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Beerdigung.

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Fliegenfuß war tot.

Vorgestern Abend war er noch mit der blonden Minna, die er zuletzt als Geliebte hatte, in den Dianasälen gewesen. Dann war Minna mit ihrem Freier nach Hause gefahren und Fliegenfuß ging noch in’s „Hackebrett“, wo im Hinterzimmer stets ein bißchen gespielt wurde. Und Fliegenfuß war ein leidenschaftlicher „Zocker“. Nur daß er sich immer vergab und zwar besonders dann, wenn seine Karte nicht dem entsprach, was er sich unter einem guten „Blatt“ vorstellte. Und da war’n anderer gewesen, „Sandhase“ hieß er, dem paßte das nicht, und dann gingen sie beide raus und dann hörte der kleine „Schnepper“, der drin am Billard gerade ’ne Serie machte, einen gräßlichen Schrei, und wie er hinausstürzt, liegt Fliegenfuß auf dem Pflaster und die Beine zucken gerade noch ’n paar mal, dann war’s alle ...

Fliegenfuß war ein sehr hübscher Kerl, und viele Mädchen aus dem Elsasser Viertel hatten die blonde Minna um ihn beneidet. Die Minna war auch noch im Tode stolz auf ihn. Da sie gerade ’n ziemlichen Zug gemacht hatte, so fuhr sie gleich in ein renommiertes Trauermagazin und kam als reizende junge Witwe wieder heraus, was nicht nur der pietätvollen Geliebten sehr wohl anstand, sondern auch ihr Geschäft merklich hob ... sie nahm sich sogar vor, nur noch Schwarz zu tragen ... Vor allen Dingen ging sie nach ’m Alexanderplatz und verdibberte Sandhas’n, den denn die Polente auch sofort hopp nahm. Er hatte sowieso ’ne Latte da oben, und das wurde nu alles gleich in Summa beglichen, deshalb nahm auch die blonde Minna seine Drohung, er würde ihr, sowie er erst wieder draußen wäre, „’n jeheerijen Platon schieben“, nicht allzu ernst.

Nun lag Fliegenfuß draußen in der Leichenhalle in Britz in einem prächtigen Eichensarge, der unter dem Holzdeckel einen festgefügten Glaskasten barg, damit man sich den Toten doch wenigstens noch mal ansehen könnte. Eben war der ganze Athletenklub „Zentrum“ draußen. Die Brieder vom Zentrum hatten morgen ihren Stiftungstag, und da fuhren sie jedesmal nach Zerpenschleuse raus, also konnten sie morgen nicht zur Beerdigung kommen, aber dafür waren sie eben heute hier, brachten auch heute schon ihre Kränze und erwiesen ihrem Kollegen die letzte Ehre.

„... Wa doch ein’tlich ’n hibscha Mensch!“ meinte Kürassierwilhelm ... „un muß nu schon wech ... wat hätte der sich noch amesieren kenn’!“

Dabei kuckten er und die andern angelegentlich in den Glassarg, wo auf blütenweißem Linnen der tote Zuhälter mit einem so friedlichen und ergebenen Zug auf dem wachsbleichen Gesicht dalag, als sei er nicht der berüchtigte Schläger, Messerstecher und Gewaltmensch Sally Wolff, alias Fliegenfuß, sondern ein Börsenjobber vielleicht; ein hübscher, harmloser, jüdischer junger Mann, dessen dunkles Haar und schwarzer Schnurrbart sich scharf abzeichneten von dem starren weißen Gesicht.

„Muß doch immerhin schon in de dreißig gewesen sein!“ sagte der kleine Schnepper, „wie a vor drei Jahre wiederkam von Rawitsch, da war a schonst einunddreißich .... un ’ch jloobe, a hat da seine fimf Jemmchen abjerissen ... weswejen wa doch det man bloß?“

„Aba, Mensch, det wa doch die drollige Geschichte, wo den franzö’schen Weinreisenden, der bei’s Weberklärchen wa, die Brieftasche wechkam ... mein Jott, wat ham se nach den Zasta jesucht!“

„Na, Du mußt et ja am besten wissen, Frettchen!“ lachte Kürassierwilhelm zu dem, der eben gesprochen hatte, einem kleinen, unansehnlichen und rothaarigen Menschen, der ein böses Gesicht hatte. Da lachten die andern auch und der kleine Schnepper sagte:

„Weeß da Deibel, Frettchen hat immer Schwein jehatt, ooch damals wie wa in den Schuhladen wa’n, wo der Besitzer vajessen hatte, ’n Schlissel von de Kasse abzuznehn ... ’k mußte meine sechs Monate richtich abschwimmen in de Pletze ... aba Frettchen, natierlich! der fand wieda ’n Stellvatreta ... sare ma, biste denn iebahaupt schon ma drin jewesen?“

Der kleine Rothaarige machte eine ungeduldige Bewegung mit den etwas schiefen Schultern, dann stieß er kurz und brummig hervor:

“Ja ... Untersuchung ......“

Und die andern sahen sich an und zwinkerten sich mit den Augen zu, aber sie sagten nichts, sie waren wohl zu zartfühlend, um den Rotkopf daran zu erinnern, daß er einmal mehr als ein Jahr hinter den eisernen Gardinen zugebracht hatte, weil man seitens der Behörde sehr stark zu der Annahme neigte, er habe seiner „Braut“ die Kehle durchgeschnitten.

Dann schlug der „Augsburger“ vor, in einer nahen Kneipe ’n Topp zu trinken, womit alle einverstanden waren.

„’Is ooch bessa, wa jehn“, sagte Kürassierwilhelm, „a fengt doch schon an ...“ und er faßte sich an die Nase.

„Ja, vadammt nochmal,“ meinte Schnepper und kratzte sich den Kopf, „man kann im Leben noch so sauba sein, kaum is ma drei Dare machulle (tot), dann stinkt man wie’n Hoppatz ... Schweinerei vadammte! sowat mißte nich sein!...“

„Ja, det is ebent die jettliche Weltornung,“ meinte Kürassierwilhelm bedächtig, „daran wirst Du nischt ändan un wir alle nich ... und wir ham uns doch eintlich ieberhaupt nich zu beklaren, wat fehlt uns denn?“

„Jo, Du!“ sagte der Augsburger und trank sein Seidel, wie ein echter Bayer, auf einen Zug leer, „Du konnscht di nit b’scheere, d’ hasch dei’ drei Mädele rumlaufe, dö bringe da scho d’ Miete z’samme! ... aba unsaans! ... wenn’s dös Unglick will un so a Frauenzimma wird amal unpaß, bal is z’ End mia dem Geldvadiene! ...“

„Jawoll,“ setzte Schnepper hinzu, „un wenn se mal keene eichne Bleibe (Wohnung) hat un se klettert ma bei een’, det heest, man jibbt ihr Obdach aus lauta Menschenfreindlichkeit“, in seinen kleinen grauen Augen flinkerte es bei diesen Worten humoristisch, „denn heeßt et jleich: schwere Kuppelei un so, un se lassen een ’n Knast schieben (Strafe absitzen), det man schwarz wird!“

„Oda man sieht sich ma jenötigt, seine Beere ’ne väterliche Zichtijung anjedeihn zu lassen,“ der Rothaarige machte dabei ’ne recht kräf ige Bewegung mit der Faust, „un die Schickse rennt hin un vamasselt een, denn heest et ooch jleich wieda, spinnen von wejen Netijung ...“

„Jawoll,“ flocht ein andrer ein, „un jetz’ knacken se een’ nich alleene ’n Ding uff, wat ’n Pfund wiegt, nee, nachher jibbt et noch’n Jemmchen (Jahr) Rummelsburch dazu, damit man’s Fett los wird, wie der Staatsanwalt neilich bei Kneiferpaul’n sagte, als der rin ing ... det nennen sie denn „Ibaweisung an de Landespolizeibeheerde“ ... Quatsch is et, sar’ ick! ... un unjesetzlich obendrin! ... wenn wir nischt jejen det Jesetz untanehmen solln, denn derf det Jesetz uns ooch nich so madich behandeln ...“

„Faß Dir, Karl,“ sagte Kürassierwilhelm, „die wissen schon janz jut, wat se dirfen un wat se nich dirfen ... det Jesabbere hat ja keen Zwerch ... ick für meine Parte, ick halte ma vollstendich neidral un nebenbei bin ick konservativ aus Ibazeijung un wähle imma ’n Kandidaten von de Rejierungspartei ... det weeß der Wachtmeesta ooch aus mein Revier un dadrum jrüßt a mir ooch un habe nischt auszustehn ... aba wißt a, nu ham wa eentlich jenuch jequatscht, wie wär’s denn jetzt mit ’ne kleene Taille?! ... hier draußen is ’t so jemietlich un hier steert uns ooch keen Mensch ...“

Kürassierwilhelms Vorschlag fand sofort Anklang und bald war mit Kreide ein kleiner Tempel auf den Gartentisch der Bierwirtschaft gemalt und Kürassierwilhelm, der mit seinen gewaltigen Schultern und dem mächtigen Körper seine Namen Ehre machte, zog als Bankhalter selber die Taille runter ...

Unter sämtlichen Briedern und besonders im Athletenklub „Norden“, dem der Erstochene angehörte, war gesammelt worden. Auch die ganzen Mädchen der Gegend hatten sich zusammengetan und Geld aufgebracht für die prachtvollsten Kranzspenden und Palmzweige. In den Nachtcafés war der einzige Gesprächsstoff die am Donnerstag stattfindende Beerdigung, und an dem hierbei zutage tretenden Zug der Zusammengehörigkeit hätte sich manche andere Kaste der hauptstädtischen Bevölkerung ein Beispiel nehmen können.

Am Donnerstag um zwölf Uhr mittags sammelten sich an die sechzig Droschken erster Klasse in der Elsasserstraße, und in jeder saßen zwei elegant gekleidete weibliche und zwei ebenfalls durchaus würdig kostümierte männliche Personen, die fast unter der Last der Kränze und Blumen verschwanden. Voran fuhr der Rabbiner mit zwei Verwandten des erstochenen Zuhälters. Sie hießen gleichfalls Wolff und waren beide mehrfach vorbestraft wegen Hehlerei, Wechselfälschung und wegen Vertriebs falschen Geldes. Im übrigen machten sie den Eindruck wohlhabender jüdischer Geschäftsleute. Und der Geistliche, der augenscheinlich ein milder und humandenkender Mann war, sprach mit ihnen, wie man mit Glaubensgenossen spricht, die wohl von dem Wege, welcher der richtige ist, abgewichen sind, die aber doch schließlich immer Glaubensgenossen bleiben und sich zur rechten Zeit an die Religion und ihre Gebote erinnern.

Auf dem Friedhof benahm sich die ganze Gesellschaft durchaus angemessen. Den Mädchen, wie all solchen Geschöpfen, die nur noch in der Liebessphäre leben und daher durchweg hysterisch sind, wurde es nicht schwer, herzzerbrechende Tränen zu vergießen. Und die Männer standen ernst und schweigsam um die Grube her, und einer oder der andere dachte doch vielleicht daran, wie schnell so ein wildes und ungesetzliches Leben endet und wie anders es früher war, als er noch arbeitete und zu denen gehörte, die jedem Schutzmann frei ins Auge sehen können.

Freilich, lange anhalten konnten solche ernsten Gedanken wohl kaum, denn als der feierliche Akt vorüber war, fuhren sämtliche sechzig Droschken nach einem nahen Vergnügungslokal, wo erst ein opulenter, schon vorher bestellter Leichenschmaus eingenommen, sehr viel getrunken und nachher flott getanzt wurde.

Die Kriminalpolizisten, die sich dem Kondukt per Rad angeschlossen, hatten nachher noch Gelegenheit, einige recht wertvolle Griffe zu tun. Unter andern fiel ihnen auch Kürassierwilhelm in die Hände, der nach der Stiftungsfestlandpartie noch einen Augenblick mit herangekommen war und nun unter dem Verdacht des gewerbsmäßigen Hazardspiels nach Moabit wandern mußte.

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