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Vorbemerkung
ОглавлениеSeit frühester Kindheit ist meine Phantasie mit allem, was Seefahrt heisst, beschäftigt gewesen. Aufgewachsen in Hamburg, früh vom Allerzonenduft des Hafens gelockt, das Ohr den Reden der Jantjes zugewandt, war es mein sehnlichster Wunsch, selber Seemann zu werden. Zwar bin ich später viel in der Welt umhergekommen und habe manches von der See, von den Schiffen und von fernen Küsten gesehen; dass ich aber selber als Matrose gefahren sei, ist eine Legende, nichts als ein bitteres Möchtewohl, das sich aus mancherlei und im Grunde belanglosen Ursachen nicht erfüllte. Vielleicht gerade deshalb gehört mein Herz mehr dem Meere und seinen Abenteuern, als wenn es sich daran genugsam in der Wirklichkeit hätte sättigen dürfen. Das Sinnbild des Ewigen, die Brücke zwischen dem Sichtbaren und seiner Deutung, die wandelbare Grenze zwischen Freude und Leid, Liebe und Selbstsucht, Mut und Angst, Vertrauen und Gottverlassenheit, das Ungeheuerliche irdischer himmelsüberwölbter Landschaft und die Sonderbarkeit jener Kapsel Mensch, die in sich ein Gehirn und ein Herz trägt, das alles ist für mich ohne den Untergrund der grossen Gewässer und Meere auf dieser schwebenden Kugel weniger reizvoll. Unsere technischen Fortschritte tragen dazu bei, dass die Welt nahe zusammenrückt, dass uns die Fremde nicht mehr so fremd ist und das Reisen wer weiss wohin nicht unbedingt ein grosser Abschied. Die Raschheit der Verkehrsentwicklung hat viele von uns zu Snobs gemacht, denen jeder Schauer vor Entfernungen fehlt, denen die Unendlichkeit der Meere durchaus weder unendlich noch wunderbar ist. Aber das hat seine Zeit.
Auch das Technische, das uns ein wenig das Gemüt verdunkelt hat, werden wir verdauen, und der ungelösten Fragen und Abenteuerlichkeiten wird es auch dann noch genug geben, die, nahe besehen, doch nur die alten sind. Denn der Mensch hat sich in seinen innersten Möglichkeiten und Bedürfnissen nicht geändert, das steht fest. Und als mir im Britischen Museum ein schmaler Prosaband in die Hand fiel, der übersetzt den Titel hat: „Geschichte vom Schiffbruch der Juno an der Küste von Arracan in Ostindien und wundersame Erhaltung von vierzehn Personen auf dem Wrack ohne Lebensmittel während dreiundzwanzig Tagen, nebst deren schliesslicher Rettung, von William Mackay, Leutnant des Schiffes, in einem Schreiben an seinen Vater zu London, 1798“, da fand ich in diesem kleinen erschütternden Bericht Gesagtes bestätigt. Mich beschäftigte der Vorgang, ich begann ihn in mir zu verknüpfen mit anderen aus derselben Zeit, die mir bekannt geworden waren, zumal der englische Herausgeber in seinem Vorwort bemerkt, dass Herr Mackay nach jenem Unfall von Kalkutta auf einem anderen Schiffe der Ostindischen Kompanie nach Europa anmusterte, von wo es mit Truppen nach Westindien ging. Und als ich aufzuschreiben begann, was mich drängte, sah ich vieles sich verdeutlichen, was vorher nur dem, der sich mit jenen verklungenen Tagen beschäftigt hat, zwischen den Zeilen bildhaft werden konnte. Somit wage ich zu hoffen, es möge lesbar geworden sein auch für den Menschen von heute, der ja dem von damals in seinem ungewissen Schweben zwischen Zeit und Überzeitlichkeit, also im Grunde seiner eigenen See und Seele gleich geblieben ist.
Hans Leip