Читать книгу Geschichte unserer Umwelt - Hans-Rudolf Bork - Страница 10
NACHHALTIGE ENTWICKLUNG ALS QUADRATUR DES KREISES?
ОглавлениеAlle wollen nachhaltig sein. Der Weg dorthin ist aber alles andere als klar. Komplexe Modelle und nicht zuletzt Bildung und Bewusstseinsentwicklung sollen der Verwirklichung von Nachhaltigkeitsstrategien dienen. Doch die Vielzahl der Angebote und Möglichkeiten erzeugt Verwirrung. Der Brundtland-Bericht aus dem Jahr 1987 macht deutlich, dass wir für das Wohlergehen künftiger Generationen Verantwortung tragen. Eine »dauerhafte Entwicklung ist Entwicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, daß künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können« (WELTKOMMISSION, 1987: 51) – so definieren die Autorinnen und Autoren das Ziel, dem sich die Menschheit verschreiben sollte. Im Fokus stehen internationale und intergenerationale Gerechtigkeit sowie die gleichberechtigte Mitwirkung aller Akteure, die Partizipation.
Poetischer ausgedrückt findet sich derselbe Gedanke in einem Leitspruch der Umweltbewegung der 1970er-Jahre: »Wir haben die Erde von unseren Kindern nur geliehen.« Wertet der amerikanische Umwelthistoriker Donald Worster das Reden von nachhaltiger Entwicklung zu Recht als Ausflucht? Wir würden alle gemeinsam, so Worster, auf gleicher Höhe um einen Berg gehen, weil das wenig anstrengend sei, und einander dabei gegenseitig versichern, dass wir auf dem richtigen Weg zum Gipfel seien (WORSTER, 1995). Oft ist »Nachhaltigkeit« zum Schlagwort verkommen. Doch ist die Idee grundsätzlich zu wichtig und richtig, um sie deswegen ad acta zu legen.
Die »regulative Idee« der Nachhaltigkeit umfasst die Einsicht, dass ökonomische, kulturelle und soziale Zieldimensionen auf einem biophysischen, ökologischen Fundament ruhen. Volker Stahlmann hat eine einprägsame Darstellung des Zusammenhangs gefunden (Abbildung unten) STAHLMANN, 2008). In einer geplünderten, verschmutzten und degradierten Umwelt ist positive sozialverträgliche wirtschaftliche Entwicklung unmöglich. Eine von massiver Ungleichheit geprägte Gesellschaft ist gegenüber Umweltveränderungen sehr empfindlich und neigt dazu, natürliche Ressourcen ohne Rücksicht auf eine nachhaltige Zukunft zu nutzen. Reichtum und Macht, aber auch Zugang zu Natur und die Belastung durch Umweltschäden sind ungleich verteilt und werden, ob aus Mangel oder Überfluss, nicht nachhaltig genutzt (vgl. Kap. 2.6. Natur und Politik, S. 132). Das herrschende ökonomische System beruht auf Steigerung der Wohlfahrt und ist auf Wachstum ausgerichtet; die Erde aber wächst nicht. Können wir mit der Wahl unseres Lebensstils Einfluss auf die Möglichkeit einer nachhaltigen Entwicklung nehmen? Kann die Schaffung neuer gesellschaftlicher Organisationsformen entscheidend dazu beitragen, das Ziel der Nachhaltigkeit zu erreichen? Anregungen, wenn auch vielleicht nicht Antworten zu diesen Fragen lassen sich durch den Vergleich mit der Vergangenheit gewinnen.
Die Erde ist niemals ruhig, sie wirbelt mit unvorstellbarer Geschwindigkeit durchs Weltall. Riesige Gesteinsplatten sind in steter Bewegung. Beständig entstehen neue Arten, andere verschwinden. Flüsse verlagern ihr Bett, Böden entwickeln sich in nacktem Gestein. Eisen rostet, Kupfer überzieht sich mit Patina, Pflanzen nehmen Nährstoffe aus dem Boden auf und werden später von Mikroorganismen zersetzt. Nichts hat Bestand, alles bewegt sich in kürzeren oder längeren Zyklen. Die Menschen tragen das ihre zu dieser Dynamik bei (vgl. Kapitel 2.1. Leben mit der Dynamik der Natur, S. 14). Die Strategie »Europa 2020« der Europäischen Union nennt den Wandel von Klima und Lebenswelten unter dem Einfluss von Menschen gemeinsam mit der Sicherung von Energie und Ernährung unter den großen Herausforderungen, auf die die Politik der EU Antworten finden soll. Das Ziel ist eine gerechtere Welt, in der es dauerhaft gute Lebensqualität für alle gibt. Um eine solche Welt zu erreichen, müssen Ungleichheiten minimiert und der demographische Wandel gestaltet werden. Wie kann eine lebenswerte Welt für alle geschaffen werden? Aus früheren Phasen nachhaltiger Entwicklung, aber auch aus den Fehlern der Vergangenheit lässt sich hierzu einiges lernen. Da wir Langzeitexperimente nicht abwarten können, müssen wir die Geschichte als solche verwenden.
Soziales, Umwelt und Wirtschaft sind miteinander verbunden. Das Fundament einer Nachhaltigen Entwicklung im ökonomischen, sozialen und kulturellen Bereich ist die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen (nach STAHLMANN, 2008:61).