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Maria Janitschek: »In Schönheit«

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Sie war schön wie das Mondlicht, das auf einem stillen Teich spielt. Man sprach leiser in ihrer Gegenwart und dämpfte seine lebhaften Gebärden.

Sie hieß Liane von Immen, und niemand konnte ihr beweisen, dass sie nicht so hieß, denn niemand hatte ihren Taufschein gesehen. Sie besaß nicht die plumpe Berühmtheit, durch ein Buch, das sie geschrieben, oder einen neumodischen Kleiderschnitt, den sie erdacht, im Meyer oder Brockhaus mitsamt der Angabe ihres Lebensalters der Welt vorgestellt zu werden. Sie blieb ein Geheimnis. Nur denen, die ihr wert waren, offenbarte sie sich in einer wunderbaren lichtblauen Nacht. Sie führte eine alte Frau bei sich, die sie bediente und die irr war. Sie war wirklich irr. Berühmte, nüchterne Nervenärzte hatten es bestätigt. Irgendetwas im Leben hatte sie um den Verstand gebracht. Liane erzählte, dass sie entfernt verwandt mit ihr wäre und sie schon vor ihrer Geistesverdüsterung bei sich gehabt hätte. Die letztere zeigte sich vornehmlich darin, dass die alte Frau beständig abgerissenes, zusammenhangloses Zeug vor sich hin schwatzte. Übles fügte sie keiner Seele zu. Im Gegenteil. Sie sorgte mütterlich für Liane und war Tag und Nacht zu ihrem Dienst bereit. Verschiedene Leute behaupteten, dass sie durchaus keine Verwandte von Liane wäre, dass diese sie aus andern Gründen bei sich hatte.

Lianens Äußeres besaß viel Anmut.

Sie war hoch, schlank; die rote Haarfarbe, die bereits Fünfzig-Pfennig-Dirnen trugen, trug sie nicht mehr. Ihr stand die weiße Farbe besser zu Gesicht. Dichte, schneeweiße Haarwellen hoben den zarten Rosenton ihres Fleisches und machten ihre großen, dunklen Augen doppelt geheimnisvoll.

Sie trug nur weiße Gewänder. Da ihre Gemächer mit dunklen Tapeten geschmückt waren, Ebenholzmöbel und Teppiche in den mattesten Farben ihre Ausstattung bildeten, so war sie das einzig Helle in dieser dämmerhaften Umgebung. Sie glitt wie ein silberner, schlanker Strahl in der milden Nacht dieser Gemächer dahin. Abends wurden hohe Stehlampen angezündet, deren Licht purpurne Seidenschirme milderten.

Ein großer Garten mit einer hohen Mauer umgab ihr Haus. Sie hatte ein elegantes Cab gemietet, das sie täglich an die Luft führte, sie setzte nie einen Fuß aufs Straßenpflaster. Sie besaß wenig Verkehr. Die paar Familien, mit denen sie sich traf, kamen ihr sehr zuvorkommend entgegen, wenn auch nicht ohne leise Unsicherheit. Wo sie sich befand, herrschte sofort jene zitternde Schwüle, wie sie über den Wiesen webt, wenn Juliglut schweigsam auf ihnen buhlt. Und doch war Liane nicht das geringste Üble nachzusagen, ja sie besaß sogar äußerst strenge Grundsätze.

Um ihr in Gärten gebettetes Landhaus herrschte Einsamkeit. Ab und zu kam ein Bauernwagen mit rasselndem Milchgeschirr vorüber, oder ein Landauer mit einer zahlreichen Familie fuhr am Sonntagmorgen die Strasse entlang aufs Land hinaus. Selten ereignete es sich, dass in vorgerückter Stunde ein Mann im langen englischen Überzieher, den Kragen hochgeklappt, die Gartentür öffnete. Er verschwand dann in dem zur ebenen Erde gelegenen Saal, wo verhangene Lampen die zauberhafte Frauengestalt phantastisch beleuchteten, die dort auf der Ottomane ruhte.

An einem milden Augustabend ruhte sie wieder dort. Die Alte hatte ihr zu Füssen ein Tischchen mit in Eis gekühlten Früchten hingestellt und war dann, leise vor sich hin schwatzend, verschwunden. Einige Minuten darauf öffnete sich ein Flügel der breiten Tür nach dem Garten hinaus, und die hohe Gestalt eines Mannes trat ein. Liane neigte stumm das Haupt.

Ebenfalls ohne ein Wort zu verlieren, ging er auf sie zu und führte ihre Hand an die Lippen.

Dann warf er Überrock und Zylinder auf einen Sessel, näherte sich ihr und sah, mit verliebten Blicken, in ihr wunderschönes, ruhiges, bleiches Gesicht. Ihre Augen wiesen nach den duftenden Früchten. Er schüttelte den Kopf. »Mich dürstet nur nach Ihnen, Liane.« Über sein von den Erfahrungen des Lebens stark verwüstetes Gesicht flog leichte Röte. »Mir kommt’s Ewigkeiten vor, seit ich zum letzten Mal hier war. Eine schale Zeit liegt hinter mir. Nichts wie Banalität, Repräsentationspflichten, Familienjammer, Öde, wohin man blickt. Alles immer dasselbe, immer dasselbe. Und glaubt man einmal etwas Neues gefunden zu haben, dann ist es plump, plump zum Verletzen.«

»Wie geht’s der Prinzessin?« Ihre Stimme klang tief und weich. »Ist es vorüber?«

»Ach,« er verzog den Mund, »reden Sie nicht davon. Es war eine Schlächterei. Wir wollten unsere Tochter nicht verlieren, er nicht den Erben. Die Ärzte stritten sich im Nebenzimmer wie die Marktweiber um den armen, in der Narkose noch stöhnenden Körper, bis endlich wir, die Eltern, siegten. Das zerstückelte Kind ist bereits beigesetzt, sie mit ihren neunzehn Jahren ein Krüppel, der indessen die Hoffnung hat, wie ihr Leibarzt bemerkte, die nächste Geburt besser zu überstehen.«

Liane verhüllte sich das Gesicht. »Entsetzlich! Dieses holde Madonnenbild! Aus welchem Barbarenwinkel stammt eigentlich ihr Gatte?«

»Lassen wir das, Liebste. Unsere Kultur glaubt eine noch nie erreichte Blüte gewonnen zu haben. Sie baut elegante Zuchthäuser, Frauenkliniken, die wahren Palästen gleichen, sie gestattet uns, Bordelle zu besuchen, – die geliebte Frau vor dem Schicksal, geschlachtet zu werden, zu bewahren, gestattet sie uns indessen nicht. Unsere Moral will nicht nur die Art unserer Sinnengenüsse vorschreiben, sie will sogar die Vorgänge im Ehebett regeln. Diese Moral ist gut für die, die sie gut finden, für die meisten. Glauben Sie nicht, dass diese Millionen an unsern Freuden Gefallen fänden, sie würden immer das Gewohnte vorziehen, aber – den andern, den zum Bewusstsein Gekommenen müsste mehr Freiheit eingeräumt werden. Nie gab’s eine Zeit stärkerer Beschränkung des einzelnen Geistindividuums als heute.«

»Wie schön ist es, man selbst sein zu dürfen! Wie schön, frei und Frau zu sein.« Sie stützte den edlen Kopf in die weiße Hand.

»Und wie schön ist es, beglücken zu können!« Er strich sanft über ihre knisternde Haarflut, »so beglücken können wie Sie!«

»Ohne Elend als unwürdige Spur der Seligkeit zu hinterlassen. Ohne das Gewissen zu kränken.«

»Wie Götter genießen. Ohne satt zu werden wie die Plebs nach plumpen Gerichten. Geliebte!« Er sah sie bittend an.

Sie erhob sich, das Angesicht von hinreißender Hingebung verklärt. Ihr langes weißes Gewand, von unbestimmten, roten Lichtern übergossen, schleifte lang hinter ihr her.

Sie berührte mit ihren Fingerspitzen eine Türe, durch die er verschwand. Sie selbst öffnete eine schwere Portiere. Ein eigenartiges Gemach, mit tiefgrauer Seide ausgeschlagen, in dem sich nur ein niederes Ruhebett von antik großen Formen befand, nahm sie auf. Sie ließ sich auf den Rand des köstlichen Lagers nieder, auf dem elfenbeinfarbene Seidenkissen in Fülle herumlagen. Nichts, kein weiteres Einrichtungsstück befand sich hier, außer zu Häupten ein silberner Kübel, aus dem ein Büschel hoher, bis zur Betäubung duftender Lilien hervor schoss.

Einige Augenblicke vergingen. Unter den Sammetfalten der Portiere erschien der Mann; er hatte seinen Anzug gegen ein mantelartiges Kleidungsstück von dunkler, weicher Seide vertauscht. Er ließ sich neben Liane nieder.

»Willst du uns durchaus töten mit deinem Lilienduft? So atemberaubend war er noch nie.«

Er schlang die Arme um sie. Ihr weißes wundersames Gewand, das nur ein vielfach um sie geschlungener weißer Mantel war, öffnete sich und ließ die Rosenbüsche ihrer weißen Brüste an seinen sich senkenden Lippen aufsprießen. Aber die ihren waren nicht müßig. In zarten, kaum gefühlten Küssen glitten sie über sein Antlitz, seinen Hals. Er gab sie frei, um einige Minuten lang ganz ihre Beute zu werden. Er zerfloss in Schauern höchsten Empfindens, gleichsam von zwei gleitenden, suchenden Schmetterlingen übergaukelt, die Ader für Ader seines Leibes zum Bewusstsein ihres purpurnen Inhalts wachriefen. Seine verzückten Augen füllten sich mit Tränen schwebender Lust, kein Wort ertönte, nur ein geheimnisvolles Seufzen, wie es über die Blumen fährt, wenn der Tau aus der Erde bricht, um sie zu erquicken.

Liane war lautlos über ihn hingesunken.

Er fühlte das schmeichelnd weiche, rhythmische Hüpfen ihrer Brust bei jedem ihrer Herzschläge. Er fühlte ihr elektrisch knisterndes Haar über seinen Körper ausgebreitet, seine Berührung erfüllte ihn mit leisem Prickeln und rief ihn wieder ins schöne Bewusstsein zurück. Mit zarten, behutsamen Griffen legte er sie in den seidenen Kissen zurecht und küsste die dunklen, wie gebrochen vor sich hinblickenden Augen. Sein Mund saugte sich in ihre weiße Kehle ein und glitt in die geheimnisvolle Bucht zwischen ihren Brüsten. Er kostete den würzigen Duft unter ihren weichen, biegsamen Schultern, er glitt weiter und genoss inbrünstig alle einzelnen Schönheiten des Leibes. Ihre kleinen rosigen Zehen nahm er zwischen die Lippen und liebkoste sie. Das geheimnisvolle Beben ihrer Glieder lebte er mit in seinem lustirren Aufschauern und verspürte so die doppelte Wonne des Empfangens und Gebens. Ein Regen ihn überströmender Entzückungen, der gleichsam aus jeder Pore seines Körpers brach, raubte ihm die Sinne und streckte ihn wie einen Toten neben ihr hin ...

Die Lilien dufteten, ein flüsternder Wind strich am Fenster hin und verstummte.

Unendliche Stille herrschte, unendlicher Friede ...

Einige Stunden später neigte sich die hohe Gestalt des Mannes über das bleiche, schöne Gesicht der Schlummernden und schied von ihr in seliger Dankbarkeit ...

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