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Das Geschäft mit der Flucht

Gambia – Das Land aus dem die Migranten kommen

Gambia ist eines der kleinsten Länder Afrikas und auch eines der ärmsten der Welt, es stellt aber das größte Kontingent von Migranten, die mit Schlauchbooten über das Mittelmeer nach Europa kommen wollen, obwohl es nur 1,9 Millionen Einwohner hat. Gambias größter Geldgeber ist die EU, die zwischen 2008 und 2013 rund 65 Millionen Euro an Fördergeldern zugesagt, einen Teil jedoch eingefroren hat, weil das Land sich weigert, die Todesstrafe abzuschaffen.

Das Land am Atlantik ist eine Enklave im Senegal und der westlichste Punkt der großen westafrikanischen Migrantenroute, die die Staaten Guinea, Mali, die Elfenbeinküste, Burkina Faso, Benin, Nigeria erfasst und über Niger an die Grenze Libyens und ans Mittelmeer führt. Wenn in Westafrika in manchen Dörfern alle jungen Männer weggehen und nur noch Frauen und alte Männer zurückbleiben, hat das auch etwas mit Niger zu tun. Denn dort sitzen die „Vermittler“, die die Männer, wenn sie es bis dorthin geschafft haben, auf den gefährlichsten und schwierigsten Teil der Reise durch die Sahara schicken. Diese Vermittler haben Kontakte bis in die entlegensten Winkel des tropischen Afrika. Von Deutschland haben die meisten jungen Leute auch schon etwas gehört. Bekannte und Freunde, die es bis dorthin geschafft haben, haben ihnen übers Handy erzählt, dass man dort „ein Haus bekommt“.

Umschlagplatz in der Wüste

Niger, fünfzehnmal so groß wie Österreich mit rund 17 Millionen Einwohnern, ist zur Drehscheibe der Migration und des Menschenhandels aus Westafrika nach Europa geworden. Dreiviertel des Landes sind Wüste, Niger gilt als das ärmste Land der Welt. Agadez im zentralen Niger ist das Tor zur Sahara. Die Tagestemperatur in der 120.000 Einwohner-Stadt kann in den Sommermonaten leicht 45 Grad im Schatten erreichen. Regen fällt kaum je. Nur wenige der von Müllhäufen gesäumten Straßen sind asphaltiert, Staubwolken hängen in der Luft.

Der einzige nennenswerte Wirtschaftszweig in der Stadt ist der Umschlag von Menschen, es gibt kaum jemanden, der nicht damit zu tun hat und daran verdient. Das können auch Migranten selbst sein, denen das Geld ausgegangen ist oder die von daheim keines mehr nachgeschickt bekommen. Sie bringen sich dann als Chauffeure, „Vermittler“ oder Dolmetscher durch, bis sie so viel verdient haben, dass sie weiterreisen können. Das kann für manche auch viele Monate dauern. „Schlepper“ und Klient können also durchaus derselbe sein.

Die Internationale Organisation für Migration IOM schätzt die Zahl derer, die pro Jahr durch die Stadt kommen, auf 100.000, neunzig Prozent davon aus Westafrika. Nicht alle haben das Ziel Europa, es sind auch welche darunter, die etwa aus dem östlich des Niger liegenden Tschad kommen und die Goldgräberstadt Djadou siebenhundertfünfzig Kilometer nördlich von Agadez erreichen wollen.

Agadez selbst ist freilich auch eine Goldgräberstadt. Seit Jahrhunderten lebt die Stadt vom Menschenhandel: Waren es früher Sklaven, sind es heute Migranten. Auch Banken, Geldüberweisungsbüros wie Western Union, Ärzte, Chauffeure, „Vermittler“ und die Eigentümer der als „Ghettos“ bezeichneten Höfe, in denen die Migranten untergebracht werden während sie auf den Weitertransport warten, verdienen gut. Dreihundert solcher Hinterhöfe soll es in Agadez geben. Sie bleiben von der Polizei unbehelligt, wenn der Besitzer entsprechend zahlt.

Das wirklich große Geschäft ist der Transport. Alle Busunternehmen, die die Routen zwischen Niger und Libyen bedienen, aber auch alle Tankstellen an der Strecke gehören arabischen oder Tuareg-Familien. Die Preise sind im Vergleich zu Billiganbietern in Europa nicht bescheiden. Die 1.500 Kilometer lange Fahrt im Bus von Agadez nach Sabha oder zur Kufra-Oase mitten in der libyschen Wüste, einem weiteren Knotenpunkt der Reise, kostet 200 Euro und mehr. Wo sie hinkommen, wissen die Flüchtlinge oft nicht vorher.

Der „skrupellose Schlepper, der sich am Elend anderer schamlos bereichert“, wie deutsche Grün-Politiker schrieben, ist eher eine idealtypische Figur. Es scheint so zu sein, dass „Schleppen“ ein dezentrales Geschäftsmodell ist, an dem viele Leute in verschiedenen Funktionen beteiligt sind und daran verdienen. Oft entscheidet auch der Zufall, an wen man gerät und wessen Telefonnummer man bekommen hat. Die Migranten, lauter junge Männer, besitzen meistens nicht mehr als sie am Leib tragen – und ein Mobiltelefon. In der Tasche tragen sie Zettel mit ein paar Adressen. Bei den Western Union-Büros an der Strecke holen sie sich die Rate für die jeweils nächste Etappe der Reise.

Niger und Städte wie Agadez stehen daher auch im Fokus der Bemühungen der EU und internationaler Organisationen wie der IOM, den Strom der Migranten zu stoppen, bevor er überhaupt an die Küste Libyens kommt, wo die Menschen auf die oft todbringenden Schiffe oder Schlauchboote verfrachtet werden. Die IOM will aber nur Überzeugungsarbeit leisten und keine Lager einrichten. Den Leuten soll erklärt werden, dass sie in Europa keine Aussicht auf Asyl haben, wenn sie aus einem der westafrikanischen Staaten kommen.

Die Geschichten der Migranten klingen alle ähnlich: Ein 18-Jähriger aus Gambia hat 12 Monate für die Fahrt vom Atlantik bis Wien gebraucht. Sechs Monate davon hat er in Italien zugebracht. Wie er nach Österreich gekommen ist, will er nicht erzählen und auch über seine Fluchtgründe sagt er nichts, das behält er sich wohl fürs Asylverfahren auf. Alle erzählen von langen Fußmärschen in der Nacht, von Verhaftungen zwischendurch, Fahrten in verdunkelten Fahrzeugen oder zwischen den Achsen eines LKWs und schließlich die Fahrt übers Meer auf zu kleinen Booten.

Von Österreich hatten die meisten noch nichts gehört, bevor sie hier gelandet sind. Den weitesten Weg haben die Afghanen hinter sich. Bis zu drei Jahre waren manche unterwegs, bei anderen dauerte die Reise nur zwei Monate, das hängt auch von den Mitteln ab, die einer zur Verfügung hatte. Kosten von 10.000 Euro sind die Regel, die die Familie für den einen, den sie losschickt, aufbringen musste.

Wenn manche Familien das Geld ausleihen oder Teile ihrer Habe verkaufen mussten, müssen die Erwartungen an den einen, der geht, sehr hoch sein. Entweder, dass er bald Geld schickt oder als Vorhut für andere dient. Darauf deutet hin, dass viele der Emigranten sehr jung sind. Auch halbe Kinder werden losgeschickt. Der Anteil der Minderjährigen unter den Flüchtlingen steigt stark.

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