Читать книгу Das Modell des Konsequenten Humanismus - Hans Widmer - Страница 7
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Materie aus dem Nichts:
Dynamik des denknotwendigen Kontinuums
Das menschliche Gehirn stellt für die Vorstellung der Welt die Anschauungen a priori als das Koordinatensystem (quasi als Kasten) und ein Kontinuum darin (quasi als den Sand in diesem Kasten) zur Verfügung. Die Aufgabe der Physik wäre es nun, die materielle Welt von den Elementarteilchen bis ins Universum in diesem »Sandkasten« darzustellen. Davon ist sie weit entfernt: Ihre geschlossenen Theorien umfassen 75 Gesetze und Konstanten und die offenen weit über hundert. Trotz dieser Fülle bleibt der Anfang aller Physik – Trägheit und Gravitation – ungeklärt; ihre vier Grossen Theorien hängen nicht zusammen, was daher rührt, dass sie von Erscheinungen ausgeht, im Experiment Korrelationen misst und daraus auf Gesetze schliesst: induktiv vorgeht. Treten durch die bisherigen Gesetze nicht erklärte Phänomene auf, behilft sie sich mit neuen Begriffen und vermehrt die Zahl der unabhängigen Gesetze und Konstanten.
Dieser Tendenz begegnet sie mit einem permanenten Bemühen um Vereinheitlichung (»Theory of Everything«, »Grand Unification« etc.) – seit den Vorsokratikern wird die Erklärung der Welt aus einem Guss erwartet.
Induktive Physik1 ist trotz aller Triumphe in eine Krise geraten, und bedeutende Denker werfen ihr gewisse Neigungen ins Esoterische vor, etwa das Higgs-Boson sei der Teppich, unter den alle Widersprüche gekehrt würden. Insbesondere ihre String-Theorie erfährt Skepsis und bisweilen Hohn: »Not even wrong.«Woit In Epilogen von Lehrbüchern wird denn auch regelmäßig gerätselt, ob die Elementarteilchen-Physik einen ganz »unerwarteten Ansatz« bräuchte, die Vermutung implizierend, dass »more of the same« kaum weiterführen wird. Statt wie Einstein 1921 verkündete, Physik müsse »Raum und Zeit vom Olymp des Apriorischen« herunterholen, scheint nun eher Philosophie die Aufgabe übernehmen zu müssen, Physik vom Olymp des Undenkbaren herunterzuholen.
Ausgangspunkt der deduktiven Physik
Das allen Begriffen und Sätzen der Physik Gemeinsame ist, dass sie im menschlichen Verstand angesiedelt sind. Kant hat in seiner »Kritik der Reinen Vernunft« 1781 dargelegt, dass, wer die Welt verstehen will, sich erst Rechenschaft darüber abgeben muss, was Verstehen bedeutet. Zwar beziehen die Relativitätstheorie die Bewegung des Beobachters und die Quantenmechanik die Einwirkung des Beobachters in ihre Gesetze ein, aber sie halten sich für unbeteiligte Zeugen einer objektiven Welt.
Ein neuer »unerwarteter Ansatz« muss davon ausgehen, dass
1.Physik frei erfunden wird – und nicht in der Natur gefunden wie versteckte Ostereier oder die Ideen Platons (dazu Einstein: »… die Konzepte, die in unsern Gedanken … auftauchen, sind alles freie Erfindungen …«);
2.diese Erfindungen zunächst beliebige Hypothesen sind und erst gelten, wenn sie durch das Nadelöhr der experimentellen Verifikation hindurchgekommen sind (analog Mutation und Selektion in der Evolution);
3.Raum, Zeit und Kausalität Komponenten des Denksystems sind – keineswegs der Welt, über die nachgedacht wird;
4.Anschauung die Basis allen Erkennens ist – auch wenn abstrakteste Mathematik aufgetürmt wird;
5.insbesondere ein Kontinuum in Raum und Zeit unausweichliche Denknotwendigkeit ist;
6.es Hierarchien von Erkenntnissen gibt, deren höhere Stufen nicht aus Ansammlungen oder Abstraktion hervorgehen, sondern – wie Begriffe – erst als Hypothesen erfunden werden und sich in der Möglichkeit bewähren, untere Stufen mit weniger Gesetzen und Konstanten aus ihnen abzuleiten (Hyperstasen).
Denknotwendiges Kontinuum der deduktiven Physik
Das Kontinuum bleibt nicht bloße Idee wie bei Decartes oder verbirgt sich in Mathematik wie bei Einstein, sondern es ist das Analog zu einem Gas konstanter Temperatur2 (Physik: »isotherm«), was schon die Gleichungen der RT implizieren; es wird durch die FundamentalKonstanten3 c, G, ħ spezifiziert und erklärt, was induktive Physik einfach hinnehmen muss, nämlich warum
–Wechselwirkungen nicht instantan erfolgen,
–Gravitation und Elektromagnetismus gleiche Ausbreitungsgeschwindigkeit haben,
–Interferenzen auf atomare Distanzen quantenmechanische Phänomene hervorbringen,
–Interferenzen auf Distanzen der Größenordnung des Elementarteilchen-Radius (Compton-Länge) die Starke Wechselwirkung hervorbringen.
In der deduktiven Physik bildet die Massendynamik den Ausgangspunkt für alle Erklärungen von Elementarteilchen, während induktiver Physik die Brücke vom Makroskopischen zu den Elementarteilchen nicht gelingt. Nota bene: Es erklärt nicht, was es selber sei – außer indirekt durch seine Zweckmäßigkeit als Substrat für die Vorstellung der materiellen Welt. Wer sich die Dynamik des Kontinuums vorstellen kann, hat das Fundament für alles weitere Verständnis gelegt.
Dynamik des spezifischen Kontinuums
Das Universum von einem Kontinuum erfüllt zu sehen bedeutet, dass jedes verschwindend kleine Raumelement mit dem nächsten verbunden ist und dass sich die Verbindungen über den gesamten Raum erstrecken. Aus zwei intuitiv logischen Buchhaltungen für ein solches Raumelement kann die Dynamik bestimmt werden, woraus sich alles von Trägheit, Gravitation bis Relativitätstheorie ableitet:
–eine Buchhaltung über die Entwicklung der Dichte des Kontinuums infolge von Strömung: Die Dichte nimmt umso viel zu oder ab als mehr Kontinuum ein- oder austritt. Wird diese Logik formalisiert, entsteht die sogenannte Kontinuitätsgleichung4;
–eine Buchhaltung über die Entwicklung von Strömung infolge von Dichtegefälle. Wie beschleunigt sich Strömung, wenn an einer Stelle im Raum ein Druckabfall herrscht? Druck »will« sich ja ausgleichen, was Strömung entfacht. Das Ergebnis ist die Euler-Gleichung5, die aussagt, dass die Beschleunigung proportional zum Druckgefälle ist: je steiler abwärts, desto rasanter die Beschleunigung – wie beim Fahrradfahren.
Störung im Kontinuum
Die ganze Schönheit und eine Ahnung der Konsequenzen dieser einfachen Formalisierung intuitiver Logik treten hervor, wenn berechnet wird, wie sich ein lokaler Druckunterschied (Physik: »Störung«) gegenüber dem glatten ruhenden Kontinuum ausbreitet. Da beide Buchhaltungen simultan erfüllt werden müssen, gibt es zwei Gleichungen mit zwei Unbekannten (Dichte, Geschwindigkeit). Wird die eine in die andere eingesetzt, resultiert eine Wellengleichung.6
Kontinuität
Wie bei einem Pendel, das abwechslungsweise mehr Höhe oder mehr Geschwindigkeit entwickelt, gibt es im Kontinuum mehr Druck oder mehr Strömung. Dieses Ungleichgewicht wandert weg als Welle, weil sich beides einander verzögert mitteilt. Die Ausbreitungsgeschwindigkeit von Störungen geht aus der Lösung der Wellengleichung hervor und ist bei einem Gas wie Luft die Schallgeschwindigkeit. Im spezifischen Kontinuum entspricht diese der Lichtgeschwindigkeit. Da Gravitationsfelder, elektrische und elektromagnetische Felder Störungen im Kontinuum sind, breiten sich alle mit Lichtgeschwindigkeit7 aus. Würde die Sonne instantan aus dem Universum verschwinden, so würde es nicht nur nach 500 Sekunden auf der Erde dunkel, sondern sie würde gleichzeitig aus ihrer Bahn fliegen.
Allein mit der Annahme des spezifischen Kontinuums kann Masse als Dynamik desselben rekonstruiert werden. Masse muss nicht mehr als Korpuskel gedacht werden, womit ein unlösbares Rätsel wegfällt: nämlich woraus der Korpuskel sei. Das einzige verfügbare »Baumaterial« der deduktiven Physik ist das Kontinuum:
–Massendynamik ist ein Pulsieren von Kontinuum: es strömt auf einen Punkt zu8, tritt in Wellen dem Zustrom überlagert von da wieder hinaus9 (umgekehrt am Strand, wo Wasser als Wellen heranrollt und als Strom zurück ins Meer fließt).
–Trägheit10 entsteht durch die Arbeit, um das Zustromfeld zu einer Masse zu komprimieren (»Lorentz-Kontraktion«).
–Gravitation11 entsteht durch die Einwirkung der ausgehenden Wellen auf den Zustrom entfernter Massen: so wie Quellen in irgendeinem Kontinuum Senken anziehen.
–Äquivalenzprinzip12: Einstein suchte die Form der Gesetze, die in beschleunigten Koordinatensystemen unverändert bleibt, was er »Äquivalenzprinzip« nannte. Tatsächlich kann eine Masse nicht ausmachen, ob sie eine Relativgeschwindigkeit zum ruhenden Kontinuum hat oder ob sie sich im Zustrom zu einer andern Masse befindet: Der »Gegenwind« ist gleich. Auch die Formeln sind gleich, nur muss statt der kinetischen die potentielle Energie eingesetzt werden.
–Relativitätstheorie13 – ihre Ergebnisse sind Nebeneffekte der Massendynamik: Kontraktion von Zustrom- und Strahlungsfeldern, Veränderung von Wellenlängen und in der Folge von Frequenzen.
–Schwarze Löcher 14 entstehen, wenn so gigantische Mengen an Massen in einer Galaxie angehäuft sind, dass die austretenden Wellen den Zustrom nicht mehr überwinden können, saugen folglich unaufhörlich Kontinuum mitsamt den darin befindlichen Sternen auf.
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–Universum:15 Der Abstand zwischen Galaxien dehnt sich stetig aus, was sich in der Rotverschiebung des Lichts äußert, das von weit entfernten Sternen auf der Erde empfangen wird (analog dem tieferen Ton des sich entfernenden Motorrades). Ohne diese Ausdehnung hätten sich die Galaxien des Universums längst zu einem Klumpen zusammengezogen. Die Vorstellung, »das Universum dehnt sich aus«, impliziert:
–einen leeren Raum: denn das Universum dehnt sich da hinein, wo vorher nichts war, und wo es vorher war, ist jetzt weniger davon;
–Permanenz: ein und dasselbe Universum bleibt erhalten, verteilt sich bloß neu im Raum;
–ein Kontinuum: denn die Expansionsbewegung teilt sich dem Ganzen mit und ist ohne Kontinuum nicht vorstellbar;
–einen Antrieb: da kommt das Potential c2 des Kontinuums zupass als der permanente Druck, der auch die Massendynamik bestimmt (in induktiver Physik ist es eine unendliche! Energiedichte zum Zeitpunkt des Urknalls).
Vor diesem Hintergrund ist unser Universum ein anfänglich komprimiertes Kontinuum, das zur Zeit t = 0 in den leeren Raum expandiert. Dort, wo die Expansions- gleich der Lichtgeschwindigkeit ist, ist, weil keine Signale mehr zurückstrahlen können, der Erkenntnishorizont. Ist dieser bekannt (auf 13.75 Milliarden Lichtjahre geschätzt), so ist, wegen der Konstanz der Ausbreitung mit Lichtgeschwindigkeit, das Alter auch bekannt: 13.75 Milliarden Jahre. Allerdings sind die Schwarzen Löcher in jeder der zehn Milliarden Galaxien daran, das Universum qua ihres Zustroms wieder »aufzusaugen«. In diesem Ein-und Ausatmen des Universums liegt nichts Geheimnisvolles: Wegen der Natur des Kontinuums kann es nicht anders sein.
In den Galaxien wirken unerklärliche Anziehungskräfte, und induktive Physik behilft sich mit undefinierter dunkler Materie. In der deduktiven Physik hingegen stammt die unerklärte Beschleunigung von Sternen gegen das Zentrum nicht von einer Kraft, sondern vom Mitschwimmen im Zustrom zum Schwarzen Loch darin.
Das Universum expandiert unerklärlich beschleunigt, und induktive Physik behilft sich mit undefinierter dunkler Energie. In der deduktiven Physik kommt die unerklärte Beschleunigung der Expansion ebenfalls von den Schwarzen Löchern: jene in den zehn Milliarden Galaxien im sichtbaren Universum bilden quasi ein Gas von Senken, und Senken stoßen einander ab.16
Letzte Ursache aller materiellen Erscheinungen. Die produktivste Größe in der Physik ist Energie.17 Für ein Volumen eines realen Gases ist sie definiert als Energie = Überdruck mal Volumen. Herrscht jedoch außerhalb des Volumens der gleiche Druck wie innerhalb, so ist die Energie gleich null: Sie kommt nicht vom Druck, sondern vom Druckunterschied. Entsprechend ist das Potential des Kontinuums nicht die Bewegungsursache im Universum, sondern das Potential ist eine Erhaltungsgröße, die ist, was sie ist bei größter Kompression, also im »Augenblick des Urknalls«, wie in der denkbaren unendlichen Expansion mit Dichte null und Radius unendlich. Das Potential kann sich weder vermehren noch vermindern, ist also permanent, hat keinerlei Ursache und ist nicht die Ursache von irgendetwas.
Ursachen sind allein Ungleichgewichte.18 Sie bringen die Welt im Größten wie im Kleinsten in Bewegung. Das Potential des Kontinuums ist das »Substrat der Dynamik« und ist so permanent, als Zeit permanent läuft. Es ist mithin der Grund dafür, dass Zeit überhaupt ist. Ohne die Anschauung strapazieren zu wollen: Zeit tritt nur mit diesem Potential auf den Plan, und dieses Potential manifestiert sich nur in der Zeit. Allerdings ist daraus keinerlei Äquivalenz von Potential und Zeit herbeizuphantasieren: Zeit bleibt Anschauung a priori, und das Potential des Kontinuums denknotwendige Modellannahme.
Auf den abstraktesten Punkt gebracht: Alle Materie entspringt dem Dichte-Ungleichgewicht an Kontinuum im Raum und äußert sich als Dynamik, also in der Zeit.