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V O R S P R U C H

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Herbei, herbei, ihr Leute, die ihr Abseits steht! Ein Menschenleben wird besichtigt.

Gegeben wird die Geschichte vom kleinen Mann.

Jener ist von Gestalt ein ziemlicher Winzling, auch kann seiner irdischen Existenz im heftigen Geschiebe und Getriebe der Zeit und der Zeitenwenden kaum herausgehobene Bedeutung zugebilligt werden.

Er hat in Person keine Kriege vom Zaun gebrochen und auch keine Revolutionen ausgelöst.

Aber halt: Warum ist er denn dann überhaupt da? Wozu ist der kleine Mann nütze?

Diese Frage, wertes Publikum, ist nun immerhin ganz leicht zu beantworten.

Er ist, ohne dies bis zu seinem Ende je begriffen zu haben, ein kleines Rädchen in einer monströsen Maschine.

Ein Tropfen, jawohl, nicht viel mehr als ein Regentropfen, der perlend auf ein Blatt trifft oder vom tauenden Eiszapfen herabfällt, das ist er. Aber aus vielen Tropfen wird irgendwann einmal der reißende Strom, schließlich ein Meer.

Die Tatsache, dass die gewöhnliche Umgebung des kleinen Mannes ihn stets und ständig um ein oder zwei Köpfe überragt, erlangt insoweit einiges Gewicht, weil sie ihn unwillkürlich antreibt, vielleicht immer etwas mehr zu tun als andere, ein wenig gefälliger, ein bisschen dienstbeflissener als der Rest des Universums zu sein.

Der kleine Mann wird in eine Kulisse gestellt.

Und das ist zuvorderst die kleine Stadt, die vorm Gebirge liegt.

Weil er nicht allein auf der Welt ist, gehören zur kleinen Stadt vorm Gebirge, dessen Silhouette sich ganz nach Wetter zuweilen glasklar oder auch diesig verschwommen am Horizont zeigt, vor allem die Menschen, die dem kleinen Mann nahe sind oder seine Wege kreuzen.

Die Vorstellung auf dem Theater wird aber zwangsläufig unvollständig geraten, wenn man nicht eines bedeutsamen, ja eigentlich des wichtigsten seelenlosen Akteurs gedenkt.

Ihn durchziehen Adern. Aber in ihnen fließt kein Blut.

Er hat ein Gehirn. Und er hat Nerven. Das Erste ist eingemauert. Sein starrer Inhalt sind Telefone, Schaltkästen, Hebel, Lichttafeln, Dienstpläne.

Die Nerven sind reine Drahtseile, stahlhart, hundertfach gerötelt, fettig auf Gängigkeit geschmiert. Sie verbinden das Hauptstellwerk mit dem dienenden Zubehör.

Es wird also auch die Rede sein von einem Bahnhof, von dampfenden Stahlrössern und den Adern; das sind kalte Schienenstränge, denen es völlig gleichgültig ist, was über sie eingeht oder ausgeht und dass sie zufällig am Rande eines Gebirges liegen. Es ist ihnen schlicht egal, dass es die kleine Stadt überhaupt gibt und sie wie Schlangenlinien gewunden von irgendwo im fernen Dunst herkommen und nach irgendwo wieder an dem Punkt, an denen Äcker sich am Himmelsblau stoßen, verschwinden.

Teilnahmslos lassen sie es geschehen, dass von früh bis spät stählerne Radkränze, wahre Kolosse, über sie hinweg donnern, schmerzhaftes, stechendes Quietschen erzeugen, Funken schlagen.

Neben Bahnsteigen, Signalen, verschiedenen Stellwerken, Lokschuppen, einem Wasserturm und Verladerampen gibt es eine weitere Sache von eminenter Wichtigkeit.

Da liegen in den Boden gesenkt noch jene Gabelungen mit deren Hilfe der Zug von einem Gleis auf das andere wechselt.

Eine Weiche, wenn sie denn nicht nur beiläufig als ein kühles mechanisches Ding aus diamanthartem Metall betrachtet wird, ist auch ein Symbol. Sie ist ein Gleichnis dafür, dass das Leben, unberechenbar, wie es sich nun gerade anstellt, irgendwann einmal den schweren massig-klobigen Weichenhebel herumwerfen kann. Der Pfeil der Weichenlaterne zeigt dann schicksalhaft in eine Richtung und der Weg ist vorgezeichnet. Der Zug ist abgefahren. Was dahinter liegt, ist dahin, aus und vorbei, Vergangenheit, so sehr man sich auch dagegenstemmen mag.

Bahnhofsdienst

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