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4. WEBSITE

SAMSTAG

Zwei kurze, scharfe Klingeltöne rissen Arndt aus dem Schlaf. Im gleichen Augenblick schlug der Hund an. Er hörte ihn die Stufen zur Haustür hinaufspringen und aggressiv losbellen. Benommen rieb er sich die Augen und richtete sich im Bett auf. Auch seine Frau Irene hatte bereits eine Sitzposition eingenommen. Müde schauten sie sich an. Da will man am Wochenende mal ausschlafen, doch es kommt anders, als man denkt. Shakas Bellen hatte den Gast an der Tür eingeschüchtert und vertrieben, denn es wurde kein weiterer Klingelversuch mehr unternommen. Wahrscheinlich war es wieder einer der vielen bettelnden Arbeitslosen, die durch die Straßen zogen, oder die Leute von der Müllabfuhr, die um Weihnachtsgaben baten. Arndt schnappte sich den Wecker: 8. 32 Uhr. Durch die Vorhänge, die den Schlaf- vom Badezimmerbereich trennten, schien schon hell die Sonne. Er wälzte sich aus seinem Wasserbett, schlurfte in die Küche, um die Kaffeemaschine anzuwerfen.

Der übliche familiäre Routinebetrieb hatte, nur eine Stunde zu früh, eingesetzt:

Duschen, Frühstück bereitstellen, nicht die Kinder wecken, denn die wollten auch mal ausschlafen, und mit der Frau einen groben Tagesfahrplan abchecken.

“Brauchen wir noch etwas für unsere Gäste, Irene?”

“Lebensmittel habe ich genug in der Truhe. Du könntest noch Getränke besorgen. Weißt du, was die beiden gerne mögen?”

“Keine Ahnung, wir haben uns doch so lange nicht gesehen. Ich gehe mal davon aus, dass Knut Bier trinkt, wenn er aus Westfalen kommt. Das ist da doch Grundnahrungsmittel.”

“Kauf doch verschiedene Sixpacks, Arndt, dann lernt er gleich unser Bierangebot kennen.”

“Und den südafrikanischen Wein wird auch seine Frau gerne probieren wollen.”

Nach dem Morgenmahl bestand Arndts erste Verpflichtung darin, den Hund zu füttern und mit ihm durch die umliegenden Gassen Gassi zu gehen. Seine zweite Aufgabe war es, kleinere Einkäufe zu erledigen, zur Bank zu fahren, Überweisungen zu tätigen oder Geld abzuheben. Diese lästige Unternehmung versuchte er nach Möglichkeit zu vermeiden und in die Woche zu verlegen, da seine lokale Bankfiliale bereits um 11.30 Uhr schloss und er oft lange in der Schlange anstehen musste.

Seine Familie hatte noch nicht die sonst landesübliche Angewohnheit angenommen, den Samstag als Gemeinschaftsaktion in einem Shopping- oder Gartencenter oder beidem zu verbringen, wobei die Erwachsenen ihre Einkäufe machten und einen Brunch zu sich nahmen, während sich die Kinder im Kino oder in der Spielhölle verlustierten. Sportliche Eltern, die es sich leisten konnten, suchten auch gerne eine der zahlreichen Health-And-Racquet-Clubs auf.

In der vergangenen Woche war es Arndt nicht gelungen, finanzielle Transaktionen unterzubringen. Der Betrieb hatte ihn pausenlos und bis in die Nachmittage hinein auf Trab gehalten, so dass ihm nun nichts anderes übrig blieb, als loszufahren.

Er hoffte, so rechtzeitig zurück zu sein, dass sein 16jähriger Sohn noch nicht am Computer saß. Denn am Wochenende gab es für den Hausherrn nur wenige Möglichkeiten, ungestört vor dem Monitor zu sitzen: Früh morgens oder während die Teenies vor dem Fernseher hockten oder am späten Abend.

Als er gegen Mittag wieder in die Garage fuhr, war ihm bereits klar, dass er die erste Möglichkeit verpasst hatte.

So widmete er sich einer anderen Lieblingsbeschäftigung, dem Pool-Service.

Er schnappte sich den Teströhrchenkasten, studierte noch einmal die Anleitung und legte los: Test 1 (Chlorine Residual), Test 2 (ph Level), Test 3 (Acid Demand), Test 4 (Total Alkalinity), da klingelte es wieder an der Tür.

Shaka bellte los, Irene bereitete das Mittagessen zu, Georg war vor dem Computer festgenagelt, Friederike stand unter der Dusche.

Also bleib die Sache an ihm hängen.

Als er am stark vergitterten Eisentor ankam und durch die Stäbe schaute, wurde ihm von einer zerzausten, weißen Frau ein getippter Zettel in die Hand gedrückt, der angeblich auf ihre schlimme soziale Lage aufmerksam machte. Sie wollte Geld oder etwas zu essen. Er spendierte ihr, in einer Plastiktüte verpackt, zwei Äpfel, eine Banane und ein BAR-ONE, dann zog sie weiter zum Nachbarn.

Arndt hatte sich noch um Backwash, Filterreinigung und Algenbekämpfung zu kümmern, dann rief die Hausfrau zum bescheidenen Mittagessen auf der Terrasse.

Es gab Kartoffeln, Quark und Gemüse.

“Um zwei werde ich abgeholt”, teilte die Tochter lakonisch mit.

“Was hast du denn vor?”

“Wir haben eine kleine Poolparty bei Carmen. Ich habe es dir aber schon gestern gesagt, Papa.”

“O.K., O.K. Ich hab ja nur gefragt.”

“Wie ist das mit dem Abholen?”

“Ich bleibe über Nacht, Mama. Morgen früh setzt mich Carmens Mutter bei der Kirche ab. Ihr braucht euch keine Sorgen zu machen.”

“Na, das ist ja wunderbar.”

“Wunderbar?”, schaltete sich Georg ein.

“Das nennst du wunderbar, Mama? Dann muss ich ja heute den Rasen mähen!”

“Hab’ ich am letzten Samstag gemacht, jetzt bist du dran”, entgegnete Friederike.

“Und vergiss nicht”, warf Arndt schnell ein, “vorher die Hundekacke aufzusammeln.”

“Ja, ja, Papa, ich werd’ dran denken. Aber dann kann Fritzi wenigstens noch die Straße fegen, bevor sie wegfährt, oder?”

“Hab’ ich bereits vorhin erledigt, liebes Bruderherz. Aber wenn du vor dem Computer sitzt, bekommst du das natürlich nicht mit. Mama ist Zeuge.”

“Ja, das kann ich bestätigen. Mein Sohn saß vor dem Computer und meine Tochter hat die Straße gefegt. Ihr braucht euch beide nicht über zu viel Hausarbeit zu beklagen.”

“Ja, ja, Mama, die Nummer kennen wir. Wir haben keine Hausangestellten usw., usw., und im Bürgerlichen Gesetzbuch steht, dass die Kinder zu häuslicher Mitarbeit verpflichtet sind, stimmt’s?”

“Stimmt, Georg.”

“Gilt das eigentlich auch, wenn wir in Südafrika sind?”, wollte Friederike wissen.

Die Eltern schauten sich an.

“Aber selbstverständlich!”, antwortete Arndt, “das gilt weltweit für alle Deutsche, die einen Pass haben und somit deutsche Staatsangehörige sind.”

“Schade”, bemerkte Georg, als es bimmelte.

Alle taten so, als hätten sie es nicht gehört.

Nur der Hund nicht.

Es klingelte erneut.

“Carmens Mutter kann es noch nicht sein”, sagte Friederike, “es ist erst eins.”

“Es wäre nett, wenn du trotzdem mal nachschauen würdest”, empfahl Arndt.

Maulend entfernte sich die Tochter.

Nach zwei Minuten kam sie zurück.

“Und?”

“Ach, es war nur ein Schwarzer, der Staubwedel verkaufen wollte. Ich hab’ ihn abgewimmelt.”

“Irene, müssen wir im Haus noch was für unseren Besuch vorbereiten?”, versuchte Arndt das Thema zu wechseln.

“Was für ein Besuch?”, fragte Friederike.

“Ein alter Schulfreund von mir kommt mit seiner Frau”, antwortete seufzend ihr Vater.

“Das habe ich dir aber bereits vor einigen Tagen mitgeteilt, liebe Tochter.”

“Schon gut, schon gut”, wiegelte diese ab.

“Deine Frage, Arndt, kommt ziemlich spät, oder?”, bemerkte Irene ironisch. “Aber du kannst beruhigt sein, im Gästezimmer ist alles vorbereitet, sogar die Betten sind gemacht.”

“Gut, dass wir dich haben, den ruhenden Pol der Familie.”

“Was heißt hier ‘ruhenden Pol’? Ich habe genug um die Ohren, Arndt.”

Sie wollte gar nicht erst berichten, dass sie heute schon in mehreren Zimmer geputzt, gesaugt und die Waschmaschine zweimal angeworfen hatte.

“Du kriegst davon auch nicht viel mit, denn bei dir dreht sich ja alles nur um die Schule.”

“Ja, ja, ich weiß. Aber nächste Woche gibt es Ferien. Dann können wir an anderes denken.”

“Da glaub’ ich noch nicht dran.”

Die Tafel wurde aufgehoben.

Nach dem Mittagessen entspannten sich die Eltern auf der Veranda, blätterten in Zeitschriften, dösten und lauschten dem Eiswagen, dessen einprägsame Melodie, glöckchenhaft klingend, weit zu hören war.

Wenn man sie zehnmal gehört hatte, wirkte sie entnervend. ‘Wie konnten Fahrer und Verkäufer das tage- und wochenlang aushalten’, fragte sich Arndt.

Die Türklingel riss ihn aus seinen Gedanken.

Shaka reagierte prompt.

“Kannst du mal gehen?”, bat er seine Frau.

Die hievte sich aus der Hängematte und ging los.

“Bye, bye, Papa”, hörte er kurz danach seine Tochter rufen.

Nach einer Weile erschien Irene, griff zu ihrem südafrikanischen Kriminalroman “Hijack City” und ließ sich in der Hängematte nieder.

“Es war Carmens Mutter. Sie hat Friederike abgeholt.”

“Ach ja”, erinnerte sich Arndt, der die Lektüre der ‘YOU’ unterbrochen hatte.

Nachdem die Tagestemperaturen ihren Höhepunkt überschritten und ein zwangloses Kaffeetrinken stattgefunden hatte, konnte an weitere körperliche Arbeit gedacht werden.

Georg musste, ob er wollte oder nicht, den Rasenmäher anwerfen, Irene nahm eine Gartenschere zur Hand und fiel über Sträucher und Rasenkanten her.

Arndt fiel ein, dass er noch einen Artikel für die Website der Anstalt schreiben musste. Schröder 3 hatte ihn gestern daran erinnert, dass er auf eine kurze Darstellung des Faches Geschichte warte.

Ein günstiger Zeitpunkt für diese schriftstellerische Herausforderung schien ihm nach 17 Uhr gekommen zu sein, dann saß Georg vor der Glotze und guckte Wrestling.

Bis dahin schwamm er zur Erfrischung und Ertüchtigung einige Bahnen im Pool. Während er sich abtrocknete, wanderte sein Blick sorgenvoll zum Himmel. Dunkle Wolken hatten sich über Greenside zusammengezogen. Ein typisches Sommergewitter braute sich zusammen, das manchmal out of the blue mit “Monkey`s Wedding” begann.

Er beeilte sich mit dem Ankleiden, dann ging er in sein Arbeitszimmer, wo der Computer noch brummte.

‘Mal nachschauen, was die anderen Kollegen über ihre Fächer geschrieben haben.’

Schnell hatte er die Internetverbindung hergestellt, seinen Browser geöffnet und den Namen der Website eingegeben. Er wartete einige Sekunden, dann rieb er sich erstaunt die Augen. Eine kleine Pacman-Figur fing an, die obere Zeile des bereits geladenen Textes aufzuessen. Gegen solch ein gefräßiges Verhalten war Arndt machtlos, denn er hatte keinen Zugriff mehr auf die Website. Er konnte nur zuschauen, wie alle Informationen im Magen des Pacmans verschwanden und ein neuer Hintergrund erschien, auf dem ein gigantisches HÄHÄ zu lesen war.

Arndt war verwirrt.

‘Was war da passiert?’

Er konnte es sich nur so erklären, dass irgendjemand an der Website herumgefummelt haben musste, der das Passwort kannte. Ihm erschien es sinnlos, die Website noch einmal neu zu laden, weil sich dieser Vorgang voraussichtlich immer wiederholen würde.

Er nahm sich vor, am Montag Schröder 3 zu fragen, was das zu bedeuten habe.

Trotzdem entwarf er einen Geschichtswerbetext, der auf die unabdingbare Notwendigkeit dieses Faches für jeden gebildeten Menschen hinwies, auch wenn es für das südafrikanische Matrik nicht unbedingt erforderlich war.

Dann checkte er E-Mails. Erstes Donnergrollen drang von draußen an sein Ohr.

Weder von seiner Verwandtschaft, noch von seinem zu betreuenden neuen Kollegen aus Deutschland war etwas gekommen.

Schnell stellte er den Computer aus, zog den Stecker raus, ging ins Wohnzimmer und unterbrach auch dort die Stromversorgung von Hi-Fi-Anlage und Fernseher.

Schluss mit Wrestling.

Gelangweilt Biltong kauend, schob Georg ab.

Blieb ihm noch der Gameboy.

Flug nach Johannesburg

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