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Drittes Kapitel - Bierchen für Suzy
ОглавлениеRosmarie entdeckt die beiden in Susys Bett. Wiktor auf dem Rücken, die Arme und Beine von sich gestreckt, Flugzeugstellung. Susy quer im Bett, den Kopf auf oder besser in Wiktors Bauch gelegt. Offene Münder aus denen Alkoholfahnen wehen. Dass die zwei sich betranken, ist für sie offensichtlich. Sie erinnert sich, dass Susy schon vor und während des Essens Wein aus der Flasche getrunken hatte. Sie hat ihre Tochter vorher niemals Alkohol trinken sehen, den Schluck Sekt zu Silvester aus genommen. Sie ist von dem Bild, das sich ihr bietet einigermaßen erschüttert. Wüsste man nicht, dass es Vater und Tochter, dann könnte man weiß was denken, denkt sie. Dass sie nicht Vater und Tochter, fällt ihr ein, aber das wissen sie nicht und bestimmt brachte Susy die Begegnung mit Walé durch einander. Sie war von ihm ganz hin und her gerissen. Rosmarie wechselt hinüber in ihr Schlafzimmer, beblust, behost sich neu, begibt sich auf den Weg zur Apotheke.
Als Wiktor die elterliche, geerbte Apotheke veräußerte, nutzte er die Chance, sich hier auf dem Lande in eine alt eingesessene Apotheke einzukaufen, sie nach der Verrentung der Eigentümer zu übernehmen. Nun ist er selbst in Rente, hat Rosmarie die Apotheke überschrieben, nachdem sie ihr Pharmaziestudium abgeschlossen hatte.
Kaum sitzt Rosmarie im Auto, ist die Sorge verdrängt, wie und wann sie Wiktor über Susy aufklären wird.
Stresstag, Montag. Werden doch die Menschen allweil über das Wochenende krank. Sie ist voll beschäftigt den halben Tag. Sie schließt die Apotheke um 13 Uhr, den Nachmittag übernimmt eine Halbtagskraft, so dass Rosmarie Zeit für Familie und Haus hat. Erst auf dem Nachhauseweg denkt sie wieder an Kind und Mann, und wie sie ihnen begegnen soll, und Beklemmung bemächtigt sich ihrer, verspürt wieder den Drang zu Sophia zu fliehen.
Als sie das Haus nervös, schwerherzig betritt, ist es verwaist. Unaufgeräumt, als hätte man sie geflohen. Susys Zimmer katastrophal, inmitten ein zerwühlter Betthaufen. Die Küche ein Chaos, die Terrasse ebenso. Flaschen, Essensreste auf und unter dem Gartentisch. Eine fremde Katze streunt den Teich entlang und Rosmarie schleudert eine Bierflasche in ihre Richtung. Sie lässt sich in einen der Korbstühle fallen, sieht die Flasche im Teich versinken. Die Katze glotzt großäugig zu ihr herüber.
Während Rosmarie versucht ihre Gedanken in Griff zu bekommen, tummeln sich Wiktor mit Susy im seichten Wasser des kleinen, feinen Privatsees. Ein grünes, zur Mitte hin tiefes, rundes Gewässer, umrandet von Kiefernwald. Auf der Eingangsseite die Liegewiese, die übergeht in das Halbrund des künstlich aufgeschütteten Sandstrandes. Fünf überdimensionale Sonnenschirme ähnliche Schattenspender lassen das Ganze ein wenig exklusiv aussehen.
Immer und immer wieder tauchen sie unter in das kühle Nass, um ihre dicken, heißen Alkoholköpfe zu erfrischen. Susy trotzt dem quälenden, schmerzlichen Gehirn, ist aufgedreht, findet es schade, dass sie niemand von ihren Freuden den ersten Rausch erzählen kann, so schildert sie ihn wieder und wieder Wiktor.
„Ich war echt besoffen, Papa.“
„Darauf musst du nicht stolz sein, kokettieren damit.“
„Ich musste nicht kotzen, obwohl sich alles gedreht.“
„Besser wäre es allerdings gewesen. So hättest du gelernt daraus.“
„Aber ich habe Kopfschmerzen, dass es mir fast die Perücke vom Schädel sprengt.“
Über diesen Witz kriegt sie sich fast nicht mehr ein vor Lachen, pisst ins Wasser, worauf sie zu ersticken droht vor Vergnügen. Wiktor spielt den Empörten, kann aber nun auch nicht mehr an sich halten, stimmt ein in Susys hysterischen Lachanfall.
„Wenn deine Mutter uns so sehen könnte, sie würde die Hände über den Kopf zusammen schlagen.“
„Ich kann das jetzt nicht, so groß und dick ist meine Birne.“
Und darauf wieder eine erneute Lachsalve, davon angesteckt der halbe Strand mitlacht und als sich Wiktor mit Susy verbeugen, sich beküssend, wird applaudiert, worauf die beiden glückselig ans Ufer waten. Was für ein Bild. Von der mopsigen Gemütlichkeit Wiktors, der staksigen Knöcherei Susys, lassen sich die Menschen rundum aufs erneute, schmunzelig erheitern, beobachten immer wieder mal die zwei. Vater rubbelt Tochter trocken, Tochter den Vater. Sie schlendern den gepflasterten Weg zu den Kabinen, entledigen sich der nassen Badebekleidung.
Susy erscheint in einem zebragestreiften Einteiler, dessen Brustteil sehr aufgepolstert ist, was Wiktor sehr amüsiert feststellt, aber natürlich nicht erwähnt. Er sagt, dass sie langsam zur Frau wird, pfeift anerkennend durch die Zähne. Susy ist gerührt von diesem Kompliment, Wiktor über das Bemühen Susys, der Umwelt ihre Fraulichkeit zu beweisen, versucht mit ihrem Kichererbsenpo zu wackeln, vergebliche Mühe. Sie prominieren das flache, lange Gebäude der Umkleiden, Duschen und Toiletten entlang, lesen die Speisekarte des winzigen, italienischen Bistros, dessen Terrasse mit farbigen Glühbirnen umrahmt.
„Pizza Diabolo für die Säufer…“, frotzelt Wiktor.
„Pizza für Glückliche gibt’s nicht!“, schmollt Susy.
„Bist du glücklich?“
„Wenn ich mir das Kopfweh weg denke, bin ich sehr glücklich, Wiktorpapa.“
Susy war sehr berührt, als sie erwachte im späten Vormittag, in den Armen Wiktors. Er ließ sie nicht allein, nein! Er bevatert, beschützt sein Kind, vor der trunkenen Nacht und es gab keine Diskussion, weil sie die Schule schwänzte, nein Wiktor sagte ihr, dass er froh sei, dass sie bei ihm diesen Tag verbringe.
Sie sprachen nicht über Walé. Nicht nach dem Aufstehen, nicht auf dem Weg mit dem Rad zum See, nicht im Wasserspaß. Sie hatten ihn allzeit im Kopf, aber sie besprachen ihn nicht.
„Möchtest du anstatt der Pizza, Pasta?“
„Ich- möchte- dass- Walé- hier- wäre!“ sagt sie so langsam, als koste sie den letzten Satz ihres Lebens aus. Dass er das auch möchte, gibt er zu. Dann soll er ihn gefälligst anrufen! Er habe kein Telefon, keine Nummer, keinen Mut. Aber sie, hat alles und rast, die Beine schwingend wie eine junge Giraffe, im Zebrakostüm, zu ihrem Liegeplatz, kruschelt in ihrem Rucksack, zieht triumphierend ihr Handy heraus, stelzt zurück, beäugt von den apathischen Sonnenbadern.
„Ruf ihn an, Wik!“
„Nein, ich kann das nicht. Er wird genauso groggy sein wie wir.“
„Dann wird ihm das Wasser gut tun, wie uns und er muss nicht alleine denken.“
„Jeder muss alleine denken!“
„Schönen Gruß vom Oberlehrer.“
Als sie nach Hause kommen, in der Abenddämmerung, finden sie Rosmarie im Glühschein des gemauerten Grills. Fleisch, Gemüse, Brot und Wein stehen bereit auf dem Tisch. Schüchterne Begrüßung seitens Rosmarie mit dem Satz: „Ich dachte, dass ihr hungrig seid.“
Rätseliger Blickaustausch zwischen Susy und Wiktor und beide denken, dass hoffentlich der andere nicht verrät, dass sie schon gegessen haben.
Rosmarie lässt sich ihre Unsicherheit nicht anmerken, belegt den Grillrost. In ihrem Rücken zucken Wiktor mit Susy die Schultern, gestikulieren augenbraunisch.
Gerade als Rosmarie sich überwunden, den vergangenen Abend zur Sprache zu bringen, ruft Susy aufgeregt: „Hey, da is‘ ´ne Katze am Teich“. Sie locken das Tier, füttern und beschmusen es, sind erleichtert, dass sie abgelenkt von einem möglichen, peinlichen Gespräch.
Es wäre ein gemütlicher, harmonischer Abend, wäre Walé nicht in den Köpfen.
Susy hält es nicht lange aus, nimmt den nächsten Schultag als Vorwand sich zu verdrücken. Auch Wiktor drängt, quengelt um Nachtruhe, mit der wahren Begründung, dass die vergangene Nacht eine zu kurze gewesen sei. Rosmarie hat begriffen, dass eine Aussprache nicht sonderlich erwünscht ist. Sie räumen nur die übrigen Lebensmittel ab, begeben sich ins Bad, besteigen fast gleichzeitig das Ehebett.
Im Dunkeln sucht Rosmarie Wiktors Hand, probiert nochmals einen Erklärungsversuch, doch Wiktor meint, sie solle sich ruhig Zeit lassen. „Lass dir ruhig Zeit, bis du soweit bist!“ Drückt freundlich ihre Hand und nach einem Seufzer „Ach ja“ dreht er ihr den Rücken zu, atmet sich tief und gleichmäßig in den Schlaf, so denkt Rosmarie. Doch Wiktor bleibt noch lange im Wachen, weiß, dass Rosmarie in grübelnden Gram liegt, er ihr nicht helfen kann.
Eine unruhige Nacht verbringt das Paar in nervöser Träumerei.
Meist erwacht er vor ihrem piepsenden Wecker, so auch heute. Doch er bleibt liegen, bereitet ihr nicht Frühstück, stellt sich schlafend. Sie quält sich aus den Federn, grummelt ins Bad. Wiktor spürt, dass sie vor ihm steht, ihn betrachtet und er würde sie gerne in die Armen nehmen, ihr gestehen, dass er alles weiß, weil er die ganze Nacht mit Walé gesprochen. Doch es ist allein ihre Geschichte, die auch von ihr erzählt werden soll, und so wälzt er sich aus ihrem Blick.
Kaum ist seine Frau aus dem Haus, verlässt er das Bett, sieht nach, ob Susy das Aufstehen geschafft hat und in der Schule ist. Ihr Bett ist leer.
In Schlafshirt und Shorts haushaltet Wiktor durch die Zimmer, bevor er die Terrasse aufräumt, so leise wie es geht, denn die Katze schläft im Gartenstuhl.
Eine Schale Milchkaffee, Honigtoast, steht auf dem Tablett, das er hinausträgt, sowie ein Schüsselchen warme Milch für die Katze, die ihr rosa Schnäuzchen rümpft, als er es vor sie stellt.
Wiktor setzt sich an den Gartenteich, schlürft selbstvergessen den Morgentrunk, sein Blick im spiegeligem Wasser, denkt an Walé, spürt die Katze neben sich, entdeckt die Bierflasche, halb versunken im Modergrund. Er ist im Begriff hineinzuwaten, da ruft das Telefon ihn ins Haus. Zweimal muss er sich zu erkennen geben, bevor Walé sich meldet.
„Hast du dich getraut?“ freut sich Wiktor.
„Wenn Rosmarie dran gewesen wäre, hätte ich aufgelegt“.
„Hey, wie hast du alles überstanden?“
„Auf eine vertrunkene Nacht, folgt bei mir eine Hühnersuppendiät.“
„Der Magen?“
„Der Magen, die Leber, Sodbrennen, hoher Blutdruck!“
„Oh, da muss ich dich mal diagnostizieren.“
„Du?“
„Hast du vergessen, dass ich Apotheker war?“
Walé kann sich nicht erinnern, deshalb lenkt er ab, fragt nach, ob Wiktor keine Beschwerden hatte.
Oh doch, aber Susy und ich waren am See, haben unsere Köpfe unter Wasser gekühlt und Pizza Diabolo für‘n Magen gespeist. Wir haben sehr an dich gedacht, aber ich beschloss, dich ausruhen zu lassen“
„Und Rosmarie?“
„Sie und wir, haben vermieden uns bisher zu bereden, aber es wird sich nicht vermeiden lassen und…“ Es schellt die Türglocke bei Walé.
„Entschuldige, es schellt die Türglocke“.
Er rätselt auf dem Wege, wer es wohl sein könnte und siedend heiß überkommt es ihn, dass es Rosmarie ist. Er fleht gen Himmel und als er die Türe vorsichtig öffnet, steht das lange, schmale Susykind vor ihm. Er ist perplex und doch erleichtert, dass es nicht ihre Mutter ist, stottert eine Begrüßung.
„D,d,d,du?“
„Ja!“
„Komm rein!“
„Danke, dass du zuhause bist, Wal!“
„Wieso hast du nicht angerufen, dass du kommst?“
„Ich hab’s mir überlegt, aber es wollte mir nix einfallen, was ich sagen soll“.
„Und jetzt?“
„Jetzt seh‘ ich dich“.
Walé nimmt ihr den Rucksack ab, betrachtet sie wohlwollend, liebstrahlenden Auges, als sie unbekümmert, neugierig die Wohnung erkundet und endlich sagt: „Du wohnst genauso wie ich‘s wusste.“
Walé ist sehr überrascht, dass er so freudig ist, obwohl er sie erst so kurz kennt.
„Als ich heute Morgen beschloss, zu dir zu gehen statt zur Schule, ließ ich mir ziemlich Zeit, nahm einen Kaffee, sonst wäre ich schon vor Acht hier gewesen. „Gott bewahre“ stöhnt Walé, doch er ist so angetan über ihren spontanen Besuch, dass er sie am liebsten abknutschen würde, lässt dies aber fein säuberlich sein, obwohl sie so süß wie lang ist.
Susy war in einem Bistro, bevor sie zu Walé kam. Milchkaffee und lieh sich eine Zigarette vom Kellner, stellte sich Walés Wohnung vor und dies berichtet sie nun.
„Erst dachte ich, du wohnst in so einer Atelierwohnung, mit n‘m großen Fenster im Dach. Dann wollte ich lieber denken, du lebst gemütlich, männerschlampig mit Antiquitäten, dann aber kam ich zu dem Bild, dass du eine Wohnung hast, die so ist wie du redest. Eine klare, witzige Wohnung mit Esprit.“
Walé ist hingerissen von dem Mädchenkind und möchte ihr die Ziegelwand zeigen. Da erinnert er sich, an Wiktor am Telefon, klärt Susy auf, dass ihr Vater am Apparat und ob sie ihn sprechen möchte, doch sie verneint energisch.
„Susy ist hier, Wiktor!“
„Waaaaaaaas?“
„Sie ist hier!“
„Gib sie mir mal!“
„Sie will nicht mit dir sprechen!“
„Egal, gib sie mir!“
Walé deutet Susy, dass er nicht weiß, was zu tun, reicht ihr den Hörer. „Papachen“
Eigentlich hat Wiktor im Sinn, Susy eine Standpauke zu halten, von wegen Schule schwänzen, doch stattdessen, fragt er sie, warum sie ihn nicht mitgenommen habe zu Walé. Beleidigt, enttäuscht klingt seine Stimme und sie empfindet nun auch, dass es nicht fair war, aber sie wusste es doch noch nicht, dass sie zu Walé geht, als sie auf dem Weg zur Schule war.
„Ich dachte, du hättest voll Schiss, Wik?“
„Aber nicht mit dir zusammen.“
Ungeduldig pendelt sie ihr Köpfchen hin und her, so dass Walé beschloss, dass Wiktor doch auch herkommen soll.
„Wal sagt, dass du kommen sollst!“
„Und wenn du mit ihm allein sein willst?“
„Dann komm ‘ich ein anderes Mal wieder!“ zickt sie.
Walé übernimmt das Telefon und bittet Wiktor doch zu kommen.
„Soll ich was mitbringen?“
„Nein, nur dich“.
„Kann ich die Katze mitbringen? Sie weicht mir den ganzen Morgen schon nicht aus dem Schatten.“
Walé fragend zu Susy, ob Wiktor die Katze mitbringen wolle. Sie verdreht die Augen ins Weiße und Walé findet er soll die Mieze ruhig mitbringen. Wiktor meint, dass es dauern könne bis zu seiner Ankunft, denn er fahre mit dem Rad, in dessen Lenkradkorb er die Katze bestens transportieren kann.
„Hat er es immer so, mit seiner Katze?“
„Ist überhaupt nicht seine. Die ist uns gestern zu gelaufen und irgendwie fühlt sie sich zu Wik hingezogen.“
„Eine Sie?“
„Keine Ahnung“ beteuert Susy, meint verschmitzt, dass sie später nachsehen könnten, ob sie vielleicht pimmelig sei.
Walé überlegt, ob er Susanne zu ihr sagen sollte, weil es hübscher und auch in der Länge besser zu ihr passe. Er schmunzelt über sein Witzchen, was Susy bemerkt, wissen will, warum.
„Weist du, ich bin einfach noch allweil in Überraschung! Vor zwei Tagen war ich noch einzeln, nun bin ich doppelt“.
„Für mich ist das auch so. Zack, auf einmal zwei Väter“.
„Na ja, Vater hast du nur einen, aber…“ er unterbricht sich, um dem Thema nicht zu nahe zu kommen, fragt Susy, ob er ihr etwas anbieten kann. Ein Bier, kommt es wie aus der Pistole geschossen, was Walé sofort ablehnt, hat sie doch vorgestern genug davon gehabt.
„Hat Wik es dir erzählt?“
„Ja, er hat dich betrunken aufgefunden, musste dich ins Bett schleppen.“
„Alles hat er dir erzählt, hm.“
„Einiges.“
„Und einiges hab ich gehört von Euch“, triumphiert sie, nimmt das Glas Orangensaft, fragt nach Eis, bekommt es. Walé schenkt sich Kaffee nach, in die große, gläserne Tasse und weil er danach fragt, erzählt sie die Belauschung Wiktors, und das ist so was von süß, wie sie beide rumturtelten.
„Rumturtelten?“
„Ja, Wiktor hatte den Ton eines Verliebten in der Stimme und was er alles offenbarte, obwohl er dich bloß eine Stunde oder so kannte“.
„Ja, wir waren uns gleich sehr nah, natürlich war daran auch deine Mutter schuld.“
„Ja, ja, ich weiß, brauchst mir gar nix erklären.“
Das Thema ist ihr peinlich, deshalb schlendert sie hinüber ins Arbeitszimmer, besieht sich die Ziegelwand, und als es nun zu schweigsam wird, erklärt er ihr seine Sicht dazu.
Susy mag, wie Walé über dieses rote Gesamtkunstwerk - wie er die Wand benennt - spricht. Ihr gefällt seine Stimme, tiefer, reifer, männlicher als Wiktors, fast die identische Tonlage Rosmaries, was zu Verwechslungen am Telefon kommt.
Susy mag Walés kurze, energische Sätze. Sie betrachtet ihn eingehend, wenn’s geht unbemerkt, stellt fest, dass er Wiktor wirklich sehr ähnlich sieht, dennoch ein völlig anderer Typ von Mann.
Walé möchte am liebsten Susy die vielen Fotos der Ziegelwand zeigen, doch hält er sich zurück. Der Moment ist unpassend, zu intim, zu früh. Er fragt, wie lange Wiktor wohl brauchen wird, um anzukommen. Susy bläst unschlüssig die Backen auf, blubbert mit den Lippen, kommt nach einigen Sekunden zu dem Schluss, dass es wohl eine gute Stunde werden kann. Fragt sich und Walé, warum Wiktor bloß die Katze mit schleppt. Doch Walé weiß auch keine Antwort.
„Sie wird alles vollscheißen!“
„Wir bleiben auf dem Balkon!“
Walé führt sie dort hin, sie setzen sich, er erklärt ihr die zu sehende Stadt und sie weiß, dass sie viel lieber in der Stadt wohnen würde. Er gibt zu bedenken, dass es sehr laut ist, schlechte Luft, teuer und immer und immer die vielen Menschen.
„Besser als auf dem Land vor Langweile zu sterben! Aber jetzt da ich dich kenne, kann ich dich immer in der Stadt besuchen“.
„Gerne, aber nicht immer, ich bin Einzelgänger!“
„Ich bin Einzelkind!“ entgegnet Susy in lächelnder Grimasse. Walé kann nicht anders, als hellauf zu lachen, das Kind auf die Stirn zu küssen, zu verkünden: „Du hast mir gerade noch gefehlt!“
„Meinst du`s ernst Walé, oder Quatsch?“
„Ich meine es ganz wirklich, Susanne“. Susy ist es angenehm mit Walé. Sie strahlen sich lieblich an, doch bevor er in Sentimentalität abgleitet - wovor er allweil auf der Hut ist - will er von ihr wissen, wie Rosmarie reagiert.
„Gar nicht. Erst ist sie abgehauen zur Oma, wie du weißt, und gestern Abend hat uns die Katze so beschäftigt, dass wir noch mal davon gekommen sind.“
„Von was?“
„Na von Erklärerei!“
Dass man an einer gemeinsamen Aussprache nicht vorbei kommen wird, ist Walé überzeugt, doch Susy ist der Meinung, dass doch nun eh jeder alles weiß und gewesen ist gewesen und sowieso schon lange vorbei. Sie hat Recht, findet er. Wiktor und er wissen Bescheid, dass Rosmarie ihn benützt, um die von ihr verloren geglaubte Liebe fort zu setzen… Er kann im Beisein Susys seine Gedanken nicht weiter spinnen, fragt sie, nach ihrer Meinung über die Situation. Sie weiß es nicht so genau, aber irgendwie könne sie ihre Mutter schon verstehen, weniger das, dass sie Walé so benutzt.
„Was hätte sie denn tun sollen?“
„Euch alle beide nehmen sollen, Wiktor und Walé.“
Sie beugt sich über die Balkonbrüstung, kuckt links, rechts, als Walé erklärt, dass alles, was er zum Leben brauche, nur ein paar Schritte entfernt sei. Sodann stellt er ihr seine Pflanzen vor und sie fragt, als er beim Thymian angelangt, ob sie nicht doch ein Bier haben kann.
„Bist du süchtig?“ entsetzt sich Walé.
„Der Saft klebt mir im Mund.“
„Du kannst gerne Wasser haben.“
„Wenn ich nervös oder so unruhig bin, dann hilft mir ein Bier. Es hat in der Schule angefangen, dass wir in Stresssituationen eine Büchse, zwei, geleert haben. Es hat beruhigt und war cool und ehrlich gesagt, ist es doch besser, als so ein Drogenzeug. Ich bin Bier gewöhnt und es macht mich locker.“
„Und besoffen, bis zum Umfallen!“
„Nur weil ich vorher Rotwein getrunken habe, um Mama zu ärgern, weil sie so feige war.“
„Du bist so und so, weißt du“. Sagt Walé etwas scharfzüngig, sitzt sehr gerade, Skepsis in den Gesichtszügen. Während Susy dicklippig schmollt, denkt Walé, dass sie eben Einzelkind ist. Und was weiß er, was sie alles durchgemacht hat, und nun auch noch die doppelte Vaterei. Als wenn sie es lange überlegt, so langsam bringt sie die Frage hervor, was er damit meint, dass sie mal so und so?
„Du bist einerseits so vernünftig, andererseits Babykacke“.
Großäugig blickt sie ihm ins Gesicht, würgt als hätte sie kleine Frösche im Hals, prustet in ein Lachen aus, das ihre Augen tränen lässt, verschluckt sich tiefhalsig, als sie versucht Babykacke zu wiederholen. Walé beklopft ihr den Rücken, hat sie ins Stehen gezogen, doch sie hustet, keucht, verfällt dazwischen in hysterische Lach-Rage und in ehrlicher Erstickungsangst verlangt sie nach Bier. Walé stürzt in die Küche, nippelt eine Dose auf, reicht sie ihr, die gierig daraus trinkt, nicht aufhören kann, so scheint es, und beschließt die Szene mit einem wahrhaft prächtigem Gerülpse, das Walé erinnert an die Nacht mit Wiktor am Telefon. Nun hat Susy sich endlich beruhigt und auch Walé, der Angst hatte, dass sie ihm erstickt.
„Jetzt hast du mich so weit gebracht, dass ich dir ein Bier gegeben. Das ist nicht fair hörst du!“
Susy stahlt, lächelt in Walés Gesicht und sagt: „Das war echt unschlagbar, Walé, das mit der Babykacke.“ Gluckst schon wieder aus der Kehle, vertrinkt das aufkommende Lachen mit dem Rest aus der Dose. „Wirst du`s Wiktor gleich stecken, das mit dem Bier?“
„Gleich nicht, aber wir werden auch darüber reden müssen!“
„Bitte lass` uns heute nur cosy sein, ich hab `dich doch heute erst zum ersten Mal!“
Das stimmt und es erstaunt ihn, dass kein Anzeichen von Fremdheit zwischen ihnen, wie alte Bekannte, Vater Tochter. Walé ist sehr überrascht, wie selbstverständlich sie agieren, wie er sie hineinlässt in seine doch so behütete, kleine Welt. So einfach, wie sie in seiner Welt angekommen ist, so schwer wird es vielleicht werden, mit ihr darin zu leben. Doch verspürt er keine Ängste, er verspürt liebevolle Sympathie, ist einverstanden, dass heute nur Gemütlichkeit herrscht. Dicke Schnuten nähern sich vorsichtig einander, geschlossene Augen, Hände hinter dem Rücken, Schmatz-Bussi zur Besiegelung, und im Moment schlüpft die Sonne um die Nachbarshausecke, bestrahlt die beiden, den Balkon, spiegelt sich in Fensterscheiben, taucht die Straße in Schatten.
„Wow, hast du bemerkt, sie hat uns genau in dem Augenblick erstrahlt, als wir und küssten!“
„Susy, das ist ihre Zeit, sie hat nicht auf uns gewartet“.
„Is` doch egal, bussi mich nochmal, mal sehen, was passiert“.
„Susy, hör` auf mit dem Quatsch, reiß dich zusammen! Wenn Wiktor da ist, sag` bloß nichts vom Küssen oder so was, sonst verrate ich deine Bierchen!“
„Wal, du hast gesagt: nur gemütlich, also!“ Sie formt Kirschenmündchen, reicht es ihm entgegen, der ihr gnädig ein Küsschen auf die Wange haucht.
„Hey ihr Knutscher, lasst mich auch mitmachen!“
Wiktor steht unten auf der gegenüberliegenden Straßenseite, blickt empor zu den beiden, die Katze auch.
„Siehst du, wenn wir uns küssen, geschieht was!“
„Babykacke!“ brummt Walé, ruft hinunter, dass er Wiktor abholt. Susy kichert „Babykacke“, Walé sucht die Hausschlüssel und sobald er die Wohnung verlassen, überprüft sie den Bierbestand im Kühlschrank. Zufrieden nimmt sie eine Dose, nippelt sie auf, leert sie zügig, zerdrückt, versteckt sie in ihrem Rucksack.