Читать книгу Die Saga vom Esbjörn Svensson Trio - Hans-Olov Öberg - Страница 6
kapitel 1
when everyone has gone
ОглавлениеEs gibt Millionen Storys von Jungs, die eine Band gründen und vom großen Ruhm träumen. Es gibt hunderte Geschichten von Bands, die dem Traum ein klein wenig näher kommen – Geschichten über erste verschwitzte, nervöse Auftritte in Jugendzentren, auf Stadtteilfesten, in kleinen Clubs und bei kirchlichen Veranstaltungen. Ein paar dieser Bands entwickeln sich Schritt für Schritt weiter. Doch die meisten bleiben irgendwo unterwegs hängen, zufrieden mit ihrem lokalen Bekanntheitsgrad, das Anfängerschlagzeug in der Garage, die ungestimmte Gitarre im verstaubten Futteral unterm Bett und der Synthesizer wurde schon auf dem Flohmarkt verschleudert oder für kleines Geld über eine Kleinanzeige verhökert. Die Saga vom Esbjörn Svensson Trio ist die Geschichte von drei Enthusiasten, die sich mit dem Erreichten nicht zufriedengaben, hartnäckig weiterkämpften, ohne Rücksicht darauf, »was die Leute hören wollen« oder »was die Plattenfirma will«. Die Story vom Esbjörn Svensson Trio zeigt, dass alles möglich ist – für den, der zum vollen Einsatz bereit ist.
Esbjörn Svensson grinst seinen Jugendfreund Magnus Öström und den Bassisten Dan Berglund frech an. Es ist der erste Auftritt des Esbjörn Svensson Trios in seiner endgültigen Formation und außerdem das Release für das erste Album der Band When Everyone Has Gone. Das Konzert im Fasching wechselt zwischen ruhigen Balladen und schnellen Stücken, zwischen eigenen Kompositionen und Standards und nähert sich dem Ende. Wenn bei dem Auftritt irgendwann einmal Lampenfieber eine Rolle gespielt haben sollte, ist es längst verflogen. Das Publikum amüsiert sich mit der Band und unvermittelt setzt das vorletzte Stück des frisch veröffentlichten Albums – der Funkblues »Tough Tough« – ein.
Es ist der 26. Januar 1994 und alles läuft perfekt. Anlässlich des großen Tages hat sich das Trio in Schale geworfen, trägt seriöse dunkle Anzüge, schwarze Poloshirts und blank geputzte Schuhe. Vielleicht ist das auch eine augenzwinkernde Verneigung vor der Jazztradition, die das Trio während der kommenden 15 Jahre immer im Blick haben, mit der es aber auch brechen und die es weiterentwickeln wird. Vielleicht ist es eine Art, dem Ernst der Stunde Rechnung zu tragen – die erste Platte mit Musik, von der alle instinktiv spüren: Das ist es. Aber mit dem traditionellen Outfit hören die meisten Anklänge an Jazzbands, die zu Beginn der 1990er-Jahre die Szene prägten, auch schon auf.
Das Esbjörn Svensson Trio steht – das offenbart sich schon an diesem Abend – für etwas Neues. Es geht nicht um die große Revolution, aber doch um eine eigenständige Haltung gegenüber einer Menge ganz unterschiedlicher Details. Das alles verbunden mit einer Energie, die keine andere Band auch nur annähernd erreicht. Die Kommunikation und die gute Stimmung innerhalb der Band sind fast mit Händen zu greifen. Das steckt an. Schon bevor Esbjörn das Mikrofon für seine Ansagen zur Hand nimmt, die angenehm informativ sind, ohne deshalb in Schmeicheleien oder Banalitäten abzugleiten, fühlt sich das Publikum einbezogen.
Das soll zum Schlüssel für die Zukunft werden.
Ja, man kann so weit gehen zu behaupten, dass all die künstlerischen Qualitäten, die e. s. t. im Laufe der Zeit an die Weltspitze des Jazz führen, bereits in When Everyone Has Gone und seinem Release-Konzert angelegt sind.
Wenden wir uns für einen Augenblick dem Album selbst zu. Der sensible nordische Folk, der sich wie ein roter Faden durch alles zieht, was das Trio in Zukunft produzieren wird, findet sich schon in dem einleitenden Track »When Everyone Has Gone«. Den Titel hatte Magnus ausgebrütet, was im Laufe der Zeit von der Ausnahme zur Regel wurde. Er hebt auf das bittersüße, ambivalente Gefühl nach einem gelungenen Fest ab; auf die Mischung zwischen Wehmut und Wärme. Track Nummer zwei, »Fingertrip« (der Titel erklärt sich selbst), lässt sich bei großzügiger Definition als Moll-Blues im schnellen Tempo bezeichnen. Dem eigensinnigen Thema geht ein Pianosolo voraus, das auf vielerlei Weise swingt, geschmeidig und nicht vorhersagbar ist wie kaum ein anderes Stück, das das Trio je spielen wird. Die Struktur ist hingegen wesentlich traditioneller als spätere Produktionen der Band. Die Formel entspricht faktisch dem, was das Trio in vielen Live-Konzerten immer wieder praktiziert: Pianosolo, Basssolo, Schlagzeugsolo, Thema und Schluss.
Das dritte Stück nennt sich »Free Four« – und wie der Titel andeutet, lässt sich der Rhythmus, je nach Wahl des Zuhörers, am Beginn sowohl als Dreiviertel als auch als Viervierteltakt deuten. Die Melodie ist modal aufgebaut, mit einem stark von Fusion und Blaxploitation-Soundtracks beeinflussten Thema, und zeigt deutlich die subtile Beherrschung elektronischen Equipments. Der vierte Track »Stella By Starlight« ist ein Standard – einer der letzten, den die Gruppe einspielen sollte (abgesehen vom Monk-Album). Hier kokettiert das Trio ausführlich mit der gesamten Geschichte des Jazzpianos, erlaubt sich dabei zwar den einen oder anderen Ausflug, bewegt sich aber dennoch im Rahmen dessen, wie alles insgesamt »sein soll«. Das fünfte Stück, »4am«, leiten Flügelklänge ein, die über einem verhaltenen Synthesizerteppich schweben und in eine von schwedischer Volksmusik beeinflusste Ballade übergehen; eine ausgeprägte Melodie, die der inspirierten Pianoimprovisation eine große, freie Projektionsfläche schafft. Im Hintergrund erahnt man währenddessen Esbjörns Stimme, der in der Art von Keith Jarrett halblaut seine eigenen Solopartien begleitet.
Respektlos und experimentell, anders kann man die zwei folgenden Stücke nicht nennen – »Mohammed Goes To New York part 1 / part 2«. Part 1 beginnt mit einem improvisierten Muezzingesang von Magnus Öström – unisono mit Dan Berglunds gestrichenem Bass – und mündet in ein orientalisch gefärbtes Streichersolo, das hoch über dem meist synthetischen Klanghintergrund schwebt. »Die Melodie flog uns während einer Probe einfach zu«, berichtet Magnus, »ich kann nicht erklären, woher.« In Part 2 ist der historische Mohammed offensichtlich nach Downtown verzogen, die orientalischen Tonskalen sind verschwunden und durch traditionellere Elemente ersetzt. Gerade hier kann man deutlich die Struktur künftiger Stücke erahnen: gemeinsame Kompositionen mit zahlreichen unterschiedlichen Modulen in Bezug auf Klang und Rhythmus, die hin- und hergeschoben werden, und nicht zuletzt der unterlegte Gospelfunk-Beat, der eine Erfolgsformel für die Konzerte war und das Publikum auf der ganzen Welt immer wieder neu begeisterte. In seinem Kontext, nämlich als gewichtiges Stück auf dem Debüt-Album eines schwedischen Pianojazz-Trios, lässt sich das nur auf eine einzige Weise charakterisieren: bahnbrechend!
Track acht heißt »Waltz For The Lonely Ones« (ein weiterer Titel von Magnus Öström, der auf das »Gefühl« in Esbjörns Musik verweist; mit der späteren Vertextung im gleichen Geist durch Lina Nyberg kam indes eine zusätzliche Deutung hinzu) und ist ebenfalls ein sinnreich konstruierter Walzer im Folkstil, der beim ersten Hineinhören weit weniger kompliziert erscheint als sich bei näherer Analyse herausstellt. Auch dies (die Mischung von Einfachheit und Komplexität) sollte zum Markenzeichen für e. s. t. im Allgemeinen und für das Komponieren Esbjörns im Besonderen werden. Wie so oft präsentiert das Trio einen einzigartigen Mix, indem es diese kleine, verborgene Perle mit Gesang begleitet. Alle Bandmitglieder jonglieren unbekümmert mit Blues, Gospel, Folk und hochoktanigem Bebopspiel, wenngleich das Piano die sammelnde und treibende Kraft bleibt.
Der neunte Track des Albums nennt sich »Silly Walk« (der Titel ist eine Hommage an Monty Python, die das Trio besonders liebte) und ist ein von hohem Tempo bestimmtes, einfallsreiches Stück, bei dem im Nachhinein der Verdacht entsteht, es kam auf das Album, um das künstlerische Vermögen des Trios auf bekanntem Terrain zu demonstrieren. Natürlich schafft es die Band nicht ganz, bis zum Schluss »seriös« zu bleiben, das Finale präsentiert sich – wenn auch zurückhaltend – in der Manier eines klassischen Hardrock-Konzerts.
Es folgt Stück 10, »Tough Tough«, ein Gospelblues mit Funkfeeling, der neben dem bandtypischen Spiel mit Harmonien und Strukturen sowie einem technisch interessanten Slapbass-Solo ein weiteres Mal den nahezu einzigartigen Swing der Band unter Beweis stellt. Der Titel spielt auf den fast dampflokmäßigen Groove in dem Stück an (Tuff-Tuff-Eisenbahn) und kann nichts anderes sein als eine »harte Nummer mit viel Energie«.
Den Abschluss bildet wieder ein vom Gospel bestimmtes Stück, »Hands Off« (der Titel rührt daher, dass Magnus praktisch alle Percussioninstrumente mit den Händen spielt), in welchem sich Bass und Piano bei der Melodieführung abwechseln. Das bisweilen vielschichtige und farbige Klangbild des Albums wird hier auf Piano, Bass und ausgefallene Rhythmen reduziert.
Auf dem edel gestylten Cover bedanken sich die Musiker mit einem »Hej!« beim Fußballverein Skultuna, dem Schiedsrichter und dem Publikum. Es ist ein ständiges Pendeln zwischen Ernst und Slapstick.
Das Konzert selbst wurde ziemlich rasch in dem ältesten Jazzmagazin der Welt, dem Orkesterjournalen, besprochen und erhielt gute Kritiken. Auch Sven Malm vom Svenska Dagbladet schloss sich der positiven Bewertung an und bezeichnete den Auftritt als »großartig jungen, kraftvollen Jazz«. Beim Album selbst ließ die Medienresonanz auf sich warten. Erst in der Oktoberausgabe des Orkesterjournalen – Nummer 9 – folgte eine Rezension. Der Bestnote muss man noch hinzufügen: »Die Freude am Swing ist ehrlich und schwindelerregend«; »hier findet sich eine Schwermut, die frech genug ist, sich an der eigenen Melancholie zu berauschen« und: »Das Esbjörn Svensson Trio hat hier die Konturen einer Musik gezeichnet, deren Ausdruckskraft tief berührt und die in ihrer unmittelbar persönlichen Art unsere Ohren wie frisch erschaffen trifft«. Eine Spitzenbeurteilung in Schwedens feinstem Jazzmagazin also und so gesehen ein Meilenstein. Malm vom Svenska Dagbladet trifft in seiner Rezension eine wichtige Feststellung: »Was an diesem Trio gefällt … ist, dass es häufig die üblichen Pfade des Triospiels verlässt … Bass und Schlagzeug sind mehr ins Ganze eingebunden und das wirkt höchst erfrischend.« Dennoch war das erste Album nur der endgültige Aufbruch zu einer Reise, die bereits viele Jahre zuvor ihren Anfang genommen hatte.
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Das Esbjörn Svensson Trio ist eine Band mit tief reichenden Wurzeln. Man kann sie zurückverfolgen bis ins Skultuna der 1960er-Jahre, wo zunächst Esbjörn und dann Magnus zur Welt kamen.
Skultuna zählte um 1960 ungefähr 3500 Einwohner. Viele waren im Skultuna Messingwerk beschäftigt, seit dem 17. Jahrhundert königlicher Hoflieferant für Schmuckgegenstände aus Messing. Andere arbeiteten in der Metallfabrik – ein Verarbeitungsbetrieb im Osten des Ortes, der verschiedene Aluminiumartikel herstellte –, oder in der Skultuna Topffabrik, wo man Kochtöpfe produzierte. In Skultuna gab es zu jener Zeit eine ICASupermarktfiliale, einen Konsum, einen kleinen Vivo-Supermarkt, eine Zweigstelle der Handelsbank und eine Sparkasse, eine Bibliothek, den Kiosk mit der Bushaltestelle mitten im Ort, eine Tankstelle von OK, eine von Shell, ein Eisenwarengeschäft, ein paar Kindertagesstätten, die Tibble-Grundschule, die Persbo-Schule für die Mittel- und Oberstufe sowie ein Kino. Irgendwann Mitte der 1970er-Jahre riss man die pompöse Fabrikantenvilla ab und errichtete auf der frei gewordenen Fläche Mietwohnungen in funktionalen Gebäuden, die alsbald von Familien mit Kindern bevölkert wurden. Abends und an den Wochenenden wurde es ruhig in Skultuna. Die Geräusche, welche hin und wieder die Stille durchbrachen, konnte man schon von Weitem zuordnen: der rote Volvo Amazon mit schwarzer Motorhaube, »Rattans« sorgfältig gepflegte Puch Dakota, der 126er aus Västerås und so weiter.
Esbjörn kam am 16. April 1964 in der höchst musikalischen Familie Svensson zur Welt. Bei einer klassisches Klavier spielenden Mutter, einem Vater, der das Haus mit Jazzmusik klassischen Zuschnitts erfüllte, einem schwarzen Klavier von Östlind & Almqvist und einem Cousin des Vaters – Gunnar Svensson, auch bekannt als Helmer Bryd im Radioprogramm Mosebacke Monarki –, einem gefeierten Jazzpianisten, war es nie weit zum Jazzpiano. Die Familie bewohnte ein gepflegtes Reihenhaus mit Garage in der Stockstraße. In dieser Straße gab es mehrere musikalische Vorbilder. In der einen Richtung, mehrere Häuser entfernt, wohnte die Musikerfamilie Pajunen, deren Vater und nach und nach auch die Söhne mit einer finnischen Tanzmusikband, Sointu Bolero, landesweit durch die Clubs tourten. In der anderen Richtung gab es einen weiteren Musiker, Nisse Andersson, und vis-à-vis wurde ein Jahr später der jüngste Sohn der Familie Öström, Magnus, geboren.
Dass die Musik Esbjörns und Magnus’ Leben bestimmen würde, zeichnete sich schon sehr früh ab. Was Esbjörn selbst anging, kam diese Anlage bereits bei seiner Taufe im September 1964 in der frisch renovierten Domkirche zu Västerås zum Vorschein. Als der Organist Hugo Melin zum ersten Ton ansetzte, begann der kleine Esbjörn zu weinen – laut und herzzerreißend. Der Dompropst lächelte Mutter Anita zu: »Mach’ dir keine Sorgen! Das ist ohne Zweifel ein musikalisches Kind.« Es sollte nicht das letzte Anzeichen zunehmender Musikalität sein. Als er gut ein halbes Jahr alt war, hüpfte der junge Esbjörn im Gitterbettchen zur Musik der Beatles und ein paar Jahre später lernte er, die Tschaikowsky-Uhr der Eltern in Gang zu setzen. Ständig hörte man ihre Klänge im ganzen Haus, bis sie kaputt ging. Spielte Mutter Anita auf dem Klavier Chopin, rollte Esbjörn sich neben ihr zusammen und hörte stundenlang zu. Ein anderer Favorit war die »Bummbumm-Musik« – Strawinskys Le Sacre du Printemps.
Allmählich wurde Esbjörn zum großen Bruder, zunächst von Monica, danach von Mattias und zuletzt von Katarina, die sieben Jahre nach ihrem ältesten Bruder zur Welt kam. Esbjörn übernahm als wohlorganisierter, fürsorglicher und tatkräftiger großer Bruder das Kommando im Reihenhaus.
Der junge Esbjörn zeigte eine ausgeprägte Neigung, ganz in seinen Interessen aufzugehen. Erste Mandolinenstunden kamen in Konflikt mit dem Fußball und den ambitionierten Plänen des Sportvereins von Skultuna mit dem kleinen, begabten Mittelfeldspieler. Der Sport zieht sich wie ein roter Faden durch die Esbjörns gesamte Kindheit. Daneben widmete er sich seinem Faible für Eisenbahnen, dem ein sehr detailorientiertes Interesse an Tieren folgte, das seinerseits etwas anderem weichen musste, das zur lebenslangen Leidenschaft werden sollte: der Astronomie. Das ging sogar so weit, dass Esbjörn ein E-Piano verkaufte, um mit dem Geld ein vernünftiges Teleskop zu finanzieren. Und als die Wahl des Gymnasiums anstand, schwankte er lange zwischen dem naturwissenschaftlichen Zweig – wegen der Astronomie – und dem musikalischen auf der Carlforsska-Schule in Västerås.
Magnus Öström wurde im April 1965 als jüngster Sohn (der große Bruder Tommy ist drei Jahre älter) von Arne und Siv Öström geboren. Auch auf der Seite mit den geraden Nummern der Stockstraße (Magnus wohnte in der Nummer 16 und Esbjörn in Nummer 13) trat die musikalische Begabung früh zutage, wenn es auch einige Jahre dauerte, bis sich Magnus’ spezifisches Talent zu erkennen gab. Mutter und Vater Öström bemerkten irgendwann, dass die morgendlichen Aufenthalte ihres Sohnes im Badezimmer immer länger wurden, und begannen sich nach den Gründen dafür zu fragen. Eines Morgens, als Siv am Badezimmer vorbeikam, hörte sie ein rhythmisches Klack-Klack. Neugierig und weil sie sich den Ursprung der Geräusche nicht erklären konnte, öffnete sie die Tür und sah den Sohn mit Zahnbürsten als Schlaginstrumenten und ein paar einfachen Konservendosen als »Trommeln« auf der Toilette sitzen. Der früher so populäre Mythos, Magnus habe seine Schlagzeugerkarriere mit Farbeimern aus Papas Geschäft begonnen, darf hiermit als widerlegt gelten.
Natürlich dauerte es nicht lange, bis Esbjörn und Magnus zusammen Musik machten. Allerdings reichten einfache Badezimmerartikel für die Dynamik jetzt nicht mehr aus und man stellte nun tatsächlich ein Schlagzeugset aus Farbeimern zusammen. Zu Beginn spielte Esbjörn Gitarre und sang. »Eigentlich hätte ich lieber Schlagzeug gespielt«, gestand er später seinen Eltern, »aber das machte Magnus ja schon.« So lange wie Esbjörn Gitarre spielte, fanden die Übungsstunden im Öströmschen Keller statt.
Esbjörn war jemand, der bei allem, was er sich vornahm, mit großer Sorgfalt und Gründlichkeit zu Werke ging. Er organisierte Fußballspiele, Hockeyturniere, »olympische Spiele« und vieles andere für die Kinder in der Stockstraße. Die für die sportlichen Ereignisse aufgestellten Regeln waren anspruchsvoll. Unter anderem wurde erwartet, dass die Teilnehmer zum traditionellen Tischhockey am Tag vor Weihnachten eigene Spielfiguren mitbrachten (diese mussten in den korrekten Farben ihres Vereins bemalt sein) und die richtigen Mützen für die Aufgabe trugen, die sie bei der Gelegenheit auszuführen hatten (außer den Spielern gab es Schiedsrichter, Pucksucher, Zeitnehmer und so weiter und alle wechselten einander ab).
Dieses hohe Maß an Ehrgeiz wurde von Magnus nicht immer geteilt. Eines Tages – er war zwischen acht und zehn Jahre alt – erklärte er Esbjörn, er habe andere Pläne als den ganzen Tag zu üben. Die neue Autorennbahn der Marke Scalextrik war verlockender.
»Aber müssen wir nicht üben?«, fragte Esbjörn bestürzt.
»Ich will mit den Autos fahren«, antwortete Magnus.
»Dann fliegst du aus der Band«, befand Esbjörn kalt.
Magnus wurde allerdings, nachdem der neue Schlagzeuger sich als unfähig erwiesen hatte, den Takt zu halten, noch in der selben Woche wieder in die Band zurückgeholt.
Meist klappte es jedoch sehr gut mit der Zusammenarbeit. Eines Tages ging Vater Öström auf die Straße, wo er zu seinem Erstaunen die Troddel an der Mütze seines Sohnes auf Bodenhöhe auf- und abschwingen sah. Als er näherkam, stellte er fest, dass sein Sohn tief in einem Erdloch wühlte, während Esbjörn als Zuschauer daneben stand.
»Ich habe mit dem Graben angefangen«, erklärte Esbjörn, »aber Magnus ist stärker und jetzt kommen wir allmählich tiefer.«
Das Ziel war, einen Tunnel nach China zu graben.
Diese Form von Ehrgeiz ließ auch später nicht nach.
In Skultuna mangelte es allgemein nicht an musikalischen Talenten. Trotz der bescheidenen Einwohnerzahl gab es sowohl eine kommunale Musikschule unter Leitung von Olov und Eivor Öberg, die fast alle Musikinstrumente unterrichteten, als auch Musiklehrer auf jedem Niveau. Während der 1970er-Jahre wirkten zeitweilig sogar zwei gut ausgebildete Kantoren am Ort, die auch als Klavierlehrer zur Verfügung standen. Die Ergebnisse ließen nicht auf sich warten; ganz viele Kinder machten Musik und etliche mit beachtlichem Erfolg. Der erste Pianist aus dem 1964er-Jahrgang, der von sich reden machte, war allerdings nicht der talentierte Esbjörn, sondern ein Mitschüler aus der Parallelklasse, Per-Erik Jonsson. Bereits 1975, mit nicht einmal elf Jahren, spielte er in der Fernsehsendung Hylands Hörna zusammen mit der Hausband des Senders eine abgefahrene Version von »Good Golly Miss Molly«. Als Per-Erik, ohne vom Flügel abzulassen, aufstand und den Stuhl mit dem Fuß in klassischer Jerry Lee Lewis-Manier nach hinten kickte, wurde dies von musikinteressierten jungen Leute aus Skultuna vielfach so empfunden, als ob der Stuhl buchstäblich für sie umgestoßen worden sei. Der Stein vor der Höhle war sozusagen weggerollt und der Weg hinaus in die Welt war frei. (Per-Erik ist übrigens noch immer als Jazzpianist aktiv, aber seine Geschichte ist hier nicht das Thema.)
Esbjörns und Magnus’ erste Band hieß Varning för Nybörjare (Warnung vor Anfängern), man spielte eigene Kompositionen. Daraus entwickelte sich die Band Pilska Päron (Geile Birne) und später die Coverband Micro Music. Mit Micro Music hatten die beiden einen gewissen Erfolg. Zusammen mit Raimo Pajunen, Åsa Norell, Ola Andersson und Mats Ekdahl durften sie unter anderem in Radio Västmanland mit einem eigenen einstündigen Programm mit bemerkenswert authentischem 1950er-Jahre-Rock auftreten. Nach Micro Music kam gegen Ende der 1970er-Jahre die Band Scendrag, die Rock und Blues mit Esbjörn an Piano und Orgel und Magnus am Schlagzeug spielte. Am Bass auch hier Ola Andersson – später Profi-Bassist und Musiklehrer in Norwegen.
An einem Sommernachmittag wurde die Band für eine Hochzeitsfeier engagiert. Esbjörn beschrieb den Auftritt in seinem Sommerprogramm wie folgt (P1, den 23. Juni 2003):
» ›Für eine Hochzeitsfeier wird eine Band gesucht‹, stand in der Zeitung. Ich rief an.
›Hej, ich heiße Esbjörn und habe eine Band. Wir spielen jede Art Musik und kosten 500 Kronen.‹ Mein Part war die Orgel, Magnus Öström war für das Schlagzeug, Ola für den Bass, Mats für die Gitarre und Åsa für den Gesang verantwortlich. Als wir ankamen, saßen die Hochzeitsgäste schon beim Essen. Wir luden ab und packten aus. Sie warfen uns komische Blicke zu. Sie hatten doch eine Band gebucht und nicht einen Trupp kleiner Jungs. Aber man ließ uns machen. Zum Kaffee gaben wir ein paar Stücke von Taube zum Besten, mit Gitarre, mehrstimmigem Gesang und so. Dann folgten der Hochzeitswalzer, Hambo (ein schwedischer Volkstanz), Schottis, Disco, Rock’n’Roll und alles, wonach man tanzen konnte. Die Stimmung war wunderbar. Wir konnten sogar ein paar unerlaubte Getränke probieren. Ich war damals erst 14 Jahre alt, mir wurde ziemlich schwindlig und ich kippte Wein in die Orgel. Am Schluss wimmerte sie nur noch. Glücklicherweise war noch ein akustisches Klavier da. Nachdem das überstanden war, wurde es Zeit für das Geschäftliche. Das war mein Part. Der Toastmaster, der das Geld hatte, war fast zwei Meter groß und äußerst kräftig. Er nahm mich beiseite und sagte: ›Ja, also, wir hatten ja 500 gesagt … das ist ja verdammt wenig! Sagen wir 2000?‹
Ich starrte ihn an.
›2000?‹
Machte er Witze? Nein, machte er nicht. Ich nahm die 2000 Kronen in 100 Kronen-Scheinen in Empfang und teilte sie zwischen uns fünf auf. 400 Kronen für jeden.
Später, als alles in die Karre gepackt war und es Richtung Skultuna ging, war es vier Uhr morgens. Wir verabschiedeten uns von Ola und spazierten gemächlich durch Skultuna. 400 Kronen reicher, in einer einzigen hellen Sommernacht.«
Die Oberstufe auf der Persbo-Schule wurde sowohl für Esbjörn als auch für Magnus zu einer wichtigen Etappe ihrer zukünftigen Musik. Sie hatten das Glück, in den für die musikalische Ausbildung verantwortlichen Lehrern, Ingemar Olsson und Anders Caringer, zwei engagierte Begleiter zu finden.
Ingemar Olsson, der dort zwischen 1976 und 1980 arbeitete, erinnert sich an zwei wissbegierige, aufgeschlossene Schüler – Esbjörn der forschere, Magnus der eher nachdenkliche –, die sich mit ungewöhnlichem Eifer am Musikunterricht beteiligten.
»Thema im Unterricht war, wie man Melodien notiert«, erinnert sich Olsson. »Esbjörns Gruppe entwickelte ein Lied gegen Gewalt mit dem Titel ›Sluta Skjuta‹ (Hört auf zu schießen). In Magnus’ Gruppe ging es um zurückgebliebene Teenies, die Skateboard fuhren.« Esbjörn und Magnus beteiligten sich auch an einem christlichen Musical, das in der Missionskirche aufgeführt wurde und das wieder einmal Esbjörns Gründlichkeit herausforderte. »Esbjörns Vater kam eines Tages zu mir und fragte mich, was dahinter stecke, dass sein Sohn die alte Konfirmationsbibel hervorgekramt habe«, erzählt Olsson. Später erhielt Esbjörn Klavierunterricht von seinem Lehrer. Als Moderator im Sommerprogramm des Schwedischen Rundfunks kam Esbjörn 2003 darauf zurück, als er berichtete: »Vermutlich begann in dieser Zeit meine ernsthafte Beschäftigung mit dem Klavier«.
Auch Anders Caringer erinnert sich an die beiden »hellwachen, intelligent und extrem an Musik interessierten« Schüler. Esbjörn sei schon damals äußerst zielgerichtet gewesen und hätte jedem, der er hören wollte, verkündet, Schwedens bester Pianist werden zu wollen.
»Und wie soll das gehen?«, fragte Caringer.
»Ich werde wohl fünf, sechs Stunden am Tag üben müssen, auch an Wochenenden, und Freunde und Ausgehen … das muss warten«, antwortete Esbjörn.
Gab es schon auf der Oberstufe Anzeichen dafür, dass diese beiden Jungs eines Tages den Jazz weiterentwickeln würden? Ja, meint Anders Caringer: »Ich glaube, ihre Offenheit gepaart mit unbändiger Neugier auf die unendlichen harmonischen, disharmonischen, rhythmischen und klanglichen Möglichkeiten haben ihre Musik geformt. Störende musikalische Regeln und Erwartungen schoben sie beiseite und schufen damit Neues.«
Im Anschluss an die Oberstufe belegte zunächst Esbjörn und im Jahr darauf Magnus den zweijährigen Musikzweig an der Carlforsska-Schule in Västerås. Man mag es für einen Witz halten, aber die Zulassung war bei keinem der beiden künftigen Weltklassemusiker selbstverständlich. Magnus hatte eigentlich nicht die erforderlichen Zeugnisnoten und Esbjörn fühlte sich höchst unwohl beim Gedanken an seine recht rudimentären Kenntnisse im Notenlesen. Die Musiklehrer der Persbo-Schule verfassten jedoch Empfehlungsschreiben, die offenbar nicht ohne Wirkung blieben: Die Bewerbungen gingen durch.
Auf Esbjörn belegte nach Abschluss dieser Schule ein weiteres Jahr noch einen anspruchsvollen Spezialkurs, danach ging er auf die Musikalische Akademie in Stockholm. Für Magnus standen im Anschluss an die Carlforsska-Schule zunächst noch zwei Jahre auf der Folkhögskola Sjövik an. Aber eines Tages rief Esbjörn freudestrahlend an, um zu sagen, dass er den Namen des Freundes auf der Liste der zur »Acki« (Musikalische Akademie) Zugelassenen entdeckt hatte.
Der Aufenthalt in Stockholm drohte ein kurzes Intermezzo zu werden. Bald nach der Zulassung zu der prestigeträchtigen Ausbildung, für die mancher vielleicht sogar über Leichen gegangen wäre, kam Esbjörn nach Hause und erklärte den Eltern, dass ihm weder das hauptstädtische Tempo noch die verfügbaren Wohnmöglichkeiten behagten. Auch Magnus war sich nach einigen Wochen nicht mehr sicher, ob die Ausbildung, die anfänglich nicht seinen Erwartungen entsprach, für ihn das Richtige war. Aber die beiden bissen die Zähne zusammen und hielten durch. Zum Glück – für den Jazz und das Publikum auf der ganzen Welt.
Schon 1985 experimentierte Esbjörn mit einer Trioformation, damals zusammen mit Jonas Forsberg am Bass und Mikael Ulfberg am Schlagzeug. 1987 spielte Magnus im Quintett der bekannten Sängerin Monica Borrfors, zusammen mit Musikern wie Stefan Isaksson und den Brüdern Per und Gösta Nilsson. Esbjörn war zu dieser Zeit bereits festes Mitglied der legendären Plantskolebandet (Baumschulenband) sowie der Fredrik Norén Band, zusammen unter anderen mit dem Bandleader und Schlagzeuger Fredrik Norén, den Bassisten Christian Spering und Hans Backenroth, den Tenorsaxophonisten Tomas Franck und Joakim Milder sowie dem Trompeter Gustavo Bergalli. Gemeinsam war beiden Bands, dass sie zum einen aus etablierten Musikern bestanden, die so viele Engagements hatten, wie in der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre für Jazzmusiker überhaupt zu bekommen waren, zum anderen der Mix aus älteren routinierten und jüngeren hungrigen Talenten sehr ausgewogen war.
»Esbjörn war anfänglich übervorsichtig«, lacht Gustavo Bergalli. »Er war so bedacht darauf, allen alles recht zu machen und nicht stärker in den Vordergrund zu treten, als er meinte, wert zu sein, dass es mitunter fast ein bisschen zu wenig wurde. Wie ein Koch, der das Essen sehr zurückhaltend würzt, obwohl er die besten Zutaten zur Verfügung hat. So etwas wird doch lächerlich, oder nicht? Er hatte Handschuhe mit abgeschnittenen Enden, um die Finger warmzuhalten, nahm es supergenau mit allen Tönen und Fredrik schrie ihn deshalb oft an ›Gib Gas!‹ und ›Los, auf geht’s!‹. Franck war ja ein Tenorsaxophonist mit sehr voluminösem Ton, der Bassist ließ die Saiten aufs Griffbrett klatschen, Fredrik war nicht zu überhören und ich … naja, du weißt schon. Als wir dann später einen anderen Bassisten bekamen und auch der Tenorsaxophonist wechselte (Joakim Milder), fühlte sich Esbjörn wohler und blühte auf. Und im Trio … da konnte er richtig kraftvoll sein, wenn er wollte.«
Ende 1988 war Esbjörn, wie Musikerkollegen und Freunde übereinstimmend versichern, nahe daran, den Jazz aufzugeben. Bevor er die Fredrik Norén Band verließ, hatte er zu Hause angerufen, um die Sache mit seiner Mutter zu besprechen. Wieder blieb sie sich treu und riet ihrem Sohn, seinem Herzen zu folgen. »Wenn du andere Sachen als bei Fredrik Norén spielen willst, musst du es natürlich tun.« Also stürzte sich Esbjörn mit dem selben Eifer wie bisher in die Welt des Pop. Er begann sich mit dem Synthesizer und anderen Keyboards zu beschäftigen und spielte unter anderem mit Orup, Lisa Nilsson, Jennifer Brown, Louise Hoffsten und Pernilla Wahlgren.
1989 dachten Esbjörn und Magnus erneut über die Möglichkeiten einer musikalischen Zusammenarbeit nach. Ihre Musik stützte sich zu Anfang sehr stark auf Elektronik und war betont experimentell. »Wir spielten mit einer Menge von Effekten herum«, erzählt Magnus, »manchmal ganz schön schräg. Wir traten hin und wieder an den Blacknuss-Abenden im Fasching auf und ich bin nicht sicher, ob das Publikum immer mitbekommen hat, dass wir praktisch live spielten. Es waren ja Sampler und alles Mögliche.«
Allmählich aber näherte sich das Repertoire jenem Mix musikalischer Elemente – traditionelle Volksmusik, Jazz und verschiedene elektronisch modifizierte Klänge –, die zum Markenzeichen des zukünftigen Trios werden sollten. Ein halber Rückzug und gleichzeitig ein Schritt nach vorn für Esbjörn, könnte man sagen. Die Songs kamen aus seiner Feder und trugen Namen wie Björkhimmel (Birkenhimmel) und Selleritrip (Sellerietrip).
Die Formation nannte sich ein wenig geheimnisvoll Stock Street B. Hinter dem Namen der Band verbarg sich natürlich eine augenzwinkernde Anspielung auf die Straße ihrer Kindheit, die Stockstraße (Stockvägen). Sie veränderte mehrmals ihr Aussehen. Christian Spering war ein gefragter Bassist, dessen Platz im Laufe des Jahres 1991 Hans Backenroth einnahm, der Name der Band wurde in Esbjörn Svensson Trio geändert. Esbjörn kannte Hans Backenroth von der Fredrik Norén Band und die beiden hatten hin und wieder darüber nachgedacht, ein eigenes Trio zusammenzustellen. Backenroth hatte schon in seiner Zusammenarbeit mit Anders Widmark Trio-Erfahrungen gesammelt. Ihren ersten Auftritt hatte das neue Trio im Café Kristina in der Västerlångstraße, wo zu jener Zeit regelmäßig Live-Jazzkonzerte stattfanden. »Es war fantastisch!«, erinnert sich Hans Backenroth, »ich konnte danach kaum einschlafen.«
Zu Beginn bestand das Repertoire aus einer Mischung aus Esbjörns Kompositionen und Standardnummern. Außerdem spielte man – wie mehrere andere Bands auch, nicht zuletzt Mats Holmquists Stora Stygga – zusammen mit bekannteren Vokalisten. Rebecka Törnqvist hatte kürzlich einen Plattenvertrag bekommen und näherte sich dem Durchbruch. Mit Richard Häger, auch bekannt von der Partyband Cotton Club, gab es ebenfalls eine Zusammenarbeit.
Im Frühjahr 1992 spielte e. s. t. bei verschiedenen Gelegenheiten im vierten Fernsehprogramm TV4 anstelle der Coverband Gaston Brothers als Hausband in der Live-Unterhaltungssendung Direkt från Berns. Das Trio kam groß heraus, vielleicht nicht unbedingt wegen des Jazz – eher sind wohl aus dem Programm Hans Backenroths Slapbass, Magnus’ Löffelspiel und Esbjörns Mundharmonika in Erinnerung geblieben.
Etwas später durfte das Trio im Morgenprogramm von TV4 auftreten. Das Problem war nur, dass Esbjörn selbst im Skiurlaub war und Stefan Gustafson ihn vertrat. Zu den Legenden des Trios gehört die Abmoderation: »Sie hörten Hans Backenroth, Magnus Öström und Stefan Gustafson … also, das Esbjörn Svensson Trio«, erklärte der Moderator verwirrt.
Im Sommer 1992 heiratete Esbjörn seine Freundin Eva. Eine schöne Hochzeit, erinnern sich die Freunde, auf der unter anderem Rebecka Törnqvist sang. Und Esbjörn spielte natürlich selbst zum Tanz. Im Herbst des selben Jahres hatte die Band auf einer anderen Hochzeitsfeier außerhalb von Åkersberga einen Gig. Esbjörn wollte seine Eva dort gerne als Sängerin dabei haben. Dummerweise stellte er sie mit ihrem Mädchennamen vor. Eva wandte sich um und blickte ihren Mann streng an: »Ich heiße Svensson mit Nachnamen.« Esbjörn brauchte einen Augenblick, um sich zu fassen: »Ja, genau, wir sind ja verheiratet!«, lächelte er ein wenig verlegen.
Das Trio zog auch ein paar Dauerengagements an Land. So konnte man es beispielsweise als Hausband bei Jamsessions im Jazzclub Village in Västerås hören – nicht selten gemeinsam mit dem jungen Tenorsaxophonisten Magnus Lindgren – und von Herbst 1992 an auch im Felix.
»Zur gleichen Zeit wurde in der Jazzwelt ständig am Konzept eines Pianotrios herumgenörgelt«, erzählt Backenroth. »Viele Arrangeure begegneten einem Pianotrio mit Skepsis, man hielt es ›für allzu soft‹. Wollten wir einen Auftritt bekommen, musste ein Solist her – gerne auch vokal.«
»Richtig aktive Jazzclubs gab es eigentlich nicht so viele und Publikumsmagneten waren sie meist auch nicht«, erklärt Magnus Öström. »Wir wollten spielen, wo die Leute hingingen, mit dem Publikum zusammenkommen, an Orten auftreten, wo die Leute waren, die der Musik zuhören wollten. Ein jüngeres Publikum war herangewachsen und es war ganz klar, dass die nicht in die Jazzclubs gingen. Da waren Esbjörns Flirt mit der Popmusik und seine Erfahrungen mit dieser Welt eine echte Hilfe und eröffneten uns neue Perspektiven.«
»Esbjörns Einstellung war unerbittlich«, erinnert sich Hans, »sein stehender Kommentar war: ›Das muss gehen! Man muss es nur interessant machen‹.« Magnus pflichtet ihm bei: »Esbjörn telefonierte mit allen möglichen Leuten und zum Schluss bissen einige an. Das Felix lag unmittelbar oberhalb des Fasching in der Kungsgatan. Es war ein hipper Laden und wir bestritten den ersten Teil allein, den zweiten zusammen mit ›geheimen Gastkünstlern‹ – Musikern wie Jean-Paul Wall, Janne Schaffer, Svante Turesson und anderen. Das Felix war ideal und das Restaurant richtig gut. Viele Musiker hingen dort herum. Am Anfang traten wir jede Woche auf. Dann richteten wir es so ein, dass jede zweite Woche Anders Johanssons Nuthouse dran war.«
»Wir versuchten uns in ganz unterschiedlichen Musikstilen«, erinnert sich Backenroth, »es konnte puristischer Jazz sein, aber auch etwas vollkommen anderes. Einmal gab Eric Gadd im Lokal neben dem Felix ein Eröffnungskonzert. Wir wollten einen Soundcheck machen, konnten aber nichts hören, weil die Musik nebenan so laut war. Esbjörn schlug vor, den Soundcheck statt mit unserer eigenen Nummer mit derjenigen zu versuchen, die nebenan gespielt wurde. Also legten wir los. Eric Gadd kam prompt zu uns rüber. Er schien das nicht besonders witzig zu finden.«
Im Felix waren nicht alle von dem experimentellen Zeug begeistert. Magnus erzählt: »Eines Abends, als wir dort auftraten, war ein bekannter Regisseur in weiblicher Begleitung dort. Er wurde gleich ziemlich pampig und fing an herumzustänkern: ›Das ist doch kein Jazz hier. Ich habe Charlie Parker in New York gehört und weiß wovon ich rede‹. Der Regisseur war wirklich sauer, aber wir drei genauso. Wir waren kurz vor einer Schlägerei, bis seine Begleiterin dazwischen ging.«
»Alles schien irgendwie möglich«, meint Magnus und fährt fort: » Ob wir vielleicht die erste Band sind, die auf dem Mond spielt, war einer unserer halb ernst gemeinten Scherze. Wir träumten davon, richtige Shows zu machen, wie eine Rockband – Rockbands waren unsere Vorbilder seit unseren Jugnedtagen in Skultuna: extremer Sound, Lightshow, Rauch und solche Sachen.«
In der Band lief es gewöhnlich so, dass für die Kompositionen vor allem Esbjörn zuständig war. Das heißt, vor allem für Skizzen und Basics. Die endgültige Fassung – soweit man im Jazz überhaupt von Endgültigem sprechen kann – erarbeiteten dann alle gemeinsam.
Am 9. Oktober 1992 verwiesen Magnus und seine Freundin Maria die Musik für eine Weile auf den zweiten Rang. Da kam nämlich Amanda Öström zur Welt. Magnus und Maria hatten sich zum Jahreswechsel 1990 /91 kennengelernt und lebten seit dem Sommer 1992 zusammen. Das Timing für die Geburt war günstiger für die Familie, als man ursprünglich geplant hatte. Das große Ereignis war ursprünglich für den 3. November ausgerechnet und hätte bei der Tournee des Trios mit Rebecka Törnqvist eine Vertretung für Magnus bedeutet. Aber da es schon im Oktober soweit war, konnte Magnus Entwarnung geben: »Keine Vertretung nötig, Amanda ist schon unterwegs!« So kam es, dass die ganze Familie Öström, das drei Wochen alte Baby eingeschlossen, auf Tournee ging. »Amanda war mit ihren drei Wochen schon in ganz verrufenen Clubs«, grinst Magnus.
Ende Oktober fand ein Konzert statt, das die Entwicklung des Trios nachhaltig beeinflussen sollte. Esbjörn rief Magnus und Backenroth aus Umeå an: »Ich habe gerade Lyle Mays gehört«, berichtete er aufgeregt. »Jetzt weiß ich, in welche Richtung wir uns bewegen müssen.« Und als Mays ein paar Tage später im Fasching auftrat, war das komplette Trio zur Stelle, um ihn zu hören.
Um diese Zeit herum begann die Band auch über ein klareres Profil zu diskutieren und insbesondere Hans Backenroth war vor die Frage gestellt, ob er sich dich darauf einlassen könne, ausschließlich auf das Trio zu setzen.
»Gigs mit Gastmusikern waren wesentlich einfacher zu bekommen als wenn ausschließlich mit dem Trio auftraten«, erklärt Backenroth. »Klar, es machte Spaß. Aber irgendwie wirkte es nur zu 98 Prozent überzeugend. Das Trio hatte damals schon einen eigenständigen Stil. Aber sollte man sich deshalb endgültig auf die Trioformation festlegen? Mir lag immer daran, unterschiedliche Sachen zu machen, die mir ebenfalls viel bedeuteten. Esbjörn spürte wohl, dass ich in eine andere Richtung unterwegs war.«
Irgendwann im Winter 1992 rief Esbjörn Backenroth an: »Wir haben dich unheimlich gern im Trio, aber hättest du etwas dagegen, wenn wir anderen Bassisten eine Chance geben, sobald du nicht mehr voll mitmachen möchtest?«
Natürlich sei das ok, erklärte Backenroth. Unmittelbar nach dem Gespräch sprach Esbjörn Dan Berglund deshalb an.
»Wir tranken ein Bier oder zwei und Esbjörn fragte mich, ob ich Lust hätte, bei einem Gig in der Altstadt dabei zu sein«, erinnert sich Dan Berglund.
Der Auftritt fand wieder im Kristina statt und ohne dass es Berglund richtig bewusst war, nutzten Esbjörn und Magnus dieses Konzert, um sich ein Bild darüber zu verschaffen, was Berglund musikalisch so drauf hatte. Danach stand fest, dass das Trio sein drittes Mitglied gefunden hatte. Ein paar Tage später, während einer Konzerttournee in Norrland mit Lina Nyberg, saßen Esbjörn und Dan in derselben Badetonne. »Wenn du bei uns einsteigen möchtest, würden wir uns sehr freuen«, sagte Esbjörn. Und damit war die Sache geklärt.
»Esbjörn rief mich an, nachdem sie mit Dan geprobt hatten«, berichtet Hans Backenroth. »In gewisser Weise war es schon traurig, aber gleichzeitig fiel mir ein Stein vom Herzen. Esbjörn und Magnus hatten die Entscheidung getroffen, zu der ich mich nicht hatte durchringen können.«
***
Dan Berglund kam am 5. Mai 1963 im jämtländischen Pilgrimstad, nahe Östersund als jüngstes von vier Kindern zur Welt. Auch bei ihm stand schon recht früh fest, dass er sich der Musik verschreiben würde. Vater Berndt war, neben seiner Arbeit in der Sperrholzfabrik, ein eifriger Ziehharmonikaspieler – »Volkstänze, Schlager, ein bisschen Klassik, alles Mögliche eigentlich«, erinnert sich Dan –, der alle seine Kinder für die Musik zu begeistern versuchte. Er spielte regelmäßig auf den verschiedensten Festen – Familienfeiern, Hochzeiten, an Surströmmingstagen (dritter Donnerstag im August und Verkaufsstart der Fischdelikatesse Surströmming; A. d. Ü.) – und zu allen möglichen und unmöglichen sonstigen Anlässen. Sein Sohn Dan brachte sich mit Hilfe des Großonkels die Grundlagen des Gitarrenspiels und noch ein bisschen mehr bei. Und als es dann soweit war und er die Musikschule besuchen sollte, schickte der Lehrer ihn und seinen Freund mit der Bemerkung wieder heim: »Ihr könnt schon zu viel, wir können euch hier nichts mehr beibringen.« Also gründete der junge Dan, der gerade einmal elf, zwölf Jahre alt war, eigene Bands und spielte ebenfalls auf allen möglichen Festen. Das heißt, seine erste Band kam zu der Zeit zustande, als auch Esbjörn und Magnus begannen ihre Verstärker kreuz und quer durch Skultuna zu schleppen.
Dans Vater war nicht nur wichtiges Vorbild und Quelle der Inspiration, sondern er sorgte auch ganz praktisch für die Gigs. »Immer, wenn er selbst einen Auftritt hatte, nahm er uns mit«, erzählt Dan. »Die ganze Band.« Unter dem Namen Arnljots, nach Petterson-Bergers fiktivem Wikingerhelden, spielte Dans Band lupenreine Tanzmusik. Gleichzeitig aber hatte er die Band Dizzy – eine Hardrockbesetzung, die in Jugendzentren und bei Vater Berndts Engagements mit Nummern von Black Sabbath und Thin Lizzy, aber auch eigenem Material zu hören war. Dan spielte E-Bass und sang.
»In Östersund gab es kein Musikgymnasium und da dachte ich: Also, ich mach’ ja gerne ein bisschen Dampf mit Verstärkern, verlege ich mich doch auf die Bassgitarre«, erinnert sich Dan. »Aber es war dann doch nicht so interessant, wie ich mir das vorgestellt hatte.« Stattdessen lockten gemeinsame Auftritte mit einem Gitarristen in Östersund. Zum seinem Kontrabass kam Dan auf wundersame Weise. Der etwas flippige Oberstufenmusiklehrer Caesar hatte schon früh Dans musikalische Begabung entdeckt und war nahezu besessen davon, seine Entwicklung zu fördern.
Dan erinnert sich: »Caesar war so ein cooler Typ, der jede Menge positive Energie ausstrahlte. Den anderen Lehrern ging er wohl mit seinen ständigen Ideen ein bisschen auf die Nerven. Eines Tages stand Caesar mit einem Kontrabass vor dem Haus der Familie Berglund. »Ihr Sohn ist derart begabt, er muss Kontrabass spielen«, meinte der Lehrer kategorisch. Und so kam es. Und das, obwohl der Bass sicher ein gewaltiges Loch in die Familienkasse riss.
Nach Abschluss des Gymnasiums kümmerte sich Dan noch mehr um die Musik und schrieb sich an der Folkhögskola von Birka ein, was seiner Entwicklung einen deutlichen Schub gab. Nach dem Wehrdienst in Östersund nahm er da und dort vereinzelte Engagements an und wurde ein wenig bekannter. Dann trat Caesar wieder in sein Leben. Dieses Mal mit einer Empfehlung für das Landesorchester, das gerade einen Bassisten suchte.
Beim Vorspiel fiel Dan gleich mal durch. Aber von denen, die vor ihm auf der Wunschliste des Orchesters standen, wollte keiner den Job haben und so bekam er zunächst einmal einen Vertreterposten. Nach einem guten Jahr fand wieder ein Probevorspiel statt und auch jetzt wollte der, der vor ihm lag, den Job nicht haben. Also blieb es bei dem Vertreterposten. Als er sich zum dritten Mal der Prüfung stellte, bekam er endlich den Job, allerdings mit der Auflage, dass er Unterricht in klassischem Kontrabassspiel bei einem Profi nehme.
Inzwischen hatte er eine Menge Musiker aus Stockholm kennengelernt, unter anderem den Tenorsaxophonisten Krister Andersson und dem Posaunisten Bertil Strandberg. Von denen wusste er, dass solide, talentierte Bassisten in Stockholm Mangelware waren.
»Also bewarb ich mich an der Musik-Akademie, wo ich zum Einzelunterricht zugelassen wurde«, berichtet Dan. Kurz danach kam er in Kontakt mit der Band von Fredrik Norén, mit Lina Nyberg und noch vielen anderen.
Mit Dan Berglund als Bassisten brach für das Trio nicht nur eine neue Zeit an. Es kristallisierte stellte sich immer mehr heraus, dass damit die endgültige Besetzung des Trios gefunden war.
Es gab aber ein Problem hinsichtlich der Proben: Der schwerblütige Norrländer erwies sich als ausgesprochener Langschläfer. Von der Band bekam er deshalb als Willkommensgeschenk und gleichzeitig zu seinem 30. Geburtstag am 5. Mai 1993 einen Wecker in Form einer Dampflok. »Das Ding machte einen Höllenlärm. Es war wie eine Art Bombenabwurf, der von Mal zu Mal lauter wurde«, erinnert sich Magnus.
Dan kam zwar bildlich gesprochen nicht an einen gedeckten Tisch, aber immerhin zu Leuten, die schon bei der Vorbereitung eines anständigen Frühstücks waren. Es gab einen Plattenvertrag mit Dragon Records. Und es gab Engagements, sogar im Ausland.
Genau in diesem Frühjahr 1993 wurde der Grundstein zu einer Tradition gelegt, die zu einer der wichtigsten des Trios werden sollte. Der Kulturverein Roxy in Visby hatte begonnen mit der Queen der Nachtclubs, Alexandra Charles, zusammenzuarbeiten, die im Restaurant Gutekällaren etwas Jazzclubatmosphäre schaffen wollte. Einer der Künstler, die Alexandra kannte, war Rickard Häger. Beim Versuch, diesem das Projekt schmackhaft zu machen, wurde auch über ein gemeinsames Konzert mit e. s. t. gesprochen. Gemeinsame Tourneen gab es ja bereits.
»Von Anfang an funktionierte alles fantastisch«, erinnert sich Örjan Klintberg, der über viele Jahre bei Roxy für das Jazzprogramm verantwortlich war. »Die Jungs des Trios waren ja so nett und bescheiden. Es war sozusagen Liebe auf den ersten Blick. Auch für sie. Wir beschlossen, dafür zu sorgen, dass das Trio immer Engagements bei uns bekam, so dass sie etwas Sicherheit hatten.«
Im Juni war das Trio im Jazzhouse in Kopenhagen zu Gast und spielte dort im Quartett mit Niels Werner. Etwas später, noch im selben Monat, traten sie zusammen mit den Nachwuchstalenten Per »Texas« Johansson, Fredrik Ljungkvist und Magnus Broo beim prestigeträchtigen Stockholm Jazz & Blues Festival auf Skeppsholm unter dem Bandnamen Jazz Future auf. Der Name wurde allerdings bald in Jazz Furniture geändert – dies vor allem deshalb, um zu verhindern, dass jemand am Namen der Band Anstoß nähme.
Anschließend begab sich das Trio in die Sun Studios in Kopenhagen, um dort vom 2. bis 4. Juli die ersten Aufnahmen für das kommende Album zu produzieren. Einen Monat später führte sie ihr Weg zu einem weit entfernten Ziel: nach Chile. Organisiert worden war der Trip von Rikskonserter, einer staatlichen Stiftung zur Förderung der Musik. Was dort ablief, war nicht unbedingt das, was man sich vorgestellt hatte. Es begann schon am Flughafen, wo das Trio von ein paar Leuten in einem gewöhnlichen Kombi in Empfang genommen wurde.
»Ich begreife heute noch nicht, wie das funktionierte, aber wir schafften die 100 Kilometer von Santiago nach Viña del Mar tatsächlich mit dem Kontrabass und dem restlichen Equipment in dieser winzigen Kiste«, berichtet Magnus. »Esbjörn saß vorn mit dem Bass und wir auf dem Rücksitz mit dem Rest – immerhin der ganze Schlagzeugkrempel, Reisetaschen und was sonst noch. Wir waren ein paar Tage lang dort, obwohl wir nur zwei Gigs hatten.«
An einem der Nachmittage überredete Esbjörn seine Freunde, mit an den Strand zu gehen. »Esbjörn musste immer an den Strand«, erklärt Dan.
Die Chilenen, für die es Herbst war, wunderten sich, was die drei dort wohl vorhaben mochten. Aber sie ließen sich natürlich nicht abhalten. Bald war der Wein alle. Dan, der am meisten getrunken hatte, wollte Nachschub holen.
»Es war ein so schönes Bild«, erinnert sich Magnus: »Weit entfernt, denn es war ein verdammtes Stück zu Fuß, sah man auf einer fast menschenleeren Strandpromenade zwei Gestalten aufeinander zugehen: den hochgewachsenen Dan und eine etwas ältere Chilenin. Die beiden blieben voreinander stehen und schienen miteinander zu diskutieren, worauf die ältere Frau den Hochgewachsenen begleitete. Eine halbe Stunde später kam er stoz mit neuem Wein zurück. Klar, dass auch der dran glauben musste.«
Später am Abend versuchten Dan und Esbjörn Magnus zu überreden, sie zu einer Jamsession in der Nähe zu begleiten. Aber der wollte nicht. Also gingen die beiden alleine. Auf dem Heimweg begegneten sie einer jungen Frau in Begleitung ihrer Mama, die Dan unvermittelt drei Fragen stellte:
Erstens: Ob er bereits verheiratet sei.
Zweitens: Ob er Lust habe, mit der Tochter zu tanzen (die deutlich zu verstehen gab, dass sie sich nichts lieber wünschte).
Und drittens: »Are you a champion, or are you just playing?«
Die beiden ersten Fragen konnte Dan mühelos beantworten, was aber sollte er zur dritten Frage sagen? »Sie möchten wohl wissen, ob du ein Profi bist«, vermutete Esbjörn. »Sag’, du bist einer!« Gesagt, getan – nur mit knapper Not und vereinten Kräften schafften die beiden Freunde es anschließend, Dan vor einer Blitzhochzeit zu bewahren.
Nach dem ersten Konzert in Viña del Mar mussten die Veranstalter kleinlaut zugeben, dass es ein Problem mit der Bezahlung gebe. Nach dem zweiten versprachen sie, am folgenden Tag zu zahlen, das hieß am Tag des Rückflugs. Schließlich mussten sie mit zerknirschter Miene darum bitten, das Honorar später überweisen zu dürfen.
»Tatsächlich kam niemals Geld. Aber wir beschwerten uns bei Rikskonserter und die vermittelten uns als eine Art Entschädigung eine Tournee nach Spanien«, erzählt Dan.
Die Spanienkonzerte waren Teil einer »nordischen Paketlösung«, das bedeutete eine Band pro Land mit Nils Henning Örstedt-Pedersen und Gigs unter anderem in Barcelona und Madrid. Bei einem der Auftritte gelang es dem sonst so detailversessenen Esbjörn, sich einmal gründlich zu blamieren. Er bedankte sich höflich beim Publikum, wie schön es doch sei, in Barcelona zu spielen. Allerdings fand das Konzert in dem eine dreiviertel Stunde von Barcelona entfernten Sitges statt. »Das war, als ob man den Södertäljern für einen Auftritt in Stockholm gedankt hätte«, lächelt Dan. »Ja, so richtig gut kam es nicht an«, meint Magnus und lacht.
***
Im Herbst 1993 führte Esbjörn seine Zusammenarbeit mit der Sängerin Lina Nyberg fort. Am 27. und 28. August nahmen sie zusammen das Album Close auf, finanziert von der Laila und Charles Gavatin Stiftung. Produziert wurde das Album in Göteborg und Studiotechniker war niemand anders als Åke Linton, der allmählich zum »vierten Mitglied des Trios« wurde.
»Es war ganz toll, mit Esbjörn zusammenzuarbeiten«, schwärmt Lina Nyberg. »Er kannte sich ja mit der Studioarbeit besser aus als ich, für mich war es die erste Plattenproduktion. Mal spornte er an, mal half er oder gab den einen oder anderen Rat. Aber ich habe auch ihn beeinflusst. Ich wollte, dass er das Piano stärker in den Vordergrund treten ließ, etwas mehr Dynamik entwickelte. Halb im Scherz erwiderte er: ›Weißt du, meine Mutter ist klassische Pianistin. Sie hat mir Respekt vor dem Instrument beigebracht.‹ «
Im Herbst 1993 entwickelte sich parallel zur Musik weibliche Dynamik ganz anderer Art, als die Frauen der Bandmitglieder sich zur Vereinigung »Frauen gegen Gratis-Gigs (FMGG)« zusammenschlossen. Maria Öström erzählt: »Es war wohl Evas Idee. Esbjörn war intensiv damit beschäftigt, sich selbst und die Band zu vermarkten, aber mit der Bezahlung nahm er es nicht immer so genau, Hauptsache, man bekam einen Job. Deshalb startete sie eine Aktion, um den Jungs beizubringen, auf einer Bezahlung zu bestehen. Und als wir uns trafen und die Sache diskutierten – es war während eines ›fantastischen‹ Gigs im Mästar Anders im Herbst 1993, bei dem wir beide übrigens das einzige Publikum waren –, wollte ich natürlich mit von der Partie sein. Andernfalls hätte vielleicht die ganze Welttournee gratis stattgefunden.«
Als die Aufnahmen für das Debüt-Album aus Dänemark eintrafen, war der Band sofort klar: So ging es nicht. Irgendetwas fehlte, vor allem bei der Abmischung, die allzu bieder daher kam. Das Geld der Plattenfirma war allerdings bereits aufgebraucht. Die Lösung war typisch für e. s. t.: Der sparsame Esbjörn kratzte sein letztes Geld zusammen, damit das Studio für zwei weitere Tage gemietet werden konnte. Es waren der 2. und 3. September. Danach war die Platte dann perfekt.
Am 20. Oktober 1993 fand übrigens ein »Release« statt, das noch bedeutender war als die Fertigstellung des Albums: Esbjörn und Eva Svenssons Sohn Ruben wurde geboren.
***
Das Jahr 1994 begann für Esbjörn sehr erfreulich. Er erhielt ein Stipendium über 1000 Kronen. Damit konnte das fertige Album endlich auch auf den Markt gebracht werden. When Everyone Has Gone erschien bei dem Label Dragon, das Lasse Westin, langjähriger Chefredakteur des Jazzmagazins Orkesterjournalen, gegründet hatte. Dragon hat mehr als 100 schwedische Jazzalben veröffentlicht, viele davon mit Unterstützung des Staatlichen Kulturrates. In Bezug auf das Marketing bestanden indes sehr unterschiedliche Vorstellungen. Die erste Release-Party organisierte das Trio mit Hilfe eines Freundes von Esbjörn im Café Kocks auf eigene Faust für einen kleineren Kreis.
»So etwas kannte man in der Jazzszene nicht«, meint Magnus. »Wir hatten keine Ahnung, wer das sonst hätte machen sollen. Es gab eine Menge Leute, massenweise Freunde, Bekannte und andere Jazzfans, die zu einem guten Konzert kamen. Vertreter der Plattenfirma suchte man vergebens. Es war wohl nicht ihr Ding …«
Ende Januar gab es einen recht erfolgreichen Auftritt im Fasching. Es folgte ein volles Haus während des Festivals Uppsala Winter Swing, das die beiden Jazzenthusiasten Björn Sjödin und Mats Josephsson am Laufen hielten. Josephsson war auch Chef der Jazzlabels Sittel in Uppsala, das später Viktoria Tolstoy entdecken sollte. Eine Woche später spielte das Trio zusammen mit den Saxophonisten Magnus Lindgren und Johan Borgström auf dem Västeråsfestival Festijazzen.
Dem folgte eine weitere Tournee mit Lina Nyberg, die gerade Close veröffentlicht hatte. Und später im März spielte man in Tyresö, dieses Mal mit Jazz Furniture.
Anfang April stand im Club Village ein weiteres Konzert in Västerås auf dem Programm. Später im Monat trat man in Umeå zusammen mit Last Excursion auf (unter anderen mit dem Tenorsaxophonisten Thomas Gustavsson und dem Pianisten Tommy Kotter).
Im Frühjahr 1994 – niemand weiß mehr genau, wann – kam es zu einer spontanen Begegnung, die die Entwicklung des Trios nachhaltig beeinflussen sollte. Lasse Nilsson Wihk – frischgebackener Künstleragent, der unter anderen Göran Fristorp und die Gaston Brothers vertrat – war gerade in der Stadt unterwegs, um mit dem Verkauf von Massagerollen, die sein Vater »aus zwei Kugeln und einer Stange« herstellte, die Familienkasse aufzubessern.
»Da tauchte Esbjörn auf seinem klapprigen Drahtesel auf und versuchte mich für eine Zusammenarbeit zu gewinnen. Ich schlug vor, die Sache beim Lunch zu besprechen, und wir trafen uns am nächsten Tag in einem Hare-Krishna-Restaurant in der Timmermansgatan. Tja, ich hatte das erste Album von Esbjörn zwar bekommen, war aber, ehrlich gesagt, nicht sonderlich beeindruckt davon. Mein Wissen und meine Erfahrungen im Bezug auf den Jazz beschränkten sich auf das, was ich aus dem Kulturcafé in Arvika kannte, und von der Platte selbst hatte ich praktisch nichts begriffen. Also fragte ich Esbjörn äußerst skeptisch: ›Wie soll ich denn so etwas unter die Leute bringen?‹ Aber Esbjörn blieb unbeirrt. ›Es muss gehen, Lasse. Wir haben doch selbst Gigs organisiert.‹ Und so kam die Zusammenarbeit allmählich in Gang.«
»Anfangs standen die meisten Jazzclubs den ›Agenten‹, die Bands vermitteln wollten, eher skeptisch gegenüber. Oft wollten sie überhaupt nicht mit mir reden«, erzählt Lasse. »Sie waren es gewohnt, direkt mit den Künstlern zu verhandeln, und so sollte es natürlich bleiben. Aber dieses Problem konnten wir diplomatisch umschiffen. Bisweilen richteten wir es so ein, dass zunächst Esbjörn persönlich anrief, um den Gig klarzumachen, und ich kümmerte mich dann um den Rest. Nach und nach wurde das akzeptiert.«
Die Jazzclubs erwiesen sich auch in anderer Hinsicht als konservativ. Im Club von Hässleholm sagte man Lasse Nilsson Wihk beispielsweise: »Eine Band mit drei Leuten reicht nicht. Ihr müsst mindestens zu viert sein.«
»Es blieb uns letztlich keine andere Wahl«, berichtet Magnus Öström, »wir mussten unsere Sachen selber zum Laufen bringen. Mit dem Fasching und ähnlichen Läden in Stockholm hatten wir zwar ein gutes Standbein, aber wir brauchten weitere Orte für unsere Musik. Also organisierten wir eine ›Kungsgatan-Tournee‹. Wir fingen im Andalusischen Hund ganz am Ende der Kungsgatan an. Im Felix ging es weiter, dann vielleicht noch im Fasching, in Waynes Coffee und zuletzt in der Spy Bar. Und das alles in einer Woche.
Noch im selben Frühjahr erschien in der Nummer 4 des Orkesterjournalen ein Porträt von Esbjörn. »Plötzlich ist er der Pianist von dem jeder spricht – jung, kompetent und mit starkem eigenem musikalischen Ausdruck«, war dort zu lesen. In dem Interview sprach Esbjörn über seinen musikalischen Hintergrund, über das, was ihn bewegte, aber auch von der Notwendigkeit ständiger Verbesserung und Veränderung. »Als wir When Everyone Has Gone produzierten, war das eine tolle Erfahrung. So sollte es auch sein. Aber ich bin tatsächlich erst vor ganz kurzem dazu gekommen, mir die Platte anzuhören …«, sagte er und meinte, dass er Müdigkeit als Symptom musikalischer Entwicklung zu verstehen gelernt habe. Das Interview endete mit der Feststellung: »Gleichzeitig ist die persönliche Chemie zwischen Magnus Öström, Dan Berglund und mir etwas Besonderes und sie entwickelt sich ständig fort. Wir sind noch immer unterwegs.«
***
In einer Ranking-Liste vom Herbst 94 / Frühjahr 95 stand der Gitarrist und Sänger Göran Fristorp als Spitzenverdiener ganz oben auf Platz Eins: Seine Gage belief sich pro Auftritt auf rund 20 000 Kronen. Das Esbjörn Svensson Trio wurde mit dem Zusatz »Pianist von Rebecka Törnqvist, neuerdings Nr. 1 im Bereich Jazz« vermarktet und den Jazzclubs zu einer Gage von 4500 Kronen pro Auftritt plus Steuer, Anreise und Hotel angeboten. Festivalveranstalter mussten das Doppelte zahlen.
Im Verlauf des Jahres begann die Zusammenarbeit von zwei Musikern, die vermutlich von entscheidender Bedeutung für die erfolgreiche Entwicklung des Trios Jahre später wurde. Nils Landgren gastierte in Schweden mehrmals bei Konzerten des Trios und als eine Art Dankeschön für die gute Zusammenarbeit bot der etablierte Funkposaunist Esbjörn an, in der Nils Landgren Unit, die später auf Wunsch der Plattenfirma in Nils Landgren Funk Unit umbenannt wurde, mitzuspielen.
»Ich war von dem Trio äußerst beeindruckt«, sagt Nils Landgren heute. »Sie hatten etwas Besonderes, die einzelnen Musiker ebenso wie die Band als Ganzes. Und Esbjörn war ebenso kompetent wie bescheiden. Für meine Band war er selbstverständlich eine echte Bereicherung.«
In den Sommermonaten ergatterte das Trio mehrere Festival-Gigs. Im Juni spielten sie auf Baldersnäs außerhalb von Bengtfors, im Juli auf dem Festival in Kristianstad /Åhus und im August auf dem Svabensverk-Festival.
Im Herbst begleiteten die Mitglieder des Trios Jazz Furniture auf der so genannten Pulsschlag-Tournee, die der schwedische Reichsjazzverband initiiert hatte.
Alles in allem war es ein musikalisch geglückter, wenn auch nicht besonders arbeitsreicher Herbst 1995. Das Pflänzchen des »jungen Jazz« begann allmählich zu gedeihen, aber in der Kasse war davon nicht einmal bei seinen besten Vertretern viel zu spüren. Esbjörn, Magnus und Dan waren noch immer nicht in einer Position, die es ihnen erlaubt hätte, zwischen verschiedenen Engagements zu wählen oder, was ihr eigentlicher Wunsch war, sich ganz auf das Trio zu konzentrieren. Andererseits waren Esbjörn und Dan an Lina Nybergs Album When The Smile Shines Through und Dan und Magnus an Jeanette Lindströms Album Another Country beteiligt.
Im November 1995 gesellte sich endlich auch Dan zu den jungen Eltern der Band, denn am 26. November kam sein Sohn Albert zur Welt.
Im Rückblick betrachtet, war es ein musikalisch solides erstes Jahr, wenngleich das Niveau der Aktivitäten nicht so anspruchsvoll und die Bezahlung nicht sonderlich gut waren. Aber bereits einige Monate später sah es so aus, als ob sich die Lage des Trios zum Besseren wenden würde.