist kein Mensch in den Räumen gewesen.“

„Trotzdem soll der Anruf von dort gekommen sein?“

„Jawohl. Das ist auf dem Fernsprechamt einwandfrei festgestellt worden.“

„Na — und was haben Sie für eine Erklärung dafür, Herr Seidler?“

„Es gibt natürlich verschiedene Möglichkeiten. Entweder — was mir am naheliegendsten zu sein scheint, ist doch jemand da gewesen, oder es hat sich jemand irgendwie in die Leitung geschaltet.“

„Was ich kaum ahnehmen möchte, da es der Warner doch unbedingt eilig hatte.. Solch ein Vorgang braucht aber Zeit.“

„Allerdings. Dann gibt es noch zwei weitere Möglichkeiten.“

„Noch zwei? Ich könnte mir nur noch eine denken, nämlich, daß sich trotz allem das Fräulein auf dem Telephonamt geirrt hat.“

„Daran habe ich auch gedacht. Schließlich könnte man auch noch eine Störung im Fernsprechnetz denken, durch die ein Irrtum entstanden wäre.“

Lebrun schien noch ein neuer Gedanke zu kommen. „Wie aber“, meinte er, „wenn der Rufer eine ganz andere Nummer genannt hat?“

„Gerade das scheidet aus, Herr Kommissar. Denn das Amt hat ja unter der Nummer zurückgerufen, als die Verbindung hergestellt war.“

„Richtig! Dann scheidet aber wohl auch die Möglichkeit eines Irrtums seitens des Amtes über die Nummer aus.“

„Ich bin auch der Meinung, daß der Anruf unbedingt aus den Raumen der Firma gekommen ist.“

„Hat man schon mit der Firma gesprochen?“

„Ja. Aber dort steht man offensichtlich vor einem Rätsel.“

Lebrun lief nervös in dem kleinen Raum, in dem man verhandelte, hin und her. „Wirklich, eine sonderbare Geschichte!“ murmelte er, „wie denken Sie nun weiter darüber?“

„Man wird zunächst einmal den Wächter vernehmen müssen, der nachts das Bürohaus zu beobachten hatte. Es ist doch anzunehmen, daß es bewacht war.“

„Da haben Sie recht, Herr Seidler! Haben Sie auch in dieser Richtung schon etwas veranlaßt?“

„Leider hatte ich noch keine Zeit dazu. Rufen wir bei der Firma an!“

Die Bewachungsfirma wird sofort namhaft gemacht. Auch der betreffende Wächter ist ohne weiteres festzustellen. Man läßt ihn bitten, sobald wie möglich auf der Präfektur vorzusprechen.

Aber auch seine Vernehmung ergibt nichts besonderes. Angeblich hatte er nichts bemerkt. Oder ob er bestochen war? Schwerlich anzunehmen! Das sieht Lebrun auf den ersten Blick.

Aufgescheucht durch die verschiedenen Aufragen der Polizei, stellt sich der Inhaber der Ölgroßhandlung persönlich ein und bittet um Aufklärung. Von seiner Firma aus habe man nachts einen D-Zug antelephoniert? Ausgeschlossen!

Der kleine bewegliche Herr fuchtelt nervös mit den Armen. „Die Sache kommt mir geradezu lächerlich vor, meine Herren! Das Haus ist nachts abgeschlossen. Nur drei Leute haben den Schlüssel zu unseren Räumen: außer mir noch der Prokurist und der Wächter. Also, was wollen Sie?“

„Irgendein Zeichen gewaltsamen Eindringens wurde auch nicht bemerkt?“ fragte Lebrun.

„Ach, Unsinn. Ist alles in Ordnung. Was haben Sie überhaupt für Ideen! Von meinen Räumen aus soll ein D-Zug vor einem Attentat gewarnt worden sein! Wirklich komisch, sehr komisch!“ Er lachte meckernd, wobei ihm der Kneifer fast von der etwas höckrigen Nase rutschte, „na — und wenn schon, dann sollte man doch nur froh sein darüber! Ein größeres Unglück ist dadurch vermieden worden. Was wollen Sie mehr, meine Herren?“

„Wir wollen natürlich erfahren, wer angerufen hat. Denn der Betreffende mußte doch etwas wissen!“

Jetzt schien auch der Ölmagnat wieder stutzig zu werden. „Ja ja — — sonderbar bleibt es doch! Wie wollen Sie das nun herausbekommen?“

„Oh — wir bekommen es schon heraus!“ fiel Seidler ein. „Und wenn Sie uns gar noch dabei behilflich sein wollen, Herr — —“

„Olivier ist mein Name!“

Seidler mußte lächeln. Olivier — Ölbaum! Der richtige Name für den Inhaber dieser Firma!

„Ja, also, Herr Olivier — wie ich schon sagte: wenn Sie uns helfen wollen — — Sie würden uns jedenfalls zu großem Dank verpflichten!“

„An sich recht gerne! Warum auch nicht! Aber ich wüßte nicht, wie ich noch helfen soll!“

„Wir werden vielleicht in Ihrer Firmengeschichte ein wenig herumforschen müssen“, begann Seidler von neuem, „das ist es, was ich eben noch sagen wollte.“

Herr Olivier strich sich das spärliche Haar zurück. „Meinetwegen, ich lege Ihnen da keinen Stein in den Weg. Nur ist mir recht unklar, wie

Sie das machen wollen. Und was das überhaupt für einen Zweck haben soll!“

„Zweck? Hm — es handelt sich jedenfalls um den Versuch einer Lösung.“

„Sie trauen sich wirklich viel zu, mein Herr!“

„Gar nicht. Ich habe zuweilen einen guten Sinn für gewisse Dinge — wenn freilich auch lange noch nicht die Erfahrung, wie beispielsweise hier Herr Lebrun!“

Der Kommissar quittierte dies Kompliment mit einem süßsauren Lächeln. Seiner Meinung nach war das vollkommen überflüssig. Aber er würde nun auch dem jungen Deutschen Gelegenheit geben, an diesem Fall zu beweisen, was hinter den Worten steckte. Offenbar war ihm allerhand zuzutrauen. Seidler, zu dem Firmeninhaber gewendet, fuhr ruhig fort:

„Zunächst bitte ich Sie, mein Herr, Ihre Angestellten vernehmen zu dürfen. — Sie sind damit einverstanden, Herr Kommissar?“

Lebrun ließ sein schmunzelndes Brummen vernehmen. „Warum nicht? Natürlich! Das hängt nur noch von Herrn Olivier ab.“

Der gab sein Einverständnis. Doch hatte er noch einen Einwand.

„Schließlich“, meinte er, „werde ich Ihnen als Chef der Firma doch wohl die erschöpfendste Auskunft erteilen können!“

„Gewiß. Schon richtig“, erwiderte Seidler freundlich, „doch alles können auch Sie nicht wissen. Ihr Blick muß auf das große Ganze gerichtet bleiben. Aber hier kommt es auch manchmal auf kleine Nebensächlichkeiten an, die Sie leicht übersehen werden, während sie anderen wieder bedeutungsvoll scheinen können.“

Dieser Einsicht konnte sich auch Olivier nicht verschließen.

So vereinbarte man, daß am nächsten Tage schon die Vernehmung beginnen sollte.

*

Inzwischen nahm sich Lebrun die verhafteten Leute vor. Sie machten alle keinen günstigen Eindruck auf ihn. Die beiden Handwerksburschen sahen verwahrlost aus. Sie stritten entschieden ab, von dem Unglück auch nur das geringste geahnt zu haben. In einem Heuschober wurden sie aufgetrieben, als sie sich gerade hastig davonmachen wollten. Der Schober lag ganz in der Nähe der Unglücksstätte.

„Warum hatten Sie‘s denn so eilig, davonzukommen?“ fragte der Kommissar und sah sie durchdringend an.

Der eine, der den Wortführer spielte, erwiderte, sie hätten gleich Angst gehabt, in Verdacht zu kommen. Sie hätten nur Scherereien vermeiden wollen. Aber nun sei es ja doch so gekommen, wie sie gefürchtet hatten.

Warum sie denn keine Papiere hätten?

„Die sind uns in Montélimar in der Herberge gestohlen worden!“

„Gerade das ist verdächtig!“ entgegnete Lebrun, etwas schärfer werdend, „haben Sie den Verlust denn schon angezeigt?“

„Nein.“

„Warum nicht?“

„Wir dachten, das hat noch Zeit.“

Was sollte man mit den Kerlen machen? Laufen lassen konnte man sie keinesfalls. Durch Rückfragen bei den Behörden mußten erst ihre Angaben über Namen und Herkunft nachgeprüft werden. Dann würde man weiter sehen …

Lebrun brach diese Verhandlung ab. Er wandte sich jetzt dem Radfahrer zu, den man ebenfalls festgenommen hatte. Das war ein robuster Bursche mit einem bösen, stechenden Blick und einer auffallend flachen, abgeplatteten Stirn. Dem war ein Verbrechen schon zuzutrauen. In seiner Kleidung sehr abgerissen, mit durchgelaufenen Schuhen, machte er den Eindruck unverbesserlicher Liederlichkeit.

Die Angaben über seine Persönlichkeit kamen nur zögernd zwischen den stumpfen, braunschwarzen Zähnen hervor. Schon damit schien etwas nicht recht zu stimmen. Als Ausweis hatte er lediglich eine durchfettete Meldekarte aus einem kleinen Ort namens Rosans bei sich. Er behauptete, Anstreicher zu sein und nach Paris zu wollen. Das Fahrrad habe er sich von seinem letzten Verdienst alt gekauft. Aber es konnte festgestellt werden, daß es gestohlen war.

Die Nachforschungen hatten sich nun nach zwei Richtungen zu erstrecken. Auf der einen Seite mußte man den Angaben der vier Verhafteten nachgehen, auf der anderen hatte man nach dem geheimnisvollen nächtlichen Anrufer zu forschen.

Lebrun entschied sich für Arbeitsteilung. Er selbst nahm die weiteren Vernehmungen der Häftlinge in die Hand. Dagegen sollte sein jünger deutscher Kollege die Angelegenheit mit dem Anrufer selbständig weiter bearbeiten, wobei ihm jede behördliche Hilfe gesichert war.

Da man aus den Verhafteten zunächst nichts Bedeutendes heraushorchen konnte, beschloß der Kommissar eine Konfrontation dieser Leute. Aber auch diese fruchtete nichts.

Daraufhin ließ er den Schriftsetzer mit dem Radfahrer, der sich Moulin nennte, zusammensperren.

Man behorchte die Zelle und konnte bald eine erstaunliche Feststellung machen, denn zwischen den beiden spielte sich fogende Szene ab:

Kaum hatte die Tür sich geschlossen, als Latour den anderen anzischte: „Mensch — Moulin — wie konntest du dich nur erwischen lassen! Ich hatte dir doch den Feldweg genau beschrieben, den du zu wählen hattest!“

Moulin starrte den Sprecher blöde entgeistert an.

„Was reden Sie da? Wer sind Sie denn überhaupt? Ich kenne Sie gar nicht!“

„Haha! Jetzt kennt er mich nicht mehr! Wo wir doch gerade so schön gemeinsam im Kittchen sitzen! Dabei weiß ich doch alles, mein lieber Freund! Der Lohn wird dir ja nicht entgehen — wenn du auch vorher noch einige Jährchen abbrummen solltest!“

Auf Moulins flacher Stirn erschien eine drohende Falte. Lebrun, der die beiden durch einen Türspalt beobachtete, konnte es deutlich sehen.

„Sie sprechen in Rätseln, Mann! Und überhaupt — unterlassen Sie solche Scherze!“

„Scherze! Haha! Als ob ich zum Scherzen aufgesiegt wäre! Warum willst du mich nicht mehr kennen? Ich weiß ja doch, daß du die Brücke in die Luft gesprengt hast, alter Junge!“

Auf Moulins Stirn schwollen die Adern an. Er bekam ein furchtbares, furchterweckendes Aussehen. Seine Lippen waren aufgeworfen, die schlechten Zähne kamen zum Vorschein.

„Mensch — droht er, „Kerl — noch e i n Wort — und ich erwürge dich!“

Zitternd vor Wut rückt er dem anderen näher, der unwillkürlich zurückweicht. Latour scheint zu merken, daß der da keinen Spaß versteht. Er sackt zusammen, scheint plötzlich kleiner zu werden.

„Ich —, aber — — stotterte er, „lassen Sie mich! Um Gottes willen, lassen Sie mich! Zu Hiiilfe!“

Moulin war ihm an die Kehle gesprungen und würgte ihn. Die Tür flog auf. Lebrun rief den Ringenden ein donnerndes Halt! entgegen. Ein Wärter folgte auf dem Fuße.

Mühsam trennte man die beiden Leute. Latour rang nach Luft. Hals und Kopf waren rot angelaufen.

Lebrun nimmt sich zunächst den Angreifer vor. Der steht da mit düster gesenkter Stirn.

„Moulin!“ sagt der Kommissar ernst und scharf, „ich habe mit angehört, wie Sie von Ihrem Zellengenossen beschuldigt wurden, das Attentat begangen zu haben. Leugnen Sie immer noch?

Der Angeredete hob den Kopf und blickte Lebrun aus seinen stechenden Augen böse und herausfordernd an.

„Sie haben mich mit einem Wahnsinnigen oder mit einem Spitzel zusammengesperrt!“ sagte er ververhältnismäßig gelassen, „solche Tricks kennen wir. Jedenfalls hatte ich mit dem Manne niemals etwas zu tun. Ich kenne ihn überhaupt nicht.“

Er spielt seine Rolle gut — dachte Lebrun, dem der Mann jetzt in höchstem Grade verdächtig war.

„Sie streiten also noch immer ab, mit dem Attentat etwas zu tun zu haben? Trotz dieses Belastungszeugen?“

„Belastungszeuge? Pah — ein Verrückter!“

Es war nichts mehr aus ihm herauszubringen. Er wurde wieder abgeführt. Latour, der sich endlich einigermaßen erholt hatte, wurde dem Kommissar vorgeführt.

„Sie behaupteten in der Zelle, daß Ihr Genosse das Attentat verübt haben soll!“

Der Mann zuckte zusammen. Unwillkürlich griff er nach einem Halt. Lebrun forderte ihn auf, sich zu setzen.

„Woher wissen Sie das?“ stotterte der Gefragte nach einer Pause.

„Man hat Sie belauscht, mein Lieber! Wollen Sie trotzdem auch jetzt noch weiter bestreiten, daß Sie mit diesem Verbrechen irgendwie in Zusammenhang stehen?“

Der Mann schien lange zu überlegen. Lebrun ließ ihm Zeit. Er steckte sich nachlässig eine Zigarre an.

„Also hören Sie“, setzte er dem anderen wieder zu, „wenn Sie gestehen, verbessern Sie Ihre Lage. Sagen Sie mir, was Sie wissen! Hier — stecken Sie sich eine Zigarette an. Dabei läßt sich‘s gemütlicher plaudern. Also!“

„Herr Herr Kommissar — ich — — ich habe das Attentat nicht gemacht!“

„Gewiß, Sie beschuldigten ja den anderen. Woher kennen Sie ihn? Wie sind Sie mit ihm in Verbindung gekommen?“

„Ich war dabei, wie er von dem Fremden mit der Sache beauftragt wurde.“

„Aha! Ein Fremder! Der große Unbekannte! Natürlich!“

„Moulin sollte die Brücke sprengen.“

„Warum?“

„Das wurde uns nicht gesagt.“

„Uns? Damit geben Sie also zu — —“

„Ich habe nichts zuzugeben, Herr Kommissar. Ich bin nur durch einen Zufall in diese Sache hineingekommen.“

„So — Zufall! Na ja! Also wie denn?“

Latour starrte vor sich auf den Tisch, als ob er sich erst wieder besinnen müßte.

„Ich saß da neulich in einer Kneipe — —“, begann er zögernd.

„Wo?“ unterbrach ihn Lebrun.

„In Etoile. Da hörte ich zwei Männer zusammen flüstern. Einer von ihnen war der Moulin, der mich vorhin fast erwürgt hat, als ich ihn an die Sache erinnerte.“

„So. Also was sprachen die beiden Männer zusammen?“

„Moulin sollte die Brücke sprengen. Dafür Wollte der andere ihm fünftausend Franken geben.“

„Und was war der Grund, warum die Brücke gesprengt werden sollte?“

„Danach hatte Moulin auch den Fremden gefragt. Aber der sagte nichts.“

„Hören Sie — Ihre Geschichte kommt mir höchst sonderbar vor. Aber weiter! Wie wurden Sie nun in die Sache hineingezogen?“

„Ich hatte in einer Nische im Dunkeln gesessen. Das hatten sie zuerst nicht bemerkt. Dann aber entdeckten sie mich und waren der Meinung, daß ich alles gehört haben müßte, — was auch tatsächlich der Fall war. Moulin kam zu mir und packte mich mit eisernem Griff beim Arm. „Mann!“ sagte er giftig, und seine Augen stachen wie Dolche auf mich, „Sie sind des Todes, wenn Sie etwas verraten! Wenn Sie aber das Maul halten können — oder uns gar behilflich sind, so soll es Ihr Schade nicht sein.“

Natürlich sträubte ich mich zunächst. Aber was konnte ich machen, als man mir immer offener drohte? Ich würde nicht mehr lebend nach Hause kommen, behauptete dieser Moulin, auf einen Mord mehr oder weniger komme es ihm nicht an. Also, ich solle mich jetzt entscheiden. Und zwar sofort. Da sagte ich denn, völlig verwirrt und in Angst getrieben, daß ich den Mund halten würde. Er nahm mir dafür als Pfand einen goldenen Ring ab.“

„Na und —? Was geschah dann?“

„Ich wollte trotzdem zur Präfektur gehen, um alles anzugeben. Als ich schon ganz in der Nähe war, hörte ich plötzlich hastende Schritte. Moulin stand vor mir und hielt mir einen Revolver gegen die Brust. Schon dachte ich, daß er abdrücken würde. Da tauchte plötzlich ein Polizist auf. Moulin zischelte mir ins Ohr: „Laß dir nicht einfallen, mich zu verraten! Oder du weißt, was dir blüht!“ Und dann war er verschwunden.

Ich wußte aber, daß er mir trotzdem noch weiter folgte, und wagte nun nicht mehr, etwas zu unternehmen. Ich ging nach Hause und ließ die Sache auf sich beruhen.“

Lebrun zerdrückte den Rest seiner Zigarre im Aschenbecher. Er fragte: „Wann spielte sich dieser Vorgang ab?“

„Vorgestern, Herr Kommissar.“

„Und Sie sind dann tatsächlich bedenkenlos still geblieben?“

„Oh ich hatte sehr große Bedenken. Aber ich wagte einfach nichts mehr zu tun. Am folgenden Morgen kam eine Karte an, ohne Unterschrift. Auf dieser standen nur die zwei Worte: „Hüte dich!“

„Haben Sie diese Karte noch?“

„Nein. Ich verbrannte sie.“

„Warum?“

„Weil ich nichts mehr mit der Sache zu tun haben wollte.“

„Sie machten also auch niemandem Mitteilung von dem Vorfall?“

„Nein.“

Ein Gedanke schnellte Lebrun durch den Kopf.

Er fragte weiter: „Machten Sie auch keinen Versuch, etwa im letzten Augenblick noch den Zug zu warnen?“

„Den Zug? Wieso? Wie sollte das denn geschehen?“

„Man kann doch heutzutage mit einem Schnellzug auch telephonieren.“

„Oh — daran dachte ich wirklich nicht.“

„Hm. Also nicht? Das ist sonderbar, denn der Zug wurde tatsächlich angerufen und von einem Unbekannten gewarnt.“

„Ah! So erklärt es sich also auch, daß es nicht schlimmer gekommen ist!“

„Sie haben tatsächlich zu keinem Menschen davon gesprochen?“

„Nein.“

„Mann — das war ja schon ein Verbrechen! —

Aber nun sagen Sie noch: wie sah denn der Fremde aus, von dem Sie erzählten?“

„Er sah ganz gut aus, Herr Kommissar, als ob er den besseren Ständen angehörte.“

„Beschreiben Sie ihn mir bitte!“

„Er war ziemlich groß, dunkelblond, trug einen braunen Jakettanzug.“

„Mehr können Sie mir nicht sagen?“

„Nein. Ich sah ihn nur flüchtig. Er ging noch vor dem anderen wieder.“

„Nun werden Sie mir wohl auch sagen, warum Sie nach dem Unglück die Zeichnung machten?“ „Ich wollte darüber schreiben.“ „Worüber?“

„Über das Unglück natürlich.“

„Schreiben? Wieso denn?“

„Na — für die Zeitung. Man kann doch solche Artikel immer gebrauchen. Ein Lageplan — dachte ich mir — würde ganz angebracht sein.“

„Warum haben Sie mir das nicht gleich gesagt?“ Schweigen.

Der Kommissar wiederholte seine Frage. Endlich erwiderte Latour:

„Ich hoffte, durch meine Verhaftung noch mehr Einblick in die Sache gewinnen zu können. Aber ich sehe jetzt ein, daß es ein Fehler war. Können Sie mich nun entlassen, Herr Kommissar?“

„Tut mir leid — Ihre Aussagen müssen erst nachgeprüft werden. Wo sind Sie zur Zeit des Unfalls gewesen?“

„Zu Hause. Erst morgens erfuhr ich von meiner Wirtin, was sich nachts abgespielt hatte.“

Latour wurde in eine Einzelzelle zurückgebracht. Als gegen Abend Seidler mit Lebrun zu einer Besprechung zusammenkam, überreichte der Franzose dem Deutschen ein Telegramm, der es erstaunt in Empfang nahm und öffnete. Absender Verkehrsministerium?

Seidler liest.

„In Anerkennung Ihres außerordentlich geistesgegenwärtigen und tatkräftigen Handelns, durch das eine unabsehbare Katastrophe verhindert wurde, spreche ich Ihnen meine besten Glückwünsche aus. Gleichzeitig stelle ich Ihnen eine Prämie in Form einer vierwöchigen Reise durch Frankreich, bei freier Fahrt und freier Verpflegung, zur Verfügung. Der Verkehrsminister.“

Seidler reichte das Telegramm wortlos dem Kommissar hin. Der klopfte ihm lächelnd die Schulter.

Sein schmunzelndes Brummen ist deutlich vernehmbar.

„Ich gratuliere Ihnen, mein junger Freund! Aber Sie werden doch nun nicht gleich auf die Reise gehen?“

„Ausgeschlossen, Herr Kommissar!“

„Hm — im Vertrauen gesagt: da ist noch eine Weisung an mich gekommen, und zwar von meiner obersten Vorgesetzten Behörde, daß ich Sie in der Sache des Attentats mit den weitgehehdsten Befugnissen ausstatten soll. Man erinnert sich noch des Falles von Amsterdam, wo Sie damals — es ist ja nun wohl schon über zwei Jahre her — als junger Anfänger den internationalen Verbrecher Lorip zur Strecke brachten! Es war übrigens sehr vernünftig von Ihnen, in den Staatsdienst zu treten. Sie scheinen mir wirklich besonders befähigt zu sein!“

„Nur kein Lob, bitte, Herr Kommissar! Das macht mich immer nervös!“

Lebrun lachte und reichte dem Kollegen die Hand hin. „Na! — und wie sieht es bei der Firma Olivier aus?“

Seidler stocherte mit seinen spitzen Fingern etwas unruhig zwischen einigen auf dem Tisch liegenden Papieren herum.

„Ich habe heute leider den Prokuristen nicht mehr erwischen können, der gerade geschäftlich verreist ist. Morgen früh soll er da sein. Immerhin konnte ich eine ältere Angestellte vernehmen. Sie sagte mir, daß einmal Schlüssel abhanden gekommen wären. Freilich sei das schon lange her — sie könne sich nicht mehr genau besinnen. Aber der Prokurist wüßte sicher Bescheid.“

„Sie halten etwas von dieser Schlüsselgeschichte?“

„Ich glaube, daß man auf alles hier achten muß. Bei den jetzigen Inhabern der Schlüssel scheidet jedenfalls wohl jede mißbräuchliche Benutzung aus. Das habe ich schon ermitteln können. Es gab viele Kleinarbeit. Aber das schadet nichts. Gerade so etwas liegt mir. So habe ich heute zum Beispiel den Leumund des Wachtbeamten genau geprüft. Gegen den Mann ist nichts einzuwenden. Für mich steht jedoch fest, daß jemand nachts in den Räumen gewesen ist. Und diesen Jemand werde ich fassen.“

„Na — dann viel Glück dazu. — Aber nun hören Sie auch, was ich inzwischen herausbekam!“

Gespannt folgte Seidler den Ausführungen des Kommissars.

„Sie halten also Moulin für den Attentäter?“ fragte er schließlich.

Lebrun ließ einen Bleistift durch seine Finger gleiten. „Fest will ich es nicht behaupten. Es hängt von der Glaubwürdigkeit dieses Latour ab. Er selbst — ich meine Moulin! — streitet alles entschieden ab. Irgendein Haken ist noch bei der Sache.“

„Ja ja — ich glaube, auch Ihnen wird sich noch mancherlei Kleinarbeit dabei entgegenstellen. Vielleicht sind morgen schon Nachrichten über die Leute da. Sie haben gewiß gleich überall angefragt?“

„Selbstverständlich. Ich meine auch, daß gerade diese Meldungen wichtig sind. Ein Kollege aus Etoile will morgen zu mir kommen. Dann werden wir hoffentlich Näheres über Latour erfahren.“

„Ich weiß nicht — aber ich halte nicht viel von dem Kerl!“

„In welcher Beziehung?“

„Nach allem, was Sie erzählten, glaube ich, daß er simuliert.“

„Meinen Sie? Aber was sollte er denn für einen Grund dazu haben?“

„Es gibt viele Gründe. Jedenfalls möchte ich Ihnen empfehlen — sofern ich mir eine Meinung erlauben darf — diesem Herrn nicht allzuviel Glauben zu schenkend.“

Lebrun nagte an seiner Unterlippe. „Hm — na ja. Vielleicht haben Sie gar nicht so unrecht.“ „Haben Sie auch die Handwerksburschen noch einmal vorgenommen?“

„Nein, dazu bin ich leider noch nicht gekommen. Im übrigen warte ich auch bei diesen beiden noch die Bestätigung ihrer Angaben ab.“

Das letzte Signal

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