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3. Ein Rad, das sich immer dreht

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An Onkels Haustür war ein kleiner Löwenkopf aus Bronze angeschraubt. Der Löwe trug im Maul einen schweren, beweglichen Metallring. Sandra hob den Ring hoch und liess ihn zurück an die Tür schnellen. Davon gab es ein lautes Geräusch. Eine solche Vorrichtung nennt man Türklopfer. Onkel Leonardo hatte keine Klingel, sondern eben diesen Türklopfer.

"Herein!", tönte von innen eine freundliche Stimme.

Die beiden Kinder traten ein. Der Onkel sass in der warmen Stube am Tisch, der mit Zangen, Scheren, Schrauben, Nägeln, Rädchen, Drahtstücken, Papier, Leim und anderem Material dicht übersät war.

Onkel Leonardo war klein und schlank. Er hatte ein sonnengebräuntes, faltiges Gesicht mit einer etwas knolligen Nase, hellen Augen und buschigen Brauen. Seine Haare waren schneeweiss und standen ihm wild vom Kopf ab. Er schaute vom Plan auf, den er im hellen Licht einer alten Bauzeichnerlampe gerade anfertigte.

"Schau schau, die Sandra und der Dominik", sagte er. "Grüss euch, ihr zwei. Schön, dass ihr mich besuchen kommt an diesem trüben Tag."

"Grüss dich, Onkel Leonardo", sagte Sandra, und Dominik fragte: "Was zeichnest du da? Darf ich mal sehen?"

"Selbstverständlich, schaut nur", sagte der alte Mann und deutete auf die Zeichnung. Sie zeigte ein grosses Rad, an dem einige kleinere Räder mit seltsamen Achsen und Gewichten befestigt waren.

"Was ist das?", fragte Dominik interessiert.

"Ein Exzenterrad", antwortete der Onkel.

"Ess… el… elter… Wie bitte?", fragte Sandra.

"Ex-zen-ter-rad. Ein Rad, das weder Benzin noch elektrischen Strom braucht, damit es sich dreht", erklärte der Erfinder. "Wenn es einmal läuft, läuft es ganz von selbst weiter. Es dreht sich und dreht sich und dreht sich, ohne dass man dafür etwas tun muss. Allein die Anziehungskraft der Erde sorgt dafür, dass es ständig in Bewegung bleibt."

"Toll!", rief Dominik. "Und das funktioniert tatsächlich?"

"Ich weiss es nicht", sagte Onkel Leonardo. "Ich probiere es einfach einmal aus. Wer nichts wagt, gewinnt nichts. Ein Mann namens Johann Bessler soll vor dreihundert Jahren bereits einen solchen Antrieb gebaut haben. Das war zu der Zeit, als die Damen Reifröcke und die Herren Lockenperücken trugen. Besslers Pläne gingen aber verloren. Kein Mensch weiss, wie sein Rad aussah. Offenbar hat es aber funktioniert. Ich versuche jetzt, seine Konstruktion neu zu erfinden. Aber sagt mal, Kinder – ihr wollt mit mir doch nicht über die Anziehungskraft der Erde und solche komplizierten Dinge reden, oder?"

"Eigentlich sind wir gekommen, um von dir eine Geschichte zu hören", sagte Sandra.

"Ach so, eine Geschichte", lachte der Onkel. "Also dann, eine Geschichte. Setzt euch auf das Sofa. Eine Geschichte lässt sich besser hören, wenn man sitzt, nicht wahr."

Die Kinder machten es sich auf dem altmodischen Sofa bequem, während der Onkel in einer Schublade herumkramte und ein längliches Schächtelchen hervorzog. Darin befanden sich Räucherstäbchen. Er zündete eines davon an. Bald erfüllte ein angenehmer Duft von Laub, Holz und Harz die Stube.

"Dieser Waldgeruch passt gut zu meiner Geschichte, denn sie hat viel mit Wald zu tun", sagte der Onkel. "Es ist eine wahre Begebenheit. Ereignet hat sie sich in einer Silvesternacht. Dass ich sie euch gerade heute erzählen will, ist kein Zufall, denn übermorgen feiern wir ja auch wieder Silvester."

Er legte den Bleistift auf die unfertige Planzeichnung, setzte sich auf seinem Drehstuhl zurecht und begann zu erzählen.

Das Gold in der Heidenfluh

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