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3.2.2 Änderungsgesetze und ihre Gründe im Überblick

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Abgesehen von den genannten Entwicklungen, war der gesetzgeberische Reformeifer im Gesellschaftsrecht von 1965 bis Anfang der 90er Jahre eher begrenzt. Es war die Zeit der gesellschaftsrechtlichen Richtlinien der EU, die stark vom deutschen Recht beeinflusst waren, und deren Umsetzung daher keine grundstürzenden Änderungen des Aktiengesetzes erforderte. Es war auch die Zeit des Mitbestimmungsgesetzes von 1976 in der sozialliberalen Koalition unter Helmut Schmidt. Da der Gesetzgeber sich ansonsten eher zurücknahm, war es aber auch eine Phase richterlicher Rechtsfortbildung vor allem unter den Senatspräsidenten Robert Fischer (1963–1968) und Walter Stimpel (1971–1985), wobei die Gesellschaftsrechtswissenschaft, jedenfalls in der Form ihres „Arbeitskreises Gesellschaftsrecht“, beachtlichen konzeptuellen Einfluss auf die Rechtsprechungsentwicklung nahm.[23]

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Anfang der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts änderte sich das Reform-Szenario.[24] Der Gesetzgeber trat wieder auf den Plan.[25] Die zweite Hälfte der „Pentekontaetie“ seit 1965, also die Zeit von 1990 bis 2015, sind oft als die Jahre der „Aktienrechtsreform in Permanenz“ bezeichnet worden.[26] Wie kam es zu dieser plötzlichen gesetzgeberischen Aktivität? Dem AktG 1965 wurden damals „Kapitalmarktferne“ und „Starrheit“ vorgeworfen. Die Zahl der AGs in Deutschland war 1990 auf ca. 2 600 gesunken. Man sprach von der „Krise der AG“. Die Aktiengesellschaft war eindeutig am Leitbild der großen Publikumsgesellschaft orientiert, sie war die Rechtsform der Bayers und BASFs. Die Kleinen sollten in die GmbH gehen. Die christlich-liberale Koalition unter Helmut Kohl machte sich Sorgen um die im internationalen Vergleich niedrige Eigenkapitalausstattung der deutschen Unternehmen – besonders im Mittelstand (besonders in der GmbH und GmbH &Co KG). Deutschland schien für die Globalisierung schlecht gerüstet. Die Stärkung des Finanzplatzes Deutschland, die Bekämpfung der Bankenmacht und der Deutschland-AG wurden zum politischen Befreiungsprogramm. Weitere Herausforderungen entstanden durch den Trend weg von der Fremdfinanzierung hin zur Eigenkapitalaufnahme über die Börsen, die Zunahme von Streubesitz und ausländischen institutionellen Investoren, die Internationalisierung der Finanzmärkte und die in diesem Rahmen aufflammende Corporate Governance Diskussion (genauer zu diesen Aspekten noch in Abschnitt 4 und 5).

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Man konstatierte damals:[27]

Eine Verschiebung weg von der Fremd- und Innenfinanzierung und dem Hausbankensystem hin zur Eigenkapitalfinanzierung über die Börsen. Das Interesse am „Going Public“ erwachte.
Deutsche Unternehmen befanden sich bis dahin zumeist im Kontrollbesitz von Großaktionären (Familien, Banken, Versicherungen, wechselseitige Beteiligungen). Diese sog. Deutschland-AG, die Festung Deutschlands, brach langsam auf.
Die Banken trennten sich von renditeschwachen Beteiligungen und versuchten im M&A-Geschäft höhere Margen zu erzielen.[28]
Unter der Globalisierung wurden die Finanzmärkte international, das Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht blieben weitgehend national. Der Anteil insbesondere ausländischer institutioneller Anleger an deutschen Gesellschaften nahm zu.
Die ausländischen Anleger erwarteten die ihnen gewohnten Regelungsmuster auch vom deutschen Aktienrecht. Die Corporate Governance-Diskussion nach anglo-amerikanischen Vorbildern kam mit Macht in Deutschland an. Das Shareholder-Value-Denken kam in Mode.
Die ausländischen institutionellen Anleger setzten die Vorstände unter Druck, diese wandten sich wiederum an die Wirtschaftsverbände und die Politik und drängten auf Reformen.[29]

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Durch das Gesetz vom 22.7.1993 zur Durchführung der 11. Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften zur Koordinierung des Gesellschaftsrechts (Zweigniederlassungsrichtlinie)[30] wurden wichtige Regelungen vor allem für die grenzüberschreitende Zweigniederlassung getroffen. Das Gesetz vom 26.7.1994 über den Wertpapierhandel und zur Änderung börsenrechtlicher und wertpapierrechtlicher Vorschriften (Zweites Finanzmarktförderungsgesetz)[31] brachte neben detaillierten Regelungen in Bezug auf den Erwerb eigener Aktien durch die Gesellschaft vor allem die Herabsetzung des Mindestnennbetrags der Aktien auf 5 DM.[32] Das Gesetz vom 2.8.1994 für kleine Aktiengesellschaften und zur Deregulierung des Aktienrechts (KlAGG)[33] stellte eine wichtige Etappe auf dem Weg der Öffnung der AG für die mittelständische Wirtschaft dar, die sich bislang vor dieser Rechtsform wegen der organisatorischen und formalen Strukturen gescheut hatte. Nach dem Einführungsgesetz zur Insolvenzordnung (EGInsO) vom 5.10.1994,[34] das am 1.1.1999 in Kraft trat, folgte schließlich das jahrelang diskutierte Gesetz zur Bereinigung des Umwandlungsrechts (UmwBerG) vom 28.10.1994,[35] das das Umwandlungsrecht grundlegend und praxisnah umgestaltete und in ein Sondergesetz (UmwG) überführte. Weitere Änderungen des AktG 1965 sowie des KWG erfolgten schließlich durch das Gesetz zur Harmonisierung bank- und wertpapieraufsichtsrechtlicher Vorschriften vom 22.10.1997.[36] Im Jahre 1998 folgten nach dem Dritten Finanzmarktförderungsgesetz vom 24.3.1998[37] vier bedeutsame aktienrechtliche Reformgesetze, die über viele Jahre hinweg in der Öffentlichkeit diskutiert wurden:[38] Das Stückaktiengesetz (StückAG) vom 25.3.1998 mit der Einführung der nennbetragslosen Aktie (unechte nennwertlose Stückaktie),[39] das Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG) vom 27.4.1998,[40] das Gesetz zur Einführung des Euro (EuroEG) vom 9.6.1998[41] und das Handelsrechtsreformgesetz (HRefG) vom 22.6.1998.[42] Im Jahre 2000 folgte das Kapitalgesellschaften- und Co-Richtlinie-Gesetz (KapCoRiLiG) vom 24.2.2000.[43]

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Im Jahr 2001 folgte das Namensaktiengesetz (NaStrAG),[44] mit dem die international verbreitete Namensaktie entstaubt, die grenzüberschreitende Stimmrechtsausübung erleichtert und elektronische Medien eingeführt wurden; es entstanden in dieser Zeit die großen Finanzmarktförderungsgesetze, die das deutsche Kapitalmarktrecht auf internationalen Stand hoben.

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2005 folgte das UMAG[45] mit Feinsteuerungen zum Haftungs- und Beschlussmängelrecht, aber erst dem ARUG im Jahr 2009[46] ist es gelungen, dem Geschäftsmodell der räuberischen Aktionäre den Boden zu entziehen. Ebenfalls 2005 in der Amtszeit von Brigitte Zypries hatten wir das VorstOG[47] zur Vergütungstransparenz, 2006 folgte das EHUG[48] mit der Einführung elektronischer Handelsregister in Deutschland, 2007 das Transparenzrichtlinie-Umsetzungsgesetz[49] und 2008 kam die große GmbH-Reform MoMiG[50] mit bedeutenden Vereinfachungen zum Haftkapitalsystem auch für die AG (u.a. cash-pooling). Auf die Finanzkrise 2007/2008 antworteten die Finanzmarktstabilisierungsgesetze,[51] die aber keinen Flurschaden im allgemeinen Aktienrecht anrichteten. Ihre Regelungen sind deshalb auch nicht ins Aktiengesetz eingefügt, sondern in Sondergesetzen verortet worden. Außerordentliche Maßnahmen in den Rettungsgesetzen sollten nicht zur Blaupause für das allgemeine Aktienrecht werden. Die Krise ist im Bankenbereich entstanden, die allgemeine Wirtschaft trägt keine Schuld daran. Das VorstAG von 2009, das Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung,[52] mit dem die Vergütungsanreize der Vorstände auf eine langfristige Perspektive umgestellt werden sollten, war allerdings von der Krise motiviert.

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Und im Jahr 2015 erblickte endlich die (kleine) Aktienrechtsnovelle 2016 das Licht des Bundesgesetzblatts mit einer großen Zahl von redaktionellen Verbesserungen, Klarstellungen und Erleichterungen im Detail und wenigen für das Finanzierungsrecht aber bedeutsamen Änderungen (umgekehrte Wandelschuldverschreibung, stimmrechtslose Vorzugsaktie).[53]

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Auf das KIAGG und das KonTraG soll im Folgenden näher eingegangen werden, weil sie den Reigen der grundlegenden Corporate Governance-Reformgesetze richtungsweisend eröffnet haben.

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