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LEBEN IM UNGEWISSEN

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Die sich wandelnde Erde und die Menschen, die sie zu gestalten versuchen, sind ein komplexes, grundsätzlich nicht vollständig zu verstehendes und schon gar nicht berechenbares System. Der österreichische Kybernetiker Heinz von Foerster (1911–2002) hat dies schon früh mit der Metapher der »nichttrivialen Maschine« ausgedrückt. Damit verweist er darauf, dass von ihren inneren Zuständen abhängige Systeme unbestimmbar sind (von FOERSTER, 1993: 153ff.). Menschen und Gesellschaften können nicht nach den Lehren der Mechanik begriffen werden, so verlockend dies sein mag. Daher ist der sicherste Wegweiser in die Zukunft die Lehre aus der Vergangenheit und nicht die modellierte Prognose. Von Foerster formulierte aus der Kenntnis der Komplexität einen ethischen Imperativ: »Handle stets so, dass die Anzahl der Wahlmöglichkeiten größer wird!« Wie aber wissen wir a priori, welche unserer Handlungen die Anzahl der Möglichkeiten vergrößern wird – insbesondere dann, wenn wir akzeptieren, dass das Verhalten von Menschen und Erde nicht vorhersehbar ist? Es wäre schon ein großer Schritt in Richtung dauerhaft akzeptabler Lebensqualität für alle, wenn wir jene Handlungen vermeiden lernen würden, durch die wir die Wahlmöglichkeiten sicher einschränken.

Allerdings gerät das uns vertraute Denken in einfachen Ursache-Wirkungs-Beziehungen schnell an seine Grenzen. Schwellenwerte, bei deren Überschreitung ein System in einen neuen Zustand gerät, der keine lineare Weiterentwicklung des alten ist, überraschen uns. Auch die Einbeziehung von Rückkopplungen in unsere Vorstellungen von Natur und Menschen fällt oft schwer. Die Abholzung großer Waldflächen in Mexiko ab dem 16. Jh. hat zu einer dauerhaften Veränderung des lokalen Klimas geführt. Rückkopplungsprozesse bewirken auf den kahlen Berghängen mit erodierten Böden, dass dort keine Waldvegetation mehr wächst: Bäume beschatten die Erde, verteilen Nährstoffe, bieten Aufenthaltsräume für Tiere, verhindern Erosion, weil ihre Blätter starke Regentropfen abbremsen und im Laub langsam versickern lassen. Werden Bäume flächig gefällt, kann der Boden so heiß und trocken werden, dass neue Bäume keine Wachstumschance haben.

Alle Forschungsreiseberichte enthalten Hinweise auf Nebenwirkungen: Komplexe Systeme verändern sich aufgrund vieler Faktoren, die gleichzeitig wirken und einander gegenseitig beeinflussen. Daher sind Nebenwirkungen der Regelfall. Sie können gravierend sein und erschweren ein Handeln mit dem Ziel vermehrter Wahlmöglichkeiten auch bei aller Einsicht und Zuversicht.

Wenn der Umwelthistoriker Rolf Peter Sieferle und der Chemiker Ulrich Müller-Herold recht haben, dann sind wir allerdings einer »Risikospirale« ausgesetzt, die sich nicht so einfach beseitigen lässt. Jede Intervention in natürliche Systeme hat neben den erwünschten oder zumindest vorhergesehenen Folgen auch unbeabsichtigte Wirkungen, von denen die gesamte Menschheitsgeschichte gekennzeichnet ist (SIEFERLE & MÜLLER-HEROLD, 1996). Wie wirkt sich die Risikospirale aus? Schon früh wurden Vorräte angelegt: ein gutes Mittel gegen das Risiko schwankender Ernteerträge. Mit der Vorratshaltung wandelten sich Mäuse, Ratten und Insekten, denen gelagerte Nahrungsmittel willkommenes Futter sind, zu Vorratsschädlingen – ein neues Risiko war entstanden. In trockenen Gebieten mit fruchtbaren Böden schien Bewässerung Probleme zu lösen. Bereits in den alten Hochkulturen Mesopotamiens wurden Bewässerungssysteme angelegt. Der Nachteil? Flusswasser, das auf Felder geleitet wird, enthält viel mehr gelöste Salze als Regenwasser. Wird der bewässerte Boden nicht regelmäßig gespült, lagert sich in ihm mehr und mehr Salz ab und er wird unfruchtbar. Bis heute sind die Böden Mesopotamiens durch diesen Eingriff vor vielen Jahrtausenden sehr viel unfruchtbarer, als sie einmal waren. Dieser Effekt wurde bereits in den 1950er-Jahren beschrieben (JACOBSEN & ADAMS, 1958). Auch die zur Gewinnung fruchtbaren Ackerlands vorgenommene Trockenlegung niederländischer Moore hatte Nebenwirkungen, mit denen das Land bis heute kämpft. Die Risikospirale verdeutlicht, dass die auf den ersten Blick erfolgreiche Bewältigung eines Risikos häufig neue, unbekannte Risiken birgt.

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