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Intermezzo: Katharina

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Sie weiss, dass Johannes für seine Patienten alles tut. Tag und Nacht. Gerade auch in der Nacht, wenn er in den Keller steigt. Dort hat er sich ein Laboratorium eingerichtet, in dem er viele einsame Stunden zubringt. In diese Kammer darf ihm niemand folgen, nicht einmal sie, Katharina. Wenn er drin ist, schliesst er ab, damit er bei seinen chemischen Versuchen ungestört bleibt, und wenn er den Raum verlässt, schliesst er ebenfalls ab.

Der über einen gemauerten Schacht be- und entlüftete Raum enthält alles, was es braucht, um mit Essenzen, Elixieren, mineralischen Stoffen, Ölen, Salzen und Säuren zu hantieren und durch beharrlichen Versuch neue Medikamente herzustellen, von denen vielleicht eines das gesuchte Heilmittel gegen die Franzosenkrankheit sein könnte. Manchmal stellt Johannes auch in seinem Ordinationszimmer neue Mixturen her, aber der grösste Teil seines einsamen Forschens und Suchens findet im Keller statt.

Bei alledem steigert sich Johannes zuweilen in einen Zustand hinein, der Katharina befremdet. Er isst kaum noch, wird schweigsam und verschwindet immer wieder im Keller. Seine unterirdischen Aufenthalte können bis morgens um zwei, drei Uhr dauern, dann sinkt er völlig ermüdet neben Katharina ins Bett und schläft sofort ein. Am nächsten Morgen mit dem ersten Tageslicht ist er wieder für seine Patienten da, in der Klinik und in der Praxis – mit aller Tatkraft und Gewissenhaftigkeit, die sein Beruf erfordert, bei dem es nicht selten um Leben und Tod geht.

Dass sich Johannes’ unermüdlicher Einsatz im Dienste der Patienten ungünstig auf ihr Eheleben auswirkt, versteht Katharina, wenn es sie auch nicht beglückt. Sie würde ihn nie dafür kritisieren, dass er sich kaum Zeit nimmt für sie, für ein Gespräch, einen Spaziergang, einen kleinen Ausflug. Und dass er sie auch im Bett vernachlässigt.

Ja, zwischen den beiden Eheleuten laufen kaum Bettgeschichten, Johannes scheint dafür kein rechtes Interesse aufzubringen, überdies ist er oft einfach zu müde. Und wenn es dennoch einmal zu Intimitäten kommt, entwickelt sich die Sache meist nicht so, dass Katharina ihre Freude daran haben könnte. Sobald es wirklich erregend zu werden beginnt, verliert Johannes den Antrieb zu weiteren Schritten; abrupt lässt er von seiner Frau ab und richtet sich im Bett zur Nachtruhe ein. Wenige Minuten später schläft er bereits tief und fest. Natürlich ist dies auch der Grund, weshalb das Ehepaar bis jetzt noch keine Kinder hat.

Man könnte sagen, dass Johannes Kupferschmid an geschlechtlichem Unvermögen leidet und dies durch vorgetäuschte Sittsamkeit zu verbergen trachtet. Ganz sicher ist sich Katharina jedoch nicht. Sie schreibt die Unlust ihres Gatten seinem Arbeitspensum zu – und seiner Beharrlichkeit, ja Besessenheit im Kampf gegen die Franzosenkrankheit.

Von Besessenheit zu reden ist nicht falsch; zuweilen entdeckt Katharina in den ansonsten freundlichen Augen ihres Gemahls nebst geistiger Anspannung und einsamer Grübelei auch eine fast unheimliche Glut, die nur entstehen kann, wenn jemand ganz und gar von einem Gedanken oder einer Aufgabe vereinnahmt ist. Oder von einem Laster – doch davon kann bei Johannes keine Rede sein. Er ist dem Licht, der Aufklärung und der Wissenschaft verpflichtet. Katharina liebt und bewundert ihn, und sie weiss, dass er sie auch liebt.

Die Franzosenkrankheit

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