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Der Serienbrief

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Ich war in eine andere Abteilung versetzt worden. Vor wenigen Monaten erst. Sehr verantwortungsvoll. Nicht der ewige Einheitsbrei, den ich bisher gemacht hatte. Ein Kollege dieser Abteilung, etwas dicklich, viel jünger als ich, den ich schon seit Jahren kenne, hatte mich angesprochen. Hier arbeitest Du völlig selbständig. Keiner sagt Dir, was Du zu tun hast. Vollkommen autark. Ich sagte zu ihm: "Warum eigentlich nicht?" und wurde in die Abteilung versetzt. Ich arbeitete mich ein und fand es sehr abwechslungsreich, interessant. Kurzum schön.

Eines Tages, gleich nach der Mittagspause, kam mein besagter Kollege 'rein, hatte einen Joghurtbecher in der einen und einen Löffel in der anderen Hand. Während er genüsslich, unauffällig und harmlos seinen Joghurt löffelte, fragte er mich: "He, hast Du schon mal einen Serienbrief gemacht?".

Aus irgendeinem Grunde witterte ich in diesem Moment bereits Unheil.

Aber ich hatte es noch nicht. Wozu? Für die drei Personen, die ich kenne, brauche ich keine Serienbriefe. Also musste ich mit "Nein" antworten. Als ich es schon aussprach zog sich mir der Magen zusammen und wusste instinktiv, dass sich das Unheil gleich über mich ergießen würde.

Ok, gesagt getan. Ich will gar nicht mit Einzelheiten langweilen wie man das macht. Mein Kollege kratzte die letzten Reste seines Joghurts aus dem Becher und das Ding war fertig. Der Serienbrief.

Es war auch nicht ein Brief, sondern in dem Fall ein Aktenvermerk. Die Datenbank, die mit den Adressen dahinter stand hatte ca. 300 Einträge. So, sagte mein Kollege gemütlich, dann drucken wir die mal aus. Ich merkte wie mir warm wurde, vielleicht sogar der Schweiß auf die Stirn trat. Warum nur, warum?

Gut, und ausgedruckt...

So, sagte mein Kollege, dann bring' ich die mal in die Kartei.

Da trat etwas Beruhigung ein und ich dachte, das sei's vielleicht gewesen...

Er ging los und ließ die Tür auf. Ich hörte über den Flur:

"Hierzu müssen alle Akten gezogen werden, und die werden dem Kollegen X vorgelegt. Ihr wisst schon, Kollege X war ich.

Ich merkte, wie sich mein Puls beschleunigte, ich krampfhaft nach einem Ausweg suchte und glaubte gleich aus meinem Sulky zu kippen. Es dauerte vielleicht noch eine halbe Stunde, dann hatte ich die dreihundert Akten mit den Vermerken hinter mir, neben mir, auf dem Boden, also überall liegen. Ich überlegte noch, ob ich einen Übelkeitsanfall simulieren sollte. Was heißt eigentlich simulieren? Aber das Schicksal hatte sich über mich ergossen und ich hatte den Mist am Hals. Keine Flucht, kein Ausweg, nichts dergleichen. Warum, Gott, hast Du mich verlassen?

Die Aktenvermerke müssen bearbeitet werden, sagte mein Kollege, ich zeichne dann gegen.

Ok mein Freund, dachte ich. Das ist mir eine Lehre.

Seither verlasse ich immer gleich den Raum, eine Entschuldigung murmelnd, dass ich keine Zeit habe, wenn er mit einem Joghurtbecher, Löffel und warmherzigen Blick mein Zimmer betritt...

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