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Die Blume der tiefen Wälder und Fronts Gold

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Jede Landschaft, jede Region, verehrte Leser und Waidkameraden, hat einen Fundus an Sagen und Legenden, die von Generation zu Generation weiter erzählt oder aufgeschrieben werden. Sicher kennen Sie alle Geschichten, Mythen und Legenden aus ihrem Umfeld, deren Geschehen seit alten Zeiten weitergegeben wird. Ich hatte mich schon von Jugend an für solche Erzählungen interessiert und hörte immer gespannt zu, wenn die Rede irgendwo auf unerklärliche Ereignisse oder rätselhafte Geschichten in alter Zeit kam. Eine der unheimlichsten und merkwürdigsten Erzählungen hörte ich in Nordschweden. Besonders merkwürdig deshalb, weil dieses Geschehen nicht, wie alle anderen Legenden und Mythen beendet ist, sondern sich fortsetzt bis in unsere Tage.

Gegen Ende des 17. Jahrhunderts war es in Schweden üblich, dass der König seinen langjährig gedienten Soldaten nach deren Ausscheiden aus dem Militär ein Stück Land zur Urbarmachung schenkte und auch ein paar Jahre keine Steuern erhob. So besiedelte er auf diese Weise bisherige Wildnis, etwa wie in Preußen der Alte Fritz das Oderbruch trockenlegte. So zogen also alljährlich in Schweden Männer in die Wildnis, um sich eine Existenz aufzubauen.

Ein solcher war Front. Den eigentümlichen Namen hatte er, weil es wohl üblich war im schwedischen Militär, lang gedienten Kämpfern einen Namen mit militärischem Bezug zu geben, vielleicht wie eine Art Kriegsnamen. Jener Mann wurde also »Front« genannt und bekam ein Stück Land auf der Halbinsel »Scrappa Vattnet«, zu deutsch ungefähr »Gekräuseltes Wasser«, im nordschwedischen Jämtland zugewiesen.

Etwa zweihundert Jahre später saß ich auf einem Hochsitz auf der genannten Halbinsel. Diesem Sitz hatten wir den Spitznamen »Eiffelturm« verpasst. Was es mit dem Sitz für eine Bewandtnis hat, habe ich an anderer Stelle bereits beschrieben (vgl. »Septembergold und Winterzauber«, BLV 2010). Der Sitz stand am Wegesrand eines zentral auf der Halbinsel gelegenen Hochplateaus. Hier hatte eine der großen forstwirtschaftlichen Sünden stattgefunden, vor denen unsere hochverehrten schwedischen Kollegen in der Vergangenheit eben auch nicht gefeit waren – ein riesiger Kahlschlag. Man hatte die Fläche dann zu allem Übel auch noch mit jener nordamerikanischen Kiefernart wieder aufgeforstet, die ungeheuren Zuwachs und andere wirtschaftlich positive Effekte versprach, schlussendlich aber auch nicht hielt. Jene Kiefern (Pinus contorta) hatten, als ich damals dort saß, eine durchschnittliche Höhe von etwa 1,80 Meter erreicht, so dass man von besagtem Eiffelturm aus noch weit über die Fläche sehen konnte und etwa ein anwechselndes Stück Elchwild mindestens teilweise noch sehen konnte.

Über die also etwa mannshohen Kiefern ragte im hinteren Teil mitten im Gelände ein großer Block, schätzungsweise 25–30 Hektar, von uralten Fichten heraus. Eigenartig, sinnierte ich auf meinem wackligen Sitz in der warmen Herbstsonne vor mich hin: Da wird ein Riesenkahlschlag in die Landschaft gehauen und mittendrin bleibt ein gewaltiger Altholzblock stehen. Natürlich sind solche großen Kahlschläge von Übel, keine Frage, und deshalb freute ich mich umso mehr über den alten Wald. Nur der Sinn war mir – aus ökonomischer Sicht – eben unklar.

Weshalb auch immer – ich fand es prima, dass das alte Holz noch da war und frohlockte im Stillen, dass es sich hier um nordischen Urwald – »Urskogen«, wie der auf schwedisch heißt – handelte, eine Form des Waldes, die ich schon immer besonders mochte. Jedes Mal, wenn ich im nördlichen Schweden war, hatte ich die Möglichkeit gesucht, einen solchen Wald aufzusuchen. Welch eine Faszination, wenn man dann drin steht, von beinahe absoluter Stille umfangen und unter den oft mehrere hundert Jahre alten Fichten, deren Äste und Zweige über und über mit Bartflechten behangen sind, bekanntermaßen ein verlässlicher Indikator für besonders saubere Umweltbedingungen. Am Boden liegen hier und da Bäume, die der Sturm, der Schnee oder einfach das Alter gefällt haben. Manche liegen noch nicht lange dort, andere wiederum sind nur noch walzenförmige Erhebungen, welche dick mit Moos überwachsen sind und auf denen jede Menge Sämlinge und andere kleine Bäume stehen. Hier brauchte sich ein rechter Jäger auch nicht selbst zu leisem, pirschendem Gang ermahnen – der für die Eindrücke aus der Natur sensible Waidmann verhielt von selbst immer wieder und schritt ruhig und leise, als beträte er eine Kathedrale oder einen anderen sakralen Raum mit einer gewissen gesunden Ehrfurcht.

Wir waidwerkten wie alle Jahre in einer Gruppe von schwedischen und deutschen Freunden und Waidkameraden auf den Elch und den großen und kleinen Hahn.

Als ich im Folgejahr einige Wochen gegen Ende August allein in der einsamen Jagdhütte vor der eigentlichen Elchjagd einschliefen durfte und mich von diversem Unheil, dass mich mit voller Wucht ereilt hatte, erholte und meine Gedanken ordnete, kam ich bei einem Pirschgang an den Rand dieses Urwaldes. Es war schon hoher Vormittag und die Sonne schien ungewöhnlich warm vom nordskandinavischen Himmel. Ich hatte einen Urhahn, der zufällig auf einer vorwüchsigen Kiefer vor mir aufbaumte, mit einem glücklichen Schuss aus meinem alten Stutzen vom Baum holen können und hatte diesen nun als süße Last im Rucksack.

Da fiel mir bei einem Rundblick eher zufällig auf, dass neben den ersten Randbäumen dieses urwüchsigen Bestandes eine wiesenartige Fläche gelblich leuchtete. Ich ging hin und stellte schon bald voller Freude fest, dass hier jene seltene Pflanze in einem großen Horst wuchs, die gemeinhin als »Gelber Frauenschuh« bekannt ist. Neben vielen regionalen Namen heißt die schöne Orchidee mancherorts auch »Kriemhilds Helm«, auch passend, wie mir schien. Ich kannte die Pflanze von einigen botanischen Exkursionen, in einem solch großen, flächendeckenden Vorkommen hatte ich sie freilich noch nie erlebt. Außerdem repetierte ich meine schon etwas angestaubten botanischen Kenntnisse und meinte, noch zu wissen, dass die gelbe Schönheit eigentlich schon verblüht sein müsste – bis ich mich daran erinnert, wie weit im Norden ich mich befand und dass die Vegetation hier viel spätere Termine als in Mitteleuropa aufwies. Spontan holte ich den Hahn aus dem Rucksack, strich das Gefieder glatt und befestigte den schwarzen Ritter mittels einer Angelsehne in einer Kiefer. Auch den Rucksack ließ ich zurück und umrundete nun die große, nasse Wiese mit den prächtigen Pflanzen langsam und sog förmlich die immer neuen Ausblicke und Eindrücke auf.

Nach einer Weile setzte ich mich an einer Stelle mit dem Anblick des Frauenschuhs und des Urwaldes hin und hing meinen Gedanken nach. Aber – irgendetwas war anders als sonst in solchen Augenblicken. Einerseits konnte ich mich an der Orchideenwiese kaum satt sehen. Aber dieser Urwald …?

Gleichgültig, wo auf dieser weiten Welt ich mich befand, sobald ich einen größeren Waldkomplex sah, verspürte ich stets das Verlangen, hineinzugehen und zu suchen – ich weiß nicht was. Immer, ob in den bergigen Wäldern meiner thüringischen Heimat, unter den uralten Eichen und Buchen in Brandenburg oder dem Wald der Trolle am Rande des norwegischen Fjäll, immer also schwang etwas Geheimnisvolles, Unbekanntes mit, das mich anzog. Aber hier, das war neu und eigenartig, hier wirkte der alte Wald abweisend, ein wenig bedrohlich sogar. Wie eine große, dunkle Mauer stand er da – und bildete einen denkbar deutlichen Kontrast zu der heiteren, leuchtenden Wiese zu seinen Füßen.

Unsinn, dummes Zeug, schalt ich mich selber. Hatte ich nicht eben wegen der hier noch vorhandenen, kaum berührten Wälder von den zu entdeckenden Kostbarkeiten in Flora und Fauna geträumt, wie in den Jahren zuvor auch schon und hatten eben jene Wälder mir bei der Entdeckung solcher Kostbarkeiten nicht immer wieder Momente besonderer Glücksgefühle beschert? Nun befand ich mich wieder einmal vor einem solchen Bestand und empfand Abweisung, Bedrohung gar? Verrückt, in gewisser Weise irre, konstatierte ich, zweifelte ein bisschen an meinem Verstand, beendete meine Tour, griff den Hahn und strebte der Hütte zu, um mir ein gestandenes Mittagsmahl zu bereiten, um so jegliche Gedankengaukelei profan und sehr irdisch zu vertreiben. Dazu briet ich mir zwei etwa doppelt handgroße Saiblinge, die ich am Morgen gefangen hatte, in guter schwedischer Butter, Smör genannt und in einer uralten gusseisernen Pfanne, die zur Not auch eine brauchbare Nahkampfwaffe abgegeben hätte.


Aber dennoch, der Gedanke an den Urwald ließ mich nicht mehr los. Ich hatte mir im Vorfeld vorgenommen, nach jener seltenen Blume zu suchen, die dem Vernehmen nach hier vorkommen sollte. Sie hat im Deutschen mehrere Namen, obwohl sie in unserem Land nur auf einer handvoll alpiner Standorte zu finden ist. Blutstropfenkohlröschen, Männertreu oder lateinisch Nigritella nigra heißt die geheimnisvolle Pflanze, die auch als die Blume der tiefen Wälder beschrieben wird. Zahlreiche Mythen ranken sich um sie und ich wollte zu gern einmal ein Exemplar sehen. Ich wusste von der nordskandinavischen Unterart und dass sie – wenn überhaupt – nur auf völlig naturbelassenen Standorten wächst. Auch deshalb mein Interesse an natürlichen Waldgesellschaften, neben all den anderen spannenden Dingen, die man in solchen finden kann.

Am folgenden Wochenende rückten alle schwedischen und deutschen Nimrode ein, denn der folgende Montag war jener, der den Beginn der Elchjagd markiert. Das ist in Nordschweden immer der erste Montag im September und die Freunde wollten eine Woche bleiben um den großen nordischen Hirschen auf die Decke zu rücken. Ich selbst wollte hinterher noch eine weitere Woche »dranhängen«, um die Einsamkeit und den bunten Herbst zu genießen.

An einem der folgenden Tage erzählte ich, eher beiläufig, beim Abendessen von meinem Besuch an der Frauenschuhwiese und dem Urwaldkomplex dahinter und äußerte unbefangen meine Absicht, in jenen Wald zu gehen, wenn ich wieder allein wäre und womöglich einen der schwarzen Ritter zu schießen und nach dem Kohlröschen zu suchen. Unsere Freunde Magnus und Kent saßen mir am Tisch gegenüber und plötzlich fing ich bei meiner Rede einen langen, ernsten Blick zwischen den beiden auf. Das irritierte mich, zumal keiner von beiden irgendeinen Kommentar abgab und auch beide irgendwie einsilbig wurden. Ich überlegte angestrengt, ob ich vielleicht irgendeine unpassende Bemerkung gemacht oder sonstwie in das sprichwörtliche »Fettnäpfchen« getreten haben könnte, allein – mir fiel nichts ein. Also beließ ich es einstweilen dabei. Später sprachen wir stärkeren geistigen Getränken zu und nach einigen Gläsern derben Whisky brachte ich das Gespräch vorsichtig wieder auf den Urwald. Meine schwedischen Freunde »drucksten« herum und wollten nicht recht mit der Sprache heraus. Irgendwann war meine Geduld und vornehme mitteleuropäische Zurückhaltung am Ende und ich bat ziemlich direkt, zu erzählen, was es mit jenem Wald auf sich habe. Kent seufzte ein bisschen, holte tief Luft und dann erzählte er mir, von Magnus unterstützt, eine lange Geschichte. Gleich zu Anfang verblüffte er mich mit der sehr ernsthaft vorgetragenen Feststellung, mit diesem Wald stimme etwas nicht, es spuke dort – in Ermangelung der passenden deutschen Vokabeln bediente er sich der englischen Sprache: »There is a Ghost inside!«

Ein Geist? Da diese eingängliche Feststellung mit großer Ernsthaftigkeit vorgetragen worden war und auch Magnus keine Miene verzog, bemühte ich mich ebenfalls um ein »Pokerface«, möglicherweise aber habe ich in jenem Moment auch einfach nur »dumm aus der Wäsche« geschaut. Wie auch immer, ich hörte die folgende spannende Geschichte:

Besagter altgedienter Soldat Front also bekam von seinem König im ausgehenden 18. Jahrhundert auf der Halbinsel Land geschenkt und brauchte auch ein paar Jahre keine Steuern zu zahlen. Dieses Gebiet war zu jener Zeit noch komplette Wildnis und das Leben, besser Überleben, war denkbar schwer. Außer den Sami, die selten auf der Suche nach ihren Rentierherden oder zwecks Jagd und Fischfang dorthin kamen, verirrte sich wohl niemand in diese abgelegene Gegend.

Front aber ging die Aufgabe an, hieb zunächst eine Blockhütte für sich und seine Frau zurecht und hielt sich mit Jagen und Fischen über Wasser. Nebenher begann er in mühsamster Handarbeit einige der sumpfigen Wiesen trockenzulegen, damit einige süße Gräser wachsen konnten, die eine Kuh ernährten und so viel Heu hergaben, damit er das milchgebende Tier über den langen Winter bringen konnte. Langsam, aber stetig wuchs seine kleine Landwirtschaft. Er baute ein größeres Holzhaus und richtete in der alten Blockhütte einen kleinen Kuhstall ein. Er erwarb ein Kälbchen, als dieses der Muttermilch entwöhnt war. Das Kalb gedieh prächtig und wuchs zur Kuh heran. Seine Frau war guter Hoffnung und gebar einen gesunden Jungen. Da Front jetzt mehr Platz hatte holte er seine Mutter zu der kleinen Familie dazu, so dass nunmehr vier Häupter um dem schweren Holztisch saßen. Front trieb sein Trockenlegungsprogramm immer weiter voran und dachte schon ernsthaft über die weitere Anschaffungen von mehr Nutztieren nach. Die Arbeit auf den nassen Wiesen war eine rechte Plackerei. Alle paar Meter grub der fleißige Mann einen Dränagegraben, so dass das viele Wasser immer abfließen konnte.

Eines Tages im Frühjahr – er war mitten bei einer solchen Arbeit weitab von seinem Gehöft – stand plötzlich ein Hund vor ihm, der freudig mit der Rute wedelte. Gleich darauf sah er auch schon eine bunte Mütze zwischen den vielen Grün- und Brauntönen des umgebenden Waldes auftauchen. Ein ihm gut bekannter Same namens Jompa wollte nach seinen Rentieren sehen und kam so ab und zu in Fronts Waldeinsamkeit vorbei. Natürlich war das auch immer mal wieder Gelegenheit, über aktuelle Dinge zu sprechen, die man gehört hatte und dabei einen Imbiss zu verzehren.


Und so begrüßte Front freudig seinen Gast, sammelte Birkenrinde und ein wenig trockenes Holz und entzündete ein kleines Feuer über das er den winzigen Teekessel hing, den damals jeder, der in der Wildnis unterwegs war, bei sich trug. Front hatte ein wenig Fladenbrot und Käse bei sich, von dem er Jompa anbot. Jener revanchierte sich später mit Tabak und als kleine Rauchwölkchen aus den langstieligen, gebogenen Pfeifen zum Himmel kräuselten, tauschte man sich aus. Der Same erzählte, dass ein großes Wolfsrudel gesichtet worden sei, dass schon mehrere Rentiere gerissen habe und man werde in der nächsten Zeit gemeinsam Jagd auf die Grauen machen. Er stehe mit seinem Gewehr zur Verfügung, um zu helfen, bot Front an, was gern angenommen wurde. Dann kam er auf ein Thema zu sprechen, das ihn schon lange bewegte. Er hatte während seiner Streifzüge Spuren menschlicher Besiedlung gefunden. Hier ein behauener Stein, dort die rostigen Überreste einer eisernen Kette, usw. Nun mutmaßte er, dass er doch nicht den ersten Siedlungsversuch in jener wilden Gegend unternommen habe und fragte Jompa, ob er darüber etwas wisse. Der Gesichtsausdruck des Samen wurde plötzlich sehr ernst und die ohnehin schon schmalen Augen verengten sich strichförmig. Versonnen blickte er zum Himmel und ließ sich Zeit mit der Antwort. Endlich sah er Front voll an. »Das war Bernd!«, sprach der Sohn des eingeborenen Volkes. Er selbst habe Bernd nicht mehr kennengelernt, alles, was er wisse, habe er in den ewig langen Winterabenden am Feuer aus den Erzählungen der Alten erfahren, fuhr Jompa fort und verließ seine bequeme, halb liegende Stellung, um sich kerzengerade aufzusetzen. »Front«, begann er zu erzählen, »mit der Halbinsel hier hat es etwas Besonderes auf sich. Wir reden nicht gern drüber, aber Du wohnst nun hier und bist uns über die Jahre ein treuer Freund und guter Nachbar geworden. Deshalb sollst Du erfahren, was sich hier zugetragen hat und weshalb mein Volk diesen Ort meidet, wann immer das möglich ist und wir nicht wie jetzt gerade, gezwungen sind, unsere Rentiere hier zu suchen. Von alters her wird von Generation zu Generation weitergegeben, dass es einen Fluch für dieses Gebiet gibt.

Bernd war der Erste, der versucht hat, hier zu bauen. Als er seine Blockhütte gerade fertig hatte, gab es ein furchtbares Gewitter. Das geschah im Herbst, wo die Zeit der Gewitter eigentlich schon vorbei ist. Der Blitz schlug ein, entzündete die Hütte und Bernd samt seiner Frau kamen zu Tode. Wie das im Einzelnen passiert ist, weiß natürlich niemand, da ja keiner dabei war. Jedenfalls möchte ich Dich warnen. Ich habe schon länger eine Gelegenheit gesucht, mit Dir darüber zu reden und ich bin froh, dass es nun heraus ist.«

Nachdenklich saß Front dem Samen gegenüber und sog an seiner Pfeife. Er, Front, hatte im Krieg so viele schlimme Dinge gesehen und überlebt, dass er sich von irgendwelchen Spukgeschichten bestimmt nicht bange machen ließ, stellte er für sich selbst fest. Aber Jompa hatte seine Rede mit so viel Ernsthaftigkeit vorgetragen, dass er gar nicht auf die Idee kam, jenen zu verspotten oder gar auszulachen. Er wusste nicht recht, wie er reagieren sollte ohne dem Mann aus den Wäldern zu nahe zu treten. Dann fiel ihm etwas ein. »Jeder Fluch«, entgegnete er Jompa, »hat doch einen Grund! Hast Du eine Ahnung, worin der hier liegen könnte?« Der zögerte offensichtlich mit der Antwort. »Es gibt hier Gold. Die Alten erzählen, wer es findet kann es ruhig heben. Nur darf er niemals auch nur ein Sterbenswörtchen über seinen Fund verlieren. Tut er es doch, ereilt ihn unweigerlich der Tod. Nun, Freund, weißt Du alles. Sei also bitte vorsichtig.« Der Same stand auf, pfiff nach seinem Hund, hob noch einmal grüßend die Hand und dann hatte ihn der dichte Wald wieder verschluckt. Front sann noch eine kleine Weile über das eben Gehörte nach und verspürte plötzlich das dringende Verlangen, den Seinen nah zu sein. Also beendete er vorzeitig für diesen Tag seine Arbeit und strebte hastig seinem Heim zu.

Front dachte in den folgenden Tagen mehrmals an die Worte des Samen und verspürte eine gewisse Unruhe. Aber bald rückten die Alltagssorgen und -aufgaben wieder in den Vordergrund und schoben die Geschichte vom Fluch und die Warnung Jompas in den Hintergrund. Nach Wochen war Front kurz vor der Fertigstellung der Dränage für eine Wiese und grub mit seinem Spaten ein letztes Grabenstück von der Wiese zur Einmündung in einen breiten Bach, der wildschäumend über mehrere Stromschnellen auf den großen See zuschoss und das Wasser der nassen Wiese nun aufnehmen sollte. Als er schon mit einem Bein im Bach stand und das Endstück der Einmündung glättete, fiel sein Blick auf das erste Stück vergleichsweise ruhig fließenden Wassers, welches glasklar vor ihm lag und von wo ihm etwas unter der direkt dort einfallenden Sonne entgegen schimmerte. Also fasste er ins Wasser und ergriff etwas, das er zunächst für einen bunten Kiesel am Grunde des Baches gehalten hatte. Als er den vermeintlichen Kieselstein endlich aus dem Wasser herausgeholt hatte – traf ihn fast der Schlag.

Was er da in der Hand hielt war tatsächlich ein etwa haselnussgroßes, massives Stück Gold. Anderswo auf der Welt wird dies als Nugget bezeichnet. Front schlug das Herz bis zum Hals. Er musste sich erst einmal ans Ufer setzen, um seine Gedanken zu ordnen. Natürlich fiel ihm bald die Erzählung Jompas ein und obwohl er kaum an übernatürliche Dinge glaubte, beschloss er fest, sich an dessen Empfehlung zu halten und Stillschweigen zu bewahren. Noch einmal stieg er ins Wasser und fand ein paar weitere winzige Stücke des edlen Metalls. Schließlich ging ihm auf, dass er die richtige Ausbeute seines Fundes nur mit professionellem Werkzeug bewerkstelligen könnte.

Aus seiner Militärzeit kannte er einen Kameraden, der erzählt hatte, er werde nach seinem aktiven Dienst Gold suchen. Da er auch wusste, wo jener wohnte, beschloss er, die beschwerliche Reise über mehrere Tage auf sich zu nehmen und hinzufahren. Seiner Frau erzählte er nur, sie dürfe keine Fragen stellen und bat sie um Vertrauen. Diese gab sich damit vorerst zufrieden, wenn auch mit einem unguten Gefühl. Er lieh sich von einem entfernten Nachbarn ein Pferd und ritt zu seinem Kameraden aus Militärzeiten. Dem teilte er nur mit, er wolle es auch einmal mit der Goldsuche probieren, hütete sich aber, irgendetwas von seinem Fund auch nur anzudeuten. Jener Kamerad brachte ihm alles über die Suche per Hand und mit einfachstem Werkzeug bei und schenkte ihm noch ein paar Gerätschaften, die ungenutzt in seinem Schuppen lagen. Front verstaute diese sorgfältig, ritt nach Hause und brachte erst dann das Pferd dessen Besitzer zurück.

Bald wusch er im Bach das Gold heraus bis die Fundquelle versiegte und offensichtlich an jener Stelle alles ausgebeutet war. Dann ging er recht weit weg in die große Stadt und tauschte den reichen Goldfund in Geld um. Damit kaufte er ein Pferd und viele schöne und nützliche Dinge und brachte diese nach Hause. Seiner Frau verbot er weiterhin, Fragen zu stellen, wobei diese sicher geahnt hat, woher der plötzliche Wohlstand kam, denn Front hatte ihr seinerzeit natürlich von dem Gespräch mit Jompa erzählt. Dann begann eine Zeit, in der Front öfter von zu Hause fort ritt und im Wirtshaus auftauchte. Langsam begannen die Siedler, wenn sie sich trafen, darüber zu reden. Aber so sehr sie auch in Front drangen – immer wich er aus und erzählte nichts von seinem Goldfund, obwohl mehrere von der alten Sami-Legende wussten und bald Mutmaßungen in diese Richtung anstellten. – Dann kam das Mittsommerfest im Folgejahr, schwedisch »Mitsomardagen«, einer der wenigen Termine, wo die vereinzelt und versprengt lebenden Siedler zusammenkamen und in den Nächten, in denen es nicht mehr dunkel wurde, feierten und den riesigen Markt, der alljährlich zu diesem Ereignis stattfand, besuchten. Auch Front fuhr in seiner neuen Kutsche, die er sich angeschafft hatte, mit seiner Familie dorthin.

Während seine Familie sich auf dem Markt aufhielt und diversen Lustbarkeiten nachging, becherte Front mit mehreren Bekannten, die er von seinen Wirtshausbesuchen her kannte. Diese hatten ihn entdeckt und in ihre Runde eingeladen, da sie Front als freigiebig und spendabel kannten. Immer öfter wurde mit starken Getränken nachgeschenkt und als einem der Zechbrüder der Zeitpunkt günstig und reif erschien, sprach er Front auf dessen Wohlstand an und äußerte auch recht unverblümt den Verdacht eines Goldfundes. Jompas Warnung war nun schon lange her und so kam Front im Rausch dem Drängen eines der neugierigen und raffinierten Trinkgesellen irgendwann nach und erzählte schließlich von seinem Goldfund. Als seine Frau zurückkam, fand sie ihren Ehemann ziemlich betrunken und, wie sie sofort erkannte, in schlechter Gesellschaft vor. Mit Mühe verfrachtete sie den Zecher in die Kutsche und fuhr selbst nach Hause.

Und dann begann die Unglücksserie. Als Front wenige Tage später seine Kuh auf eine andere Wiese zum Grasen bringen wollte, bemerkte er eine auffällige Veränderung im Verhalten seines Hundes, der ihn wie immer treu begleitete, wenn er in den Wäldern unterwegs war. Je näher sie der nun abgegrasten Wiese kamen, von welcher sie die Kuh holen wollten, um so unruhiger wurde der Hund. Kurz vor der Wiese sträubten sich sogar dessen Haare deutlich und ein beständiges, grollendes Knurren kam aus seinem Hals. Nun wurde es auch Front unbehaglich, berechtigt, wie sich gleich herausstellen sollte. Die Kuh lag tot auf der Wiese, mit aufgerissenem Leib und Keulen, aus denen große Stücken Fleisch herausgerissen waren. Neben dem Kadaver fanden sich Brandenabdrücke eines Bären – frisch, sehr frisch. Seit Jahren hatte sich kein Bär mehr auf der Halbinsel gespürt, nachdem Front gleich nach seiner Ankunft einen geschossen hatte, dessen riesige Schinken ihm und seiner Frau dann gut über die damalige, arme Zeit hinweggeholfen hatte. Der einfache Holzzaun war für den Petz kein Hindernis und so wurde Fronts Kuh zur leichten Beute.


Voller Grimm eilte Front nach Hause, griff seine alte Büchse und arbeitete mit dem Hund die Fährte des Bären, die in dem sumpfigen Untergrund immer wieder recht deutlich zu finden war. Und es dauerte auch gar nicht lange. Nur wenige hundert Meter vom Schauplatz des Dramas entfernt verschwand der Hund in einem felsigen Hang, in dem Front seinem vierläufigen Gehilfen nicht schnell folgen konnte. So hörte er plötzlich lautes Rumoren und brechendes Holz vor sich und das gellende Aufklagen seines Hundes. So schnell es irgend ging eilte Front mit schussbereiter Büchse hin und --- blieb wie gelähmt stehen! Sein treuer Begleiter lag verdreht mit gebrochenem Rückgrat und einer großen Wunde im Genick tot vor ihm. Der Bär war verschwunden und Front hörte nur einmal das Brechen trockenen Holzes auf recht weite Entfernung. Wie benommen lud sich Front schließlich den Hund auf die Schultern und schickte sich an, den steilen Hang hinunter zu klettern. Da lösten sich plötzlich Steine unter seinen Füßen und, da er sich mit der Last auf der Schulter nicht sofort abfangen konnte, stürzte er böse den Rest des Hanges hinunter. Unten angekommen spürte er einen stechenden Schmerz im Unterschenkel und glaubte zu erkennen, dass zwar nichts gebrochen war, aber einer der scharfkantigen Steine eine große Fleischwunde verursacht hatte, die er mit ein paar Stofffetzen, die er aus seinem Hemd riss, notdürftig verband. Das Bein schwoll an und er humpelte unter Verwendung eines Astes, der sozusagen als Krücke dienen musste, in Richtung seines Gehöftes. Aber irgendwann auf halbem Wege konnte er nicht mehr weiter.

Er setzte sich an eines der überall vorhandenen winzigen Fließe, kühlte eine Weile sein Bein und zwang sich dann unter großen Schmerzen weiter voran. Als er endlich den einzigen Weg, der zentral über das Hochplateau führte und den Front in den vergangenen Jahren Stück für Stück aus dem Wald heraus gehauen und mit Gesteinsbruch ein wenig befestigt hatte, erreichte, setzte er sich an den Rand und schoss in rascher Folge dreimal in die Luft. Mit seiner Frau hatte er dies als Notsignal schon seit Langem vereinbart. Nach ein paar Minuten lud er die Waffe erneut und wiederholte das Ganze. Seine Frau hatte bereits die erste Schussserie gehört und so kam sie in eiliger Fahrt bald bei Front an. Zu Hause wurden Verband und die kühlen Wickel immer wieder erneuert, aber es zeigte sich nach wenigen Tagen, dass sich die Wunde anschickte, entzündlich zu werden. Da weit und breit kein Arzt vorhanden war, fuhr Fronts Frau ins Lager der Sami um den Nojaden, den Medizinmann, um Rat und Hilfe zu fragen. Jener war nicht nur für die spirituellen Fragen dieses indigenen Volkes zuständig, sondern er war auch ein Heiler. Und so gab er der Frau verschiedene Blätter zum Auflegen auf die Wunde und Kräuter für Tee mit. Da begegnete sie auch Jompa, der sie nur knapp begrüßte und die Augen zu Boden gesenkt hielt. Sicher hatte sich Fronts Verhalten auf dem Volksfest und seine Redseligkeit bereits herumgesprochen und so ging Jompa auf Distanz. Die Gaben des Nojaden aus der Naturapotheke stoppten schließlich den beginnenden Wundbrand und Front begann langsam zu genesen. Aber der nächste Schicksalschlag ereilte die Familie bereits kurze Zeit später.

Eines Morgens wunderte sich Fronts Frau, dass dessen Mutter noch nicht aus ihrer kleinen Schlafkammer herausgekommen war, die doch sonst immer die Erste war und für einen wärmenden Ofen sorgte. Als Fronts Ehefrau schließlich die Stube seiner Mutter betrat, stieß sie einen entsetzten Schrei aus. Front humpelte sofort hin und fand seine Mutter tot in ihrem Bett liegen. Sie war eigentlich immer von eiserner Gesundheit und man hatte an ihr auch am Vortag noch keinerlei Anzeichen einer Krankheit bemerkt. Front grauste es, zumal die Augen seiner Mutter weit aufgerissen waren und entsetzt ins Leere sahen. Schnell schloss er diese mit einer Handbewegung darüber hinweg und nahm seine Frau in den Arm, die wie gelähmt neben ihm stand.

Nach drei Tagen fand die Bestattung auf einem kleinen Hügel über dem See statt, welcher der Lieblingsplatz der alten Frau gewesen war. In der Nacht nach der Beerdigung wurde Front munter. Auf dem Hof war große Unruhe und ein heller Feuerschein leuchtete ins Fenster der Schlafkammer. Sofort weckte er seine Frau und beide liefen nach draußen. Die alte Hütte, die nun schon länger als Stall diente, brannte lichterloh. Die Versuche, mit Brunnenwasser den Brand zu löschen, gaben beide bald auf. Es war sinnlos und ihnen blieb nur übrig, darauf zu achten, dass nicht das Wohnhaus auch noch etwa durch Funkenflug in Mitleidenschaft gezogen würde. Der Stall war unrettbar verloren und auch das Pferd darin war eines elendigen Feuertodes gestorben. Auch die daneben abgestellte Kutsche, praktisch das Symbol von Fronts neuem Wohlstand, war beinahe komplett verbrannt. Lustlos und deprimiert versuchte Front dann bei Tageslicht, die Ursache für die Feuersbrunst zu finden. Vergeblich, es fand sich keine auch nur halbwegs schlüssige Erklärung für die Entzündung. Es herrschte eine gedrückte Stimmung, verständlich nach all den schlimmen Ereignissen.

Aber das Leben musste weitergehen und so erklärte Front eines morgens seiner Frau, er werde heute fischen gehen und gegen Mittag zurück sein. Als die Mittagsstunde heran war kam Front nicht. Seine Frau wurde immer unruhiger und als ihr Ehemann gegen Ende der zweiten Stunde am Nachmittag noch immer nicht zurück war, ging sie selbst zum See. Dort sah sie Fronts Boot treiben – ohne den Fischer. Die Oberfläche des Sees war beinahe spiegelglatt und es herrschte bereits seit dem Morgen Windstille. Front ist nie wieder aufgetaucht und über die Ursachen seines Verschwindens kann man nur spekulieren. Fronts Frau jedenfalls zog mit ihrem Sohn bald fort vom Scrappa Vattnet in ihre Heimat in der Provinz Härjedalen und lebte bis zu ihrem Tode im elterlichen Gehöft. Die Geschichte wurde und wird noch mündlich von Generation zu Generation weitergegeben, aber Fronts Frau erzählte sie, als sie ihr Ende kommen fühlte, außerdem noch einem Lehrer der Dorfschule, der alles aufschrieb.

Ich hatte genau zugehört und nachdem der Erzähler nun geendet hatte, waren alle eine kleine Weile schweigsam und jeder hing seinen Gedanken nach – ich auch. Die Geschichte hatte mich nachdenklich gemacht. So ein fleißiger und zäher Mann, und dann dieses Ende! Und lässt man den Aspekt des Unerklärlichen, Mystischen einmal beiseite, so bleibt das Gold, das den braven Front ins Verderben gestürzt hatte. Nun hatte ich schon mehrere Erzählungen mit der schlussendlichen Aussage, dass das Gold nur Unglück bringe, gehört oder gelesen. Besonders aus Nordamerika gibt es ja solche Geschichten zu Hauf. Deshalb war ich versucht, auch die Legende von Front und dessen Gold als eine Art Sage mit einem wahren Kern, ansonsten aber als weitgehend fiktiv einzustufen und äußerte das auch entsprechend an jenem abendlichen Biertisch mit den Freunden.

Deren Reaktion war aber ganz anders als erwartet. Ganz so, meinte Kent vorsichtig, sei das nicht. Die Geschichte sei noch nicht zu Ende. Nun drängte ich ihn natürlich sofort, den weiteren Verlauf des Geschehens zu erzählen. Und so erfuhr ich folgendes: Die Halbinsel Scrappa Vattnet blieb die nächsten Jahre nach den tragischen Ereignissen weitgehend unberührt, und galt als fluchbeladen. Besonders der alte Wald um die ehemalige Einsiedelei war verrufen und als Unglück bringender Ort bekannt. Fronts einsame Bauernstelle verfiel und der umgebende Urwald holte sich im Laufe der Jahre das Gelände zurück. Knapp hundert Jahre später, also gegen Ende des 19. Jahrhunderts weckten die prächtigen Stämme die Begehrlichkeiten eines Holzhändlers aus der Stadt. Er erwarb die Fläche zum Zwecke der Holznutzung – aber, ja aber, er fand niemanden der bereit war, dort den Holzeinschlag vorzunehmen. Er bot eine ungewöhnlich hohe Entlohnung – dennoch erklärte sich keiner der wenigen Siedler bereit, dort zu arbeiten. Er schimpfte diese dann hinterwäldlerische, abergläubige Tölpel und suchte sich eine verwegene Truppe aus Härjedalen, die nicht viel von dem Fluch wusste oder wissen wollte.

Als jene die ersten Bäume gefällt hatten, hieb sich der Chef der Waldarbeiter die Axt in den Fuß. Zwei Tage später verfing sich ein fallender Baum in der Krone des Nachbarn. Beim Versuch, diesen zu lösen, strauchelte der Holzfäller, fiel hin und der nun fallende Baum erschlug den am Boden liegenden. Die Arbeiter packten ihre Sachen, nahmen ihren verletzten und ihren toten Kameraden mit sich und kehrten – trotz des Protestes des Holzhändlers – in ihre Heimat nach Härjedalen zurück.

Besagter Holzhändler fand dann auch niemanden mehr, der am Scrappa Vattnet für ihn arbeiten wollte. Wenn der Fluch von Fronts Gold bisher eher wenigen Siedlern und natürlich den Sami bekannt war, so verbreitete sich das Geschehen mit dem verletzten und dem toten Waldarbeiter breit übers Land. Der Wald jedenfalls blieb unangetastet – bis weit ins 20. Jahrhundert hinein.

Vor einigen Jahren, die Halbinsel gehörte mittlerweile zu großen Teilen einem großen schwedischen Forst- und Waldkonzern, äußerte einer der Manager, nachdem er den Wald gesehen hatte, er werde sich nicht von irgendwelchen »Spukgeschichten« aufhalten lassen und schickte Harvester und anderes modernes Equipment hin, um endlich den nun mittlerweile uralten Wald vom Siedler Front auszubeuten. Das hochmoderne, sündhaft teure und mit Elektronik vollgestopfte Gerät, das in einem Arbeitsgang den Baum fällt, entastet, auf bestellte Fixlängen schneidet und abfuhrgerecht stapelt, begann, in den Urwald zu fahren und – rutschte in ein tiefes Loch, das von wenig Vegetation verdeckt unter der Rohhumusauflage verborgen war. Eine erste Schadensdiagnose ergab die Feststellung eines komplizierten Achsenbruches, unmöglich, dies schnell und vor Ort zu reparieren. Also wurde in aller Eile ein zweiter Harvester herangeschafft, der aus ungeklärter Ursache nach weniger als zwei Stunden mit einem Motorschaden liegen blieb …

Was im Einzelnen dann beschlossen wurde, weiß niemand so genau. Tatsache ist jedenfalls, dass der große Konzern Menschen, Maschinen und Material still und weitgehend unauffällig abzog. Nun schwiegen die Freunde und ich traute mich erst nach einer ganzen Weile nachzufragen, was sie denn nun selbst glaubten, ob sie es für möglich hielten, dass es einen Fluch gäbe usw.

Die Antworten waren nicht eindeutig und ich drang schließlich nicht weiter in die guten Freunde, da ich auch zu bemerken glaubte, dass ihnen das Thema unangenehm war. Magnus erzählte mir noch, dass seine Frau Tina einmal beim Sammeln der wunderbaren Moltebeeren, auch Hjotron genannt, ein wenig in Fronts Wald eingedrungen war und große Schwierigkeiten hatte, wieder heraus zu finden. Kent erzählte, er habe an der Peripherie des Urwaldes einmal im Oktober ein derart schwaches Elchkalb gestreckt, wie das noch nie vorgekommen sei. Und so gäbe es viele unerklärliche Geschehnisse, auch aus neuerer Zeit, die im Zusammenhang mit »Fronts Wald« stehen.

Ich selbst fand mich, nachdem die Waidkameraden und Freunde abgereist waren, erneut vor dem Stück uralten Waldes wieder und ging ein paar Meter hinein. Es war alles wie immer in jenen seltenen, alten Beständen. Während ich auf dicken, weichen Moosauflagen unter meinen Füßen stand, hingen mir wild verwobene Bartflechten über dem Kopf. Die Bäume schienen besonders dicht zu stehen und bald verhielt ich. Ich vermag beim besten Willen nicht zu sagen, was mich dazu veranlasste. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass ich hier nicht hingehörte und dem Wald sein mystisches Geheimnis – so er denn ein solches überhaupt besaß – zu lassen hatte. Still, wie ich gekommen war, verließ ich den Ort wieder …

Und das Kohlröschen? Ich habe es bis heute nicht in natura gesehen, es hat wohl nicht sollen sein und ich bin nur ein winziges Korn angesichts der großartigen Natur. Ich weiß auch nicht, ob ich noch einmal ans Skrappa Vattnet komme, was ich zugegebener Maßen schon gern würde. Aber sollte mir die Reise in jene fantastische Landschaft noch einmal gelingen – eins ist sicher – meine Begeisterung und mein Respekt! Vor dem Blutstropfenkohlröschen und vor Fronts uraltem Wald – mit oder ohne Fluch!

Neue Fährten auf alten Wechseln

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