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Auf den Spuren Alexanders: das Attentat auf Caesar findet nicht statt
ОглавлениеAlexandria leuchtet. Schon in der Nacht, als die Trireme noch mehr als zwei Dutzend milia passuum entfernt gewesen ist, hat der von riesigen Spiegeln verstärkte Leuchtturm auf der Insel Pharos sein Licht weit über das Meer geschickt. Jetzt im Morgengrauen dieses sonnigen Märztages des Jahres DCCXLIV ab urbe condita3 passieren Dutzende Schiffe die Hafeneinfahrt. Beim Anblick der geräumigen Kais und der riesigen Lagerschuppen wächst in Drusus der Neid, wenn er an Roms überfüllten und überforderten Hafen Ostia denkt. Eine kleine Fähre lotst das gewaltige Kriegsschiff, das seine Segel eingezogen hat, zum abgesperrten Kriegshafen. Dort ist eine kleine Ehrenwache angetreten.
„Wir hatten Euch gar nicht so früh erwartet, ehrenwerter Drusus“, sagt ein Zenturio, „eine Sänfte steht bereit, Euch zum Palast zu bringen.“
„Was für ein Gedränge“, denkt Drusus, „da ist Rom schon fast eine Provinzstadt.“
Mit Gewalt muss sich der Begleitschutz durch das Gewühl von Händlern, Pferden, Fuhrwerken und Menschen aus allen Teilen des Imperiums schieben, obwohl die gepflasterte Hauptstraße mehr als 12 Doppelschritte breit ist. Zwischen den weiß schimmernden Häusern sieht der Römer immer wieder Gärten, Springbrunnen und Standbilder. Zur Rechten ein großer Kuppelbau, die berühmte Bibliothek. Drusus will sie in den kommenden Tagen unbedingt aufsuchen, nicht wegen der gelehrten Schriften, sondern weil im angegliederten „Museion“ die berühmtesten Konstrukteure und Mechaniker des Reiches ihre Kriegsmaschinen erschaffen.
„Verlaufen werde ich mich nicht“, murmelt er, „sieben Hauptstraßen von Ost nach West, elf Boulevards von Nord nach Süd, an der Kreuzung dritte/siebte Straße.“
Sie erreichen einen großen Platz, in dessen Mitte eine riesige Marmor-Statue in schreiend roter Imperatoren-Toga mit einem vergoldeten Lorbeerkranz auf dem Kopf steht.
„Der göttliche Julius“, sagt der Zenturio, „das Standbild wurde gleich nach seinem Tod vor 25 Jahren in Auftrag gegeben.“
„Ich kann mich kaum mehr an ihn erinnern; er hat uns in Rom besucht, als ich drei Jahre alt war. Aber natürlich habe ich sein Feldzüge studiert, das Bellum Gallicum gelesen und natürlich das Bellum Parthicum, den Triumph über die Parther.“ Der Offizier nickt respektvoll. Immerhin ist Drusus der Stiefsohn des Octavian, der inzwischen den Ehrennahmen „Augustus“ erhalten hat und von Rom aus den westlichen Teil des Imperiums regiert. „Wir müssen uns beeilen, Erhabener. Die große Herrin erwartet uns in der kleinen Empfangshalle.“
Wenn das die kleine Empfangshalle ist, denkt Drusus, wie mag dann die große aussehen? Spiegelweißer Marmorboden, die fast ein Stadion langen Wände sind mit Fresken und Mosaiken verziert, die von Bändern aus blauen und goldenen Kacheln umrahmt werden. An der Stirnseite stehen auf zwei Podesten elfenbeinerne Throne, auf denen zwei Personen in golddurchwirkten Gewändern sitzen. Während sich einige Höflinge vor ihnen der Länge nach auf den Boden werfen, beugt Drusus nur leicht Knie und Kopf. Jupiter sei Dank, dass sie für uns Römer noch nicht die Proskynesis eingeführt haben, sinniert der Stiefsohn Octavians, und blickt auf das maskenstarre Antlitz Kleopatras. Nicht schlecht für eine 60-Jährige, das Baden in Eselsmilch hilft, bis auf die lange Nase.
Seine Gedanken werden durch den Haushofmeister unterbrochen, der gebieterisch mit seinem Stab auf den Marmorboden klopft: „Kleopatra, die Göttliche, Herrin der Vollkommenheit, Geliebte ihres Vaters und Ptolemaios XV. Caesar, vater- und mutterliebender Gott, wir huldigen ihnen.“
Die Herrscherin, unter deren perlenbesetztem Stirnreif vergoldete lange Lockensträhnen das Gesicht umrahmen, blickt den Ankömmling an. „Sei gegrüßt, Sohn meines Bruders Augustus und dadurch auch mein Sohn. Die Zeit ist gekommen, den Plan zu verwirklichen, den mein ehrwürdiger Vorfahr Alexander träumte und den bereits der vergöttlichte Julius und ich in die Tat umsetzen wollten. Indien und die dahinter liegenden Länder müssen Teil des göttlichen Imperiums werden. Die Legionen und Schiffe sind bereit, du wurdest auserwählt, weil du Ruhm im Kampf gegen die Barbaren des Nordens erworben hast. Die Götter seien mit dir, unterwirf Indien!“
Dann ist die Audienz auch schon zu Ende. Drusus wird in einem Nebenraum geführt, wo Caesarion von zwei Sklaven bequem eingekleidet und abgeschminkt wird. „Mutter liebt solche Empfänge“, sagt er, „ich hasse es, stundenlang wie eine Statue dazusitzen mit maskenstarrem und dick geschminkten Gesicht.“ Die beiden kennen und verstehen sich gut, während Drusus’ Konsulat hat Kleopatras Sohn Rom besucht. Und jenseits des höfischen Zeremoniells liebt er das offene Wort, ja sogar bis zum Zynismus gehende Ironie. Den Namen Caesarion, Kaiserlein, den die Alexandriner als Spottbezeichnung erfanden, hat er als eine Art Markenzeichen angenommen. „Es geht natürlich weniger um Ruhm und Ehre, die Vollendung des Traums Alexanders et cetera, sondern um Handelsbeziehungen“, bemerkt er. „Die Reichen in Rom und Alexandria gieren nach Indigo und Seidentüchern, Myrrhe und Weihrauch, Schildpatt und Elfenbein, Lapislazuli und Gewürzen, aromatischem Gummi, dem Bdellium und vor allem nach Edelsteinen und Gemmen.“
„Caesar hat für eine einzige Perle aus Arikamedu einmal sechs Millionen Sesterzen gezahlt, weiß noch heute die Familienfama zu berichten“, wirft Drusus ein.
Caesarion nickt: „Wenn wir erst einmal die Handelswege kontrollieren und die Häfen, dann spült das viel Geld in die immer leeren Kassen des Imperiums. Aber komm mit mir zur Lagebesprechung, die ist substanzieller als die Audienz.“
Der Ägypter führt den Römer in einen großen Raum hinter dem Thronsaal, in dessen Mitte ein riesiges Mosaik zu sehen ist, das den östlichen Teil des Imperiums und den indischen Subkontinent zeigt. Auf Ruheliegen daneben diskutieren einige hohe Offiziere, die allerdings sofort aufspringen, als sie die Eintretenden erkennen. Die Ausnahme macht ein hochgewachsener, in einen Seidenkaftan gehüllter Mann, der nach einer knappen Verbeugung auf Drusus zugeht.
„Das ist König Tiridates II., zusammen mit unserem Statthalter herrscht er über die beiden parthischen Provinzen“, stellt ihn Caesarion vor, „seine Kenntnisse und seine Hilfe werden bei dem kommenden Feldzug willkommen und nützlich sein.“
Drusus nickt, er kennt die Rolle des Mannes in den wechselvollen römisch-parthischen Beziehungen. Während Rom mit Karthago um die Vorherrschaft im Mittelmeer kämpfte, hatten die Parther fast ganz Mesopotamien unter ihre Herrschaft gebracht. Als Jahrzehnte später die Römer Syrien eroberten und zur Provinz machten, kam es ständig zu Streitereien zwischen den beiden Nachbarn. Für Rom besonders schmerzlich war die Niederlage des Crassus, bei der mehr als 25.000 Legionäre ihr Leben verloren und 10.000 gefangengenommen wurden. Diese Schmach hatte Caesar tilgen wollen und auch Kleopatras Traum von einem neuen Alexanderreich stand das rebellische Parthien entgegen. Freilich mussten die beiden zunächst einmal Syrien zurückgewinnen, das von den Parthern mit Hilfe des republikanischen Generals Quintus Labienus eingenommen worden war. Dann hatte der Bürgerkrieg das geplante Vorgehen verhindert, erst als der Westen unter seinem Neffen Octavian einigermaßen gesichert war, setzte Caesar seine Legionen in Marsch. In mehreren Schlachten – trotz seines Genies geriet der göttliche Julius mehrmals an den Rand einer Niederlage – wurde Phraates IV. geschlagen, das Partherreich geteilt. Der westliche Teil bis Susa einschließlich der Hafenstadt Alexandria am Tigris wurde zur neuen Provinz Parthia, Restparthien zu einem Staat, der zumindest offiziell Verbündeter Roms war. Immerhin konnten Caesar und Kleopatra erst in Alexandria, dann in Rom einen gewaltigen Triumphzug feiern, wobei sie die früher von den Parthern eroberten römischen Feldzeichen zurückbrachten.
Freilich war es nicht mehr als ein brüchiger Waffenstillstand. Doch zunächst einmal mussten Kleopatra und Caesarion im Osten und Octavian im Westen nach Caesars Tod ihrer Herrschaft sichern und – so fährt es Drusus durch den Kopf – im Vertrag von Actium ihre gegenseitigen Interessen abgrenzen und ein geregeltes Miteinander organisieren. Diese vorübergehende Schwäche des Imperiums suchte Phraates IV. auszunutzen und marschierte in die Provinz Parthia ein. Die Invasion konnte abgewehrt werden, aber zu einem hohen Preis: Der Oberbefehlshaber des Ostens, Mark Anton, wurde tödlich verwundet. Erst vor elf Jahren kam der Gegenschlag, wobei Kleopatra und Caesarion – typisch römisch, lächelt Drusus in sich hinein – die innerparthischen Streitereien ausnutzten. Eine Adelsgruppe rebellierte gegen den König und ließ Phraates IV. ermorden. Die Legionen kamen, um den Bürgerkrieg zu beenden, der Anführer der Opposition bestieg als Tiridates II. den Thron und regierte die Provinz, die den Namen Parthia secunda erhielt, von Persepolis aus gemeinsam mit dem römischen Statthalter.
Drusus konzentriert sich wieder auf den Vortrag des Parthers. „… liegt unsere Flotte in Charax-Spasinu.“
„Die Stadt heißt inzwischen wieder Alexandria am Tigris“, unterbricht ihn Caesarion lächelnd, aber bestimmt.
„Natürlich, in Alexandria am Tigris! Dort liegen etwa 200 Kriegsschiffe und 500 Transportschiffe.“
„In den Provinzen Kilikien, Phönizien und Chalkis gibt es praktisch kein Holz für den Schiffsbau mehr“, wirft Drusus ein.
„Die Flotte ist notwendig, wenn wir das Heer unterstützen und versorgen wollen“, erwidert Caesarion, „wir ziehen vorerst 24 Legionen in Persepolis zusammen. Du hast dir schon Gedanken über das Vergehen gemacht, Drusus?“
Der Stiefsohn Octavians nickt: „Anders als der große Alexander werden wir direkt nach Harmosia ziehen, wo wir auch die Flotte erwarten. Von dort wird ein kleineres Kontingent den Weg des Krateros nehmen, nordöstlich an der Wüste Lut vorbei bis nach Alexandria in Arachosien, dort aber ein befestigtes Quartier errichten.“
„Wieso stehenbleiben?“
„Ich möchte verhindern, dass die Inder über Kabura durch das Gebirge kommen und uns so in den Rücken fallen. Das Hauptkontingent zieht unweit der Küste Richtung Indus-Delta und dann immer den Fluss entlang nach Norden. Unser Ziel sollte sein, den Indus als neue Grenze des Imperiums zu befestigen.“
„Vorerst!“, lächelt Caesarion und beendet die Besprechung.
Die beiden gehen zu den Privatgemächern des Pharao, wo sie sich auf Ruheliegen niederlassen. Sklaven bringen Erfrischungen und eine Reihe alexandrinischer Gerichte, die Drusus wegen ihres Gewürzreichtums und des scharf-säuerlichen Geschmacks schätzen gelernt hat.
„Nach den neuesten Gerüchten aus Rom sind wir ja noch näher verwandt als wir bisher ahnten“, scherzt Caesarion.
„Dass Augustus mein leiblicher Vater ist, ist Unsinn“, erwidert Drusus ärgerlich. „Zum Zeitpunkt meiner Zeugung war er Hunderte Stadien entfernt. Aber es ist eine nützliche Legende …“
„Und deiner Mutter Livia wird ja Unmögliches zugetraut, genau wie meiner Mutter auch. Die übrigens vermutet, dass die deine sie vergiften lassen wollte.“
„Mütter! Livia würde so ziemlich alles für die Familie tun, sie geht über Leichen, das muss ich auch als ihr Sohn sagen. Aber einen Giftanschlag auf Kleopatra? Das würde sie nicht riskieren, dazu ist sie zu klug. Zudem ist sie mehr als genug damit beschäftigt, die wenigen Patrizier, die sich noch gegen meinen Stiefvater Augustus wenden, auszuschalten.
Aber sicher mehr durch Bestechung, Erpressungen und Intrigen als durch schnöden Mord. Und zurzeit gefällt sie sich vor allem in ihrer Rolle als Hüterin der Moral …“
„…was natürlich auch als eine Art Affront gegenüber meiner Mutter, der ‚Hure vom Nil‘, verstanden werden kann. Aber lassen wir unsere matres familiae. Wie steht es mit deinem Vater? Ist seine Stellung gefestigt?“
„Sonst hätte er den Feldzug nach Indien sicher nicht unterstützt. Die letzte große Verschwörung gegen ihn ist jetzt schon ein Dutzend Jahre her. In den ersten Jahren der neuen Ordnung war er immer einer der zwei Konsuln; jetzt haben diese Ehre“ – Drusus lächelt – „oder besser gesagt: Bürde immer Familienmitglieder wie ich. Entscheidend aber ist, dass Augustus – dieser Ehrenname hat sich inzwischen überall eingebürgert – faktisch den Oberbefehl über das Militär des Westens hat und dass der Senat durch Familien, die uns verpflichtet sind und von uns profitieren, aufgefüllt wurde. Aber wir haben es natürlich nicht so leicht wie ihr, im Osten hat die göttliche Verehrung der Herrscher Tradition.“
„Vergiss nicht, dass wir Ptolemäer halbe Griechen sind und ich ein halber Römer!“
„Wer könnte das vergessen? Deshalb will ich auch vor meiner Abreise noch das Grab Alexanders besuchen.“
„Ich werde dich hinbringen lassen. Wir haben das Mausoleum aber unterirdisch und geheim errichten lassen“, erklärt Caesarion „wir haben schon genug Pilger an anderen Stätten Alexandrias. Vor allem aber haben hier in Ägypten Grabräuber Tradition. Doch so“ – der Sohn Kleopatras wird ernst – „kannst du mit dem großen Alexander in Ruhe Zwiesprache halten. Seine Feldherrnkunst und sein Schlachtenglück wirst du in Indien brauchen.“
real | fiktiv | |
44 v. Chr. | Caesar wird ermordet | Caesar überlebt |
Kleopatra lässt ihren Bruder Ptolemaios XIV. ermorden und ernennt den 3-jährigen Caesarion zum Mitregenten | Kleopatra lässt ihren Bruder Ptolemaios XIV. ermorden | |
40/39 | Die Parther, unterstützt von dem römischen General und Republikaner Quintus Labienus, dringen in Syrien und Kleinasien ein, können aber bald darauf vertrieben werden | Beginn des Partherfeldzuges, Syrien und Kleinasien werden gesichert |
39 | Augustus und Antonius schließen mit Sextus Pompeius den Vertrag von Misenum | Erneute innenpolitische Wirren, bürgerkriegsähnliche Zustände im WestenOctavian wird faktisch Regent des Westens |
38 | Augustus und Livia heiraten | Augustus und Livia heiraten |
Drusus geboren | Drusus geboren | |
36 | Krieg des Antonius gegen die PartherKatastophale Niederlage gegen König Phrates IV. | Sieg Caesars über die Parther Kleopatra ernennt den 13-jährigen Caesarion zum Mitregenten |
34 | Feldzug des Antonius gegen Armenien | Caesar stirbt |
31 | Beginn des PtolemäischenKriegesActium | Faktische Reichsteilung im Vertrag von Actium |
30 | Eroberung Alexandrias, Tod Kleopatras und des Antonius Caesarion wird ermordet | Phraates IV. versucht Invasion in Parthia, wird aber zurückgeschlagenTod Mark Antons |
20 | Militärische Machtdemonstration gegen Phraates IV. Römer und Parther erkennen den Euphrat mit der Stadt Dura Europosals Grenze an Die Parther geben den Römern die erbeuteten Feldzeichen zurück | Aufstände in Parthien Phraates IV. wird hingerichtet Tiridates II. wird neuer König der Provinz Parthia secunda |
15 | Tiberius und Drusus führen einen Feldzug in Raetia und machen es zur römischen Provinz | Tiberius und Drusus führen einen Feldzug in Raetia und machen es zur römischen Provinz |
13 | Drusus Statthalter in Gallien | Drusus Statthalter in Gallien |
12 | Drusus’ Feldzug in Germanien zur Erforschung der rechtsrheinischen Gebiete; er stößt bis zur Nordseeküste vor | Drusus’ Feldzug in Germanien zur Erforschung der rechtsrheinischen Gebiete; er stößt bis zur Nordseeküste vor |
11 | Drusus kämpft gegen germanische Stämme (Sugambrer); Ziel: Sicherung des Reichs bis zu Elbe | Drusus wird nach weiteren Erfolgen in Germanien nach Alexandria gerufen |
10 | Drusus übernimmt den Oberbefehl über die Indienarmee |
Hinter dieser kleinen Geschichte steht eine, wenn nicht die grundsätzliche Frage aller „Was-wäre-wenn“-Geschichte(n): Hätte die Weltgeschichte wirklich einen anderen Verlauf genommen, wenn das Attentat nicht erfolgreich gewesen wäre oder gar nicht stattgefunden hätte? Ein winziger zufälliger Faktor hätte ein Scheitern des Anschlags bewirken können. Und hätten Caesar und Kleopatra ihren Traum vom Weltreich im Osten, von der Erneuerung des Alexanderreiches durchziehen können? Oder hätten strukturelle Gründe die Geschichte schnell in die alten, uns vertrauten Bahnen zurückgeworfen? Vielleicht hätte sich sehr schnell gezeigt, dass das Imperium bei einer Ausdehnung Richtung Osten überfordert gewesen wäre und dieses overstretching einen Rückzug auf die Kernzone um das Mittelmeer unausweichlich gemacht hätte. Vielleicht hätte sich die Rom tragende Patrizierschicht nicht bieten lassen, dass das Zentrum des Reiches sich in Richtung Alexandria verlagerte. Übrigens eine Überlegung, die in der realen Geschichte vermutlich mehr zum Attentat führte als die ideologische Rechtfertigung der Rettung der Republik vor einem Diktator, notabene einer Republik, die in ihrer alten Verfassung weder zeitgemäß noch zu retten war. So sind die Iden des März 44 v. Chr. eine Weggabelung der antiken Geschichte, die Richtung Osten war durchaus eine mögliche Option.
Viele Jahrhunderte früher erscheinen die Schlachten von Marathon, Salamis und Plataiai, die Jahre 490 und 480, in der europäischen Geistesgeschichte als Kreuzwege, wenn nicht die entscheidenden Wendepunkte für die Geschichte des Abendlandes. Dazu stilisierten sie nicht nur antike Schriftsteller wie Herodot oder Plutarch, in seinen Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte sagt Hegel: „Das Interesse der Weltgeschichte hatte hier auf der Waagschale gelegen. Es standen gegeneinander der orientalische Despotismus, also eine unter einem Herren vereinigte Welt, und auf der anderen Seite geteilte und an Umfang und Mitteln geringe Staaten, welche aber von freier Individualität belegt waren.“ Ohne den Sieg bei Marathon würden die Briten für John Stuart Mills immer noch in den Wäldern leben, für die meisten Historiker der letzten drei Jahrhunderte war es der Triumph der „hellenischen Freiheit“ über den „altorientalischen Despotimus“.
Wir haben es hier mit einer fast schon zum Volksvorurteil verkommenen unausgesprochenen „Was-wäre-wenn“-Wahrheit zu tun, die in den letzten Jahrzehnten noch durch Überfremdungsängste vermehrt auflebt. Hätten die Perser bei Salamis und den folgenden Landschlachten gesiegt, dann hätte sich ein eigenständiges europäisches Denken und Geistesleben nicht entwickelt. Aber hätte es da nicht alternative Entwicklungen gegeben? Hätten die Griechen nicht ihre Denkart ins Perserreich einbringen können, wäre nicht durch eine „gegenseitige Durchdringung von griechischer Rationalität und orientalischer Religiosität“ – wie Alexander Demandt mutmaßt – eine Art vorzeitiger Hellenismus entstanden? Wären die persischen Großkönige auch bei Siegen in Salamis und auf der Peloponnes strukturell in der Lage gewesen, ihre Eroberungen zu halten, und wäre die Geschichte nach einem Aufstand der griechischen Städte ähnlich verlaufen, wie wir sie kennen?
Dies sind Fragen, die sich nur wenige Historiker und Literaten gestellt haben. Immerhin hat Herodot einige Überlegungen angestellt, wie es bei einem Sieg der Perser hätte kommen können, um dann im gleichen Kapitel auf die seiner Meinung nach großartigen militärischen Anstrengungen der Athener hinzuweisen, die solche Dystopien eben verhindert hätten. Ganz anders hat die Gestalt Alexanders des Großen „Was-wäre-wenn“-Fantasien angeregt, vor allem die Frage, was geschehen wäre, wenn er länger gelebt hätte. Mit ihr befasst sich der erste uns historisch überlieferte Alternativ-Geschichts-Text: „Im Stillen habe ich mich oft gefragt, welches Los den Römern wohl beschieden gewesen wäre, wenn sie mit Alexander Krieg geführt hätten“, schreibt Titus Livius in seiner römischen Geschichte4. Er kommt zu dem nicht überraschenden Schluss, dass der Makedone keine Chance gehabt hätte. Ihm hätten ein gutes Dutzend gleichwertige Feldherren gegenübergestanden, „zudem hatte sich die militärische Disziplin in Rom zu einer systematischen Wissenschaft entwickelt … die Krieger in beiden Heeren hätten ruhig und fest gestanden; aber die Phalanx war unbeweglich, die römische Schlachtordnung war flexibler, bestand aus mehreren, leicht teilbaren und wieder zu vereinigenden Teilen.“ Vor allem aber: „Wäre Alexander in einer einzigen Schlacht besiegt worden, wäre für ihn der ganze Krieg verloren gewesen. Welche Niederlage aber hätte Roms Kraft gebrochen? Denken wir nur an Cannae!“
So ist Livius mit seinen vier Kapiteln alternativer römischer Geschichte einer der ersten, in dessen Text sich durchaus seriöse und plausible Argumente mit Wunschdenken, Ideologie und Propaganda vermischen. Dies unterscheidet ihn nicht von einem der größten Historiker des 20. Jahrhunderts, Arnold Toynbee. Dieser lässt in einem umfangreichen Essay Alexander das schwere Fieber des Jahres 323 v. Chr. überleben5 und ihn ein Großreich errichten, das das ganze Mittelmeer umspannt und bis nach Indien reicht. Mehr noch: „Alexander schenkte der Nachwelt eine geeinte Menschheit, der wir uns seit 309 v. Chr. bis heute erfreuen.“ Und so skizziert Toynbee die rasche Entwicklung einer Weltzivilisation: Hannibal entdeckt für Alexander VII. das in dieser Fiktion Atlantis genannte Amerika und die Alexandria-Suez-Eisenbahn wird „von einem Jungen beobachtet, dessen Vater Zimmermann in Nazareth war.“
Toynbees Essay ist ein Musterbeispiel für die „Was-wäre-wenn“-Geschichten von Wissenschaftlern im englischsprachigen Raum. Er schildert das fiktive Leben Alexanders zwischen 323 und 309 v. Chr. ausführlich und kenntnisreich unter Berücksichtigung der bekannten historischen Fakten, danach verläuft seine Geschichte eher augenzwinkernd fantastisch und er lässt sie mit dem „Weltenherrscher“ Alexander LXXXVI. in unserer Zeit enden.
Die Jahrhunderte vor Christi Geburt boten und bieten noch genügend Stoff für alternative Geschichten. Was wäre gewesen, wenn Alexander bereits 334 bei der Schlacht am Granikos nicht nur verwundet, sondern tödlich getroffen worden wäre? Oder – früher noch – Sokrates in der Schlacht von Delion sein Leben verloren und Platon nie getroffen hätte? Es ist die Frage, was der Einzelne, was menschliches Genie vermag und welche geschichtlichen Strukturen, welche Denkweisen und Erfindungen sich unabhängig entwickeln und sozusagen immer wieder geeignete Menschen finden, die sie umsetzen. Auch Hannibals unverständliches Zögern, nach dem Triumph von Cannae schnurstracks nach Rom zu marschieren und es zu erobern, hat viele Spekulationen angeregt. Die meisten antiken Autoren glauben, dass er mit seinem Zaudern die unwiederbringliche Chance verspielt habe, Roms Einfluss in der Mittelmeerwelt zumindest zu begrenzen. Im 18. und 19. Jahrhundert bedauerten deutsche Philosophen und Literaten – wie Herder, der sich für das Kontrafaktische als Methode der Philosophie ausspricht (s.u.) – dies sehr, sie sehen im oft zum Genie stilisierten Karthager einen unerschrockenen Kämpfer gegen die römischen Unterdrücker.
„Es ist eine angenehme Übung der Gedanken, sich hie und da zu fragen, was aus Rom bei veränderten Umständen geworden wäre, z.B. wenn es anderswo gelegen, frühzeitig nach Veji versetzt, das Kapitol von Brennus erstiegen, Italien von Alexander bekriegt, die Stadt von Hannibal erobert oder der Rat, den er dem Antiochus gab, befolgt wäre. Gleichergestalt lässet sich fragen: wie statt des Augustus ein Cäsar, statt des Tibers ein Germanikus regiert hätte, welche Verfassung der Welt ohne das eindringende Christentum entstanden wäre u.f. Jede dieser Untersuchungen führt uns auf eine so genaue Zusammenkettung der Umstände, daß man Rom zuletzt nach der Weise jener Morgenländer als ein Lebendiges betrachten lernt, das nicht anders als unter solchen Umständen am Ufer der Tiber wie aus dem Meer aufsteigen, allmählich den Streit mit allen Völkern seines Weltraums zu Lande und Wasser lernen, sie unterjochen und zertreten, endlich die Grenzen seines Ruhms und den Ursprung seiner Verwesung in sich selbst finden können, als den es wirklich gefunden hat. Bei dieser Betrachtung verschwindet alle sinnlose Willkür auch aus der Geschichte. … Die einzige philosophische Art, eine Geschichte anzuschauen, ist diese; alle denkenden Geister haben sie auch unwissend geübt.“6
Johann Gottfried Herder
Weitaus größere Fantasien hat das erste nachchristliche Ereignis angeregt: Was wäre gewesen, wenn nicht Hermann der Cherusker, sondern der Römer Varus die Schlacht im Teutoburger Wald gewonnen hätten? Die sicher schönste Antwort darauf hat Heinrich Heine gegeben:
Wenn Hermann nicht die Schlacht gewann Mit seinen blonden Horden, So gäb’ es deutsche Freiheit nicht mehr Wir wären römisch geworden!
Da sind sich die Historiker uneins, wenn sie sich überhaupt mit solch unhistorischen Spekulationen abgeben. Auch bei einem Sieg des Varus hätten Augustus und seine Nachfolger vielleicht vor einer dauerhaften Inbesitznahme jenseits der Rhein-Donau-Linie abgesehen und ihre Dominanz durch wechselnde Bündnisse mit den dortigen Stämmen nach dem Motto divide et impera aufrechterhalten. Vielleicht aber hätte eine Provinz „Germania“ den Stürmen der Völkerwanderung besser standgehalten und das sich daraus entwickelnde Deutschland eine weniger verhängnisvolle Stellung in Europa eingenommen. Während darüber eher englische und französische Autoren nachsinnen, fragten sich manche deutschen Historiker des 19. Jahrhunderts, was denn gewesen wäre, wenn ihr zum ersten Nationalhelden erkorener Hermann die Zwiste der verschiedenen germanischen Stämme überwunden und ein erstes Deutsches Reich gegründet hätte. Wie auch immer:
Gottlob! Der Hermann gewann die Schlacht Die Römer wurden vertrieben, Varus mit seinen Legionen erlag, Und wir sind Deutsche geblieben!
Weniger ironisch und oft verbissen wird die Frage aufgeworfen, was passiert wäre, wenn Pontius Pilatus Jesus begnadigt und dieser noch Jahrzehnte weitergelebt hätte. Wenn Jesus – entgegen seinem Charakter – nicht auf seine Rolle als Glaubenslehrer verzichtet und zurückgezogen mit seiner Maria Magdalena gelebt hätte, hätte sich aus seiner kleinen Anhängerschar vielleicht eine veritable Form des Judentums entwickelt, deren Botschaft vielleicht auch über Palästina hinaus gedrungen wäre. Das der Republik entwachsene römische Imperium benötigte eine Staatsreligion, allerdings gab es dafür auch andere Kandidaten. Ohne Kreuzigung und Auferstehung – und vermutlich auch ohne einen genialen Organisator wie Paulus (was, wenn dieser sich nicht vom Saulus zum Paulus gewandelt hätte?) – hätte das Christentum sicher nicht die revolutionäre Sprengkraft erreicht, die Unter- und Oberschichten des Reiches durchschüttelte. Ohne Christentum allerdings hätte sich das europäische Mittelalter ganz anders entwickelt.
Die Rolle des Christentums, speziell der daraus entstandenen Institution Kirche für Rom und das frühe Europa ist Gegenstand einiger alternativgeschichtlicher Überlegungen. Edward Gibbon gibt ihm in seinem epochalen Werk7 gar eine veritable Mitschuld am Untergang: „Die Geistlichkeit verkündete mit Erfolg die Lehre der Geduld und des Kleinmutes, die Tatkraft der Gesellschaft wurde entmutigt, und die letzten Reste soldatischen Geistes wurden in den Klöstern begraben.“ Der Gedanke, ohne Christentum hätte es weniger Verweichlichung bis hin zur Wehrkraftzersetzung gegeben, ist aber nur eine Spielart. Beginnend von der Renaissance und vor allem bei Schriftstellern der Aufklärung finden wir die Frage: Wie hätte sich Europa entwickelt, wenn es das Christentum nicht gegeben hätte oder zumindest in einer weniger radikaleren Form, also toleranter und ohne Heilige Inquisition?
Ganz am Ende dieser sich über Jahrhunderte durchziehenden Überlegungen finden wir die erste wirklich moderne alternative Geschichte, die dem Genre auch seinen Namen geben sollte, die 1878 erschienene „Uchronie“ des Philosophen Charles Renouvier.8 Es handelt sich dabei um ein fiktives Manuskript aus dem 16. Jahrhundert, verfasst von einem Mönch, der darauf wartet, als Ketzer verbrannt zu werden. Er erträumt sich ein Europa ohne Inquisition, ohne allzu eiferndes Christentum oder römisch-katholische Institutionen, einen „Sieg der Philosophie über den christlichen Fanatismus“. Die kontrafaktische Spekulation setzt bei Mark Aurel und seinem Sohn Commodus an. Statt den Christen die römischen Bürgerrechte zu gewähren, setzt Letzterer – nachdem sein Vater mit Toleranz nichts erreicht hat – die Christenverfolgungen seiner Vorgänger fort. Daraufhin zieht sich das Christentum in den Orient zurück, während in Rom alle religiösen Doktrinen friedlich koexistieren. Schließlich bricht das Imperium auseinander. Mehrmals, doch letztlich erfolglos überzieht das christliche Ostrom das freidenkerische Westrom mit Kreuzzügen. Erst im achtem Jahrhundert kehrt das Christentum – von Intoleranz befreit – in die westliche Welt zurück. In einem fiktiven Nachwort aus dem Jahre 1709 wird das Ergebnis resümiert: „Hätten wir heute diesen Stand der Zivilisation erreicht, könnte man diese Uchronie so zusammenfassen, dass sie uns 1000 Jahre Geschichte erspart hätte!“ Und in einem anderen fiktiven Nachwort wird Renouvier noch deutlicher: „Vergleichen wir unsere Geschichte mit den so schönen Vorstellungen des Möglichen, die der Verfasser der Uchronie sich im Kerker ausmalte, bevor er den Scheiterhaufen bestieg. Er träumte davon, was Menschen mit der Freiheit hätten anfangen können, wenn sie nur zur richtigen Zeit vorhanden gewesen wäre!“
Renouviers Uchronie zeigt das ganze Dilemma der neueren kontrafaktischen Geschichte(n). Das voluminöse Werk gibt sich einen betont wissenschaftlichen Anstrich, der Autor gibt sich große Mühe, die Möglichkeit seiner fiktiven Historie detail- und kenntnisreich zu unterlegen und zu beweisen – mit der Folge, dass weite Teile des Buchs trocken und wenig amüsant zu lesen sind. Unverkennbar ist jenseits aller Wissenschaftlichkeit der Wunsch der Vater des Gedankens. Renouvier bedauert, dass der von ihm skizzierte Geschichtsverlauf nicht Realität geworden ist. Weil das so ist, so sollten wir aus dem Gedankenspiel wenigstens etwas lernen. Dieser pädagogische Impetus steht hinter vielen „Was-wäre-wenn“-Geschichten, die dadurch auch und manchmal fast ausschließlich zur Projektionsfläche der Entwicklung der jeweiligen Gegenwart werden. Wobei – wir werden später noch ausführlich darauf eingehen – die Uchronie nicht nur eine Eutopie, eine positive Alternative, sondern durchaus eine Dystopie, ja geradezu ein Schreckensszenario sein kann, wiederum mit einer Mahnung für die Zeitgenossen des Autors verbunden.
Antike Scheidewege | ||
real | fiktiv | |
490 v. Chr. | Marathon | Die Perser gewinnen |
480/79 | Salamis und Plataiai | Die Perser gewinnen |
323 | Der Tod Alexanders des Großen | Alexander lebt länger |
216 | Schlacht von Cannae | Hannibal marschiert unverzüglich auf Rom |
9 n. Chr. | Schlacht im Teutoburger Wald | Varus siegt |
33 | Jesus stirbt am Kreuz | Pilatus begnadigt Jesus |
2./4. Jh. | Ausbreitung des Christentums | Erfolgreiche Christenverfolgung |
378 | Niederlage der Römer bei Adrianopel | Sieg bei Adrianopel und erfolgreiche Integration der Goten |
468 | Vergeblicher Versuch Ost- und Westroms, Afrika zurückzuerobern | Anthemius besiegt die Vandalen |
Gerade wenn es um das Ende des Römischen Reiches geht, zielen viele Literaten mehr auf die Gegenwart denn auf die Vergangenheit, der Fall Roms wird zur Parabel für die europäischen Imperien des 19. und 20. Jahrhunderts. Zugleich ist es – verbunden mit der Vision eines neuen, geeinten Europas – aber oft ein verklärter Blick zurück auf den ersten fast den ganzen Kontinent umspannenden Völkerverbund des Abendlandes, der dann durch den Einfall der Barbaren in der Völkerwanderung zerstört wird. Hätte das Imperium überdauert, wenn die Goten in der Schlacht von Adrianopel 378 besiegt worden wären? Hätte es Möglichkeiten gegeben, den Fall des Imperiums wenn nicht zu verhindern, so doch so hinauszuzögern und damit einen weicheren Übergang in ein neues Zeitalter zu ermöglichen, ohne einen herben Zivilisations- und Kulturverlust?
Der Fall Roms hat auch die Science-Fiction-Literatur des 20. Jahrhunderts beschäftigt und inspiriert. Zunächst nur als fernes Vorbild, in dem Sternenreiche dem römischen Reich nachempfunden wurden, bildet Isaac Asimov in der „Foundation“-Trilogie, einem der berühmtesten SFRomane, den Fall des römischen Imperiums sozusagen im galaktischen Maßstab nach. Als nicht unbedeutender Seitenzweig dieses Genres hat sich auch die Veränderung der Geschichte durch Zeitreisende etabliert. Da verschlägt es bei Mark Twain einen gewitzten Yankee nach Camelot anno 5139; erster „moderner“ Roman dieser Art ist Sprague de Camps „Vorgriff auf die Vergangenheit“10, in dem ein amerikanischer Historiker durch ein „Zeitloch“ in das Rom des Jahres 535 fällt, sich auf die Seiten der Goten stellt und durch sein Wissen Belisar und Narses besiegt. Diesen eher mit lockerer Hand geschriebenen leicht ironischen Vorlagen stehen neuere Romane gegenüber, deren historische Details mit akribischer, deutscher Gründlichkeit recherchiert sind. In der sechsteiligen Serie „Kaiserkrieger“ 11gerät ein deutscher Kreuzer des Ersten Weltkriegs in die Zeit kurz vor der Schlacht von Adrianopel. Die Zeitreisenden versuchen den Lauf der Geschichte zu verändern, was gar nicht so einfach ist. In dem mit dem deutschen Science-Fiction-Preis ausgezeichneten Roman „Die Zeitmaschine Karls des Großen“12 gelingt es einem Römer, Odoaker auszuschalten, das Imperium zu erhalten und Franken und Goten zu integrieren. Und im 8. Jahrhundert greift ein gewisser Karl nach der Macht.
In meinem Buch „Das Ende des Römischen Reiches!“ habe ich ein ähnliches Szenario entwickelt, freilich an einem anderen, eher wahrscheinlicheren Zeitpunkt angesetzt. Im Jahre 468 finanzierten Ost und Westrom eine riesige, gemeinsame Armee, um die afrikanischen Provinzen von den Vandalen zurückzuerobern. Dass dies möglich gewesen wäre, zeigt der spätere Erfolg Belisars, und eigentlich sind sich alle Historiker darin einig, dass der Feldzug an Überheblichkeit, Unterschätzung des Gegners und für Römer untypischen militärischem Dilettantismus scheiterte. Im Falle eines Sieges aber hätten sich die finanzielle und dadurch auch die militärische Lage vor allem Westroms erheblich verbessert, der Fall des Reiches wäre später gekommen.