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Ich habe zwei Staatsangehörigkeiten. Zwei! Eigentlich sollte man meinen, dass es die Sache einfacher macht. Schließlich bin ich keine Einwanderin in dem Sinne. Dennoch sieht die Sache ein wenig anders aus.

Bereits vor ein paar Wochen habe ich einen Haufen Unterlagen zugeschickt bekommen, die ich ausfüllen musste, oder die ich ausfüllen lassen musste. Und nun sitze ich vor der Verwaltungsangestellten und schaue ihr zu, wie sie auf jedes zweite Dokument, zumindest kommt es mir so vor, ein Siegel stempelt und sich das nächste vornimmt. Zwischendurch habe ich sogar die Befürchtung, dass sie einen Grund dafür findet, nein zu sagen. Schließlich kann ich es nicht mal eben ein zweites Mal ausfüllen lassen.

Doch nach einer Stunde stehe ich endlich wieder draußen auf dem Bürgersteig und kann durchatmen. Ich hasse solche Gänge. Vor allem deswegen, weil sie immer Wörter benutzen, von denen ich mir sicher bin, dass ein paar darunter sind, die sie selber nicht verstehen, nur um sich wichtig zu fühlen. Und genauso geht es mir jetzt auch. Mein Kopf schwirrt, weil sich so viele Informationen darin befinden, dass ich sie gar nicht alle auf einmal verarbeiten kann. Aber die Hauptsache ist, dass alles nun durch ist und ich mir darüber keine Sorgen mehr machen muss.

„Was machst du denn hier?“, dringt die tiefe Stimme meines Vaters zu mir hindurch. Ich drehe mich in seine Richtung und erkenne, dass er mit zwei Männern, die vielleicht nur ein paar Jahre älter sind als ich, vor einem Wagen steht und sich unterhält.

„Nachdem ich vorhin beinahe von einem deiner Kollegen über den Haufen gerannt worden wäre, habe ich meine Unterlagen beim Rathaus abgegeben und bin nun ganz offiziell eine Einwohnerin von Tarpon Springs“, erkläre ich ihm, wobei sich meine Laune wieder ein wenig hebt.

„Das ist ja super. Dir steht nichts mehr im Weg.“ Freudig schließt mein Dad mich in seine Arme.

„Wen haben wir denn da? Habt ihr Mal wieder einen Verbrecher gefangen?“, ruft einer der Polizisten. Kurz schaue ich zu ihm, bevor ich mich in die Richtung drehe, in die er sieht.

Doch was ich da sehe überrascht mich. Einige Meter von mir entfernt steht der Typ, den ich am Flughafen gesehen habe.

„Was?“, entfährt es mir. Ich bleibe neben meinem Dad stehen und schaue ihn an, als wäre er ein Alien.

„Thomas ist nicht so gut auf Kopfgeldjäger zu sprechen. Die drei machen einen harten Job und waren uns schon öfters eine große Hilfe“, erklärt mir mein Dad.

„Kopfgeldjäger?“ Verwirrt ziehe ich die Augenbrauen nach oben.

„Ja, das sind die, die …“, beginnt er mir zu erklären.

„Ich weiß, was die machen“, unterbreche ich ihn und schüttle den Kopf.

Klar, er ist breit gebaut und er ist sicherlich niemand, mit dem ich mich freiwillig anlegen würde. Genauso wie seine Freunde. Doch damit habe ich auch nicht gerechnet. Nun erkenne ich aber die Waffe, die er an seinem Gürtel trägt, und die Handschellen, die sich auf der anderen Seite befinden.

„Die Jungs arbeiten für eine riesige Firma in Miami, die überall Außenstellen hat“, fährt er fort. So wirklich höre ich ihm nicht mehr zu. Noch immer verarbeite ich, dass ich mit einem Kopfgeldjäger zusammen gestoßen bin und keine Ahnung hatte. Ich war mir immer sicher, dass man sie sofort erkennen würde. Ich meine, man sie doch schon aus der Entfernung ausmachen können.

Die letzten Minuten haben mir das Gegenteil bewiesen.

„Na, Zane“, begrüßt mein Dad ihn, als sie an uns vorbeigehen. „Wen habt ihr jetzt wieder zurückgebracht?“

„Nur zwei kleine Fische. Aber auch die müssen sich an die Regeln halten“, erwidert er und sieht mich an.

Es kommt mir so vor, als würden sich all meine Sinne nur noch auf ihn konzentrieren. Es fällt mir schwer, mich nicht zu sehr von ihm einnehmen zu lassen. Um wenigstens ein wenig Desinteresse zeigen zu können, rufe ich mir in Erinnerung, dass mein Vater neben mir steht und zwei seiner Kollegen direkt hinter mir, die uns wahrscheinlich beobachten. Und es hilft, zwar nur ein wenig, aber besser als nichts.

Mit einem schiefen Grinsen auf den Lippen, was mein Herz schneller schlagen lässt, als wäre ich erst dreizehn, geht er an mir vorbei, steigt in seinen Ford Raptor und verschwindet, während seine Kollegen mit einem dunklen Geländewagen fahren.

Er sieht so aus wie der, der vor unserem Haus stand. Ich erkenne, dass der hier viel größer ist. Und auch wenn es mich erleichtert aufatmen lässt, so hat es mir doch einen kleinen Schrecken eingejagt.

Kurz bleibe ich noch so stehen und schaue ihnen nach. Doch als ich merke, dass mein Vater sich wieder auf mich konzentriert, reiße ich mich zusammen.

„Ich werde mich jetzt auch auf den Weg machen und mir noch ein paar Autos anschauen. Vielleicht ist ja etwas dabei“, verabschiede ich mich schnell von ihm. Ich winke seinen Kollegen noch zu, bevor ich mit großen Schritten an ihm vorbeieile. So schnell wie möglich will ich von hier verschwinden.

Ich spüre den Blick meines Vaters in meinem Rücken, bis ich um die nächste Ecke gebogen bin. Und auch, wenn ich gerade eigentlich in die falsche Richtung gehe, so ist es doch besser, als ihm eine Angriffsfläche zu geben.

Es dauert ein wenig, bis ich das erste Autohaus erreicht habe. Auf den ersten Blick erkenne ich, dass hier nichts für mich zu finden ist, was ich mir leisten kann. In der Ausbildung habe ich nicht sehr viel verdient. Und das, was ich zurücklegen konnte, ging zum größten Teil für den Umzug drauf, sodass nicht viel übrig geblieben ist.

Seufzend ziehe ich mein Handy aus der Hosentasche heraus, als ich das leise Klingeln höre.

„Ich habe nachgedacht“, begrüßt mich Katie aufgeregt.

„Worüber?“, frage ich sie, obwohl ich es mir bereits denken kann.

„All das, was gestern passiert ist“, erklärt sie, während ich weiter gehe.

„Ich bin ganz Ohr“, erwidere ich, auch wenn ich eigentlich keine Lust habe, mich schon wieder darüber zu unterhalten.

„Ich gehe mal davon aus, dass du dir keinen Ärger aus Deutschland mitgebracht hast. Deswegen kann es nur einen Grund für all das geben.“

Ich warte darauf, dass sie weiter spricht, doch das macht sie nicht. Katie liebt die dramatischen Pausen. Ich hingegen hasse sie. Und in dem Fall sogar noch mehr.

„Jetzt sag schon“, fordere ich sie auf, nachdem sie auch nach mehreren Sekunden noch nichts von sich gegeben hat.

„Es kann nur sein, dass du mit jemanden in Kontakt gekommen bist.“ Ich kann das Stöhnen nicht für mich behalten, was sich einen Weg meine Kehle hinauf sucht. Außerdem verdrehe ich die Augen, wobei ich aber froh bin, dass sie das nicht merkt.

„Ich habe die ganze Fahrt über mit niemandem gesprochen und ich habe nichts in meinen Taschen gefunden, die dort nichts zu suchen haben. Sonst hätte ich es schon längst entdeckt und meinem Dad gegeben. Und nein, mein Koffer wurde auch nicht vertauscht, falls das deine nächste Frage wäre.“

Es ist ruhig in der Leitung. Vor meinem inneren Auge kann ich beinahe sehen, wie sie das Gesicht verzieht und über meine Antwort nachdenkt. Sie sucht nach einer anderen Lösung für das Problem.

„Hör zu, ich freue mich darüber, dass du eine Lösung versuchst zu finden. Aber das musst du nicht. Ich bin mir sicher, dass die Polizei schnell herausfinden wird, wer es war. Und es wurde in beiden Fällen ja nichts geklaut.“ Die letzten Worte murmle ich mehr vor mir her, als das ich sie wirklich sage.

Während ich spreche, fällt mein Blick auf einen dunklen Geländewagen, der dem, den ich vor unserem Haus und in der Stadt beobachtet habe, verdammt ähnlich sieht. Sofort bleibe ich stehen, als wären meine Füße plötzlich mit dem Boden verwachsen. Er fährt gerade um eine Ecke und ist schon bald verschwunden. Doch genauso, wie ich mir vorhin sicher war, dass es nicht der Wagen war, so bin ich mir jetzt sicher, dass er es ist.

„Harley? Bist du noch dran?“, fragt mich Katie und zieht meine Aufmerksamkeit so auf sich.

„Ja“, murmle ich.

„Bist du dir sicher? Du scheinst plötzlich ganz woanders zu sein.“

„Erinnerst du dich noch an den schwarzen Geländewagen, der am Strand war?“ Meine Stimme klingt vorsichtig, doch meine Augen beobachten noch immer die Stelle, an die der Wagen verschwunden ist.

„Ja, es ist ja erst zwei Tage her“, antwortet meine Freundin.

„Er ist wieder da.“

„Was?“ Ihre Stimme ist so schrill, dass ich mein Handy ein Stück entfernt halten muss, da ich die Befürchtung habe, dass ich sonst einen Hörschaden bekomme. „Wo bist du? Ich komme sofort.“

„Musst du nicht arbeiten?“

„Nein, heute habe ich ausnahmsweise mal einen freien Tag. Dafür habe ich die letzten drei Wochen aber auch durch gearbeitet.“

„Genieße ihn. Du brauchst nicht extra zu kommen. Ich bin mir sicher, dass ich mich nur vertan habe. Schließlich gibt es zahlreiche Autos in der Stadt. Sie ist zwar nicht riesig, aber dennoch groß genug, damit hier mehr als zwei Autos herumfahren, die sich ähneln.“

„Du spielst die Detektivin und ich soll meine Auszeit genießen. Dir ist schon klar, dass das nicht sehr fair ist, oder?“

„Ich spiele nicht.“ Ich versuche meinen Einwand so laut und sicher wie möglich von mir zu geben. Aber sogar ich merke, dass das nicht klappt. Katie und ich haben uns in den letzten Jahren nicht sehr oft gesehen. Doch wir haben uns jeden Tag geschrieben und regelmäßig miteinander telefoniert. Deswegen bin ich mir sicher, dass sie durchaus merkt, dass ich mit meinen Gedanken eigentlich ganz woanders bin.

„Der Vater ist ein Cop und sie will mir wirklich vormachen, dass sie nicht spielt. Schick mir eine Nachricht und wir treffen uns da.“ Kaum hat sie ausgesprochen, legt sie auf. An dem Ton ihrer Stimme kann ich erkennen, dass es auch gar nichts bringen würde, wenn ich ein Argument dagegen vorbringe.

Deswegen schicke ich ihr meinen Standort, auch wenn ich mir sicher bin, dass es nichts bringen wird.

Dennoch muss ich zugeben, dass die letzten Sekunden wieder den Gedanken in mir heraufbeschworen haben, dass etwas nicht stimmt. Mein Verstand sagt mir, dass ich es nicht vor meinem Dad verheimlichen sollte. Aber ich will nicht, dass er sich Sorgen macht, wo wahrscheinlich nicht einmal ein Grund ist. Deswegen schiebe ich die Möglichkeit entschieden zur Seite.

Und sollte es doch so sein, kann ich es immer noch machen.

Love and Crime

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