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Der Narziss

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Ecce homo, siehe, der Mensch!

Vor mir stand Chuck in seiner ganzen Statur, ihn zu beschreiben fiel nicht so schwer. Er war zunächst einmal eine nicht zu übersehende Erscheinung, was an seiner Körpergröße lag, nicht an seinem Körperumfang. Er ragte in seinem Längenwachstum deutlich über das Normalmaß von 178 cm bei Männern hinaus, er maß 189 cm und war dabei muskulös und keineswegs dick. Wenn Chuck stand, sah er aus wie eine gewaltige Säule, die so schnell nichts umhauen konnte, er war ein absolut friedfertiger Mensch. Chuck hatte ein ovales Gesicht, seine Wangen fielen leicht nach innen, was seinem Gesicht etwas Kantiges gab. Er war glatt rasiert, früher trug er einmal einen Bart, rasierte ihn aber dann wieder ab, als er seine Freundin Gina kennengelernt, und sie ihm das nahegelegt hatte.

Die Nassrasur war morgens immer wie ein Gottesdienst, er brachte all seine Konzentration in diesen Akt, und legte vorher immer warmes feuchtes Tuch auf sein Gesicht, um die Haut weich und damit leichter rasierbar zu machen. Dann nahm er keineswegs Rasierschaum aus der Sprühdose, sondern Rasierseife, mit der er den Rasierpinsel einschäumte und die er danach großzügig auf sein Gesicht auftrug. Schon das Auftragen der Rasierseife brachte ihm Erfrischung, er betrachtete sich immer mit der frisch aufgetragenen Seife im Spiegel und ließ sie einen Moment einwirken. Er konnte spüren, wie die Seife seine Haut erfrischte, und wenn er anschließend seinen Rasierapparat nahm und mit ihm über seine Gesichtshaut fuhr, überkam ihn ein Gefühl von Ausgeglichenheit, wie er es sonst kaum jemals erfuhr, wenn die kühle Luft über sein warmes Gesicht strich. Er musste bei der Rasur unterhalb seines Kinns am Hals sehr vorsichtig sein, da war eine Stelle, an der er Bartwirbel hatte und wo er deshalb den Rasierer etwas beherzter ansetzen musste, was die Gefahr in sich barg, dass er sich am Hals schnitt. Er hatte für solche Fälle einen Alaunstift bei seinem Rasierzeug liegen, den er dann auf die verletzte Stelle gab, um den Blutfluss zu stillen. Das hatte früher schon sein Vater getan, er hatte sich manchmal neben ihn gestellt und ihn beim Rasieren beobachtet, er hatte immer erschrocken hochgeschaut, wenn Vater sich beim Rasieren geschnitten hatte und Blut floss. Vater beruhigte ihn dann, und sagte, dass der kleine Schnitt nichts Schlimmes wäre, und er ihn mit seinem Alaunstift schnell vom Blut befreien könnte. Wenn Chuck mit dem Rasieren fertig war, und er es geschafft hatte, sich ohne Schnitt zu rasieren, das Kinn war auch immer eine neuralgische Stelle, dann nahm er nicht etwa eines dieser stark aromatisierten Rasierwasser, sondern er rieb sein Gesicht mit Niveacreme ein. Niveacreme gab es schon seit Jahrzehnten und sein Vater hatte sie auch immer benutzt, sie verströmte den ihr eigenen Duft nach Reinheit und Frische. Rasierwasser waren Chuck zuwider, sie rochen immer aufdringlich und prätentiös, hatten allerdings den Vorteil, die Haut zu desinfizieren. Aber er hatte noch nie Hautprobleme und bleib bei seiner Niveacreme, auch auf die Gefahr hin, sich im Gesicht eine Entzündung zuzuziehen. Nachdem er seine Gesichtspflege erledigt hatte, nahm Chuck einen Kamm und brachte sein Haar in Ordnung, auch das eine Tätigkeit, die er konzentriert ausübte und die er genoss. Er trug sein Haar mittellang, es war blond und leicht gelockt. Sein Haar war fest und er hatte früher Mühe, es überhaupt mit einem Kamm bewältigt zu bekommen, er hatte eine Bürste benutzt, um durch seine Mähne fahren zu können.

Seine gesamte Familie hatte das feste Haar und Schwierigkeiten, sich zu kämmen, eine Bürste lag deshalb im Badezimmer immer parat und wurde von jedem benutzt. Chuck trug seit ein paar Jahren einen Seitenscheitel, der aber im Laufe eines Tages verschwand und nicht mehr zu sehen war, wenn er sich nicht regelmäßig bürstete. Früher trug er sein Haar lang, das hieß, es bedeckte seine Ohren und stand ab, es fiel nicht auf seine Schultern, weil es zu fest war, es wuchs einfach in alle Richtungen. Er hatte mit seiner Mähne überall Aufsehen erregt, alte Frauen hatten ihm gesagt: „Deine Haare möchte ich haben!“. Mittlerweile trug er sein Haar nicht mehr so lang, es stieß auf seine Ohren, ohne diese zu bedecken, es war insgesamt noch füllig, hatte aber die extreme Festigkeit verloren, sodass er es auch mit dem Kamm frisieren konnte. Sein Haar stieß auf seinen Hemdkragen und hatte oben seine Länge, er mochte nicht die ganz kurzen Haare, die dem Schädel etwas martialisch Eckiges gaben. Chuck fand, dass er rasiert und frisch frisiert einen gepflegten Eindruck machte, sein Haar wirkte füllig und lag wegen seiner festen Struktur nicht am Kopf an.

Seine Augen lagen leicht vertieft in ihren Höhlen, ihre Farbe war blau, sie wurden von markanten Augenbrauen überwölbt. Er musste bei jedem zweiten Friseurbesuch seine Augenbrauen schneiden lassen, damit sie nicht zu buschig wurden. Sein Vater hatte dunkles Haar und buschige Augenbrauen, er schnitt sie regelmäßig mit der kleinen Schere, mit der er auch seine Fingernägel schnitt. Augenlider waren bei Chuck nur angedeutet und wegen seiner blonden Haare auch nicht besonders sichtbar. Seine Augen verschafften ihm einen klaren Blick, sie blickten scharf und waren eindringlich.

Seine Nase bildete in ihrem Profil mit der Stirn eine gerade Linie, was dem klassischen griechischen Profil der Antike entsprach, sie war nicht sonderlich groß, gab seinem Gesicht aber etwas Ausdrucksstarkes. Man konnte sie nicht fein nennen, dazu ging sie zu sehr in die Breite und hatte im unteren Teil wulstige Ausprägungen, sie stand aber auch nicht stark hervor und fügte sich in Chucks prägnantes Gesicht. Sein Mund war schmallippig und deshalb ebenso wenig aufdringlich wie seine Nase, seine Lippen verliefen gerade, wenn er lachte, legten sie seine beide Zahnreihen frei, seine Zähne waren gerade und weiß.

Chuck legte großen Wert auf Zahnpflege, er benutzte sogar Zahnseide, um seine Zahnzwischenräume zu reinigen. Um den Weißton seiner Zähne aufzuhellen, hatte er sie von seinem Zahnarzt bleachen lassen, was sie erstrahlen ließ. Chuck sah gut aus und das wusste er auch, nicht dass er damit angab, aber er legte Wert auf ein gepflegtes Äußeres, was sich auch in der Kleidung niederschlug, die er trug.

Er gab einen relativ großen Teil seines Geldes für qualitativ hochwertige Kleidung aus, er trug nicht gerade Van-Laak-Hemden oder 200-Euro-Hosen, er mied aber auch Läden wie C&A, wo man nur billigste Ostasien-Ware kaufen konnte. Meistens trug er Polo-Shirts, er hatte sie in allen Farben, es waren auch einige Lacoste-Shirts darunter, die ihm aber auf Dauer zu teuer waren. Wichtig war ihm, dass die Polo-Shirts auch nach mehreren Wäschen noch ihre Form behielten und nicht wie geweitete Säcke am Körper hingen. Chuck trug nie Unterhemden, die waren in seinen Augen der Inbegriff des Spießertums, sie dienten früher dazu, den Körperschweiß aufzusaugen und das darüber getragene Hemd zu schonen, sodass man das gleiche Hemd mehrere Tage hintereinander tragen konnte. Chuck wechselte täglich sein Hemd, lediglich seine Hosen trug er mehrere Tage lang, bevor er sie zur Wäsche legte. Sein Lieblingsshirt war ein dunkelblaues Poloshirt, das er sich einmal von einer Türkei-Reise mitgebracht hatte, er war damals mit Britta in Side, wo Straßenhändler die Shirts feilgeboten hatten, er zahlte nur ganz wenig Geld und nahm gleich drei Shirts auf einmal. Wider Erwarten erwiesen sie sich als ausgesprochen formstabil und behielten auch nach mehreren Wäschen ihr Aussehen, was im Regelfall nie eintrat, solche billigen Hemden verzogen sich im Regelfall vollkommen. Dass es sich bei den Türkei-Shirts um Lacoste-Plagiate handelte, konnte man ihnen nicht ansehen.

Chuck schämte sich auch nicht dafür, solche Hemden zu tragen, er hatte Lacoste-Hemden bei Karstadt für siebzig Euro gesehen, die er nicht bezahlen wollte und ob nun auf dem Hemd das Lacoste-Krokodil zu sehen war oder nicht, war ihm völlig egal. Manchmal zog er ein Baumwollhemd an, normal geschnitten mit ordentlicher Länge, das er offen über der Hose trug. Baumwolle war ihm schon wichtig, weil sie angenehm auf der Haut zu tragen war, er hatte als Jugendlicher Nyltest-Hemden tragen müssen, die vollsynthetisch waren und seine Abscheu erregten, weil sie spätestens am Nachmittag zu stinken begannen, sie ließen keinen Körperschweiß verdunsten, außerdem luden sie sich statisch auf, sodass es immer ein knisterndes Geräusch gab, wenn man sich so ein Hemd überzog. Seine Lieblingsfarbe bei den Hemden war hellblau oder weiß, die Hemden waren in den Farben natürlich empfindlich und man musste sich sehr vorsehen, dass man sie nicht gleich nach dem Überziehen verdreckte. Wenn Chuck es schaffte, ein solches Hemd ohne Flecken über den Tag zu bringen, zog er es am nächsten Tag manchmal ausnahmsweise ein zweites Mal an, außer im Sommer, wenn er stark schwitzte. Als Unterhosen hatte er sich eine Reihe farbiger Boxer-Shorts zugelegt, die er natürlich täglich wechselte, im Gegensatz zu früher, als er noch zu Hause lebte, wo er eine Unterhose zweimal anziehen musste. Er schämte sich dann manchmal, wenn er in der Umkleidekabine vor dem Sportunterricht in Unterhosen vor seinen Klassenkameraden stand und diese die gelben Flecken sahen, die sich am zweiten Tag zeigten, aber das war bei den meisten Klassenkameraden nicht anders.

Damals trug er ausschließlich weiße Unterwäsche, auch ein Unterhemd gehörte noch dazu, Mutter wusch die Unterwäsche bei 90°C, damit auch jeder Fleck verschwand. Es gab damals gar keine farbige Unterwäsche, jedenfalls nicht für Männer, erst viel später gab es zaghafte Versuche, etwas Farbe in die Herrenunterwäsche zu bringen. Mittlerweile fanden sehr moderne synthetische Gewebe Verwendung bei der Unterwäsche, aber Chuck bevorzugte normale Baumwolle. Wenn es draußen kalt zu werden begann, zog er einen Pullover über, das war zumeist ein Baumwollpulli mit V-Ausschnitt, in der Regel einfarbig. Früher liebte er Nikkis mit V-Ausschnitt, flaschengrün, die schien es aber nicht mehr zu geben, was er sehr schade fand, vielleicht könnte man Nikki-Stoff kaufen und sich einen Pullover daraus nähen lassen, auch bordeauxrot war eine Farbe, die ihm stand. Als Hosen trug er immer Jeans in blue-denim, er hatte aber auch schwarze Jeans. Chuck bevorzugte Levi`s 501, die nicht ganz preiswert waren, die aber perfekt saßen und am Hosenschlitz Köpfe hatten, was ihn an ganz früher erinnerte und etwas Authentisches hatte.

Ob die 501 auch länger hielt, konnte er nicht sagen, vermutlich nicht, denn die Herstellung von blue-denim gelang inzwischen fast überall. Ganz früher zog Chuck auch Hosen aus normalem Gewebe an, sie hatten Bügelfalten und wenn die Falte vom Tragen verschwunden war, waren die Hosen unansehnlich. Erst die Jeans kam ohne Falte aus und wurde überall getragen, Chuck fühlte sich in Jeans am wohlsten und hatte keine Bedenken, Jeans auch zu festlichen Anlässen zu tragen. In seiner Jugend gab es Jeans nur im US-Shop, das waren Levi´s und die waren so steif, dass man sie hinstellen konnte. Viele zogen sie an und gingen mit ihnen in die Badewanne, wo sie sie mit einer Wurzelbürste bearbeiteten, um sie weich zu bekommen. Chucks Jeansgröße war 33/34, eine Größe, die er von Jugend an hatte, was zeigte, das er immer noch einen akzeptabel guten Körper hatte, obwohl er schon zweiundvierzig Jahre alt war. Besonderen Wert legte Chuck auf qualitativ hochwertige Schuhe, dafür war er auch bereit, viel Geld auszugeben, denn für wenig Geld gute Schuhe zu bekommen, war in Deutschland quasi ausgeschlossen. Früher bekamen er und sein Bruder immer Schuhe bei Deichmann, die extrem preiswert, aber auch von minderer Güte waren. Er hatte schon als Kind Plattfüße und trug Einlagen, was die Schuhsuche noch erschwerte. Es kam die Zeit, dass er zu Hause auszog und ein Studium aufnahm, wegen Geldmangels blieb ihm dann nichts anderes übrig, als sich billige Schuhe zu kaufen, er hatte sich sogar noch einmal Einlagen anfertigen lassen, um die Schuhe nicht allzu stark zu verformen. Die Schuhe blieben aber von schlechter Qualität und genügten sehr schnell seinen Ansprüchen nicht mehr.

Er kannte Studienkollegen, die das ganze Jahr über in Clogs herumliefen, barfuß, auch im Winter, so weit ließ er es aber nicht kommen und er begnügte sich notgedrungen mit dem Ramsch, den er kaufen musste. Irgendwann kam er dahinter, dass auch Schuhe in Überbreite angeboten wurden, zuerst bei den sehr teuren Lloyd-Schuhen, dann gab es aber nach und nach auch andere Anbieter mit Überbreiten. Chuck musste beim Schuhkauf mindestens hundertdreißig Euro auf die Ladetheke legen, um einen Schuh zu bekommen, der seinen Qualitätsansprüchen genügte und nicht schon nach drei Monaten völlig ausgetreten aussah. In der letzten Zeit war er dazu übergangen, nur noch in Trekking-Sandalen herumzulaufen, er wusste, dass das seinen Grundsätzen in Bezug auf Schuhe eigentlich widersprach, genoss es aber, immer Luft am Fuß zu haben und wie barfuß herumlaufen zu können. Er hatte drei Paar gute Schuhe im Schrank stehen, die er zu bestimmten Anlässen anzog, wo Trekking-Sandalen nicht angebracht waren, wenn er zum Beispiel in ein Restaurant oder ins Kino ging, dann zog er ein Paar feste Schuhe an. Er hatte ein Paar schwarze Glattlederschuhe von Sioux, natürlich in Überbreite, ein Paar Geox-Wildlederboots, von der Wirkung des Geox-Prinzips war er aber nicht überzeugt und ein Paar Wildeder-Halbschuhe von einer unbekannten Firma, die aber von einer guten Qualität waren. Sein Schuhverschleiß war auf ein Minimum reduziert, da er praktisch das ganze Jahr über in Trekking-Sandalen herumlief, von denen er sich alle zwei Jahre ein Paar neue kaufte.

Wenn es draußen sehr kalt war, trug Chuck eine Langjacke oder einen Dufflecoat, den er sich kürzlich zugelegt hatte. Die Langjacke war aus schwarzem Leder, sie hielt praktisch ewig, weil sie kaum getragen wurde und wenn er sie einmal anzog, dann immer nur für kurze Zeit. Das Gleiche galt für den Dufflecoat, den er sich zugelegt hatte, nachdem er nie einen besaß, auch als Schüler nicht. Während seiner Schulzeit hatten viele Freunde einen Dufflecoat oder einen Parka, Chuck hatte weder das eine noch das andere. Er lief stattdessen mit einem billigen Mantel oder mit einem Anorak herum oder er trug einen dicken Pullover, von einem Dufflecoat hatte er immer nur geträumt. Er musste vierzig Jahre alt werden, bis er sich einen kaufte. Inzwischen hatten die Dufflecoats Reißverschlüsse, die verhinderten, dass der Wind vorne zwischen die Knebelverschlüsse blies, Chucks Dufflecoat war sehr angenehm zu tragen. Aber die Tage, an denen er Jacke oder Mantel anzog, waren selten, man konnte sie an fünf Fingern abzählen, es musste draußen schon sehr kalt sein.

Chucks Hemden spannten über seinen Oberkörper, er machte regelmäßig Bodybuilding, nicht um übermäßig Muskelmasse aufzubauen, sondern, um fit zu bleiben.

Eine Zeit lang hatte er sich mit Jogging abgemüht, es dann aber wieder drangegeben, er hatte gemerkt, dass Jogging nicht seine Disziplin war. Sein linkes Bein war ein ganz kleines bisschen kürzer als sein rechtes, was sich beim Laufen bemerkbar machte, er hätte das mit entsprechenden Laufschuhen ausgleichen können, ließ das aber. Er fand, dass das Joggen ein einsamer Kampf war. Er hätte sich beim Laufen auch nie mit seinem Partner unterhalten können, wie das andere taten, dazu fehlte ihm immer die Luft, er merkte sehr früh, dass ihm das Joggen nicht lag. Das war im Fitnessstudio etwas ganz anderes, dort teilte er seine Übungen so ein, dass er immer mit seiner Luft und mit seinen Körperkräften zurechtkam. Er war in letzter Zeit immer besser, das hieß, belastbarer geworden. Wenn er sich mit seiner Anfangszeit verglich, so hatte er doch erhebliche Fortschritte gemacht, nicht nur, was seine Kondition anbelangte, sondern auch, was sein Äußeres betraf. Er hatte an Muskelmasse zugelegt und seinen Körper proportioniert, sein Bauch, ehemals leicht nach vorne ragend, war verschwunden und wies nun nicht gerade ein Sixpack, aber doch Muskeln auf, Chuck war um die Hüfte schlanker geworden, sein Kreuz ging in die Breite. Er hatte beschlossen, irgendwann mit dem Muskelaufbau aufzuhören, damit er nicht wie ein Bodybuilder aussah, denn das fand er abstoßend, wenn einem keine Kleidung mehr von der Stange passte und alle Körperpartien nur noch überbetonte Muskelmasse waren.

Chuck fand, dass sein Körper gerade das richtige Aussehen hatte, er unterschied sich in dieser Hinsicht schon von vielen anderen Männern seines Alters. Obwohl er sich in seiner Hemdengröße zwei Nummern nach oben bewegt hatte, spannten die Hemden, für ihn ein Zeichen, das er im Fitnessstudio ein wenig kürzer treten musste. Er hatte in den letzten Jahren fünf Kilogramm an Körpergewicht zugelegt, was ausschließlich Muskelmasse war, allein seine Oberarme hatten beträchtlich an Umfang zugelegt.

Chuck war von Beruf Lehrer, um genauer zu sein, Studienrat am städtischen Gymnasium mit den Fächern Mathematik und Geschichte und das mit voller Inbrunst. Er unterrichtete am liebsten in der Mittelstufe, Schüler also, die von seinen Kollegen meistens herbe angegangen wurden, weil sie in ihrer pubertären Aufmüpfigkeit nicht leicht zu nehmen waren. Chuck wurde aber von ihnen akzeptiert, wahrscheinlich, weil er sich durch sein Äußeres vom übrigen Kollegium unterschied, die meisten seiner Kollegen ließen sich doch gehen, hatten dicke Bäuche und sahen schwammig aus, die Schüler hatten für so etwas natürlich ein Auge. Auch die Kleidung wurde begutachtet, und da fiel den Schülern auf, dass Chucks Kollegen immer die gleichen unauffälligen Hemden und Hosen anzogen und damit unendlich langweilten, Kolleginnen gingen oft in die Breite und trugen steilwandzeltartige Blusen, um ihre schwabbeligen Bäuche zu kaschieren.

Chuck liebte das Unterrichten in der Mittelstufe deshalb so sehr, weil die Schüler in dem Alter, in dem sie waren, am Scheideweg zum jungen Erwachsenen standen, was sie unsicher und in ihrem Verhalten unberechenbar machte, wo Chuck aber richtungsweisend wirken konnte, wo er Wege aufzeigen und Verhaltensrichtschnüre darlegen konnte. Das fand er ungeheuer reizvoll, in den Lebensvollzug der jungen Menschen einzugreifen und dabei nie vorhersagen zu können, ob er nicht vielleicht scheiterte. Ihm war klar, dass das immer nur klappte, so lange es ihm gelang, die Balance zu halten zwischen pädagogischem Erfordernis und seiner eigenen freien Einflussnahme, und diese wiederum konnte er nur wirksam werden lassen, so lange er bei den Schülern akzeptiert war. Er ließ die Schüler spüren, das sie mit allem, was sie bedrückte, zu ihm kommen konnten, und sie kamen, was ihn immer freute. Chuck merkte so, dass er in den Augen der Schüler nicht nur der pädagogische Koloss war, der Fehlverhalten mit schlechten Noten sanktionierte, sondern ein Mensch, dem man vertrauen und seine ärgsten Nöte mitteilen konnte. Britta, seine frühere Frau, gehörte zum Kollegium, sie hatten sich vor drei Jahren scheiden lassen, zum Glück war ihre Ehe kinderlos geblieben, sodass die Scheidung reibungslos über die Bühne ging.

Britta und Chuck hatten sich auseinandergelebt, wie man so sagte, das hieß, dass sie sich ein eingefahrenes Verhaltensrepertoire zugelegt hatten, das den anderen langweilte und ihnen selbst Sicherheit gab. Am Schluss sahen ihre Abende so aus, dass Chuck die Tagesschau guckte und Britta mit einem Glas Rotwein neben ihm saß und manchmal sogar noch eine Zigarette dabei rauchte. Man schwieg sich an, weil es nichts gab, worüber man hätte reden können, ohne dem anderen das Gefühl zu geben, minderwertig zu sein. So zogen sie in beiderlei Einverständnis die Notbremse und ließen sich scheiden. Chuck zog dann aus der gemeinsamen Wohnung aus in eine kleinere Wohnung, etwas weiter weg von Britta, damit man sich nicht ständig über den Weg lief. Britta hatte sich in den letzten Jahren verändert, sie war dick und in Chucks Augen auch zunehmend unansehnlich geworden, auch Chuck war in seiner Zeit mit Britta körperlich unattraktiv geworden und hatte deshalb begonnen, im Fitnessstudio zu trainieren. Chuck und Britta redeten hin und wieder miteinander und fragten, wie es dem anderen ginge, wenn sie sich im Lehrerzimmer trafen, sie hatten aber sonst nichts mehr miteinander zu tun. Britta hatte offensichtlich eine Beziehung mit Peter Kromer angefangen, einem Kollegen, der Englisch und Deutsch unterrichtete, genau wie Britta auch. Chuck mochte Peter Kromer nie besonders leiden, weil der von sich eingenommen war und diese Haltung immer zur Schau trug. Peter Kromer verstand es, die Frauen zu umgarnen und Britta war darauf reingefallen, so sah Chuck das, es war ihm aber im Übrigen egal, was Britta tat.

Chuck selbst hatte sich nicht wieder fest gebunden, er fühlte sich zum weiblichen Geschlecht durchaus hingezogen, es gab da die eine oder andere im Fitnessstudio, mit der er schon gerne ins Bett gestiegen wäre, er hatte es aber noch nie so weit kommen lassen, er wusste auch nicht, ob die Frauen nicht verheiratet oder sonst wie liiert waren. Er hatte aber schon bemerkt, wie man ihn im Studio heimlich fixiert hatte und über ihn tuschelte, manchmal blickte er zurück und lächelte.

Da war besonders eine dunkelhaarige durchtrainierte, vielleicht fünfunddreißig Jahre alte Schöne, die hätte er schon gerne einmal angesprochen, sich aber bis dahin noch nicht getraut.

Einmal bekam er mit, wie er zufällig mit ihr an der Rezeption stand, dass sie Karin gerufen wurde, „viel Spaß beim Training, Karin!“, rief man ihr nach. Sie blickte Chuck flüchtig an, und es huschte ein Lächeln über ihr Gesicht. Chuck erweckte im Kollegium den Neid der anderen Lehrer, wenn sie sahen, wie gut er mit den vierzehn bis sechzehn Jahre alten Schülern zurechtkam, die in ihren Augen nur frech, unverschämt und aufmüpfig waren. Teilweise gingen sie so weit, ihm zu unterstellen, er wollte sich bei ihnen einschmeicheln und würde zu gute Noten verteilen, was er aber von sich zu weisen wusste, er varbat sich die böswilligen Unterstellungen und die Kollegen ließen dann von ihm ab.

Chuck

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