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Vorwort

Technologie beherrschen, Prozesse optimieren – der Untertitel des vorliegenden Buches ist durchaus Programm. In den zurückliegenden Jahren, fast Jahrzehnten, kreiste die Diskussion in deutschen Unternehmen hauptsächlich um organisatorische Themen. Man war bestrebt, die Prozesse schlanker und effizienter zu machen und hatte damit durchaus Erfolg. Allerdings rückte die Entwicklung von Technologien etwas in den Hintergrund. Mit unangenehmen Folgen. So ist man auf einigen wichtigen technologischen Feldern ins Hintertreffen geraten. Ein Beispiel ist die Erforschung und Beherrschung galvanischer Prozesse. Für Ingenieure schien die Befassung mit chemischen Verfahren wenig attraktiv – mit der Konsequenz, dass uns heute Experten fehlen. In einem Feld, das bei wichtigen Zukunftstechnologien eine Rolle spielt.

Wer heutige und zukünftige Entwicklungen betrachtet, sollte den Blick nicht nur auf die betriebliche Praxis richten. Die Art und Weise, wie wir unsere Ingenieure ausbilden, prägt unsere Zukunftsfähigkeit ganz entscheidend. Forschung und Lehre dürfen sich nicht nur an Projekten orientieren, sondern müssen den Blick weiten für Inhalte und Technologien, die nicht ausschließlich aktuellen Erfordernissen unterliegen. Überspitzt gesagt: Wenn bei jedem Forschungsprojekt ein Auto herauskommt, wird man blind für das breite Spektrum der technologischen Möglichkeiten. Und der strategischen Chancen.

Grenzen überwinden

Ich selbst fordere seit langem, in der Forschung an Grenzen zu gehen und diese nach Möglichkeit zu überwinden. Dazu gehören nicht zuletzt der Mut und die Bereitschaft, technologisches Neuland zu betreten. Wir müssen uns heute fragen, ob wir diese Eigenschaften hinreichend fördern.

Die Versäumnisse könnten sich bereits in naher Zukunft bitter rächen, weil wir wichtige technologische Zukunftsfelder gar nicht oder nur unzureichend besetzt haben. Ein weiteres Beispiel sind die so genannten Vakuum-Technologien. Das Produzieren unter Vakuum wird für die Halbleiterindustrie in Zukunft wichtig. Und wir haben diese Position ohne Not aufgegeben. Ein zusätzliches Feld sind Beschichtungstechnologien, die in der Batteriefertigung und in vielen andern Gebieten eine bedeutende Rolle spielen werden. Hier schlummern Potenziale, die zu einer signifikanten Verbesserung der Energieeffizienz führen können. Aber auch hier stehen unsere Chancen eher schlecht. Das Fatale: Die Kompetenzen waren hierzulande da, gingen aber in den letzten Jahren verloren bzw. wurden abgewickelt. Weitere Beispiele wären Qualitäts- und Messtechniken, die in Forschung und Lehre kaum mehr auf Spitzenniveau zu finden sind. Insgesamt lässt sich sagen, dass vor allem die eher „versteckten“ Technologien allmählich verlorengehen. Mit kaum absehbaren Folgen: Was heute eine Nischentechnologie ist, könnte schon morgen zum technologischen Mainstream werden.

Die Digitale Transformation

Stichwort Mainstream: Die Digitalisierung ist ein solcher und wird es auf absehbare Zeit auch bleiben. Industrie 4.0, neuronale Netze und Deep Learning sind Themen, die bereits in den 1990er Jahren ihren Anfang nahmen. Heute kommt die enorme Leistung der Prozessoren als so genannter Enabler dazu. Trotz der langen Tradition und zahlreicher wichtiger Patente haben Deutschland und Europa heute kaum noch Anteil an verbrauchernahen Technologien wie dem Smartphone. Hier hat Asien längst das Rennen gemacht.

Eine deutsche Domäne war, ist und bleibt bis auf weiteres die Produktionstechnik. Wenn es gelingt, in der Ausbildung die künftig erforderliche interdisziplinäre Arbeitsweise zu verankern, stehen die Chancen auch in Zukunft gut. Das betrifft insbesondere das Zusammenspiel klassischer Ingenieurtechnik mit modernster Informations- und Kommunikationstechnologie. Je weiter die Individualisierung von Produkten fortschreitet, desto wichtiger wird der Schulterschluss zwischen Ingenieuren und Informatikern. Wenn uns diese Verbindung in der Lehre, in der Forschung und in der Praxis gelingt, haben wir eine große Chance, in der weltweiten Spitzengruppe der Produktionsspezialisten zu bleiben.

Mobilität der Zukunft

Ein Schlagwort, um das man heute kaum herumkommt, ist die Mobilität der Zukunft. Hier geht der Trend eindeutig in Richtung elektrischer Antriebe, bei allen Schwächen, die diese Technologie in einzelnen Komponenten noch aufweist. Bei den Antrieben sehe ich deutsche Unternehmen trotz chinesischer Dominanz gut aufgestellt, bei den Batterien gilt: Die momentan verfügbare Technologie ist noch nicht der Weisheit letzter Schluss. Ein Grund ist das bisher kaum beachtete Gefährdungspotenzial. Zum einen ist Lithium ein ethisch fragwürdiger und instabiler Werkstoff. Zum anderen bergen die in einem Auto anliegenden Spannungen das Potenzial großen Unheils.

Nach dem Motto „Totgesagte leben länger“ ist es noch zu früh für einen Abgesang auf die Energiequelle Wasserstoff. Sie dürfte über kurz oder lang ihre Anwendungen auch im Umfeld der Mobilität finden. Das oftmals aufgeworfene Transportproblem ließe sich mittels vorhandener Erdgasleitungen weitgehend lösen. Sollte zudem eines nicht allzu fernen Tages die industrielle Herstellung synthetischer Kraftstoffe gelingen, werden die Karten noch einmal neu gemischt. Der Verbrennungsmotor hat, obwohl er oftmals als Gipfel deutscher Ingenieurkunst angesehen wird, seine technischen Möglichkeiten noch nicht annähernd ausgeschöpft. Und könnte ohne fossilen Ballast eine Renaissance erleben. Vergleichbares gilt für die gesamte Energieeffizienz der Fahrzeuge, die wir über unsere Straßen bewegen. Der gesunde Menschenverstand scheint hier nur sehr sparsam zu walten. Das beginnt beim Gewicht und reicht über die Geometrie bis zu den Reifen – hier ist noch überall sehr viel Luft nach oben bzw. unten. Je nachdem.

Die Prognose für die Mobilität der Zukunft geht in die Richtung einer Koexistenz mehrerer Technologien auf jeweils unterschiedlichen Verkehrsträgern bzw. in unterschiedlichen Anwendungen. Egal wie, das Monopol der fossilen Verbrennung geht seinem Ende entgegen.

Miniaturisierung

Ein weiteres Zukunftsthema ist die Miniaturisierung. Damit ist nicht primär die Gewichtsreduktion gemeint, sondern eine Reduzierung der Außenmaße. Stichwort: Kleiner bauen. Dazu gehört, mechanische Funktionen elektronisch zu lösen, was wiederum der Energieeffizienz zugute kommt. Vertiefungen dazu und zu den anderen hier kurz skizzierten Themen finden Sie in meinem Buch (Westkämper, Löffler 2016).

Die Folgen für den Mittelstand

Die technologischen Umwälzungen bleiben nicht ohne Folgen für die Wertschöpfungsketten der Industrie. Besonders davon betroffen ist der unternehmerische Mittelstand. Dessen Innovations- und Tatkraft sollte man jedoch nicht unterschätzen.

Mittelständische Unternehmen orientieren sich sehr stark an den Kunden und sind traditionell in der Lage, veränderten Anforderungen sehr schnell zu folgen. Zu erwähnen sind vor allem die strukturellen Kompetenzen: Namentlich in Süddeutschland findet man praktisch alle industriell relevanten Kompetenzen auf überschaubarem Raum. Im Umkreis weniger hundert Kilometer finden sich alle Technologien, die für herausragende Produkte erforderlich sind. Vergleichbares findet sich sonst nirgendwo auf der Welt. Fallen aus dieser Landkarte bestimmte Technologien weg, kann das fatale Folgen für das Gesamte haben.

In Summe traue ich dem Mittelstand auch für die Zukunft einiges zu. Viele Unternehmen werden in der Lage sein, den nächsten Sprung zu schaffen, auch wenn die technologischen Hürden höher werden. Kreativer Ingenieursgeist bleibt ein wichtiger Baustein unserer Arbeitswelt, so eine meiner zentralen Thesen. Die Anwendung technischen Wissens auf Produkte und Produktionen ist eine Stärke, auf die wir auch künftig setzen sollten – indem wir die brachliegenden Felder wieder beackern. Wenn es um Produktionssysteme und Automatisierung geht, ist Deutschland nach wie vor das Maß der Dinge.

Technologische Fähigkeiten und Produktionskompetenz beruhen nicht zuletzt auf existierenden Netzwerken, auf Kommunikation und einer gemeinsamen Kultur. Man muss sich verständigen können. Mehr noch: Unternehmen und Fabriken haben regionale Wurzeln. Wenn man diese Wurzeln kappt, sind die Unternehmen in ihrer Existenz gefährdet. Auch dieser Punkt wird in meinem vorerwähnten Buch näher erläutert.

Die schwäbische Eisenbahn

Vor ungefähr 150 Jahren wurde im damaligen Königreich Württemberg die heute fast schon sprichwörtliche „schwäbische Eisenbahn“ gebaut. Der Staat investierte damals den dreifachen Jahresetat in diese Entwicklung. Er schuf ein Verkehrssystem, das – zugespitzt formuliert – auch noch das letzte Dorf auf der Schwäbischen Alb erreichte. Damit schuf der württembergische Staat die Bedingungen für eine enorme Mobilität. Die Menschen kamen aus den hintersten Winkeln des Landes zur Arbeit in die Fabriken, ohne von ihren Wurzeln getrennt zu werden. Darin liegt sicherlich einer der Gründe für das anhaltende Wirtschaftswunder im Südwesten, der aber nur selten Erwähnung findet. Der Staat hat all dies nicht leichtfertig getan, sondern über lange Zeit die Kontrolle behalten. So hat er Beförderungsbedingungen und Preise festgelegt und die Beamtenschaft auf die neuen Aufgaben verpflichtet. Die schwäbische Eisenbahn war ein Erfolgsmodell, das bis in die Gegenwart wirkt, obwohl die meisten Strecken stillgelegt, die Trassen, dem Zeitgeist entsprechend, zu Radwegen geworden sind. Auf der Alb wohnen, „beim Daimler schaffen“ und im Zuerwerb eine kleine Landwirtschaft betreiben, war in Schwaben bis vor wenigen Jahren ein verbreiteter Lebensentwurf.

Wenn man nun wiederum die Brücke in die Gegenwart und die Erfordernisse der Informationstechnik schlägt, kommt man zu einer schlüssigen Erkenntnis. Um vergleichbare Effekte für den künftigen Wohlstand zu erzielen, müsste der Staat flächendeckend Hochgeschwindigkeits-Datennetze mit extremer Zuverlässigkeit und definierten Betriebsbedingungen bis in den letzten Haushalt hinein schaffen. Als infrastrukturelle Basis für die Digitale Transformation.

Was vor 150 Jahren Kontrolle hieß, wird heute Governance genannt und würde bedeuten, dass der Staat seine hoheitlichen Rechte nutzt, um beispielsweise Störfälle zu ahnden und das Netz langfristig stabil und sicher zu machen.

Zukunftsmusik. Und politisch kaum durchsetzbar.

Technologie entscheidet

Mit der Forderung nach zuverlässiger, belastbarer und innovativer Technologie schließt sich der Kreis zum vorliegenden Buch und dessen Autor. Dr. Jochen Hanselmann hat am Institut für Industrielle Fertigung und Fabrikbetrieb (IFF) der Universität Stuttgart promoviert und besitzt gleichzeitig die DNA des Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA). Beide Institute habe ich über 16 Jahre geleitet und fühle mich damit berufen, meine Meinung zum Ansatz dieses Buches und der gesamten Reihe zu sagen: Der Mann hat recht.

Es geht nicht darum, organisatorische Modewellen zu reiten. Vielmehr muss die Technologie wieder ihren Platz in der Strategie und im Betrieb der Unternehmen finden. Hier leistet Dr. Hanselmann mit seiner Mannschaft wichtige Arbeit, für die ich ihm ebenso Erfolg wünsche wie für die Verbreitung der elektronischen Bücher dieser Edition.

Stuttgart, im September 2019

Prof. Dr.-Ing. Prof. e.h. Dr.-Ing. e.h. Dr. h.c. mult.

Engelbert Westkämper

Potenziale strategisch erschließen

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