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2. Bedrohte Ressourcen

Agrarland degradiert

Bis 2050 wird die Weltbevölkerung von gegenwärtig rund 7,433 auf über 9 Milliarden anwachsen. Das größte Wachstum ist in Afrika südlich der Sahara zu erwarten, der am stärksten vom Hunger betroffenen Weltregion. Hier wird sich die Zahl der Menschen ungefähr verdoppeln.34 Derweilen schrumpfen die Ressourcen der Landwirtschaft. Derzeit stehen für sie weltweit etwa 5 Milliarden Hektar Land zur Verfügung: 1,5 Milliarden Hektar Ackerland und Dauerkulturen sowie 3,5 Milliarden Hektar Gras- und Weideland.35

Eine Ausdehnung der Agrarfläche ist nur noch begrenzt möglich und geht zulasten von Wald- und Feuchtgebieten. Weltweit erfolgen 60% der Waldrodungen durch die Landwirtschaft.36 Von den heute genutzten Agrarflächen sind ein Drittel durch Erosion, Versalzung, Verdichtung, Versauerung und Schadstoffbelastung mehr oder weniger stark degradiert.37 Jedes Jahr gehen 10 Millionen Hektar wegen unangepasster Nutzung durch Erosion verloren.38 Das ist fast zehnmal mehr als die landwirtschaftliche Nutzfläche der Schweiz. Und auch in den Entwicklungsländern verschlingen die wachsenden Siedlungen immer mehr Agrarland. Hier wie dort werden vielfach die besten Landwirtschaftsböden überbaut.

Land Grabbing

Der Kampf um die knappe Ressource »Boden« ist bereits im Gang. Reiche Ölstaaten, Schwellenländer wie China und Südkorea, zunehmend aber auch Finanzfonds aus dem Norden kaufen Land in Entwicklungsländern oder pachten es langfristig. Die auf dieses Thema spezialisierte Nichtregierungsorganisation Grain listete im Oktober 2009 bereits 140 Hedge Fonds, Private Equity Groups und andere Finanzagenturen auf, die solche Investitionen tätigen.39 Auf riesigen Flächen werden in Monokulturen Nahrungs- und Futtermittel oder Agrotreibstoffe für den Export angebaut – auch in Ländern, in denen Teile der Bevölkerung an Unterernährung leiden. Gemäß Schätzungen der Weltbank hat beispielsweise der Sudan zwischen 2004 und 2009 annähernd 4 Millionen Hektar Land – ungefähr die Landesfläche der Schweiz – an ausländische Investoren verpachtet oder verkauft.40 Die Organisation Landmatrix registriert sämtliche Landkauf- und Pachtgeschäfte. Ihr zufolge umfassen diese derzeit weltweit mehr als 44 Millionen Hektar.41

Wassermangel

Rund 20% der Ackerflächen der Welt werden heute bewässert. Auf ihnen gedeihen 40% aller Nahrungsmittel.42 Enorme Investitionen in Bewässerungsanlagen waren ab 1950 ein wichtiger Faktor der Ertragssteigerung. Bis 1990 hat sich die bewässerte Landfläche nahezu verdreifacht. Zurzeit gehen 70% des globalen Süßwasserverbrauchs auf das Konto der Landwirtschaft.43

Wasser wird zunehmend eine knappe Ressource der Nahrungsmittelproduktion. 1,6 Milliarden Menschen leben in Gebieten, in denen Wasserknappheit herrscht.44 In verschiedenen Regionen Asiens und Afrikas ist die Übernutzung der Wasservorkommen zum Problem geworden, die Grundwasserspiegel sinken rapid. Alarmierende Ausmaße angenommen hat der Wassermangel auch in den industriellen Getreideanbaugebieten des Mittleren Westens in den USA.45

Schwindende Biodiversität

Brüchig geworden ist auch die biologische Basis für unsere Ernährung. Mehr als 10 000 Nahrungspflanzen hat die Menschheit über die Jahrtausende hinweg genutzt, heute sind es lediglich noch um die 150, und die wenigen noch angebauten Nahrungspflanzen gleichen sich immer mehr. 12 Arten steuern 80% zur pflanzlichen Nahrungsmittelproduktion bei.46

Der enorme Sortenreichtum, den die Bäuerinnen und Bauern durch Anbau und Zucht unter unterschiedlichsten Bedingungen hervorgebracht haben, schrumpfte parallel zum Siegeszug weniger weltweit verwendeter Hochertragssorten. Allein die Kartoffel, das viertwichtigste Grundnahrungsmittel, könnte in Zukunft eine viel größere Rolle bei der Bekämpfung des Hungers in der Welt spielen. Schon vor 8000 Jahren wurde die Kartoffel von den Ureinwohnern Südamerikas in den peruanisch-bolivianischen Anden um den Titicacasee in Höhen bis zu 4300 m kultiviert. Neben den Wildarten sind in Süd-und Mittelamerika mehr als 3000 traditionelle Kartoffelsorten bekannt,47 die unbedingt geschützt werden müssen, denn: Schätzungsweise 75% aller Nutzpflanzensorten sind bereits von den Äckern der Erde verschwunden.48

Ebenfalls rasant schrumpft die biologische Basis der Tierhaltung. Seit 1900 sind weltweit rund 1000 Nutztierrassen für immer verschwunden49 – darunter beispielsweise die Frutiger Kuh, die Freiburger Kuh, das Frutiger Schaf oder das Galloway Pony. Gemäß Angaben der Welternährungsorganisation FAO sind weltweit 1458 Nutztierrassen wie das brasilianische Pantanerio-Rind oder das ungarische Mangalica-Schwein, auch Wollschwein genannt, vom Aussterben bedroht, das sind etwa 17% aller Nutztierrassen.50 Ursache der Entwicklung sind wahllose Kreuzungen, der Einsatz nicht heimischer Tierarten, der Rückgang traditioneller Produktionsformen sowie die Vernachlässigung von Rassen, die nicht als leistungsfähig genug gelten. Wo nur noch auf maximale Produktion gesetzt wird, gehen wertvolle Merkmale verloren – wie zum Beispiel die Eigenschaft, Hitze oder Kälte zu ertragen, mit wenig Wasser oder minderwertigem Futter auszukommen.

Die Ernährungssicherheit hängt aber nicht allein von den Nutzpflanzen und -tieren ab. Um in die Kulturpflanzen neue Eigenschaften einzukreuzen, greift die Zucht auch auf deren wilde Verwandte zurück. Das tat man zum Beispiel bei der Hirse. Ein Krankheitserreger namens Gerstengelbverzwergungsvirus kann bei ihr massive Schäden anrichten. Bekämpfen lässt es sich nur durch rechtzeitiges Abtöten der Überträger mit Insektiziden. Das könnte sich bald ändern. Züchtungsforscher haben in der wildlebenden Gerstenart (Hordeum bulbosum), die im Mittelmeerraum und in Mittelasien verbreitet ist, ein Resistenz-Gen gegen das Virus gefunden. Dieses wurde durch Einkreuzung in die Kulturgerste Hordeum vulgare übertragen. Das Ergebnis ist eine neue Sorte, die dem Krankheitserreger Paroli bietet.51

Hordeum bulbosum ist eine CWR. Die Abkürzung steht für »crop wild relative«, wie im Fachjargon Wildpflanzen heißen, die mit Kulturpflanzen nahe genug verwandt sind, um mit ihnen Gene austauschen zu können. Sie besitzen damit ein hohes Potenzial für die Zucht neuer Sorten.

Es gibt mehr CWRs, als man denkt. 83% der Schweizer Flora können als solche bezeichnet werden, ergab eine Studie. 143 Arten wurden aufgrund ihres Nutzungspotenzials auf eine prioritäre CWR-Liste gesetzt.52

Das Genreservoir erodiert. Derzeit sterben jährlich 10 000 bis 25 000 Tier- und Pflanzenarten aus.53 Dass Arten verschwinden, gehört zum Lauf der Evolution, doch die derzeitige Aussterbensrate ist etwa tausendmal höher als die natürliche.54

Die Landwirtschaft ist direkt oder indirekt – über die Zerstörung der Wälder – einer der wichtigsten Faktoren der Biodiversitätskrise.

Eine vielfältige Tierwelt ist auch eine Versicherung gegen Schädlingsprobleme. Schädlinge haben natürliche Gegenspieler – räuberische Insekten oder solche, die sie parasitieren. Doch der Artenschwund betrifft Nützlinge ebenso wie Schädlinge. 35% der weltweit angebauten Nahrungspflanzen sind abhängig von bestäubenden Insekten.55 Mehr als 100 000 Arten tun ihre Dienste als Erntehelfer in der Landwirtschaft. Ob sie diese Dienstleistung auch in Zukunft werden erbringen können, ist unsicher. Schwindende Lebensräume und sinkende Kulturvielfalt sowie Pestizide schwächen ihre Populationen.

Pestizide in der Umwelt

Neuere Studien zeigen, dass auf Feldern, auf denen Insektizide aus der Klasse der Neonicotinoide versprüht werden, 11 bis 24% der Pollen und 17 bis 65% des Nektars mit Rückständen dieses Insektengifts kontaminiert sind.56 Diese Stoffe gefährden das Überleben der Bestäuber massiv.

Zu ähnlichen Ergebnissen kommt eine britische Studie: Daten zur Verbreitung von 62 Wildbienenarten wurden mit Angaben über den Einsatz von Neonicotinoiden in Rapskulturen abgeglichen, denn Rapsfelder sind attraktive Bienenweiden. Die Analyse ergab eine deutlich negative Wirkung der Pestizide auf die Wildbienenpopulationen.57

Durch Abdrift, Abfluss und Versickerung gelangen die Gifte in andere Lebensräume und schädigen die dortigen Lebensgemeinschaften. Eine Analyse von 838 Studien aus 73 Ländern ergab, dass mehr als die Hälfte aller gemessenen Werte von Insektizid-Rückständen in Gewässern über der Schadensschwelle für Wasserorganismen liegen.58

In der Schweiz fahndeten die kantonalen Gewässerschutzlabors in den Jahren 2005 bis 2012 in über 500 Gewässerabschnitten nach 203 Wirkstoffen, die in der Landwirtschaft als Insektizide im Einsatz sind. Von diesen wurden 80% nachgewiesen, die Hälfte davon mindestens einmal mit einem Gehalt von mehr als 0,1 µg/l,59 dem Grenzwert gemäß Schweizerischer Gewässerschutzverordnung. Wobei zu bemerken ist, dass auch Gehalte unter dem Grenzwert angesichts der kumulierten Wirkung unterschiedlicher Schadstoffe nicht a priori als unbedenklich betrachtet werden können.

Der Pestizideinsatz stellt zudem ein gesundheitliches Problem für die Landarbeiterinnen und -arbeiter dar. Die Weltgesundheitsorganisation WHO schätzt, dass sich jährlich zwischen zwei und fünf Millionen Fälle von Vergiftungen ereignen; davon enden 40 000 tödlich.60 Ursache dafür sind hochgiftige Präparate, die in den meisten Industrieländern längst verboten sind, sowie die Tatsache, dass die Bäuerinnen und Bauern in den Entwicklungsländern nicht über die notwendigen Schutzkleider verfügen.

Auch die Konsumentinnen und Konsumenten sind betroffen. Diverse Studien bringen die Pestizidbelastung unserer Lebensmittel und der Umwelt in Verbindung mit chronischen Erkrankungen. Namentlich stehen Pestizide in Verdacht, an der Entstehung von Krebs, Alzheimer, Geburtsfehlern, Parkinson und Entwicklungsstörungen beteiligt zu sein.61

Das Umweltinstitut München untersuchte kürzlich 14 in Deutschland erhältliche Biersorten auf Glyphosat-Rückstände: Es wurde in allen Fällen fündig. Die gemessenen Werte lagen zwischen 0,46 und 29,7 µg/Liter,62 der Grenzwert für Trinkwasser ist 0,1 µg/Liter.63 Glyphosat steht im Verdacht, krebserregend zu sein. Der Ruf nach einem Verbot wird in Europa immer lauter. Das Monsanto Tribunal64 in Den Haag zeigte im Oktober 2016 klar auf, dass der jahrzehntelange Einsatz von nachweislich schädlichen chemischen Agrochemieprodukten des Konzerns für massive Schäden an der menschlichen Gesundheit und an Ökosystemen verursacht. Zudem ist die Agrochemie in den Herstellungsprozessen (z.B. von Pestiziden und Düngemitteln) sowie durch die von diesem Ansatz forcierten Monokultur-Anbaumethoden für einen beträchtlichen Anteil an der Klimaerwärmung verantwortlich. Doch um Monsanto und den anderen Agrochemie-Konzernen, die weltweit mit ihren Geschäftsmodellen die Landwirtschaft prägen, ihre Basis zu entziehen, ist der vielversprechendste Weg der, eine agrarökologische Landwirtschaft weltweit zu fördern und durchzusetzen. Wenn der Ansatz, wie Nahrung produziert wird, nachhaltigen Prinzipien folgt, sind heute umstrittene, aber weiterhin in großen Mengen produzierte Gifte eines Tages gar nicht mehr nötig. Was neben der Vermeidung von Umweltschäden noch viele weitere Vorteile zum Nutzen der Allgemeinheit zur Folge hätte (z.B. im Bereich der Gesundheit und des Klimawandels).

Treibhausgase aus der Landwirtschaft

Auch beim Klimawandel gehört die industrielle Landwirtschaft zu den treibenden Kräften. 13% der Treibhausgasemissionen gemessen in CO2-Äquivalent verursacht sie direkt: Methan aus Mägen und Därmen von Wiederkäuern, Lachgas aus überdüngten Feldern, CO2 durch die Verwendung fossiler Energieträger. Hinzu kommen 18% infolge der Waldrodungen, die getätigt werden, um neues Agrarland zu gewinnen.65 In den letzten 20 Jahren ist der Ausstoß von Treibhausgasen der Landwirtschaft jährlich um 1% gewachsen.66 Den mit Abstand größten Beitrag leistet die industrielle Tierhaltung.

Die Produktion von Mineraldünger und Agrochemikalien sowie der Betrieb von Landwirtschaftsmaschinen sind energieaufwändig. Die Landwirtschaft hängt deshalb stark von fossilen Energieträgern ab. Pro produzierte Nahrungskalorie werden bis zu zehn Kalorien Fremdenergie verbraucht.67

Auch die ökologischen Probleme, die uns die Landwirtschaft beschert hat, sind letztlich das Ergebnis eines reduktionistischen Ernährungssystems, das einzig und allein Maximalerträge möglichst billiger Nahrungsmittel anstrebt. Wobei Letztere nur für die Konsumentinnen und Konsumenten billig sind – denn die ausgelagerten ökologischen Kosten wie beispielsweise die Wasserverschmutzung mit Pestiziden, degradierte Böden, Verlust an Biodiversität und der Beitrag zum Klimawandel werden wir und unsere Nachkommen ebenfalls in irgendeiner Form bezahlen müssen.

Inzwischen stößt die Hochertragspolitik an biologische Grenzen. In den letzten Jahren hat sich die Zunahme der Hektarerträge in der Intensivlandwirtschaft verflacht. Zwischen 1950 und 2001 sanken die jährlichen Ertragssteigerungen weltweit von 3 auf 1%.68 In 24 bis 39% der Anbaugebiete für Mais, Reis, Weizen und Soja stagnierten die Hektarerträge in letzter Zeit oder gingen gar zurück.69 Pflanzen können ihre Kapazität, Nährstoffe aufzunehmen und in pflanzliche Substanz umzuwandeln, nicht beliebig erweitern. Es sollte ohnehin mehr um Qualität und Nährstoffgehalt gehen, als um immer mehr leere Kalorien, wie wir es von den Sorten der Grünen Revolution her kennen. Dies ist auch ein Teil des neuen Paradigmas, das im Weltagrarbericht von 2008 klar gefordert wurde.

Dieser Bericht wurde von 400 Wissenschaftlern aus der ganzen Welt über vier Jahre erstellt und kam zum klaren Schluss, dass wir die Welt nur nachhaltig ernähren können, wenn wir uns auf agrarökologische Methoden besinnen und mit der Natur und nicht gegen sie arbeiten. Es gab 58 Nationen, die den Bericht, der von der Weltbank und den Vereinten Nationen initiiert wurde, unterzeichneten – aber die Umsetzung der Vorschläge hat noch nirgends stattgefunden.

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