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VI

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In dem Privatbüro des Konsuls, einem großen, viereckigen Raum, der ganz in dunkler Eiche getäfelt und möbliert war, lag die Dämmerung des Winternachmittags, gleich jener grauen Angst und Sorge, die des reichen Mannes Herz umklammert hielt.

Der Konsul hatte in tiefem Nachdenken in dem Lederstuhl gesessen, der hinter dem Ebenholzschreibtisch stand. Jetzt ging er dem Doktor Splittericht entgegen, wobei er die starken Deckenlichter einschaltete, die hinter ihren Marienglaskugeln hell und doch milde aufleuchteten.

„Ich habe Sie zu mir gebeten, Herr Doktor, weil ich das größte Vertrauen zu Ihnen habe ...“

Splittericht wollte etwas erwidern, der Konsul hob leicht die Hand ...

„Das ist keine Floskel! Ich kenne Sie aus Ihren Arbeiten, und ich weiß, daß Sie, was ich für unendlich schwer halte, bei all der ernsten Unnachgiebigkeit, die Ihr Beruf nun einmal erfordert, daß Sie dabei immer menschlich fühlen und Mensch bleiben. Das führt mich zu Ihnen, Herr Doktor, das gibt mir den Mut und das Vertrauen, mich an Sie in einer schlimmen Angelegenheit zu wenden ... Vielleicht hätte ich das heute noch gar nicht getan, obgleich ...“, der Konsul zögerte, „obgleich gerade heute etwas eingetreten ist, was ich, ich will nicht sagen, erwartet, nein, vor dem ich mich schon lange geängstigt habe.

Und da ist nun heute diese schreckliche Diebstahlsgeschichte noch dazugekommen. Der tote Mensch da unten im Tresor ... das war ein Anblick ... ich kann Ihnen nicht sagen, Herr Doktor, wie mich das erschüttert hat ...“

Der Konsul nahm aus einem getriebenen Silberkasten, der auf der schwarzen Ebenholzplatte stand, eine Zigarre und hielt dem Detektiv den Kasten ebenfalls hin:

„Sie rauchen nicht, Herr Doktor ...? Ich leider desto mehr ... Wir Geldmenschen müssen ewig hetzen und jagen ... ganz ohne Stimulans halten da die Nerven nicht durch.“

Er zündete die Zigarre an dem elektrischen Apparat an und rauchte ein paar lange Züge. Dann legte er sie in den schweren Marmorbecher und vergaß lange, sie wieder an die Lippen zu führen.

„Ich möchte Sie vorerst einmal fragen, Herr Doktor, ob Sie inzwischen etwas herausbekommen haben, was irgendwie Licht in die Angelegenheit bringen kann?“

Doktor Splittericht antwortete nicht gleich. Es wurde ihm schwer, diesem sowieso gequälten Mann noch mehr und besonders das zuzumuten, was er selbst auf dem Herzen hatte.

Denn das waren nicht einfache detektivistische Resultate, das war ein in das Leben dieses Mächtigen hineindrohendes düsteres Etwas, von dessen wahrem Charakter er, der Doktor Splittericht, selber sich bisher keine rechte Vorstellung hatte machen können ... Den Verlust der anderthalb Millionen Mark würde dem Konsul die Versicherung tragen helfen. Wie ihn aber die Nachricht traf, die Splittericht ihm jetzt bringen mußte, das war überhaupt nicht vorherzusagen.

Bei all seiner Gutherzigkeit und Menschenliebe betrachtete der Doktor-Kommissar den Multimillionär mit rein psychologischem Interesse, während er ihm in ein paar Sätzen bekanntgab, was er als unwiderruflich sicher und feststehend erkannt hatte:

„Herr Konsul, ich muß und will Ihnen das Ergebnis meiner Untersuchungen gleich zu Anfang sagen. Ich glaube, wenn jemandem etwas für ihn schwer, sehr schwer zu Ertragendes gesagt werden muß, dann soll man ihm diesen bitteren Trank sofort, gleich, nicht tropfenweise, sondern mit einem Male geben.“

Der Konsul richtete sich in seinem Sessel hoch empor, als wollte er dem Stoß, der ihn treffen sollte, die Brust zur Abwehr bieten:

„Ich bitte Sie, Herr Doktor, ohne jede Rücksicht auf mich oder irgendwelche andere Personen die volle Wahrheit zu sagen oder wenigstens das, was Sie dafür halten.“

Splittericht nickte und sprach klar und mit langsamer Betonung:

„Der Einbrecher, den wir unten im Tresor gefunden haben, ist nicht am Herzschlag gestorben. Er ist das Opfer eines Komplicen ... der hat ihn vergiftet ...“

Herr Hermann blickte überrascht auf:

„Wieso ...? Woher wissen Sie das, Herr Doktor?“

Der Detektiv antwortete nicht, er fuhr fort:

„Und der den Zalewski vergiftet hat, der ist zweifellos ein Mitglied Ihrer Bank, Herr Konsul!!“

Das hatte Konsul Hermann nicht erwartet.

Er nahm sich sehr zusammen, aber er konnte das Zittern seiner Lippen und das nervöse Spiel der Hände nicht verbergen. Seine Stimme klang mühsam, als er fragte:

„Und darf ich Sie bitten ...“

Der Doktor-Kommissar nickte:

„Jetzt, da Sie das Wichtigste wissen, Herr Konsul, möchte ich Ihnen in Ordnung und der Reihe nach erzählen, was ich bei meinen Untersuchungen festgestellt habe.

Es fiel mir vor allen Dingen das auf, was wir Kriminalisten, dem Rotwelsch der Verbrecher folgend, die ‚Annonce‘ nennen. Die ‚Annonce‘ ist das Auskundschaften der Gelegenheit zum Diebstahl, die genaue Beobachtung von Zeit, Ort und Menschen und insbesondere der Plan der internen Örtlichkeit, in der der Einbruch verübt wird.

Das war in unserem Falle von besonderer Wichtigkeit. Von außen sieht ein Haus wie das andere aus, das Gebäude Ihrer Bank unterscheidet sich nicht wesentlich von den Nachbarhäusern. Aber es hat zwei Eingänge von verschiedenen Straßenseiten. Der eine Eingang liegt auf der Seite, die gleichzeitig den Publikums-Eingang Ihrer Bank enthält. Der andere Eingang geht von der Straße am Harlemer Platz in Ihr Haus hinein.“

Der Konsul nickte.

„Und zwar“, fuhr Splittericht fort, „führt dieser zweite Eingang über einen kleinen Hof zur Hintertreppe. Diese führt hinauf zu den Wohnungen. Die Bank hat zu ihnen einen zweiten Ausgang in der ersten Etage. Wesentlich ist die Treppe für unsern Fall, weil sie auch hinabführt in den Heizkeller, den die Einbrecher als Operationsbasis benutzt haben. Von dort haben sie die Hauswand durchstemmt, so daß sie in der Flinsberger Straße unter dem Trottoir herauskamen. Dann haben sie einen vier Meter langen Gang unter dem Straßenniveau gegraben und sind nun in der Flinsberger Straße abermals durch die Hauswand gedrungen, und zwar ausgerechnet da, wo der wenig mehr als mannsbreite Luftschacht sich befindet, der durch eine Luftklappe Ihren Tresor ventiliert.

Wie konnten die Einbrecher diesen von außen in keiner Weise erkennbaren und so kleinen Luftschacht herausfinden? Ich habe mich genau erkundigt, irgendeinen Grundriß der inneren Baulichkeiten gibt es nicht. Das Haus ist etwa zwanzig Jahre alt, die Wohnungen in den oberen Stockwerken werden selten oder nie gewechselt, Ihre Bank hat das Parterregeschoß und den ersten Stock inne, den zweiten Stock ein großes Möbelhaus. Diese beiden Parteien wohnen hier schon seit zwölf Jahren. Und ferner: wie und woher wußten die Einbrecher, daß dieser Luftschacht in den Tresor hineinführt? Man könnte glauben, einer oder der andere von ihnen, elegant, wie sie stets gekleidet gehen, hätte sich in der Handelsbank zu tun gemacht, hätte vielleicht sogar unter angenommenem Namen einen Safe bei Ihnen gemietet und hätte so die Stelle des Lufteinlasses herausgebracht ... Aber nein, auch das ist unmöglich. Seit Jahren schon steht vor dieser Luftklappe im Tresor ein Ständer, an dem eine Schiffahrtskarte der Cunard-Line aufgehängt ist. Allein können die Diebe vorher nicht im Tresor gewesen sein ... es ist doch immer ein Bankangestellter dabei, wenn ein Kunde in seinen Safe will?“

Der Konsul nickte mehrmals. Seine Lippen waren fest zusammengebissen, man sah, daß er in seinem Inneren schwere und furchtbare Gedanken wälzte. Aber er sprach vorläufig kein Wort.

„Es muß also, verehrter Herr Konsul, schon aus diesem Grunde ein mit den Örtlichkeiten ganz eng vertrauter Mensch dagewesen sein, der den Einbrechern die ‚Annonce‘ brachte. Aber ich gebe zu, die bis jetzt angeführten Gründe brauchen Sie, Herr Konsul, nicht zu überzeugen. Und ich würde Ihnen nicht etwas so tief in Ihr menschliches Vertrauen Einschneidendes gesagt haben, wenn ich nicht ganz andere und unwiderlegbare Beweise für meine Behauptung hätte:

Ich sprach gestern — ich weiß nicht, ob Sie, Herr Konsul, zugegen waren? — schon mit Herrn Oberregierungsrat Henderson darüber:

Der ‚Herzschlag‘ des Zalewski erschien mir vom ersten Augenblick an merkwürdig ... Nachher fand ich auf dem kleinen polierten Tisch unten im Tresor einen großen Wasserfleck ... Wie kam der dahin? ... Wo doch keine Wasserflasche, kein Glas im Tresor zu finden war ... Ich habe mich dann oben im Kundenraum ein bißchen umgesehen, und da bemerkte ich eine Wasserflasche mit zwei Gläsern auf einem gelben Tablett.“

Herr Hermann lauschte gespannt.

„Und in dieser Karaffe war noch ein kleiner Rest Wasser. Den habe ich heute morgen von dem Gerichtschemiker Doktor Westkorn untersuchen lassen.“

„Na, und das Resultat, Herr Doktor?“

„Das Wasser war mit einem starken Betäubungsmittel versetzt ... mit Skopolamin.“

Der Doktor Splittericht hatte die letzten Worte langsam und mit Nachdruck gesprochen.

Der Konsul wollte etwas fragen, aber er blieb auch jetzt schweigsam und sah den Detektiv nur mit weit geöffneten Augen an.

Splittericht fuhr fort:

„Ich habe nun noch einmal mit Doktor Rangower gesprochen und ihm die Analyse des vergifteten Wassers gezeigt. Er war sofort im Bilde. Es sei noch ein dritter Täter im Spiel gewesen, meinte er, und dieser Dritte hätte den Zalewski betäubt. Zalewski hatte wahrscheinlich einen angeborenen Herzfehler. Für solche Leute sind Narkotika doppeltes Gift, besonders wenn man sie ihnen im Zeitpunkt großer Anstrengung beibringt.“

„Und so, meint Doktor Rangower, ist Zalewski umgebracht worden?“

Splittericht nickte:

„Ja, und das gelbe Tablett — ich habe es inzwischen sichergestellt, ebenso wie die Gläser und die Flasche — dieses Tablett befand sich während des Einbruchs im Tresorraum ... es ist eigens zu dem Zweck der Vergiftung vor dem Einbruch in den Tresor hineingebracht, und nachdem es seinen Zweck erfüllt hatte, als der Einbrecher Anton Zalewski tot am Boden lag, ist es wieder von derselben Person aus dem Tresor hinausgetragen und an seinen alten Platz gestellt worden.“

Dem Konsul wurde während des Gesprächs der Mund trocken. Er hielt den langen graumelierten Spitzbart mit der Rechten fest umspannt und leckte nervös die Lippen. Sehr blaß, sagte er tief atmend:

„Schauerlich ist das ... ganz furchtbar!“

Der Detektiv machte, selbst erschüttert, eine Pause. Dann fuhr er fort:

„Und außerdem: an dem zur Vergiftung gebrauchten Glase, das der Mörder wohlweislich ausgespült, gereinigt und abgetrocknet hat, fand ich noch eine andere Spur seiner Tätigkeit. Er hat nämlich dabei Handschuhe angehabt, wie das heute bei einem Einbrecher von Klasse selbstverständlich ist. Und er wußte zwar, daß die Papillarlinien der menschlichen Hand sich am Glas abdrücken und eine für den Eingeweihten leserliche Schrift bilden. Was er aber nicht gewußt hat, das ist die ebenso unumstößliche Tatsache, daß ein mehrfach getragener Handschuh besonders an den Fingerkappen Linien aufweist, die ebenso wie die Papillaren zur Rekognoszierung dienen können.“

„Und diese doch wohl für das bloße Auge kaum wahrnehmbaren Spuren, die haben Sie auch festgestellt, Herr Doktor?“

„Ja. Ich habe sie sofort mit Argentol, einem Silber-präparat, bestreut und fixiert, sie dann fotografiert und diese Abdrücke nach einem sehr interessanten Verfahren zwischen feinen Zelluloidblättchen konserviert. Wenn es uns gelingt, den Mann zu finden, und er nicht etwa die Handschuhe fortgeworfen hat (woran ich nach meinen früheren Erfahrungen nicht glaube), so werden wir ihn durch diese Abdrücke und Fotos überführen.“

Der Konsul atmete hörbar.

„Und Sie meinen, Herr Doktor“, fragte er und konnte nur schwer und mit Pausen, so aufgeregt war er, sprechen, „Sie meinen, daß der Mensch einer von meinen Angestellten ist?“

Splittericht nickte mehrmals.

„Jawohl, Herr Konsul. Das ist für mich eine unverrückbare Wahrheit: Der zweite oder wahrscheinlich der dritte Mann war jemand, der in Ihrem Büro schon längere Zeit tätig ist.“

„Ich habe hundertsechsunddreißig Angestellte“, sagte der Konsul eintönig, „hundertsechsundzwanzig sind davon dauernd in der Bank, zehn sind Vertreter und Außenangestellte. Aber sie können ebensogut wie die anderen jederzeit sich im Büro aufhalten —“

„— und kommen ebensogut wie die übrigen für das Verbrechen in Frage“, vollendete der Doktor-Kommissar.

„Wo soll man da ansetzen?“ fragte der Chef des Bankhauses mutlos. Er schwieg eine Weile und fuhr dann mit umflorter Stimme fort:

„Das alles ist schrecklich, lieber Herr Doktor, und doch erregt es mich weniger und wühlt mich nicht so in meinen Tiefen auf wie das, was ich Ihnen mitzuteilen habe. Wollen Sie mich, bitte, anhören?“

Doktor Splittericht neigte den Kopf und vermied es, seinem Gegenüber ins Gesicht zu sehen, denn Konsul Hermann kämpfte mit den Tränen.

Der Gang unter der Erde

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