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Einleitung

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Spätestens seit dem »Fall Galilei« hat sich in das europäische Bewusstsein der Verdacht eingeschlichen, das Christentum sei ein Gegner der Wissenschaft – zumindest einer Wissenschaft, die sich allein der methodisch gesichert gewonnenen Erkenntnis verpflichtet weiß und sich insofern als frei versteht. Die Gegnerschaft wurde verstärkt, weil umgekehrt die Wissenschaft in Anspruch genommen wurde, um nicht nur gegen eine Bevormundung durch die Kirche zu protestieren, sondern überhaupt gegen die Kirche, das Christentum und die Religion zu kämpfen. Davon wissen z. B. Christen ein Lied zu singen, die dies in der Deutschen Demokratischen Republik oder in anderen Staaten in Mittel- und Osteuropa erlebt haben, in denen der dialektische Materialismus herrschende Ideologie war. So wurden im Laufe der letzten drei Jahrhunderte Glaube und Wissenschaft oft als Gegner wahrgenommen. Auf der einen Seite steht dann der christliche Glaube, der nicht alle Erkenntnisse, die von den Wissenschaften hervorgebracht werden, als gut und sinnvoll fürs Leben der Menschen, ja, aller Geschöpfe, betrachten und deshalb das wissenschaftliche Weltbild und die wissenschaftliche Rationalität nicht uneingeschränkt bejahen mag. Auf der anderen Seite steht die Wissenschaft, die im christlichen Glauben, der Kirche und überhaupt in der Religion insgesamt ein Fortschrittshemmnis sieht und gegen die Orientierung religiöser Menschen an vormodernen Weltbildern und Sozialordnungen wissenschaftliche Aufklärung zu setzen versucht.

Wenn nun Glaube und Wissenschaft zueinander ins Verhältnis gesetzt und miteinander verglichen werden sollen, so mag dies wie ein Vergleich zwischen einem Pferd und einem Computer erscheinen. Es soll etwas verglichen werden, was auf den ersten Blick nicht vergleichbar erscheint, weil es sich um ganz verschiedene Dinge handelt. Der Glaube ist eine geistliche Lebenspraxis von Menschen; die Wissenschaft ist eine methodische Erforschung der natürlichen und sozialen, aber auch der geistigen Welt des Menschen sowie ein systematisches Nachdenken über die Möglichkeit solcher Erforschung. Vergleichbar erscheint auf den ersten Blick dagegen das Verhältnis von Theologie und Wissenschaft. Denn Theologie versteht sich selber als Teil der Wissenschaft, indem in ihr das Gesamte des christlichen Glaubens und des Christentums methodisch erforscht und systematisch formuliert wird. Das Verhältnis von Theologie und Wissenschaft gehört in der Theologie zu den Standardthemen und wird eigens innerhalb der Dogmatik (aber auch der exegetischen Fächer, der Kirchengeschichte und der Praktischen Theologie) bzw. der Fundamentaltheologie erörtert. Innerhalb des Gesamten der Wissenschaften wird diese Frage, auf welche Weise die Theologie zum Haus der Wissenschaft gehört, in der Wissenschaftstheorie behandelt. In Deutschland ist es derzeit am Anfang des 21. Jahrhunderts weitgehend unumstritten, dass die Theologie eine Wissenschaft ist und zum Haus der Wissenschaft – und insofern auch zu einer Universität – gehört. In vielen anderen Ländern ist dies jedoch nicht so. Dort wird die Theologie als eine interne Sache der Kirchen betrachtet (und von diesen durchaus intensiv gepflegt), während an den Universitäten das Christentum – wenn überhaupt – innerhalb der Religionswissenschaft untersucht wird. Gerade dieses Phänomen zeigt, dass eine Untersuchung des Verhältnisses von Theologie und Wissenschaft eine immer wieder neu zu leistende Aufgabe ist, die auch bearbeitet werden kann, weil hierbei Ähnliches miteinander verglichen und in Beziehung zueinander gesetzt wird.

Bei dem Vergleich von Glaube und Wissenschaft wird dagegen eine religiöse Lebensform und Lebenspraxis mit einer theoretischen Untersuchung in Beziehung gesetzt. Der Glaube ist in erster Linie keine Theorie, sondern eine geistliche Lebensform. Die Wissenschaft realisiert sich dagegen weitgehend in Form von Theorien und bringt – jedenfalls heutzutage – nur sehr indirekt auch eine bestimmte Lebensform mit sich (wie z. B. die Existenz als Laborratte oder als Elfenbeinturmbewohner).

Worin liegen dann die Berührungspunkte zwischen Glaube und Wissenschaft, die es erlauben, die Frage zu beantworten, ob Glaube und Wissenschaft eher Gegner oder eher Verbündete sind? Die Berührungspunkte liegen in einer ersten Betrachtung zumindest auf drei Ebenen.

Zum Ersten ist der christliche Glaube und insgesamt die Religion Gegenstand der Wissenschaft. Die Religionswissenschaft hat in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts und zu Beginn des 21. Jahrhunderts Konjunktur. Auch das Christentum ist – wie alle anderen Religionen – Gegenstand religionswissenschaftlicher Untersuchung. Eine längere Geschichte als die Religionswissenschaft hat die Religionsphilosophie, die auf eine nochmals andere Weise als die Religionswissenschaft den Glauben und die Religion insgesamt untersucht und gewissermaßen vom Standpunkt der Vernunft aus reflektiert. Dabei stellt sich u. a. die Frage, ob die Wissenschaft dabei dem Glauben überhaupt gerecht werden und den Glauben adäquat untersuchen kann.

Zum Zweiten enthält der christliche Glaube, der in erster Linie eine geistliche Lebensform ist, eine ganze Reihe von Annahmen und Folgerungen über die natürliche, die geistige und die soziale Welt des Menschen. Wie passen diese Annahmen und Folgerungen des Glaubens mit den aktuellen Erkenntnissen der Wissenschaften zusammen? Der christliche Glaube gewinnt seine Erkenntnisse über sein geistliches Leben, aber auch über das Verhältnis des Menschen zu seiner natürlichen Mitwelt und die Grundsätze der sozialen Welt aus Schriften, die mindestens rund 2000 Jahre alt sind. Wie verhalten sich solche Erkenntnisse aus einer alten Welt zu den wissenschaftlichen Erkenntnissen in den Natur-, Geistes- und Sozialwissenschaften der Gegenwart?

Zum Dritten hat der christliche Glaube sich selbst schon früh auf wissenschaftliche Weise zu reflektieren versucht. Der christliche Glaube beansprucht nicht nur, eine weisheitliche Lebensorientierung und Lebensführung zu bieten, sondern auch Erkenntnis mit sich zu bringen (vgl. Kol 2,3; 1Tim 2,4; 2Tim 3,7). Dies hat dann zur Ausbildung einer spezifischen Theologie geführt, die schon früh in der Geschichte des Christentums zum Ausdruck kommt. Der Streit der Apostel Paulus und Petrus, den wir aus der Sicht des Paulus beschrieben in seinem Brief an die Galater (Gal 2) dokumentiert finden, ist schon ein erster Beleg für die dem christlichen Glauben innewohnende Tendenz, eine Theologie und also eine argumentative Besinnung und Auseinandersetzung über die Wahrheit des Evangeliums und die wahre christliche Lehre und Praxis auszubilden. Die christliche Theologie hat sich dann über die vielen Jahrhunderte hinweg bis in die Gegenwart immer auch in Rezeption und Auseinandersetzung mit der Wissenschaft der jeweiligen Zeit entwickelt. Insofern führt die Frage nach dem Verhältnis von Glaube und Wissenschaft auch auf das Gebiet der Theologie, auf dem der christliche Glaube von seinem eigenen Standpunkt aus wissenschaftlich untersucht und reflektiert wird.

Gegner oder Geschwister?

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