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Ein unerwarteter Handel
ОглавлениеKarl Menssen war einer dieser freien Schonenfahrer, der sich der Heringsschwärme bis ins schwedische Öresund hin bemächtigte. Seines Standes war er Kaufmann und Schiffer. Seine Familie war eine der Ersten und von Lübeck überhaupt, die das Recht an Gebieten und den Fang von Fischen um Schonen zugeteilt bekamen.
Von seiner Erscheinung her war Karl Menssen ein stattlicher Herr von fünfundvierzig Jahren mit festem Wohnsitz in der Hansestadt Lübeck.
Menssen war sehr geschickt, um nicht zu sagen gewieft, in seinem Handeln mit Fisch, jenen Heringen um Schonen, Stockfisch aus dem Norden als auch anderer Waren, wie Pelzen und Bernsteinen, wenn es seinen Interessen, um nicht zu sagen seinem Geldbeutel, dienlich war. Sein Erfolg gründete auch daher, dass er erkannte, dass er, wenn er Ware verkauft hatte, andere Ware zuladen musste, um nicht leer den Rückweg antreten zu müssen. Manchmal erledigte er auch einfach nur so einen Transport und verdiente sich dadurch nicht nur Ansehen.
Diesem Modell eiferten viele seiner Kaufmannskollegen nach. Ganz selten gehörten Gewürze zu seiner Handelsware. Nicht zuletzt, weil diese Ware unter der Federführung einer anderen Kaufmannsfamilie lag, der Familie Wittenborg unter der Führung von Johann, der das Geschäft von seinem Vater Hermann übernahm.
Der schwunghafte Handel mit Gewürzen wie Pfeffer und Safran begann aber erst um etwa 1401.
Nicht selten botete Karl Menssen Mitinteressenten aus, um seine angestrebte Handelsware zu erhalten. Dass im Endeffekt einige dabei auf der Strecke blieben, bewegte ihn nicht. Denn er hatte ein Weib und sechs Kinder, alles Knaben, zu ernähren. Allzu oft musste er als fürsorgender Familienvater diese Tatsache seinen Konkurrenten gegenüber als Argument für sein unerbittliches Vorgehen vorschieben, weil es eben so oft Streit wegen seiner skrupellosen kaufmännischen Methoden gab.
Eigentlich bestand kein Grund so hart mit seinen Handelspartnern und Konkurrenten umzugehen, denn der Familie Menssen ging es nicht schlecht, nein, eher sogar sehr gut und das war allgemein bekannt, auch außerhalb Lübecks. Umso unverständlicher war es, gerade für seine Kaufmannskollegen die selbst Kinder zu ernähren hatten, dass er sich dennoch so in den Vordergrund spielte. Kam es etwas lauter zu Unmut in diesen Kreisen, gab er gern an, dass schließlich zwei seiner Jungs im Handwerk tätig und nicht so wie er Kaufmann waren um ihn zu unterstützen, was viele Kinder anderer Kaufleute taten.
Sehr zum Leidwesen Menssens konnte sich in der Tat bisher keiner seiner Söhne für den Handel begeistern, auch sein drittältester Sohn war ebenfalls bestrebt sich anderweitig zu orientieren. Er wollte sich in der Medizin niederlassen, so wie sein Vater selbst es zuvor tat. Nur brach Karl Menssen auf Wunsch seines Vaters, der ebenfalls Kaufmann war, sein Medizinstudium ab und stieg in das Geschäft seines Vaters ein.
Das war nichts Ungewöhnliches zu jener Zeit. Damals ging man gern dem Wunsch des Vaters nach. Die Menssens waren derzeit in der vierten Generation Kaufleute und durch Karl Menssen würde dieses Gewerbe wohl noch lange in der Familie währen. Er hatte die Hoffnung, dass wenigstens einer seiner Söhne seinem Wusch das Geschäft zu übernehmen nachkam. Sein Jüngster, der Alois, schien sich dafür zu begeistern. Jedenfalls bekniete er immer seinen Vater bei seinen Handelsgeschäften dabei sein zu dürfen. Er hätte ihn gern mitgenommen, aber seine Frau war strikt dagegen, weil er noch zu jung für die See sei.
So streng und skrupellos Menssen in seinem Handeln auch war, umso liebevoller und nachgiebiger war er seiner Familie gegenüber.
Wir könnten jetzt fast annehmen uns im 21. Jahrhundert zu befinden. So ist es aber nicht, denn wir schreiben das Jahr 1356. Das Jahr in dem der erste allgemeine Hansetag, die Versammlung der Hansestädte, im Lübecker Rathaus stattfand.
Menssens Handelspartner waren die, die sich ausschließlich über den Seeweg erreichen ließen, eben wegen des Fischhandels.
Einer seiner Vorteile beim Handel war, dass er sowohl Latein als auch Russisch sehr gut sprach und schrieb.
Dass Menssen und seine Kollegen den Ostseeraum überhaupt bedienen konnten, war nur möglich weil Lübeck 1160 das Soester Stadtrecht erhielt und im Jahr darauf das Artlenburger Privileg. Dieses Privileg war damals außerordentlich wichtig für die Kaufleute Lübecks, weil sie dadurch rechtlich mit den dominierenden Gotländischen Kaufleuten gleichgestellt wurden und im Ostseehandel kräftig mitwirken konnten.
Nur sehr selten machte Menssen Touren die übers Land gingen und wenn dann nur wenn es sich nicht vermeiden ließ oder wenn der zu erwartende Gewinn seine Bedenken übertraf.
Einen dieser unüblichen und für ihn ungeliebten Handelswege sollte ihn Anfang 1361 nach Halle an der Saale führen. Es ließ sich im Verlauf eines Handelsangebotes dann doch nicht vermeiden, selbst den Landweg zu beschreiten. Es waren die Unruhen, die ihn selbst tätig werden ließen.
Der ortsansässige Kaufmann Hansen wurde bei Karl Menssen wegen einer größeren Handelsware vorstellig.
Menssen und Hansen kannten sich sehr gut. Sie konnten sich zwar nicht ausstehen, respektierten sich aber. Zumindest wenn das Thema Loyalität im Handel zur Sprache kam.
Hansen mied nach Möglichkeit die Gesellschaft Menssens, nicht nur wegen seiner unsagbaren Erfolge und Skrupellosigkeit in dem Geschäft, sondern auch, weil er Hansen damals seine Freundin Isolde ausspannte und später heiratete. Menssen hätte eigentlich nie seine Frau kennen gelernt, hätte nicht Hansen dieses Mädchen bei einer seiner kaufmännischen Unternehmungen aus Sachsen mitgebracht. Zu allem Überfluss zahlte Hansen auch noch einen nicht unwesentlichen Betrag an Isoldes Eltern für das damals vierzehnjährige Mädchen. Schließlich war Isolde zu der Zeit das älteste von 8 Kindern und trug für den Unterhalt ihrer Familie bei.
Hansen musste Isolde ja überall wie eine Trophäe herumzeigen. Auch oder gerade vor Menssen wollte er seinen Triumph zelebrieren. Er wusste, dass Menssen schon lange eine Frau suchte, aber nie die Richtige fand. Vielleicht auch weil er viel unterwegs war. Bei dieser Präsentation verliebte er sich in Isolde und sie sich in ihn. Keine Woche nachdem Hansen ihm Isolde vorstellte, zog sie bei Karl Menssen ein und sie heirateten einige Wochen später. Hansen versuchte noch das Geld, welches er ihrer Familie gab, von Menssen zurückzubekommen. Dass dieses Verlangen ohne Erfolg blieb, liegt beim Geschäftsgebaren Menssens auf der Hand. Verärgert zog sich Hansen zurück und sprach nie wieder ein Wort mit Karl Menssen.
Aber in diesem Fall musste er seinen Schwur brechen. Hansen kam mit einer bestimmten Handelsware nicht ohne Menssen zurecht. So kam es, dass Hansen in seiner Verzweiflung den Kaufmann Menssen zunächst um Hilfe in Form eines Kredites bat und dann, als er Menssens missmutiges Gesicht sah, für die stets ausgesprochene Loyalität plädierte und ihm eine Partnerschaft vorschlug.
„Hansen, es ist lobenswert, dass du dich an mich wendest, aber solange ich nicht weiß, um was für eine Ware es geht, werde ich keine Entscheidung treffen können. Das verstehst du doch, oder?“
„Menssen, zunächst wollte ich nur wissen, ob du überhaupt bereit bist einen Partner an deiner Seite zu sehen.“
„Wie gesagt, wenn ich nicht weiß, um was genau es geht, wirst du von mir keine zufriedenstellende Antwort erhalten können. Und so wie ich das sehe, wird es sich nicht um eine Ladung Heringe von den Wikingern handeln.“
„Nein, kein Fisch“, sagte Hansen aufgeregt. Und nachdem er Menssen eine Weile ins Gesicht sah, um bei ihm irgendeine Regung zu erkennen, sagte er, als Menssen keine Miene verzog und immer noch fragend dreinschaute: „Aber um Salz, Menssen.“
Bei dem Wort Salz musste sich Menssen zusammenreißen, um keine Luftsprünge zu machen. Endlich hatte er einen Weg gefunden, sich an dieser wertvollen Handelsware zu beteiligen.
Ein Temperamentsausbruch im Beisein von Hansen hätte den Gewinn für ihn um einiges geschmälert.
„Hansen, von wo abzuholen und nach wohin zu transportieren?“, fragte Menssen gelangweilt.
„Also, es muss aus Halle abgeholt, nach Moskau und Kiew transportiert werden. Die Abnehmer warten schon seit geraumer Zeit auf diese Lieferung“, antwortete Hansen ebenso gelangweilt.
„Soll das heißen, dass die Ware schon längst geliefert sein sollte, Hansen?“
„Nein, natürlich nicht. Das heißt lediglich, dass die Zeit drängt.“
Jeder wusste welche Zustände gerade in Russland und speziell um Kiew herrschten. Da sind Überfälle noch das geringste Übel. Obwohl der Seeweg nicht ungefährlicher war, aber die See und ihr Umfeld, damit konnte er sehr gut umgehen.
„Bist du überhaupt noch imstande einen klaren Gedanken zu fassen, Hansen? Du willst mich wohl ins Verderben schicken?!“
„Menssen, hast du überhaupt zugehört? Es geht hier um Salz. Und zwar nicht mal nur um eine Tüte, sondern um genau 1000 Salztonnen.“
„Das sind ja 405 Pfund oder etwa 135 Liter pro Tonne“, sagte Menssen etwas freundlicher. „Wie um Gottes Willen bist du an diesen Auftrag gekommen, Hansen?“
„Eher durch Zufall. Ein Kaufmannsfreund aus Halle hat sich an diese Ware, auch weil es nach Russland gehen soll, nicht rangetraut.“
„Und was ist mit den Wittenborgs? Haben die nicht die Hand auf diese Güter?“
„In der Regel schon. Da aber die Salzproduktion in Lübeck gedrosselt wurde, weicht auch ein Wittenborg nach Halle aus. Aber diesen Kaufmann in Halle hat der Wittenborg mächtig verärgert. Er hat ihn schlichtweg übers Ohr gehauen. Außerdem ist er, wenn es um Salz geht, ausschließlich in Lüneburg aktiv. Er hat keine Verbindungen woanders hin, wenn man so will.“
„Scheint ja ein toller Freund zu sein, dass er da an dich dachte. Aber bist du dir sicher, dass er dich, mit dem Bestimmungsort der Salzladung, nicht ins Verderben schicken will, so wie du mich jetzt?“
„Ich hätte mich doch nicht an dich gewandt, Menssen, wenn ich nicht wüsste, dass du weit und breit der Einzige bist, der Wittenborg und allen anderen die Stirn bieten kann und das mit Erfolg zu Ende bringt. Du hast auch als Einziger die Mittel dazu oder sagen wir mal so, mir ist niemand bekannt, der nur halbwegs das Zeug dafür hat.“
„Was soll denn das? Appellierst du jetzt an mein Ego? Na, egal. Gut, Hansen, lass mich das mal durchdenken, vielleicht bin ich dabei.“
Salzproduktion in der Hansestadt Halle an der Saale
Allein schon, dass es hier um Salz ging, welches als „weißes Gold“ bezeichnet wurde, prädestinierte Menssen für dieses Geschäft, zumal in Lüneburg nur begrenzt, wenn überhaupt Salzankäufe zu tätigen waren. Beide Vertragspartner wussten nun um den möglichen Verdienst bei diesem Auftrag, ließen es sich gegenseitig aber nicht anmerken.
„Menssen, du hast fünf Koggen und die fassen doch solche Mengen bequem.“
„Und was ist mit Pferd und Wagen, Hansen? Wir müssen über Land und da sind eben Pferde und Wagen unerlässlich. Außerdem werden wir einige Männer brauchen, die die Tour absichern. Das muss ich also auch noch irgendwie hinbekommen. Aber ich glaube da eine Idee zu haben.“
Hansen war es nicht möglich die finanziellen Mittel aufzubringen, sowie auch noch den Transport über den Seeweg zu bewerkstelligen, um diese riesige Ladung Salz von Halle nach Lübeck und dann nach Moskau und Kiew zu bringen.
So vereinbarten sie, dass Hansen den Landweg und er den Seeweg und Landweg nach Moskau und Kiew allein zu bewältigen hatten. Da Menssen keinen eigenen Transport, und schon gar nicht für sofort, über Land zur Verfügung hatte, stimmte er dem Angebot des Kaufmanns Hansen zu, allerdings nur dann, wenn Hansen seine gesamten Transportmöglichkeiten zur Verfügung stellte, welches er anstandslos bewilligte.
Nachdem das abgeklärt war, ging man jetzt die Einzelheiten bezüglich des Transports und der Finanzen durch.
Menssen bestand, nach Abzug aller Kosten, auf 60 Prozent der Einnahmen, die ihm Hansen schließlich auch widerwillig zusagte. Eines seiner Argumente für den Löwenanteil des Gewinns waren eben die Unruhen, die gerade in den Regionen der Anlieferung des Salzes herrschten, was allerdings auch für den Seeweg zutraf. Hansen verlangte im Gegenzug einen schriftlichen Vertrag für die Aufteilung der Arbeit nebst seiner Fuhrwerke, die er bereitstellt und des zu erwartenden Gewinns.
„Menssen, wir müssen noch zum Bürgermeister Wittenborg um das Schreiben beglaubigen zu lassen.“
„Ist mir klar, Hansen. Nur glaube ich, dass wenn er von dem Salzgeschäft erfährt, er uns einen Strick daraus drehen wird.“
„Das Risiko müssen wir halt eingehen.“
„Du hast ja recht. Die Unterschrift muss rauf um diesen Handel amtlich zu machen.“
Sowie per Handschlag abgemacht, gingen sie zum Schreiber der Stadt Lübeck und setzten eine Urkunde auf.
Danach gingen sie mit gemischten Gefühlen los und ließen die Urkunde vom Lübecker Bürgermeister Johann Wittenborg beglaubigen, der diese dann, darauf bestand er, in der Trese, dem Tresor der Stadt in der Marienkirche, wegschloss. Diese Trese war mit sieben Schlössern gesichert. Beide wunderten sich im Nachhinein, dass der Bürgermeister keine Fragen stellte.
Wittenborgs Schweigen konnte auch damit zusammenhängen, dass eine Salzlieferung seines Vaters Hermann nach Schweden und Dänemark von Räubern überfallen wurde. Alle seine Männer wurden getötet, bis auf einen. Dieser konnte die schlechte Nachricht, dass die Männer tot waren und die Salzladung verloren war, bis nach Lübeck zu Hermann Wittenborg tragen.
Nachbau einer Hansekogge um 1400 mit dem Wappen des Deutschen Ordens in den Segeln. Sie hatte eine Länge von 21 Metern, eine Breite von 7 Metern und wurde aus Eichenholz gefertigt. 1962 wurden beim Ausbaggern der Fahrrinne im Bremer Hafen Teile einer solchen Kogge entdeckt. Jene Kogge soll, so die Vermutung der Archäologen, bei der Sturmflut 1380 gesunken sein. Es ist die einzige Kogge die je gefunden wurde.
Johann Wittenborg wurde 1321 in der Johannisstraße 9 in Lübeck geboren. Schon sehr früh wurde er von seinem Vater Hermann um die Welt geschickt, um ihn mit den Gegebenheiten des Handels vertraut zu machen. Mit von der Partie war immer der gleichaltrige junge Brun Warendorp (auch Bruno von Warendorp). Zwischen Wittenborg und Warendorp bestand eine lebenslange Freundschaft.
Seinen Weg zu den Ratsherren ebnete sich Wittenborg durch die Heirat mit Elisabeth von Bardewik, der Tochter eines der einflussreichsten Ratsherren Lübecks. Durch diese Heirat erhielt er Zutritt zur politischen Elite. Mit gerade einmal dreißig Jahren wurde er selbst Ratsherr. Nur reichte ihm das nicht aus, er wollte mehr. Und er sollte seine Ziele erreichen.
Einige Jahre später kam er für die machtvollste Position Europas infrage. Er wurde Bürgermeister der Hansestadt Lübeck.
Nun war er der gefragteste Mann der Hansestadt und darüber hinaus. Auch weil der Lübecker Bürgermeister der angesehenste Mann seiner Zeit war.
Wittenborgs Handelswege reichten nun vom Baltikum bis nach Flandern und London.
Johann Wittenborg
Übrigens hatte Hermann Wittenborg ein Handelsbuch geführt, welches sein Sohn Johann weiter führte. Jenes Handelsbuch ist im Original erhalten und befindet sich heute im Archiv der Hansestadt Lübeck. Dass es überhaupt noch da ist, liegt daran, dass man dieses Handelsbuch zu Johann Wittenborgs Lebzeiten vom Rat beschlagnahmen ließ. Ein Glücksfall für die Historiker.
Auszug einer Seite aus dem Handelsbuch der Wittenborgs. Erledigte Geschäfte wurden von den Wittenborgs selbst ausgekreuzt.
Auf seinem Weg nach Hause hatte Menssen, wie so oft wieder, ein komisches Gefühl im Magen, weil er die Urkunde beim Bürgermeister zurücklassen musste. Er wusste, dass das nicht gut für ihn war, sie dort zu belassen. Er hätte diese Urkunde lieber bei sich. So kam es, dass er noch am späten Abend beim Bürgermeister vorstellig wurde und die Urkunde für einen Nachtrag, so seine vorgetäuschte Angabe, abverlangte. Er gab sie ihm mit einer Selbstverständlichkeit zurück, der er hätte so nicht nachgehen dürfen. Er betonte allerdings: „Das kann ich ohne Hansen nur so handhaben, weil Sie ein gefragter Kaufmann und Ehrenmann sind.“
Da ihm der Bürgermeister Johann Wittenborg diese Urkunde ohne Beisein Hansens aushändigte, konnte er sich der Verschwiegenheit des Bürgermeisters sicher sein. Wäre dieser Vertrauensbruch Hansen gegenüber ans Tageslicht gekommen, hätte man ihn und wahrscheinlich auch Wittenborg gelyncht.
Dass die Salzladung aus Halle jetzt sechs Koggen benötigen würde, bereitete Menssen keine Sorgen. Er selbst besaß fünf dieser neuartigen Schiffe und ein Verwandter aus Hamburg eine weitere Kogge. Er bemühte seinen Neffen Klaus öfters, wenn es um eine größere Ladung ging. Klaus war auch Kaufmann, aber nicht so erfolgreich wie sein Onkel Karl.
Karl Menssen war in Lübeck nicht der mächtigste Kaufmann seiner Zunft, aber der den man fürchtete. Menssen war nicht gewalttätig, aber da wo er geschäftlich agierte, zogen alle anderen immer den Kürzeren. Hin und wieder wurde ihm deswegen von angeheuerten Schurken aufgelauert und er sollte verprügelt werden. Aber jedes Mal bezogen die Angreifer selbst Prügel von Menssen.
Als sich Hansen im Juli 1360 mit seinem Track und über 50 Mann Begleitung nach Halle aufmachte, fing Menssen an seine Mannschaft zusammenzustellen und die Route auf dem Landweg zu planen.
Aufgrund der Machtkämpfe in der Region um Moskau und Kiew gestaltete sich seine Planung etwas komplizierter als erwartet. Die Wege, die jetzt zurückzulegen waren, sind um einiges weiter und die Kosten für den Transport dementsprechend teurer. Hinzu kommt, dass er einen Führer aus der Region bemühen muss, um seine Ware halbwegs heil an den Mann zu bringen.
Als Hansen nach zehn Wochen immer noch nicht aus Halle zurück war, wurde Menssen unruhig. Denn schon in diesen Transport hatte er viel Geld und einige seiner Männer gesteckt. Seine Männer deswegen, weil er dem Hansen einfach nicht über den Weg traute. Deswegen bestand Menssen darauf, dass eben 20 seiner besten Männer den Transport nach Halle begleiten sollten.
Mit vier Wochen Verspätung trudelte Hansen endlich mit den Ladungen Salz in Lübeck ein. Er und Menssens Leute berichteten von zwei Überfällen, was ein pünktliches Erscheinen unmöglich machte. Da nun auch die Ladung unberührt eintraf, machte er trotzdem einen zufriedenen Eindruck.
„Hansen, wir müssen die Ladung zwischenlagern. Ich kann unmöglich jetzt los.“
„Warum nicht, Menssen?“
„Wir haben Anfang November, ich würde dann bei Eiseskälte in Russland landen. Vor März geht gar nichts.“
„Dann kommen ja wieder Kosten auf uns zu.“
„Ja, leider. Aber das werden wir schon hinbekommen.“
„Wenn ich fragen darf: wie?“
„Noch habe ich eigene Lagerkapazitäten frei. Du musst halt nur dafür Sorge tragen, dass sich keiner daran vergreift.“
Als jetzt noch Hansen im Gegenzug darauf bestand, dass auf jedes der sechs Schiffe zehn seiner Mannen als Begleitung mit sollten, gab Menssen bekannt, dass alle Plätze für die Überfahrt nach Russland belegt seien. Er gab ihm aber die Option, dass, wenn er ein weiteres Schiff auf eigene Kosten anheuerte, er gern bereit sei, dem zuzustimmen. Schnell war die Idee von Hansen Geschichte, weil er bis dato nur investiert hatte und sich einfach keinerlei Zusatzkosten mehr leisten konnte.
Im Prinzip sah es doch so für Hansen aus: Wenn es schief ging, war er pleite und seine gutgläubigen Geldgeber vielleicht auch.
Hansen stellte nun täglich Leute ab, die die Salzladung bewachten.
Endlich, das Wetter gab es her, konnten die Schiffe Ende März beladen werden.
Nachdem die Ladung auf den Schiffen verteilt war, ging es auch schon los. Moskau war das erste Ziel, welches Menssen ansteuerte. Nicht nur weil es noch ein sicherer Weg war, sondern auch weil dort zwei Drittel der Ware ausgeliefert werden mussten.
In Riga angekommen, wurden alle sechs Schiffe vor Anker gelegt und die Ware der sechs Koggen an Land gehievt. Anschließend wurden fünf der Schiffe und die Hälfte der Mannschaft sofort nach Lübeck und Hamburg zurückgeschickt. Menssen und seine Crew machten auf dem Landweg weiter. Auf halber Strecke in Welikije Liki, einer größeren Ortschaft, blieb die Ware für Kiew schwer bewacht stehen. Diese Ortschaft empfahl der einheimische Führer, denn seine Familie war seit dem Ende des 12. Jahrhunderts dort ansässig und kannte sich dementsprechend bestens mit den Gegebenheiten in dieser Region aus. Menssen versprach, bevor er weiter fuhr, sofort nach dem Moskauhandel mit seinen Männern wieder zu der zurückgebliebenen Gruppe in Welikije Liki und der Ware aufzuschließen.
In der Regel war es so, dass sich die Crew mehrere Monate nach solchen Touren am Bestimmungsort der Ware amüsieren durfte.
Der Weg nach Moskau war sehr beschwerlich. Sehr oft mussten sie Wochen in Wäldern verharren, weil immer wieder kleinere Armeen Überfälle verübten. Nur der Verkauf in Moskau selbst lief sehr gut und wie versprochen reiste er sofort wieder ab nach Welikije Liki. Wie einer der Späher zuvor angab, gab es für den Transport bis Kiew selbst keine Probleme. Nur in der Stadt Kiew soll es nicht ganz so gut gehen.
Menssen transportierte jetzt seine anderen Waren mit einem flauen Gefühl im Magen, obwohl keine Kämpfe prognostiziert wurden. Und er sollte mit seinem Gefühl recht behalten. In Kiew sollten, wie jetzt vom Späher berichtet, Unruhen herrschen. Dementsprechend legte er, in Zusammenarbeit mit seinem Führer, seine Route erneut fest. Diese Änderung kostete sechs Monate zusätzliche Zeit.
Der Grund für die andauernden Kämpfe in Kiew lag schon lange zurück.
Nach dem Tode Swjatoslaws III. 1194 setzte der endgültige Zerfall des Kiewer Reiches ein. Die fürstlichen Fehden während der folgenden vierzig Jahre wurden begleitet von verheerenden Überfällen. Kiew war zu der Zeit eines von vielen politischen Zentren. Immer wieder gab es Feldzüge gegen Kiew. Die Streitigkeiten unter den Rurikiden, der benachbarten Fürstentümer, setzten sich bis zur mongolischen Eroberung Kiews im Jahr 1240 fort.
Die Rurikiden sind das russische Fürstengeschlecht, aus dem russische Großfürsten und Zaren sowie viele heute noch blühende Fürstengeschlechter hervorgingen. Sie gehen auf den Wikinger, den Warägischen Fürst Rurik, der als Gründer des russischen Staates im Jahr 862 gilt, zurück.
Jedes Adelsgeschlecht was gerade Kiew eroberte, setzte einen neuen Stadthalter für Kiew ein. Und dieser Umstand bereitete Menssen richtig Kopfschmerzen. Er weiß nicht, ob noch immer der das Sagen hat, mit dem er vor fast 2 Jahren schriftlich verhandelte.
Aber seine Sorgen bestätigten sich nicht. Der Transport lief zwar nicht reibungslos, aber in Kiew herrschten noch immer die gleichen Zustände und der gleiche Eroberer wie bei Vertragsabschluss -die litauische Streitmacht- die Kiew seit der Schlacht am Irpen um 1321 regierte, und jetzt unter dem Stadthalter Nowikow verwaltet wurde.
Im März 1362 traf er bei dem Salzabnehmer, also dem derzeitigen Stadthalter ein. Von ihm erfuhr er von den Untergängen seiner Handelsschiffe, auch das seines Neffen Klaus. Wie es speziell mit den Besatzungsmitgliedern aussah, ob und wer überlebte, war zum Zeitpunkt der Information nicht bekannt. Allerdings munkelte man, was auch der Stadthalter für möglich hielt, dass keiner der Besatzungsmitglieder überlebt haben soll.
Da ja nun der Wert der Ware zuvor taxiert wurde und der Vertragspartner sich nicht geändert hatte, nahm Menssen an, dass es jetzt in Kiew genau so gut wie in Moskau laufen würde.
Es sah derzeit etwas anders aus in Kiew. Es waren zwar noch die gleichen Machthaber am Ruder, nur die Kassen waren so gut wie leer. Aber der Stadthalter von Kiew Nicolai Nowikow bot Menssen, neben wenigen Gold- und Silbermünzen nur Bernsteine, einige Wertgegenstände, wie Ikonen, Statuen und zum Schluss auch noch Edelsteine als Ausgleich, weil kein Geld vorrätig war, an.
Das war zu der Zeit durchaus üblich, aber nur als Zugabe und nicht wie in dem Fall als Hauptzahlungsmittel.
„Nowikow, so werden wir uns nicht einig. Ich habe meine Mannschaft und einen Partner zu bezahlen.“
„In fünf oder sechs Monaten kann ich Geld auftreiben. Wenn Sie bis dahin warten wollen?“
„Wie soll das gehen, Nowikow? Wir sind jetzt schon zu spät dran und meine Kasse ist auch nicht so gefüllt wie ich es gerne hätte.“
„Sie werden natürlich bis dahin meine Gäste sein. Was sagen Sie dazu?“
„Schön, ich lasse mich darauf ein. Aber egal wie sich das hier entwickelt, ich muss allerspätestens im August wieder los.“
„Da werden Sie wieder zu Hause sein, wenn alles gut geht.“
„Na, das ist aber sehr optimistisch. Wir haben wegen der Überfälle ein Jahr bis hierher gebraucht.“
„Ach, Menssen, das beruhigt sich bis dahin wieder.“
Wie es Nowikow anbot, konnten er und seine Männer ohne entstehende Kosten in Kiew verbleiben. Nur das mit dem Zahlungstermin klappte nicht, sodass Menssen im September immer noch in Kiew fest hing.
Menssen suchte Nowikow in seinen Privatgemächern für ein Gespräch auf.
„Oh, Menssen, Sie bei mir. Was kann ich für Sie tun?“
„Ist Ihnen aufgefallen, dass der August an uns vorbeizog und wir mittlerweile September haben? Ich werde dieses Jahr nicht mehr zurückkommen.“
„Dann seien Sie weiter unser Gast. Vielleicht kommt bis zu Ihrer Abreise doch noch Geld ins Haus.“
„Gut, bis März muss… kann ich bleiben, dann müssen wir uns etwas einfallen lassen.“
„Keine Sorge, Väterchen, bis dahin habe ich genug Geld aufgetrieben.“
Und es wurde März. Menssen hatte Nowikow einige Monate nicht mehr zu Gesicht bekommen. Gerade als er sich aufmachte um ihn zur Rede zu stellen, erschien er in seinem Lager.
„Menssen, kommen Sie mit, ich habe Geld aufgetrieben.“
Menssen konnte nicht fassen, was er an Geld bekam.
„Das wird nicht reichen, Nowikow!“, sagte Menssen etwas lauter.
„Beruhigen Sie sich. Ich weiß, dass das nicht reichen wird. Schauen Sie mal hier“, sagte Nowikow und öffnete eine riesige Truhe.
Egal was Nowikow ihm aus der Truhe auch anbot, Menssen war nie zufrieden.
Aber dann sah Menssen einen Gegenstand, der ihm bekannt vorkam. Er glaubte diesen Gegenstand vor Jahren auf einer der vielen Ikonen gesehen zu haben, die ihm früher schon mal ein Stadthalter anbot. Im Gegensatz zu seiner Erinnerung fehlte ihm da aber ein Detail, um es zu dem zu machen, wofür er es hielt.
Er zeigte darauf und sagte: „Das noch.“
„Das? Nein, das geht nicht“, antwortete Nicolai Nowikow mit festem Ton.
„Warum nicht? Ist doch nur eine olle Schale mit einigen Steinen darauf“, erwiderte Menssen mit dem Versuch den Gegenstand abzuwerten.
„Sie scheinen wirklich nicht zu wissen, was das hier ist, oder?“
„Sie werden mir schon sagen, um was es sich bei diesem Gegenstand handelt, Nowikow.“
„Sie wissen doch was das ist, Menssen, sonst würden Sie nicht darauf bestehen.“
„Nun, anfangs dachte ich schon an etwas Bestimmtes, aber da fehlt was dran, etwas was das Bild, was ich im Kopf habe, vervollständigen würde.“
„Das ist richtig und gut erkannt, Menssen. Es fehlt der Zobel, der Ihre Schale zur Mütze macht. Das ist nicht ungewöhnlich, dass der Zobel fehlt, weil er immer wieder mal ausgetauscht wird. Sie wissen schon, wenn das Fell vor sich hin rottet.“
„Sind Sie sich da wirklich sicher, dass es sich bei diesem Gegenstand um das handelt, woran ich womöglich denke, Nowikow?“
„Ja, es ist die Mütze des Monomach, also keine Schale, wie Sie es abwertend nannten.“
„Quatsch. Wenn es tatsächlich die Mütze des Monomach ist, dann würde sie doch nicht so achtlos hier herumliegen. Aber egal, die nehme ich noch und wir sind uns handelseinig.“
„Handelseinig nur…“, gab Nowikow dem Drängen Menssens nach, „…wenn ich im Gegenzug alle Ikonen zurückbekomme.“
Menssen tat als würde er das Angebot abwägen und setzte schon zu einem erneuten Gebot an, als ihn Nowikow unterbrach und sagte: „So oder gar nicht.“
Menssen streckte die Hand aus und beide besiegelten dieses Geschäft.
Als Menssen loslassen wollte, hielt Nowikow seine Hand noch fest und sagte: „Die Sache mit Ihrer Schale bleibt aber unter uns.“
Menssen nickte mit einem Lächeln und machte sich am gleichen Tag Richtung Schiff auf, um dann zurück nach Lübeck zu segeln.
Der Landweg bis zum Schiff ging ziemlich flott, im Gegensatz zum Salztransport. Auch die Überfälle waren weniger.
Im August 1363 trafen sie in Riga ein. Eine Woche dauerte es noch bis die Mannschaft sein Schliff klar zum Auslaufen brachte. Menssen atmete tief durch und begab sich als Letzter auf sein Schiff.
In seiner Kajüte legte er diese Mütze, einige kleine Statuen, die er als wertvoll erachtete, die Edelsteine und mehrere Goldmünzen in seine private Truhe.
Dann richtete er sich langsam auf, weil er sich an den Untergang der Schiffe erinnerte. Es war nicht der Kummer der ihn nachdenklich werden ließ, sondern ein absurder Gedanke.
„Was ist, wenn bekannt wird, dass dieses letzte Schiff auch untergegangen ist?“ schoss es ihm durch den Kopf.
Er rief seine Mannschaft zusammen und erzählte, dass es in Kiew nicht so gut lief, wie er erwartet hatte.
Dann schilderte er seiner Crew seinen Plan.
„Männer, wie ihr wisst, sind fünf meiner Koggen von Piraten überfallen und versenkt worden. Wir können zwar von Glück reden, weil die Waren zuvor gelöscht wurden, dennoch muss ich die Gesamtheit der Lage als gescheitert betrachten, schon in Anbetracht der vielen Männer die wir verloren haben und dem miesen Erfolg in Kiew. Dennoch können wir dieses Missgeschick als Vorteil für uns ausnutzen. Schließlich wollt ihr doch alle eure Heuer, oder?“
Ein kräftiges „Ja“ hallte über die Ostsee.
„Gut, Männer, nun zu meinem Plan. Wir werden angeben, dass auch wir von Piraten überfallen wurden und auch diese Kogge versenkt wurde. Um diese Täuschung zu bewerkstelligen werden wir nicht die Küste absegeln, sondern einen ganz kleinen Umweg nach Gotland machen und diese Kogge verkaufen müssen. Im Gegenzug werde ich ein kleineres Schiff erwerben und noch Geld über haben, welches ich dann unter euch aufteilen kann.“
Nach dem Angebot flogen Mützen durch die Luft und die Mannschaft grölte ein „Halleluja“. Das war ein eindeutiges Zeichen der Zustimmung für Menssen und seine Idee.
Eine Sache bereitete ihm allerdings immer noch Sorgen, und zwar die Unterschrift vom Bürgermeister auf der Urkunde. Mit der Urkunde muss er dem Hansen wenigstens etwas bezahlen. Nicht, dass er das Geld nicht hätte, aber von seinem jetzt geringeren Verdienst wollte er nichts mehr abgeben. Es ist zwar mehr als er hätte, wenn alles nach vorheriger Vereinbarung laufen würde, aber müsste er jetzt teilen, wäre der Gewinn erheblich geringer. Nachdem er gedanklich durchspielte wie er Hansen gegenüber vorgehen würde, verbrannte er die Urkunde.
Während seiner mehr als zweijährigen Handelsreise brodelte ein erbitterter Kampf um die Werte der Hanse. Jeder wollte teilhaben an den Erfolgen Lübecks und seinen Kaufleuten, so auch König Waldemar IV. von Dänemark.
Lübecks Reichtum und Machenschaften, wie er den Handel benannte, waren ihm schon immer ein Dorn im Auge. Er wollte für sich und sein Volk am Reichtum und den Privilegien Lübecks teilhaben und forderte die Hansestadt heraus. Er rüstete sich mit einer starken Flotte gegen Lübeck aus. Als Waldemar IV. 1361 Gotland erreichte und die Schlacht um Visby durch Kapitulation für sich entscheiden konnte, bat man Wittenborg um Hilfe.
Mit der Einnahme Visbys, einem strategischen Punkt der Hanse, war das zu Ertragene erreicht. Denn Visby auf der Ostseeinsel Gotland war derzeit der Mittelpunkt und Verteiler für den Umschlag von Waren von Ost nach West und zurück.
Nach der Eroberung der Hansestadt Visby verlor diese den Anspruch des ersten Hauptortes der Hanse. Dies fiel nun Lübeck zu.
Diese für die Kaufleute und Bürger Lübecks unerträgliche Eroberung sowie die Beschneidung ihrer Rechte und Errungenschaften machten aus dem Bürgermeister Wittenborg einen Krieger. Unerträglich deswegen, weil die Dänen jetzt auf dem strategisch wichtigen Punkt saßen. Ab sofort waren der Handel mit Pelzen und Wachs sowie der Importeur für Luxusgüter aus Russland empfindlich gestört, wenn nicht sogar gefährdet. Und das wollten die Kaufleute mit all ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln unterbinden.
Unter dem Befehl Wittenborgs griff man mit 27 Koggen und etwa 300 Söldnern und Bürgern Lübecks 1362 Waldemars Flotte an. Wittenborg befehligte die bis dato größte Kriegsflotte der Hanse. Sein Ziel: das Reich des Königs Waldemar IV.
König Waldemar IV. Atterdag von Dänemark
(1321-1375)
Vor der schwedischen Küste kam es dann zu einem direkten Konflikt zwischen Waldemar IV. und Wittenborg. Es ging, und das war allen Beteiligten klar, um das seit über 500 Jahren bestehende und Europa übergreifende Bündnis, welches die Hanse prägte. Einer seiner Truppenführer war sein Freund Brun Warendorp.
Der Krieg gegen Waldemar IV. war nicht von Erfolg gekrönt. Wittenborg und die Bürger Lübecks mussten, genau wie vormals Visby, kapitulieren. Jetzt diktierte der siegreiche König von Dänemark die Bedingungen. Er verlangte hohe Lösegeldforderungen, die Wittenborg mit der Kapitulation und dem Siegel der Hansestadt Lübecks beglaubigte. Die Zusage der Geldforderungen gefiel den Kaufleuten nicht. Zumal jetzt auch der Weg durch die Nordsee von den Dänen versperrt war und dies den Handel empfindlich beeinflusste.
Das besiegelte auch Wittenborgs Schicksal. Er wurde in Ketten gelegt und das ohne Angaben von Gründen.
1362 wurde er vom Stadtrat zum Tode verurteilt und im Jahr darauf im August auf dem Marktplatz geköpft. Ein Grund für seine Hinrichtung, so erzählte man sich, war unter anderem auch, dass die Stadt Lübeck jetzt die in die Höhe schießenden Reparationskosten an Dänemark zu leisten hatte.
An die Schlacht von 1361, einem Blutbad, erinnert heute das Waldemarkreuz am Ort des Geschehens - Visby.
Aber die verlorene Schlacht und die Lösegeldforderungen sollen nicht der wahre Grund für seine Hinrichtung gewesen sein. Vielmehr soll es um seine geschäftlichen Machenschaften gegangen sein, die dann seinen Tod verlangten. Er soll Wucherzinsen von bis zu 35% anstatt der üblichen 6% verlangt haben. Und Wucher sowie Unterschlagung hatten zur damaligen Zeit den Tod zu Folge, weil das ein Verstoß gegen den Ehrenkodex der Kaufleute war. Zudem soll er sich als Provisor (Verwalter) am Kirchenvermögen vergriffen haben. Nicht umsonst wurde das Handelsbuch der Kaufmannsfamilie Wittenborg zuvor beschlagnahmt.
Was Menssen nicht wissen konnte war, dass die Dänen während seiner zweijährigen Abwesenheit unter der Herrschaft Waldemar IV. Lübeck angegriffen hatten, worauf Lübeck sich dann unterwerfen musste. Und dass der Bürgermeister Johann Wittenborg die Verteidigung der Stadt Lübeck in seine Hand genommen hatte und die Schlacht verlor. Er wusste zwar, dass ein Krieg in Gange war, aber nicht, dass Wittenborg tot war.
Also ahnungslos bezüglich der Ereignisse um Johann Wittenborg traf Menssen im Oktober 1363 wieder in Lübeck ein.
Sein erster Weg ging zu seiner Familie. Er wollte schon den Hansen aufsuchen und ihm einiges erklären, aber als er von dem Missgeschick des Bürgermeisters erfuhr, beließ er es nur bei dem Gedanken.
Hansen war nicht nur hartnäckig in seinen Vorhaben, sondern auch um seinen Verdienst bemüht. Und so kam es, dass er schon wenige Stunden nachdem Menssen nach Hause gekommen war, bei ihm an der Haustür klopfte.
Karl Menssen stürzte zur Tür, weil er vermeiden wollte, dass seine Frau oder eins seiner Kinder die Tür öffneten. Er konnte sich schon denken, wer da so kräftig an seine Haustür pochte.
Menssen öffnete die Tür und fragte erstaunt: „Hansen, was willst du denn hier? Kannst du nicht abwarten, bis ich dich morgen aufsuche? Wie du weißt, war ich lange unterwegs. Jetzt möchte ich erst mal die ersten Stunden meiner Familie widmen. Ich hoffe doch, dass du dafür Verständnis aufbringst.“
„Ich wollte nur meinen zugesicherten Anteil abholen.“
„Ach, Hansen, du Ahnungsloser. Es müsste auch bis zu dir durchgedrungen sein, dass wir von Piraten überfallen und unsere Koggen versenkt wurden.“
„Natürlich habe ich davon gehört, allerdings soll es sich nur um fünf Koggen gehandelt haben, die untergegangen sind.“
„Die sechste auf der ich mit meiner Crew war, erlitt dasselbe Schicksal, Hansen. Das Geld welches mir, Gottlob, blieb, reichte gerade so für ein kleines Schiff, um meine Mannschaft und mich nach Hause zu bringen.“
„Für den Schaden kommt doch die Hanse auf.“
„Wenn ich Glück habe, die Hanse ist ja auch gebeutelt.“
„Na, egal. Mich interessiert… oder sag mir mal bitte, was das für Kisten waren, die du mitgebracht hast.“
„Es waren keine Kisten, Hansen, sondern nur eine und darin befand sich nichts Verwertbares.“
„Und warum mussten zwei deiner Leute an dem Nichts schleppen?“
„Kannst du dir das nicht vorstellen? Wir waren Monate unterwegs, hatten kaum Nahrung und kaum Trinkwasser. Wir sind alle geschwächt. Und… wie gesagt, ich werde gleich morgen mit dir alles besprechen. Du kannst ja indes zum Bürgermeister gehen und dir die Urkunde von ihm geben lassen.“
„Der ist tot.“
„Wie bitte, tot? Wie das? Er war doch noch nicht so alt. Das ist aber traurig, Hansen.“
„Traurig hin oder her. Ich war vor Tagen schon da. Keiner konnte diese Urkunde finden.“
„Wir werden sie aber brauchen, wenn du dein Geld haben willst.“
Mit diesem Satz schlug er Hansen die Tür vor der Nase zu.
„Karl, wer war das an der Tür?“, wollte Isolde wissen, als er die Küche betrat.
„Ach, nur der Hansen. Hat er doch versucht. die Urkunde, auf der die Vertragsbedingungen standen, ohne mich zu holen. Isolde, sei bitte so lieb und mach mir was zu essen, ich bin hungrig.“
Isolde tat wie ihr Mann ihr auftrug und Menssen ging in den Keller, um nach seiner Truhe zu schauen.
Nach dem Besuch von Hansen verkniff sich Menssen ihn aufzusuchen. Er war der Meinung ihm deutlich genug seine Lage geschildert zu haben, zumal Hansen auch keine Urkunde, die ihm den Anteil des Handels zusicherte, vorzeigen konnte.
Wie auch, denn die war ja bei seiner Überfahrt in Flammen aufgegangen.
Hansen versuchte immer wieder mal Menssen abzufangen um ihn zur Rede zu stellen und um seinen Anteil zu fordern. Er stieß aber immer wieder nur auf taube Ohren. Selbst Drohungen wie, dass er ihm das Haus unter den Füßen wegbrennen würde, beeindruckten Menssen nicht.
Nun die Früchte seines Schaffens schwinden sehend, beschwerte sich Hansen bei Gott und aller Welt über Menssens Betrug. Alle Beteuerungen und Klagen an öffentlichen Stellen nutzten dem Hansen jedoch nichts, weil er nie beweisen konnte, dass es eine solche Abmachung und eben jene Urkunde je gegeben hat.
Hansen verstarb wenige Monate danach in bitterster Armut, nachdem alle Instanzen seine unzähligen Anliegen ablehnten.
Waldemar IV. überfiel immer wieder wichtige strategische Punkte der Hanse. So fiel ihm unter anderem, neben Visby, auch noch Schonen zu.
Aus dieser Not heraus wurde am 9. November 1367 die Kölner Konföderation gegründet. Im Kölner Rathaus vereinbarten die Hansestädter einen Pfundzoll zur besseren Finanzierung eines Krieges, des Krieges 1367-1370 gegen Waldemar IV. Und diesmal stand die Koalition der Dänengegner zu ihrem Wort, nicht zuletzt, weil alle unter den Überfällen Waldemar IV. litten. 1368 wurde Waldemar IV. der Krieg erklärt.
Wohl die Bestimmung wollte es, dass der langjährige Freund Wittenborgs, Brun Warendorp, den zweiten Krieg gegen Waldemar IV. als Kommandant führen würde.
Brun Warendorp wurde 1366 Ratsherr und ein Jahr später zum Bürgermeister Lübecks gewählt.
Brun Warendorp wurde zum Kommandanten der Lübecker Truppen ernannt, die aus der Kölner Konföderation entstanden. Diese Konföderation bestand aus 57 Hansemitgliedern sowie den niederländischen Städten Amsterdam, Harderwijk und Brille. Dank der neuen Feuerwaffen konnten sie Dänemark einnehmen. Nun galt es für Warendorp und seine Truppen, Helsingborg, das Nadelöhr zur Nordsee, einzunehmen. Diese Festung ergab sich schließlich wegen der Übermacht und somit war der König von Dänemark besiegt. Ebenfalls zurückerobert werden Schonen und Visby. Dieser Sieg kostete Brun Warendorp 1369 allerdings das Leben. Er war vor Helsingborg gefallen.
Die Einnahme von Helsingborg legte die Grundlage für den Frieden von Stralsund im darauf folgenden Jahr. Lübeck erhielt seine Privilegien zurück und zusätzlich ein Mitspracherecht auf die Nachfolge des dänischen Throns.
Etwa zur selben Jahreszeit, nur ein Jahr später, 1370 machte eine Piratenflotte Travemünde unsicher. Aus Angst, dass diese Unholde ihm seine Werte stehlen könnten, machte Menssen eine genaue Aufstellung seiner Wertgegenstände. Immer wieder gingen er und seine Frau diese Liste durch, ob er nicht doch etwas vergessen haben könnte. Und dann, in einer Nacht- und Nebelaktion, zu einer Uhrzeit, als seine Frau und die Kinder schon lange schliefen, vergrub er die Truhe mit all dem Gold, Edelsteinen, der Mütze samt Auflistung im Keller seines Hauses. Die frisch gegrabene Stelle verstellte er rasch mit Kisten und Feuerholz. Noch in derselben Nacht verstarb Karl Menssen. An einem Herzinfarkt in seinem weichen Bett und nicht wie Hansen vor Hunger auf einem Feldweg.
Der Arzt, der den Tod Karl Menssens bescheinigte, ging davon aus, dass er den schweren Verlust seiner Koggen und die Strapazen der Reise auch Jahre danach nicht verkraftet hatte.
Karl Menssens Frau grub diesen Schatz nie aus, sie gab das Familiengeheimnis an ihren jüngsten Sohn, den 17-jährigen Alois weiter, weil er die Geschicke der Kaufmannsfamilie als Einziger weiter führte.
1375 quartierte sich der französische König Karl V., auch „der Weise“ genannt, in die Lübecker Königsstraße ein, um sich nach zwölf Jahren zu vergewissern, ob Johann Wittenborg tatsächlich hingerichtet wurde. Erst als man ihm sein Grab im Maria-Magdalenen-Kloster zeigte, gab er Ruhe und reiste wieder ab.
Heute heißt das ehemalige Lübecker Dominikanerkloster Burgkloster. Es befindet sich im Norden der Altstadt zwischen Burgtor und Koberg.
Karl V. (1338-1380), auch „der Weise“ genannt.
Grabplatte des Brun Warendorp in der Lübecker
St. Marienkirche
Brun Warendorp sowie sein Vater waren Eigentümer und Bewohner des sehr viel später durch den Roman von Thomas Mann berühmt gewordenen Buddenbrookhauses.