Читать книгу Sieben Geschichten vom Weißen Drachen - Hartmut W. Quast - Страница 6
Der Drache
ОглавлениеEs war schon eine Plage mit dem alten Drachen in der Höhle hoch oben auf dem Berg!
Die Bewohner des kleinen Dorfes im Murmeltal konnten da einiges erzählen.
Heute war es aber besonders schlimm.
Schrecklicher Krach, Rumoren, Stöhnen und gelegentlich aufsteigende, grauschwarze Rauchwolken, mit einem leichten violetten Schimmer, drangen aus der Drachenhöhle bis zu den Dorfbewohnern, die des nachts mit Pfropfen in den Ohren, die Köpfe unterm Kissen, vergeblich einzuschlafen versuchten.Der Drache war verliebt - aber das wusste ja keiner.
Er war zwar in den Gefühlsstürmen der Liebe nicht unerfahren, aber sein neues Liebesabenteuer mit dieser hübschen Dörflerin brachte in völlig aus dem Häuschen. Außerdem war ihm verheißen worden, dass die Liebe zu einer Menschenfrau sein Leben schicksalhaft wenden, geheimnisvolle Kräfte in ihm wecken und ihn zu einem wahren Zauberwesen verändern würde.
War das für einen nach Ruhe und Beschaulichkeit suchenden Drachen nicht Grund genug, sich aufzuregen?
Im schönen Buchenland, wo Wunderbares noch einen Platz hatte, lag das kleine Dorf Buchenhausen am Murmelbach, der seinen Lauf von halber Höhe des gewaltigen Drachenbergs durch eine enge, dunkle Schlucht zum sich lieblich nach Süden weit öffnenden Murmeltal nahm.
Zu beiden Seiten wurde es durch sanft ansteigende und mit uraltem Buchenwald bedeckte Höhenzüge begrenzt. Das Tal weiter unten hatte der dort schon recht breite und immer viel Wasser führende Murmelbach mit einigen kleinen Nebenflüsschen zu einer lieblichen Auenlandschaft gestaltet, mit Teichen, Sumpfgebieten und zum Dorf hin herrlichen Wiesen.
Am Fuße des die ganze Umgebung überragenden Drachenberges war es hügelig, mit einem lockeren, breiten Saum aus Buschwerk, Hecken und vereinzelten, frei stehenden, meistens sehr alten und knorrigen Bäumen.
Das Dorf war zu beiden Seiten des Wasserlaufs gebaut, und weil der Murmelbach hier schon fast die Breite eines Flusses hatte, waren einige große Brücken aus Holz oder Stein für den Dorfverkehr nötig.
Buchenhausen war umgeben von den Wiesen und nur eine kleine, staubige Landstraße in Richtung Süden führte aus dem sich immer mehr weitenden Tal.
Der nächste größere Ort, drei Tagesreisen entfernt, war die Stadt Sonnenburg am Klaren See, dort mündete der Murmelfluss, wie er nun genannt wurde, in das fast binnenmeergroße Gewässer, um es mit seinem klaren Gebirgswasser zu speisen.
Sonst gab es nur noch zwei andere Dörfer weit und breit; der nächstgelegene Ort war Kieselbach, eine Tagesreise weiter südlich. Hier traf die staubige Dorfstraße auf den alten mit Pflaster befestigten Handelsweg, der hier aus Südosten kommend nach Westen abbog. Moosdorf lag eine weitere Tagesreise in Richtung Sonnenburg an dieser wichtigen Verkehrsverbindung zu den weit entfernten, großen Städten im Süden.
In Buchenhausen lebten ungefähr 98 Menschen, 72 Pferde, 184 Kühe, 453 Schafe, 266 Schweine, 491 Hühner, die Hähne mitgezählt, 127 Gänse, etwa ebenso viele Enten, 73 Katzen, 59 Hunde und jede Menge Tauben, Fasanen und Vögel in Volieren. Das hört sich nach einem schrecklichen Gewimmel an, das war es aber gar nicht, es verteilte sich ganz gut. Fast hätte ich es vergessen: da gab es auch noch eine kleine Ziegenherde mit 13 Ziegen.
Das Dorf bestand aus einem kleinen Kern, an den genau 24 Bauerhöfe, große und kleinere, angrenzten, die mit dem Dorf und untereinander mit schön angelegten, breiten und mit Bäumen alleenartig eingefassten Wegen verbunden waren. Die Wege führten dann weiter hinaus in die Felder, zu den Weiden und auch zu ein paar Scheunen oder Schuppen, die in einigem Abstand zum Dorf als Ausweichlager oder als Unterstände für Mensch und Tier vor schwerem Wetter gebaut waren.
Keiner im Dorf litt Mangel, die Landwirtschaft gab gute Ernten her, der Boden war fruchtbar und das Klima günstig. Auf einen harten Winter, der ziemlich regelmäßig Ende November einsetzte und viel Schnee und klare, kalte Frostperioden mit Eis und klirrender Kälte brachte, folgte im März ein rasches Tauwetter, ein milder Frühling und ein langer heißer Sommer mit Gewittern von Juni bis Mitte September. Der Herbst kam mit warmen Regenschauern und, zum Oktober hin, mit immer häufigeren, teilweise undurchdringlichen Nebeln, welche die Niederungen mit dichten, weißen Schleiern verhüllten.
Dann war es recht geisterhaft im Murmeltal, es war still und nur das Murmeln des munteren Bachs drang an das Ohr eines einsamen Wanderers, der gut daran tat, wenn er rasch im Dorf Zuflucht suchte, sobald die Nebel dichter wurden.
Die Dörfler erzählten sich von dem einen oder anderen, der sich im Nebel verirrt hatte und nie mehr gesehen wurde.
Oder sollte das mit dem Drachen zu tun haben?
Ja richtig, dem Drachen, von dem der Berg seinen Namen hatte. Der Berg hieß nicht nur einfach so "Drachenberg", da gab es wirklich einen.
Einen seltsamen Drachen!
So richtig von der Nähe gesehen hatte ihn eigentlich noch niemand; das wäre bei Drachen ja auch so eine Sache. Aber zuweilen fegte er am Himmel herum.
Er war schrecklich groß, hatte weite, gezackte Flügel, zwei mit Krallen besetzte Pranken, einen riesig langen Schwanz und auch einen recht langen, schlanken Hals. Vom Hinterkopf bis zur Schwanzspitze ragte ein gezackter Kamm aus dem Schuppenpanzer; das schrecklichste aber war sein riesiges Maul mit langen, spitzen Zähnen, aus dem er Feuer speien konnte.
Und er hatte riesengroße Nüstern, aus denen jede Menge Rauch kam und glühende Augen, deren Farbe je nach Stimmung wechselte.
Einige behaupteten sogar, der Drache könnte vollständig die Farbe wechseln, aber das war sicher übertrieben, er war auch ohne dies schrecklich genug anzusehen.
Jeder, der auf einer Wanderung die Nähe des Drachenberges nicht vermeiden konnte, und eine - zwar meistens nur sehr kurze Begegnung - mit dem Drachen hatte, kriegte einen gehörigen Schreck, wenn dieses Fabelwesen plötzlich über ihm mit Getöse, Feuer und Rauch speiend, Kapriolen am Himmel drehte, oder wenn er sich ihm plötzlich hinter einer Wegbiegung unmittelbar gegenüber sah.
Das merkwürdige war, dass der Drache tatsächlich noch keinem etwas getan hatte, meistens nur neugierig und dann angenervt geglotzt hatte. Die verschreckten Wanderer hatten ohnehin blitzartig den Rückzug angetreten und im Dorf die neusten Schauergeschichten vom Drachen erzählt.
Da das Dorf Buchenhausen einige gute Stunden vom Fuß des Drachenberges entfernt lag und noch keine Dorfbewohner durch den Drachen zu Schaden gekommen waren, hatte man sich auch nach und nach an ihn gewöhnt und lebte seit Menschengedenken in seiner Nachbarschaft.
Und er ließ das Dorf unbehelligt.
Bis auf den Krach, den der Kerl machte, und der war manchmal schon schlimm!
Die Dorfbewohner waren zwar neugierig, was da vor sich ging, aber natürlich traute sich keiner nachzusehen. Wenn der Drache in der Höhle war, drangen zumeist nur dröhnendes Schnarchen oder grummelnde, schmatzende und pfeifende Geräusche aus dem Höhleneingang.
Das war im Dorf kaum zu hören.
Manchmal schien ihn aber irgendetwas maßlos aufzuregen, dann war ein Donnern und Röhren, das sich fast wie Fluchen anhörte, bis in die fernsten Winkel des Tals zu vernehmen. Es gipfelte meistens darin, dass der Drache schließlich mit Getöse derart aus dem Höhleneingang herausraste, dass sich in der Umgebung Büsche und Bäume bogen und er in einer gewaltigen Staubwolke in den Himmel aufstieg, wo er wild umher schoss, Loopings drehte, Feuer spie und herum grölte, was von schwarzen Rauchwolken aus seinen Nüstern begleitet wurde. Das passierte nicht oft, dauerte dann aber meistens endlose Stunden. Irgendwann hatte sich der Drache aber immer wieder abreagiert und kehrte in seine Höhle zurück. Gott sei Dank war er noch nie auf die Idee gekommen, seine Wut an den Buchenhausenern auszulassen. Wenn er bei einem Ausbruch einen Sturzflug einlegte und dabei Feuer spuckte, konnte schon mal der Wald anbrennen. Zuletzt - vor etwa zwanzig Jahren - hatte er bei einem außergewöhnlichen Wutanfall einmal die halbe Bergflanke abgefackelt und der riesige, schwarze Brandfleck hatte lange der Landschaft ein bedrohliches und düsteres Bild gegeben.
Also, einen solchen Drachen fast vor der Haustüre zu haben, ist jedenfalls nicht unbedingt das, was man sich wünschen würde.
Zu anfangs habe ich von den Bewohnern und den Tieren in Buchenhausen erzählt; aber die beinahe vergessene Ziegenherde und besonders ihre hübsche, junge Hirtin spielen in unserer Geschichte eine ganz besondere Rolle.
Anette, so hieß sie, war blond, blauäugig, groß und schlank, kurz eine wunderschöne, sonnige Frau. Sie hütete den ganzen Tag - solange es das Wetter und die Jahreszeiten zuließen - ihre kleine Ziegenherde im Tal und an den Hängen der Berge, denn da fanden die Ziegen die besten Kräuter für ihre würzige Milch. Anette war gern allein mit ihren Tieren, streifte durch die Natur und lag auch oft im Gras mit dem Blick in den Himmel gerichtet. Am Morgen, nicht gar so früh, denn sie schlief gerne etwas länger, ging sie mit ihren Ziegen los, einen kleinen Proviant im Lederbeutel; die Ziegen warteten geduldig auf ihre Herrin und rieben zärtlich ihre Hälse an ihrer Hüfte und ihren Beinen, wenn sie dann zusammen loszogen. Aus dem Dorf hinaus, meistens Richtung Norden auf den Drachenberg zu, denn dieser Berg hatte es ihr irgendwie angetan.
Er hatte auch eine außergewöhnliche Form, wie ein seitlich verschobener Kegel mit einer schrägen Felsspitze, unter der, von weitem sichtbar, der Eingang der Drachenhöhle wie ein dunkler ovaler Schatten knapp oberhalb der Baumgrenze lag. Um ihn herum waren die Felsen rußgeschwärzt vom Feuer des Drachen. Der Berg wirkte unheimlich aber auf sie auch seltsamerweise sehr anziehend.
Anette kannte einige herrliche Bergwiesen an seiner westlichen Flanke; besonders eine bestimmte mochte sie sehr. Dort saß sie oft unter einer riesigen Buche zwischen deren großen, dicken Wurzeln im weichen Waldgras, welches dort dicht wuchs und beobachtete ihre Ziegen. Dann ließ sie ihren Blick aus der Höhe über die stark abfallende Almwiese, über die Baumspitzen an ihrem unteren Rand ins Tal schweifen und träumte, fühlte sich frei und glücklich.
Sie lebte in einer Hütte, fast am Rand von Buchenhausen, mit einem Schäfer zusammen, der zwar 12 Jahre älter als sie war, aber in den sie sich vor einigen Jahren sehr verliebt hatte. Sie hatten jedoch letztlich nicht wirklich zusammen gefunden, vor allem war Anettes Kinderwunsch bisher unerfüllt geblieben und das hatte ihre Gefühle abkühlen lassen. So ging sie seit einiger Zeit ihrer eigenen Wege, kehrte jedoch abends meistens zu ihm in seine Hütte zurück, bereitete ihm das Abendessen und war ihm zumindest eine treue Gefährtin.
Aber ihre Wünsche nach Zärtlichkeit richteten sich immer weniger auf ihn.
Ihre ausgedehnten Wanderungen tagsüber brachten ihr Raum für eigene Gedanken und Träume. Ja, sie träumte, obwohl sie nicht genau wusste, wovon. Sie ging gedankenverloren hinter ihren Ziegen her, die kleine, helle Glöckchen an Lederhalsbändern trugen, und das Geläut war eine schöne Begleitmusik ihrer Wege. Dann saß sie manchmal stundenlang in einer Wiese oder unter einem Baum, lehnte sich zurück und ließ sich von der Sonne bescheinen.
Als sie so eines schönen Tages im Herbst auf ihrer Lieblingsalm saß und die Färbung des in der Nachmittagssonne golden leuchtenden Laubs betrachtete, hörte sie merkwürdige Geräusche, ein Rascheln, Schleifen und Tapsen, manchmal von Schnaufen begleitet.
Plötzlich tauchte, keine zehn Schritte entfernt, ein seltsam aussehender, bizarrer Kopf hinter einem hohen Haselstrauch auf; neugierige Augen richteten sich auf Anette. Die war vor Schreck, oder eher Überraschung, erst mal reglos und schaute gebannt in diese Augen.
Die waren groß, etwas wild aber auch zugleich sanft, dunkel und geheimnisvoll leuchtend. Das Gesicht darum herum war, ja - , das war eindeutig ein Drachengesicht.
Jetzt erschrak Anette wirklich und sah sich schon als Abendessen des Drachen, dass er sie nach kurzem, verzweifeltem Fluchtversuch mit seinen Klauen gepackt und in wildem Flug durch die Luft in seine Höhle verschleppt hätte.
Aber der Drache blickte sie nur neugierig an, öffnete ein wenig sein Maul, sodass seine lange, gespaltene und purpurrote Zunge ein Stück heraus fiel. Das sah sehr lustig aus, als ob er grinsen würde und Anette lachte ihr helles, fröhliches Lachen.
Nun konnte das Monstrum nicht mehr an sich halten, es musste näher kommen und dieses hübsche Ding, das so nette Geräusche von sich gab, genau betrachten, es beschnuppern.
Anette rutschte das Herz wieder in die Hosen, als der Drache jetzt nur noch einen Schritt vor ihr stand, aber zugleich bemerkte sie auf einmal ganz verwundert, dass er viel kleiner war, als das immer erzählt wurde. Vielleicht wie ein großer Ochse, mit langem Hals und Schwanz und Flügeln natürlich. Sein Panzer sah irgendwie ganz weich, aber auf jeden Fall toll aus. Schillerte in allen Farben und bestand aus dicken, talergroßen Hornschuppen, die fast den ganzen oberen Körper bedeckten. Beim Laufen raschelten sie leise, endeten aber etwas unterhalb des Halses. Brust und Bauch hatten eine zwar sehr dicke, aber dennoch weiche, hellolivgrüne Haut; hier war die bekannte schwache Stelle dieses urtümlichen Wesens.
Das Gesicht des Drachen war auch gar nicht so schrecklich.
Bei genauem Hinsehen wirkte es sogar freundlich, fast lustig. Und die Augen blinzelten neugierig in die von Anette, seine Nase sog ihren weiblichen Duft schnuppernd ein und ein langes "Mmmhhhmmm" entfuhr ihm.
Ein Drache, der Parfüm mochte ! Er verdrehte den Kopf, verrenkte den Hals, um Anette von allen Seiten genau zu betrachten und hörte gar nicht mehr auf zu schnuppern und "Mhhmm" zu machen. So ein verrücktes Vieh, dachte Anette und hatte überhaupt keine Angst mehr; sie wusste instinktiv, dass er ihr nichts tun würde.
Vorsichtig hob sie die rechte Hand, streckte sie aus und berührte leicht die Nase des Drachen. Der zuckte erst einmal ein wenig zurück, kam dann aber wieder rasch näher und war offenbar ganz heiß darauf, von Anette die Nase wie ein Pferd gestreichelt zu bekommen. So etwas hatte er ja schon ewige Zeiten nicht mehr erlebt. War das schön!
Er ließ sich vor Anette im Gras in der Sonne nieder, ringelte seinen Schwanz um sie herum und abwechselnd schnurrte er wie eine Katze oder grunzte wie ein Ferkel, bis sie ihm weiter erst die Nase und dann die Wangen tätschelte, ihn schließlich hinter seinen spitzen, fransigen Ohren kraulte.
Da schnaufte er genüsslich auf - fast hätte er vor Freude ein bisschen Feuer gespuckt - und ließ wie ein Hündchen seinen Kopf in Anettes Schoß sinken, die es sich inzwischen wieder im Gras gemütlich gemacht hatte. Aus seinen Nüstern rauchte es ein bisschen und der Rauch war fast rosa, roch nur etwas verbrannt.
Das ging eine ganze Weile, bis der jungen Frau bewusst wurde, dass sie hier mit einem wirklichen Drachen wie mit einem Haustier herumschmuste.
Dem Drachen gefiel es offensichtlich, der hätte sich am liebsten auf den Rücken gewälzt und sich den Bauch streicheln lassen.
"Du bist ja ein ganz Lieber!" sagte Anette zu ihm. Wie erstaunte sie jedoch, als er ihr antwortete:
"Aber ziemlich einsam!" Der Drache war selbst verwundert, dass er sprach, er konnte sich kaum erinnern, wann er das letzte Mal gesprochen hatte. Das lag aber vor allem daran, dass er über hundert Jahre alleine in seiner Höhle auf dem Berg gewesen war und keine Gesellschaft eines anderen Drachen oder gar Menschen gehabt hätte.
Und, dass er ein schlechtes Gedächtnis hatte. Sonst hätte er sich erinnert, dass er gelegentlich übel in seiner Höhle herumfluchte, wenn er schlechte Laune hatte. Das aber zählte für ihn nicht zum "Sprechen".
Anette schüttelte den Kopf und wunderte sich nicht schlecht über das zutrauliche Ungeheuer. "Also so etwas, das glaubt mir keiner, wenn ich es erzähle," sagte sie und der Drache erwiderte gleich mit seiner dunklen, aber wohlklingenden Stimme " Bitte erzähle es niemandem, und ganz besonders: erzähle nicht, dass ich Dich nicht fressen wollte und Dir gar nichts getan habe. Dann hat nämlich keiner mehr Angst vor mir und es geht mir vielleicht an den Kragen. Drachen sind nämlich begehrte Jagdtrophäen, beispielsweise von dummstarken Helden, die sich als tapfere Ritter aufspielen wollen."
"Keine Angst, ich verrate Dich schon nicht. Auch nicht, dass Du gar nicht so groß und gefährlich bist."
"Au weia, das hast Du auch schon bemerkt". Der Drache blickte sie ganz verzweifelt an.
"Ob ich Dir vertrauen kann?" Anette hätte am liebsten laut gelacht. Sie saß mit dem Schrecken der ganzen Gegend mutterseelenallein auf einer verlassenen Alm und das "Untier" fühlte sich von ihr bedroht!
Ihr wurde ganz merkwürdig zumute. Eine Mischung von Mitleid und Zuneigung erfüllte sie.
Der Drache war ein netter, harmloser Kerl, der sie mochte. Sie entspannte sich und fing wieder an, den Drachen zu kraulen. "Lieber Drache, Du brauchst keine Angst vor mir zu haben", sagte sie schmunzelnd und der Drache seufzte sichtlich erleichtert auf und streckte sich zu ihren Füßen aus, den Kopf jetzt noch tiefer in ihren Schoß gedrückt, um sie zum Weiterstreicheln zu ermuntern. Der Drache fühlte sich gut an, glatt, weich und gar nicht kalt. Seine klugen, dunklen Augen blickten ständig in Anettes Gesicht und nun sah sie, wie sich ihre Farbe tatsächlich veränderte - von anfangs einem Smaragdgrün über Violett nun zu einem tiefen, warmen, dunklen Blau, ähnlich ihrer Augenfarbe. Er seufzte wieder.
"Ach, tut das gut. Am liebsten würde ich hier in Deinem Schoß ein Schläfchen halten."
Das hätte er wirklich sehr gern getan.
So saßen sie eine ganze Weile und Anette hörte nicht auf, die putzigen, pinseligen Ohren des Drachens zu kraulen; er hatte die Augen in träumerischem Genießen halb geschlossen, grunzte leise und zufrieden vor sich hin.
"Hast Du einen Namen?" wollte sie wissen; "Meiner ist Anette."
Der Drache überlegte. Hatte er einen Namen? Es kam ihm so vor, als würde ganz tief in seiner Erinnerung jemand nach ihm rufen. "Gullie…äh, Willi!" rief er plötzlich, sein Kopf fuhr vor innerer Aufregung ruckartig etwas hoch und winzige, violette Flammen züngelten in seinen Nüstern. Er hatte sich gerade noch beherrschen können, keinen mächtigen Feuerstoß von sich zu geben, sonst wäre Anette jetzt ein gares Grillwürstchen gewesen.
"Ja, Willi heiße ich. Willi und Anette, - klingt prima!", sagte er mehr zu sich selbst und ließ seine Worte genüsslich durch sein großes Maul rollen. Seine Zunge hing dabei wieder ein wenig seitlich heraus und ließ ihn unheimlich lustig aussehen. Er nahm seinen Kopf etwas zurück, sah sie freundlich und ganz fest an und fragte: "Wollen wir Freunde sein?“
Anette verschlug es erst einmal die Sprache.
Ein Drache wollte ihr Freund sein.
Mit dem Wort Freund ging sie sehr sorgfältig um. Nicht jeden, den sie kannte und mit dem sie gelegentlich ein paar freundliche Worte wechselte, nannte sie gleich ihren Freund. Nein, dazu gehörte mehr. Sich auf einander verlassen können, sich vertrauen, einander mögen und verstehen, sich nie zu belügen, das gehörte für sie unbedingt zu einer wirklichen Freundschaft. Und dazu musste man sich erst einmal richtig kennen. So dachte Anette und nickte einmal kräftig.
Der Drache schaute sie empört an, als sie mit ihrer Antwort etwas zögerte.
"Vertraust Du mir etwa nicht? Ich hätte Dich doch längst fressen können. Und Dich darauf verlassen, dass ich’s nicht doch noch tue, kannst Du auch. Ich bin nämlich fast immer „Vegetarier" grummelte er etwas beleidigt.
" Und Du magst mich auch, sonst würdest Du mir nicht so schön meine Öhrlein kraulen und verstehen tust Du mich auch, sonst wärst Du schon weggegangen und als Letztes: warum sollten wir uns belügen? Also kann ich Dein Freund sein."
Anette war überwältigt von dieser Logik aber ein merkwürdiges Gefühl beschlich sie, als sie sich klar wurde, dass der Drache auf ihre unausgesprochenen Gedanken geantwortet hatte!
"Kannst Du Gedanken lesen?" fragte sie ihn unsicher.
Er blickte sie ganz listig an. "Was meinst Du mit „Gedanken lesen“?
Ich habe Dir nur ganz normal geantwortet!"
Anscheinend wusste der Drache gar nichts mehr von seinen besonderen Fähigkeiten, hatte sie vergessen, verdrängt. Er war, solange er zurück denken mochte, alleine gewesen. Es war für ihn selbst schon fast eine Überraschung gewesen, dass er sprechen konnte. Und dass er sich an seinen Namen erinnert hatte.
Als Anette klar wurde, dass der Drache bisher gar niemanden zum Reden gehabt hatte, war sie ganz gerührt. Nun tat er ihr ein bisschen leid, aber eigentlich fing sie an, ihn lieb zu gewinnen, so wie er da vor ihr lag, sie so vertrauensvoll mit richtigen Kinderaugen anschaute und zutraulich wie ein Schoßhund ihr Streicheln und Kraulen genoss. Und er war offenbar einsam, - so wie sie.
Na ja, nicht ganz.
Ihr Gefährte Robert wartete immer auf sie und eigentlich fühlte sie sich in seiner Hütte und in seinem Arm ganz geborgen. Obwohl es ihr in Wahrheit nichts mehr bedeutete.
Deshalb suchte sie die Einsamkeit des Berges, verschloss sich vor anderen Menschen ohne ihnen aber vollkommen aus dem Weg zu gehen; es war wie eine Art Trauer, die sie mit sich herumtrug. Und eine unbewusste, unbestimmte Sehnsucht, die sie mit dem Blick in die Ferne, ins weite Tal hinein zu stillen suchte.
"Gut, ich will Deine Freundin sein", sprach sie ein wenig feierlich, so wie bei einem Versprechen.
Der Drache schmiegte seine linke Wange an ihre Taille und schielte nach oben in ihre großen Augen. Er war glücklich. Er hatte eine wunderschöne, junge Frau als Freundin gewonnen.
In seinen alten Drachenbüchern hatte er über Vorfahren gelesen, die auch mit schönen, jungen Frauen zu tun gehabt hatten, sogar mit Prinzessinnen, aber die hatten sie meistens nur aufgefressen, in Mengen.
Das konnte er gar nicht verstehen. Zum einen, weil er ja sowieso meistens Vegetarier war und zum anderen: So etwas Schönes wie eine junge Frau frisst man nicht!
Nun würde er nie mehr einsam sein, dachte er verträumt, als seine Gedanken wieder zu seiner neuen Freundin zurückfanden.
"Wie alt bist Du denn?" fragte Anette ganz unvermittelt.
Was die so alles wissen will, überlegte der Drache.
Die Frage hatte ihn ganz schön in Verlegenheit gebracht. Die Beschäftigung mit Vergangenem erzeugte jedes Mal eine ihm unerklärliche innere Glut; so kräuselten sich nun kleine orangefarbene Wölkchen und gelegentlich auch Rauchringe aus seinen daumenbreiten Nüstern, während er versuchte, seine Lebensjahre zusammen zu zählen. Wo sollte er da am besten anfangen?
Er erinnerte sich nur sehr dunkel an die Zeit, als er ein noch kleiner Drache war, mit seinen 12 schwarzen Geschwistern spielte, die ihn dauernd ärgerten, weil es ihm von dem Ziegenfleisch, mit dem sie von ihren Eltern versorgt wurden, immer schlecht wurde.
"Der Willi kotzt mal wieder", hieß es oft, wenn er von den Dracheneltern in der Runde des gierig schmausenden Nachwuchses vermisst wurde. Am liebsten ernährte er sich vegetarisch. So gab es auch jedes Mal riesigen Ärger, wenn Vater Hervín mit dem Drachennachwuchs übte, die Mahlzeit selbst zu töten; Willi stahl sich derweil davon, um die ärmlichen Felder der Bauern zu plündern.
Außerdem taten ihm die Ziegen leid.
Das sei eines Drachens nicht würdig, hatte der strenge Vater immer wieder gesagt. Aber wie lange war das her?
Die Lebensabschnitte bei Drachen dehnen sich wesentlich länger als bei Menschen!
Er erinnerte sich, dass eine alte Drachentante einmal zu ihm gesagt hatte, er sei jetzt mit seinen 250 Jahren erwachsen und könne langsam anfangen, darüber nachzudenken, sich eine eigene Höhle zu suchen.
Bis dahin war er - als letzter seiner Geschwister - immer in der Höhle der Alten gewesen.
Die hatten es mit ihm schon aufgegeben.
Er war einfach anders als die anderen; seine Essgewohnheiten waren nur ein Beispiel. Sein ganzes Verhalten und vor allem die fast weiße Haut ließen keinen Zweifel daran, dass er "anders" war.
Hervín schüttelte immer wieder verzweifelt sein mächtiges Haupt über seinen "Betriebsunfall", wie er Willi manchmal nannte. Ein richtiger Schwarzer Drache wie er selbst würde Willi wohl nie werden und es war sogar zu erwarten, dass er seinen Vorfahren nach geraten könnte.
Die Eltern wussten noch, dass sie als „Weiße Drachen“ einstmals große, magische Kräfte besessen hatten, und dieser Gedanke bereitete ihnen keine geringe Sorge.
Willi interessierte sich inzwischen jedoch viel mehr für die Schmetterlinge in einer Wiese, die lustigen Käfer und die schönen, duftenden Blumen, als für irgendwelche langweiligen Ziegen. Er selbst ahnte indessen nicht im Geringsten, was alles in ihm stecken könnte.
Zunächst nur mit Widerwillen erlernte er die Kunst des Feuerspeiens, als er es dann aber konnte, machte er - aus der Sicht seiner Dracheneltern - nur Blödsinn mit dieser Gabe.
Er suchte die Nähe von Menschen, und anstatt sie gehörig zu erschrecken, versuchte er, mit ihnen zu plaudern und zündete ihnen mit seinem Feuerstoß schon mal das Lagerfeuer an.
Ähnlich war’s dann auch mit dem Fliegen.
Willi wollte erst einmal zum Verplatzen nicht fliegen lernen, er hatte einfach unheimliche Angst, keinen Boden unter den Pranken zu haben und schwindelig zu werden.
Während seine Geschwister schon jahrelang den Himmel unsicher machten, saß er immer noch zitternd auf der Felsnase, von der aus er starten sollte. Jeden Tag aufs Neue redeten die Eltern auf ihn ein wie auf einen kranken Gaul, schimpften, bettelten, drohten, es half alles nichts.
Erst als er wieder einmal auf dem Campo Schmetterlingen nachjagte und er dabei auf ein paar Menschenkinder traf, deren Papierdrachen sich hoch in einer Palme verfangen hatte, reckte er plötzlich seine Flügel, schwebte vorsichtig erst ein wenig auf der Stelle und stieg dann mit einem Jauchzer des Triumphs hoch in die Luft. Schnell hatte er begriffen, wie das mit dem Fliegen funktionierte, flatterte zu der Palme und pflückte seinen Papierkollegen ganz vorsichtig aus den Wedeln.
Dass ihm dies gelungen war, freute ihn aber derart, dass er aus Versehen ein klein wenig Feuer spuckte, was dem Spielzeugdrachen gar nicht gut bekam. Aber die Kinder waren sowieso schon längst vor Schreck ausgerissen und er saß ganz enttäuscht, die noch glimmenden Reste im Maul, allein im verdorrten Gras.
Nun konnte er fliegen und die Eltern wünschten bald, er hätte es nie gelernt.
Wieder machte er nur dummes Zeug.
Wenn seine Geschwister "Verstecken" spielen wollten, oder für einen "Überfall" auf der Lauer lagen, kam Willi im Sturzflug herangerauscht, kreiste über den so enttarnten Geschwistern und kicherte oder rülpste so lange, bis deren Spiel geplatzt war.
Seine Geschwister hassten ihn dafür!
Oder wenn die Alten einmal ihre Ruhe haben wollten und sich vor ihrer Höhle in der Sonne ausstreckten, kam der übermütige Jungdrache mit einem Maul voll Meerwasser - gut und gern die Menge eins großen Eimers - und spukte es über ihnen aus, sodass es wie ein Platzregen auf sie niederprasselte.
Und dies, obwohl "normale" Drachen Wasser doch so hassen!
Hundertmal hatten ihm die Eltern erklärt, dass Feuer und Wasser Gegensätze wären. Drachen seien Feuerwesen und sollten - außer beim vorsichtigen Trinken - mit Wasser möglichst nicht in Berührung kommen; Willi war aber nicht umzustimmen.
Als einziger Drache badete er sogar manchmal und Schwimmen machte ihm riesigen Spaß!
Einmal hätte er beinahe sogar sein inneres Feuer vollkommen ausgelöscht, als er sich aus ein paar Metern Höhe in Strandnähe ins Wasser plumpsen ließ, um andere Drachen, die am Strand im warmen Sand lagen und sich sonnten, eine gehörige Dusche zu verpassen.
Es hatte wirklich toll gespritzt, so sehr, dass die meisten hinterher für Stunden keine einzige Flamme mehr zustande brachten und Willi selbst ertrank fast bei diesem Streich. Vom Aufprall und tiefen Eintauchen ins Wasser ganz benommen, hatte er Unmengen Meerwasser schlucken müssen. Er dampfte lange wie eine Lokomotive und es dauerte Tage, bis er wieder die ersten Flammen erzeugen konnte.
Danach hatte er es dann aber doch eingesehen, mit Wasser etwas behutsamer umzugehen und achtete auch fortan sorgsam auf seine innere Drachenglut, denn Feuerspeien war schon eine tolle Sache, auf die er nicht verzichten wollte.
Aber er blieb ein Außenseiter und wurde es noch mehr, als Willi völlig unbeabsichtigt bei seinen Possen Mittel einsetzte, die den anderen zeigten, dass er im Unterschied zu ihnen mit magischen Fähigkeiten begabt war, welche allmählich erwachten. So konnte er zum Beispiel plötzlich die Gedanken der anderen Lesen, was allen höchst lästig war. Vor Willi konnte nichts mehr verborgen bleiben.
Mit all dem kam er selbst aber immer weniger zurecht, damit wollte er eigentlich gar nichts zu tun haben, es ängstigte ihn sogar ein wenig.
Er wehrte sich gegen dieses Erwachen dieser ihm unheimlichen Kräfte, ebenso wie gegen das "Erwachsenwerden“.
Irgendwann war er dann einem plötzlichen Impuls folgend von zuhause fort geflogen.
Ihm war klar geworden, dass er seine eigenen Wege gehen musste. Er war anders als die anderen Drachen und ging denen mit seiner Andersartigkeit nur auf die Nerven ging, wurde von ihnen schon fast gehasst.
Traurig war er geworden, alleine hatte er sich gefühlt.
Nach Norden, über das weite Meer war er geflogen, dorthin, woher die Drachen nach den Erzählungen der Eltern einstmals gekommen waren.
Mehr als zweihundert Jahre zog er ziellos durch die Welt und die Erinnerung an seine Familie, seine Herkunft und vieles andere verblasste nach und nach. Willi lernte fremde Länder und interessante Menschen kennen, aber erlebte er in diesen langen Jahren auch einige riskante Abenteuer.
Bei seinem gefährlichsten ging es ihm fast an den Kragen und nur Lilianas heimliches Eingreifen hatte Schlimmstes verhindert. Im fernen Osten hatte ihm ein mächtiger Dämon aufgelauert, dessen Existenz fast schon in Vergessenheit geraten war.
Die Feenkönigin war über dessen Auftauchen zutiefst beunruhigt, und erkannte, dass es nun an der Zeit war, den „Weißen Drachen“ zu sich zu rufen!
Willi war kurz darauf einer drängenden, inneren Stimme gefolgt, welche ihn direkt zu Liliana geführt hatte. Die Königin der Lichtwesen war während all der Jahre jedem seiner Schritte gefolgt; ihre seherischen Gaben ermöglichten dies selbst aus größter Entfernung.
Der Drache wurde in die dichten Wälder des Buchenlandes gerufen, zu einem kleinen Haus auf einem Hügel in der Mitte einer Lichtung.
Er war sehr überrascht, als er dort unvermittelt der Fee gegenüber stand.
Liliana wirkte zunächst eher unscheinbar, sie hatte die Gestalt einer sehr zierlichen und nur wenig mehr als fünf Fuß großen Frau. Erst in ihrer Nähe verbreitete sich der Zauber ihrer wie zwei Sterne leuchtenden, dunkelblauen Augen. Schwarzes, glänzendes Haar umfloss ihr gütiges, freundliches Gesicht und eine fluoreszierende Aura umgab ihre ganze Gestalt.
Sie schöpfte ihre große Macht allein aus dem Ewigen Licht, nutze sie jedoch niemals, um einen Gegner zu verletzen oder gar zu töten. Vielmehr konnte sie für andere Lichtwesen Schutzschilde erzeugen und ihnen besondere Kräfte verleihen, wenn schwierige Aufgaben solches erforderte.
Liliana offenbarte dem Drachen nicht sogleich die ganze Wahrheit über seine wirkliche Herkunft, seine Begabungen und über sie selbst. Auch die ihm zugedachte Rolle und Aufgabe verschwieg sie ihm zunächst; nur ganz allmählich öffnete sie ihm dafür die Augen.
Sie wurde seine geduldige Lehrmeisterin, weihte ihn in die Geheimnisse der Magie ein und vermittelte ihm das uralte Wissen über die Macht des Lichts. Dabei verstand sie es, ihm alles, was er lernen musste, wie im Spiel zu vermitteln.
Er fand großen Spaß daran zu erlernen, seine Farbe und auch die Größe seiner Gestalt zu verändern.
Die Fee riet ihm allerdings dringend, sich nicht mehr als "Weißer Drache" zu zeigen, sondern eine grüne Färbung zu bevorzugen. Dadurch wäre er gut getarnt und der mächtige Dämon Zastro, mit dem er bereits diese höchst gefährliche Begegnung gehabt hatte, würde ihn nicht leicht entdecken können. Willi befolgte diesen Rat....
Da sich der Drache derweil aber eher für seine Lehrerin als ihre Unterrichtungen interessierte, blieb es nicht aus, dass er sich in sie verliebte. Die Fee war wunderschön und jedes Mal, wenn sie ihn anlächelte, wurde ihm so warm ums Herz, dass er sich wünschte, sie in seinen Armen - nein, Schwingen - halten zu können . Als er sich eines Tages aufraffte, seinen Gefühlen zu ihr schüchtern Ausdruck zu geben, lächelte sie wieder so herrlich - und wurde seine Geliebte.
Der Drache erlebte mit ihr das erste Mal die Freuden der Liebe und war überglücklich!
Guillermo El Dragón, wie sie ihn beharrlich nannte, war aber die große Hoffnung aller, der letzte der "Weißen Drachen", der als einziger die dämonischen Schatten des Rufus Zastro endgültig aus dieser Welt vertreiben könnte - und das machte ihm die Fee nun immer wieder deutlich.
Der bis über die Ohren verliebte Drache hatte geglaubt, er könne mit seiner Fee einfach nur so vor sich hin leben, sich gemeinsam mit ihr an dieser Welt freuen - und glücklich sein.
Liliana, die Königin der Feen, verdeutlichte ihm aber immer wieder, dies sei nicht sein Weg.
Zu oft schon hatte sie ihm erklärt, er sei ein magisches Wesen und habe damit eine große Verantwortung. „El Luminór“ das Feuer des „Ewigen Lichts“ glimme erst in ihm, und er sei daher noch nicht bereit für seine großen Aufgaben. Das Licht müsse aber entfacht und er müsse sich endlich seiner Macht und seiner wichtigen Aufgabe bewusst werden, die Welt von Zastro zu befreien.
Doch ihn zu "erwecken", das Licht zu entfachen, dies müsse eine Menschenfrau bewirken.
Sie, Liliana, sei dafür nicht auserwählt.
Darüber hatten sie sich letztlich entzweit; Willi konnte nicht viel Gutes an seiner „ehrenvollen“ Aufgabe entdecken; sie würde ihm seiner Meinung nach eher Ungemach bescheren und sollte ihn jetzt auch noch von seiner Geliebten trennen?
Er wollte sich gar nicht mit Magie und dem Kampf gegen die dunklen Mächte dieses Zastro beschäftigen.
Niemand habe ihn gefragt, ob er denn als der große Retter auftreten wolle, erklärte er trotzig!
Dieser Dämon verhalte sich im Übrigen ja auch wieder ganz ruhig und künftig würde er ihm einfach besser aus dem Weg gehen! Er liebe die Natur und alles Schöne dieser Welt, interessiere sich für Kunst und Literatur und sehne sich nur nach einem gemütlichen Heim, in welchem er nicht allein wäre. Das würde ihm vollkommen genügen. Und was den Rest der Welt anginge - warum sollte es nicht möglich sein, mit allen in Frieden und Freundschaft zu leben, sich gegenseitig zu helfen und ein ganz normales, ruhiges Leben zu führen?
Liliana hatte über so viel Unverstand nur weise den Kopf geschüttelt. Sie wusste ja nur zu gut, dass Willi einfach noch nicht reif für seine Aufgaben war.
Solange er sich selbst nicht als magisches Wesen akzeptieren könnte, würde er auch seine Fähigkeiten nicht entwickeln. Die konnte aber durch eigene Erfahrungen geschehen.
Die Fee fühlte in stiller Trauer, dass ihr lieber Drache sie nun bald verlassen würde.
Er würde sich in eine Menschenfrau verlieben, dabei die Macht der Magie erleben und sich endlich für sie begeistern. So sehr sie dieses Wissen auch schmerzte wusste sie doch, dass dies der ihnen vorbestimmte Weg war.
Und schließlich würde den Drachen sein Schicksal dahin führen, dass er aus Liebe doch bereit wäre, mit seiner ganzen Macht diese Welt zu verteidigen und für ihren Fortbestand zu kämpfen.
Dann könnte er Zastro gegenüber treten.
Doch Willi war erst einmal bitter von Liliana enttäuscht.
Er erkannte auch nicht wirklich, welche bedeutende Aufgabe eigentlich von ihm erwartet wurde.
Und weil er sich außerdem von Liliana gänzlich unverstanden und nicht mehr geliebt fühlte, war er tatsächlich eines Morgens, Anfang Juni, in aller Frühe einfach davon geflogen.
Ohne sich einmal umzusehen erreichte er mit kraftvollen Schlägen seiner Schwingen schnell große Höhe. Dann ließ er sich vom Wind in Richtung Osten tragen, auf ein großes Gebirge zu.
Die schönen Landschaften, die unter ihm lagen, nahm er kaum wahr - nur fort vom Wald der Fee trieb es ihn in seinem tiefen Kummer.
Bei allen Meinungsverschiedenheiten hatte er Liliana trotzdem sehr geliebt und begehrt; so fühlte er sich jetzt zerrissener und einsamer denn je zuvor!
Als er das Gebirge überquerte, musste er so hoch steigen, dass er von der dünnen Luft ganz außer Atem geriet und es ihm fast schwindelig wurde. Nun wollte er sich erst einmal ausruhen und segelte langsam auf einen der schneebedeckten, herausragenden Gipfel der Gebirgskette zu. Als er dann dort oben hockte und wieder ein wenig zu Kräften gekommen war, sah er sich um. Von dem herrlichen Blick über die von der Abendsonne beschienene, sich nach Südwesten erstreckende Bergkette wurde ihm das Herz schon leichter. Er konnte sich endlich wieder über die Schönheit der Welt freuen und fand, dass es vielleicht gar nicht so schlecht war, allein zu sein. Er fing an, seinen herrlichen Ausblick zu genießen, tief durch zu atmen und seine Seele baumeln zu lassen.
Ja, hier in der klaren Bergluft fand er seine Freude und auch seine Gelassenheit wieder, wenigstens ein bisschen.
Etwas weiter östlich endete das Gebirge und verlor sich in hügeliges Land. Aber durch ein weites, tiefes, von einem Wasserlauf gegrabenes Tal vom übrigen Gebirge abgetrennt ragte ein mächtiger, vulkanartiger Berg, der die ganze Gegend beherrschte und überragte. Dieser Berg lag noch ein gutes Stück entfernt und weckte Willis Interesse; er erinnerte ihn an seine frühere Heimat, die Vulkaninsel.
Etwas unterhalb seines momentanen Rastplatzes in eisiger Höhe sah er eine Stelle, die sich für eine längere Rast eignete und er beschloss, dort noch ein wenig auszuruhen. Er wollte dieses überwältigende Panorama der mächtigen Berge in der Abendsonne und den Blick aus der Höhe in die fernen Täler, die möglicherweise seine neue Heimat werden könnten, ordentlich genießen und auf sich wirken lassen, dann ein ausgedehntes Schläfchen halten und am nächsten Morgen in den Sonnenaufgang hinein zu fliegen, in einen neuen Lebensabschnitt.
Das war eine gute Idee gewesen!
Als am anderen Morgen die Sonne über den Horizont im Osten kroch, hatte er sich rasch von seinem Nachtlager aus trockenen Blättern erhoben und vom auffrischenden Westwind dahin tragen lassen, war auf einer warmen Luftschicht nur ein wenig weiter nach Osten zu dem ihn mächtig anziehenden Berg gesegelt, welcher noch nach Süden hin ein kleines, hügeliges Vorgebirge hatte. Die größtenteils bewaldeten und mit Buschwerk bestandenen Höhenzüge liefen in wunderschöne, liebliche Täler mit Bächen, Flüssen und Seen aus, und sie umschlossen die obere Hälfte des weiten Tals, das Willi nun überflog. Etwas südlich konnte er ein Dorf liegen sehen, aber das interessierte ihn jetzt überhaupt nicht.
Am Rand der Baumgrenze, noch etwa 600 Fuß unterhalb des Gipfels dieses außergewöhnlich geformten Kegelberges, der wirklich fast wie ein Vulkan aussah, erspähte Willi eine Höhle. Die wollte er sich genauer ansehen.
Gutgelaunt schwebte er in großen Schleifen hinab und landete am Rand des Höhleneingangs. Eine gute Aussicht nach allen Seiten hatte man von hier, konnte das ganze Land überblicken. Etwas unterhalb begann der Wald, der bald von schönen Almwiesen aufgelockert wurde und aus einer Felsengrotte sprudelte eine Quelle, die als Bach und später als Fluss das ganze weite Tal geschaffen hatte und ihm reiches Leben gab.
Willi wurde ganz heimelig zumute, er ahnte, dass er hier ein neues Zuhause gefunden hatte. Jetzt galt es, die Höhle selbst erkunden.
Der Eingang war eben und groß genug, dass er bequem hinein und heraus fliegen konnte - ideal. Dann, nach einer Biegung, ging’s abwärts, tief aber nicht zu steil in den Berg hinein. Es war stockdunkel, aber mit seinen glühenden Augen sah Willi jede Einzelheit.
Haufenweise Knochen lagen da herum und es roch muffig, da müsste erst einmal richtig ausgemistet werden!
Plötzlich ging es nicht weiter, ein dichter Verhau aus Baumstämmen, Felsen und Gestrüpp versperrte den Gang, der hier auch enger war, als zu Anfang, sodass Willi gerade noch bequem durchkriechen konnte. Für Menschen wäre die Barrikade vor ihm ein unüberwindbares Hindernis gewesen, aber nicht für den vor Kraft strotzenden Drachen.
Er spuckte mal kurz und kräftig etwas Feuer, das strohtrockene Holz flackerte hell auf und die Barriere geriet krachend ins Wanken, stürzte ein und die Felsen polterten laut hallend in den dahinter befindlichen Raum. Willi bahnte sich einen Weg und als er das Hindernis vollständig überwunden hatte, stockte ihm vor Überraschung und Freude der Atem.
Vor ihm befand sich eine geräumige Höhle mit vielen, kleinen Ausbuchtungen, wie Kammern, und einem Plateau im Hintergrund, das ein ganzes Stück über den Rest des Raumes erhob. Und obendrauf ruhte ein riesiges Skelett - unverkennbar das eines Drachens. Wahrscheinlich war dieses Ungeheuer ein Relikt aus den dunkelsten Jahren dieser Welt.
Willi hatte den großen Wurf getan, er hatte eine alte Drachenhöhle entdeckt und ihr früherer Herr und Bewohner war möglicherweise an Altersschwäche gestorben.
Das konnte bei Drachen geschehen, wenn sie älter als 1500 Jahre wurden. Anscheinend hatten Menschen die Drachenhöhle verschlossen, als sie merkten, dass der alte Unhold zu alt und zu fett war, um noch aus der Höhle kriechen zu können. Es war wahrscheinlich einer der schrecklichen Schwarzen Drachen gewesen, der vielen Talbewohnern und unzähligen Tieren das Leben gekostet -, der sie gefressen und das ganze Land in Angst und Schrecken gehalten hatte.
Willi konnte dies alles zwar nur vermuten, aber er war sich dessen recht sicher, und dass dies schon einige Zeit her sein musste. Das Skelett war einerseits ein unheimlicher Anblick, aber es war auch eine Beruhigung und untrügliches Zeichen, dass nun keine Gefahr mehr von diesem Ungeheuer drohte.
Willi hatte sein endgültiges Heim gefunden!
Im Nu hatte er das ganze störende Knochenzeugs, das Skelett des alten Drachens und die Reste seiner Opfer hinausgefegt, den Gang frei geräumt und sich auf dem Schlafplatz niedergelassen, auf dem auch sein Vorgänger geruht hatte. Den riesigen Schädel des alten Drachen legte er in eine Nische, den wollte er aufbewahren.
Nun sah er sich einmal in aller Ruhe um.
Die Drachenhöhle war angefüllt mit allem möglichen Kram, Truhen, zerbeulten Ritterrüstungen, Gefäßen, Kleidern und in einem großen Regal jede Menge alter Bücher. Das alles hatte der alte Bösewicht über die Jahre zusammengeraubt.
Als Willi eine Weile dagelegen hatte, erwärmte sich sein Bauch von unten, wie das nur geschieht, wenn ein Magie begabter Drache auf einem Schatz ruht. Aber anscheinend war da doch gar nichts, außer... - nun, die ganze Höhle bestand aus Fels, der erhöhte Schlafplatz hingegen aus fest gestampfter, lehmiger Walderde. Das erschien Willi irgendwie verdächtig!
Er kratzte mit seinen Krallen ein wenig den Boden auf und unter der nicht sehr dicken Erdschicht sah er auf einmal etwas aufblinken. Gold!
Aha, sein Vorgänger, der alte Schlawiner, hatte sich sozusagen ein Komfortbett mit Goldfüllung gebaut, nicht schlecht. Das musste ein ganz schöner Genießer gewesen sein. Nebenbei hatte er seinen Schatz auf diese Weise auch vor dem Zugriff gieriger Hände bewahrt. Willi legte eine riesige Menge goldener Gegenstände, Schmuck, Zierrat und sogar einige Kronjuwelen frei, betrachtete sie versonnen, verscharrte sie dann aber schnell wieder und richtete den Platz so her, wie er zuvor gewesen war.
Das sollte alles hier weiter in der verschwiegenen Dunkelheit und Stille der Höhle ruhen und er darauf.
So ein Glück! Willi hatte das perfekte Heim für einen Drachen entdeckt und ohne Schwierigkeiten in Besitz nehmen können.
Und im Handumdrehen war er sagenhaft reich geworden.
Willi war ein Glücksdrache!
Aber die Bewohner der Umgegend, besonders die des nahe gelegenen Dorfes Buchenhausen waren erst einmal völlig außer sich gewesen, dass sich ein neuer Drache auf dem Drachenberg eingenistet hatte, auch wenn der etwas anders aussah.
Sie merkten jedoch sehr bald, dass Willi keine ernsthafte Gefahr für sie bedeutete - anders als sein Vorgänger - aber Drache bleibt Drache.
Nach und nach hatte Willi auch die weitere Umgebung erkundet, aber seine neue Höhle immer wieder als den schönsten Ort der Welt erkannt und sich nach und nach so richtig eingelebt. Er hatte sich auch inzwischen an seine Einsamkeit gewöhnt, viel in den alten Drachenbüchern seines Vorgängers studiert und war mit der Zeit etwas kauzig geworden. Seinen jugendlichen Leichtsinn und seinen Übermut hatte er etwas abgelegt, war ruhiger, besonnener geworden, bis auf kleine Ausnahmen.
Das waren zum Beispiel die Temperamentsausbrüche, welche die Dorfbewohner so manches Mal nicht schlafen ließen.
Über hundert Jahre waren nach und nach ins Land gezogen und Willi war ein etwas lästiger, aber ansonsten nicht weg zu denkender Bestandteil des Lebens dieser Gegend geworden.
Er war mit den Jahren gereift, hatte seine Erfahrungen gemacht, Freuden und Enttäuschungen erlebt. Mit der Zeit konnte er immer besser mit sich und dem Alleinsein umgehen.
Er war ausgeglichen und zufrieden geworden.
All diese Gedanken durchzogen ihn, als er, von Anette so schön gekrault, in ihrem Schoß vor sich hindöste. Sollte sie die Menschenfrau sein, die ihn „erwecken“ würde?
Diese Prophezeiung Lilianas und die Erinnerung an dieses Thema schob er nun jedoch ganz schnell in die hinterste Ecke seines Bewusstseins! Etwas Rauch trat aus seinen Nüstern.
Aber Ausgangspunkt all seiner Gedanken war Anettes Frage gewesen, wie alt er sei.
"658 Jahre", sagte er leise und ganz unvermittelt. Anette hielt verblüfft inne, sie konnte sich gar nicht vorstellen, dass ein Lebewesen so alt werden könnte.
Auch Willi selbst wurde es zum ersten Mal wirklich bewusst, wie alt er war, und auch, wie lange er schon alleine in seiner herrlichen Höhle hauste.
Er blickte zu Anette auf und schien zu lächeln als er sagte: "Ich bin ja so froh, dass ich Dich getroffen habe. Ich habe das Gefühl, als hätte ich das erste Mal in meinem Leben jemanden gefunden, der mich wirklich mag. Ich wünsche mir wirklich sehr, dass Du meine Freundin bist!"
Er entspannte sich wieder vollkommen, tat einen tiefen Atemzug und schien einzuschlafen.
Anette war seltsam berührt, sie spürte Gefühle in sich aufsteigen, die sie verwirrten, mit denen sie gar nichts anzufangen wusste. So schob sie diese dann auch schnell wieder zur Seite, sagte aber:
"Lieber Willi, ich kann Dich sehr gut leiden und ich möchte auch gerne Deine Freundin sein, aber jetzt muss ich nach Hause. Ich habe einen Freund, der wartet auf mich. Aber wir können uns übermorgen wieder sehen, das verspreche ich Dir - ein Versprechen unter Freunden!“ "Schade, aber ich verstehe...!“ seufzte der Drache. „Nun gut, ich werde auf Dich warten. In zwei Tagen, mittags, werde ich hier sein!" Willi wusste, wenn Anette wirklich etwas an ihm lag, würde sie kommen. Dieser Gedanke machte ihn zufrieden. Dass Anette gehen musste, hatte ihn erst einmal aufs unangenehmste aus seinem süßen Traum in Anettes Schoß gerissen, aber er sah ein, dass sie nicht einfach bei ihm auf dem Berg bleiben konnte, selbst wenn sie das gewollt hätte. Ein bisschen vernünftig war er in seiner einsamen Höhle ja doch geworden. Aber Anette druckste auf einmal herum, sah ihn mit dem Unschuldsblick an, den Frauen haben, wenn sie gar nichts Unschuldiges denken und sagte: "Ich hätte aber noch unheimliche Lust, Dich zu küssen, wobei ich mich jedoch frage, wie das gehen soll. So etwas Verrücktes aber auch!"
Da war es Willi mit einem Mal ganz sonderbar, es lief ihm kochend heiß und dann eiskalt über den gesamten Körper und er fühlte sich wie elektrisiert. Erwachte da tatsächlich etwas in ihm, wie verheißen? - Und das schien etwas ganz tolles zu sein......
Seine Augen leuchteten beim Erwachen und Erleben ganz neuer Gefühle - und einer faszinierend starken Macht.
"Schließe einfach Deine Augen", sagte Willi mit einer ganz veränderten Stimme und als Anette das getan hatte, spürte sie auf einmal, wie sie von einem Mann zärtlich umarmt wurde und erlebte den herrlichsten Kuss, wie sie in ihrem ganzen Leben noch keinen erhalten hatte. Voller Liebe und Leidenschaft.
Sie sog dieses Gefühl tief und voller Verlangen in sich ein, wusste aber sehr wohl, wenn sie die Augen öffnen würde, wäre dieser Zauber, der sich offenbar über sie gelegt hatte, vorbei.
Sie schlang voller Verlangen ihre Arme um ihren neuen Geliebten, zog ihn an sich und verspürte Empfindungen in sich aufsteigen, an die sie nicht mehr hatte glauben wollen.
Zögernd öffnete sie nach einer Weile, während der sie sich wie im siebten Himmel fühlte, dann doch ihre Augen und schüttelte sich ein wenig, um ins Hier und Jetzt zurück zu kehren.
Der Zauber war vorüber, sie sah, dass sie den Hals eines Lindwurms umfasst hielt, aber das erschreckte sie keineswegs - was sie endgültig vollkommen durcheinander brachte. Sie rettete sich, indem sie bestimmt erklärte, dass sie nun wirklich unbedingt den Heimweg antreten müsse.
Sie war aber immer noch völlig verwirrt, dennoch schob sie Willi sanft aber bestimmt weg und stand schnell auf.
"Gut, ich komme übermorgen wieder hierher, ich freue mich sehr darauf!"; aber sie fragte sich später, ob sie das nur so aus Höflichkeit oder aus ganzem Herzen gesagt hatte.
Ihre Ziegen hatten sich schon gesammelt und eilig verließ sie die Alm, Anette schaute nur einmal ganz kurz zu Willi zurück.
Der Drache war mindestens so durcheinander wie die junge Frau.
Wie kam sie nur darauf, ihn küssen zu wollen?
Aber sie hatte damit ohne Zweifel die gewisse Tür in seinem Inneren aufgestoßen. Tatsächlich war er nun fähig, die Gestalt vollkommen zu verändern, die eines Menschen anzunehmen und sogar wie ein solcher zu denken und zu fühlen!
Er verspürte nun eine wunderbare Stärke, aber ihm war auch ein wenig Angst davor, was dieser Kuss wohl bewirkt hatte.
Doch welche Fähigkeiten steckten jetzt noch in ihm? Er hätte lieber doch Lilianas Unterweisungen aufmerksamer folgen sollen!
Willi hatte sich stets geweigert, das zu lernen, was seine Eltern von ihm verlangt hatten und war auch damals nicht bereit gewesen, verantwortungsvoll mit seinen besonderen Begabungen umzugehen. Das Fliegen und das Feuerspucken hatte er als netten Spaß mitgenommen, aber über die wirklich große Macht, über die ein magiebegabter Drache verfügen kann, hatte er erst bei Liliana erfahren.
Jedoch auch dann zeigte er noch immer wenig Interesse, als ihn die Fee in dieses geheimnisvolle Wissen einführen wollte. Er ahnte tief in seinem Inneren, dass er damit unweigerlich in eine neue und wohl alles entscheidende Auseinandersetzung mit dem schrecklichen Dämon Rufus Zastro getrieben würde. Und davor hatte er eine Heidenangst - was man ihm verzeihen möge!
So sträubte er sich lange, in die Tiefen der Magie vorzudringen, die sich ihm ohnehin erst nach der gewissen "Erweckung" erschließen sollten. Wozu sich also vorher schon damit abgeben?
Denn den Gedanken, sich einmal in eine Menschenfrau zu verlieben, hatte er damals weit von sich gewiesen.
Gedankenlesen hatte er ja bereits als Jungdrachen kennen gelernt. In seiner Einsamkeit hatte er das jedoch fast wieder vergessen.
Er hatte Anette also nicht so ganz beschwindelt, als er den Ahnungslosen spielte. Er war ja selbst über seine wieder entdeckte Fähigkeit überrascht gewesen, auf ihre unausgesprochenen Gedanken antworten zu können.
Seine Größe zu verändern, zu einem riesigen Ungeheuer anzuwachsen, wenn er in Wut geriet - das hatte auch bereits vor dem Kuss geklappt. Er hatte es einmal bei einem seiner Wutausbrüche ausprobiert, dies war aber aus seiner Sicht gar nichts allzu Besonderes und klappte auch ohne große Magie.
Erstaunlicherweise hatte er bei aller Leidenschaft in der Beziehung mit Liliana niemals einen solchen Gefühlssturm erlebt, wie jetzt mit dieser Menschenfrau - zumindest erschien ihm das nun so.
Als er Anette geküsst hatte, verspürte er das erste Mal diese große Zaubermacht, das war eine unheimlich spannende Angelegenheit!
Er hatte die Gestalt eines Menschen angenommen, hatte sich auch wie ein verliebter Mann gefühlt, der das erste Mal seine Angebetete küsst.
Das war atemberaubend gewesen und hatte das besagte Tor aufgerissen, was ihn wohl so stark und mächtig werden lassen konnte, wie es ihm Liliana erklärt hatte.
Aber Willi wusste, dass diese Macht auch eine dunkle Seite hatte, ihn gierig und grausam werden lassen könnte - und dass nun mehr denn je die Erwartung auf ihm lag, den Dämon zu bekämpfen.
Auch deswegen - aus verzeihbarer Feigheit - war er damals vor der Fee geflohen, aber jetzt holte ihn sein Schicksal auf geheimnisvolle Weise und unausweichlich ein.
Zuhause in seiner Höhle versank er bald in süße Träume - das war wohl eine weitere, durchaus angenehme "Nebenwirkung" von Anettes Kuss!
Dieses schöne, junge Weib faszinierte ihn; ihre tiefblauen Augen und ihr wunderschönes, blondes Haar, das ihr hübsches Gesicht umrahmte - seiner Größe angemessen hatte ihn ein wuchtiger Speer Amors mitten in sein Drachenherz getroffen.
Und erst ihr Lächeln ....
Willi schmolz angesichts der in sein Drachenhirn tief eingravierten Erinnerung völlig dahin.
Wie erschlagen lag er auf dem Rücken in den Kissen seines Diwans und er seufzte derart, dass eine vibrierende Schallwelle aus der Höhle heraus und den Berg hinab bis nach Buchenhausen raste, welche dort die Fensterscheiben klirren ließ.
Das war der Beginn der Geräuschbelästigung, die nun zu allen möglichen Tages- und Nachtzeiten über das Dorf hernieder brach, wie dies bereits zu Beginn dieser Geschichte erwähnt wurde.
Willi hatte es tatsächlich vollkommen erwischt!
Seit er von zuhause fort geflogen war, hatte er sich für Mädels interessiert (zunächst erst einmal für Drachenmädels natürlich!). Leider waren Drachen ja nahezu ausgerottet worden und so traf er nirgends eine nette Drachenfrau, in die er sich hätte verlieben können.
So blieb er in Liebesabenteuern recht unerfahren.
Willi war also auch in Liebesdingen ein "Spätzünder" gewesen. Was konnte es in seiner naiven Vorstellung außer Händchenhalten im Mondschein denn sonst noch geben?
Er war recht schüchtern und hatte eine höchst romantische, aber vollkommen diffuse Vorstellung von "Liebe". Das hatte sich auch während seiner „Jugendliebe“ mit der Feenkönigin Liliana erst allmählich geändert.
Körperliches Verlangen entdeckte und erlebte er zuerst durch Lilianas zärtliche Einführung in die Liebeskunst, doch er war ein sehr gelehriger Schüler und die Fee war durchaus zufrieden mit ihm.
Seit er Liliana verlassen hatte, geisterte immer öfter eine Art Idealbild in seinen Gedanken herum, ach dem er eine Art Sehnsucht entwickelte.
Zunächst war dieses Bild recht diffus, aber es wurde mit der Zeit immer deutlicher....
Dieses Wunschbild sah wie eine Menschenfrau aus, hatte langes, blondes, ein wenig ins rötliche spielendes Haar, ein offenes, freundliches und sehr hübsches Gesicht; das schönste an ihr aber waren ihre blauen Augen, die eine unglaubliche Liebe und Wärme ausstrahlten.
Sie war schlank und zierlich, kurz gesagt: ein wunderschönes, junges weibliches Wesen.
Willi bezweifelte zwar, dass dies unbedingt eine Menschenfrau sein müsste, deren Vorstellung ihn nicht mehr los ließ. Sie besaß jedoch eine ähnlich große Ausstrahlung und Anziehungskraft auf ihn, wie sie die Fee gehabt hatte.
Ob Anette nun diese „Traumfrau“ war? - Sie kam diesem Idealbild ja sehr nahe!
Und eine tolle Ausstrahlung hatte sie ebenfalls....!
Willi wusste noch nicht, dass alle Frauen für einen frisch in sie verliebten Verehrer diesen Glanz entfalten, der sie wie eine Aura umgibt.
Hormone – Endorphine - ermöglichen so etwas.
Wie auch immer - im Augenblick hatte er das Gefühl, diese Traumfrau ENDLICH gefunden zu haben - und seufzte wieder, dass in Buchenhausen erneut die Fensterscheiben klirrten.
Das ließ ahnen, welche Erschütterungen die Gefühlswelt des Drachen erlebte.
Jetzt haben wir den Drachen Willi recht gut kennen gelernt.
Übermütig und ausgelassen konnte er sein, zahm und lieb wie ein Hündchen, aber er könnte auch schrecklich und gefährlich wie ein fliegendes, Feuer speiendes Untier werden, und zu allem Überfluss mit diversen Zauberkräften ausgestattet.
Freundlich und besinnlich, rüpelhaft und zornig, aufbrausend, aber auch besonnen und klug, sanft und zärtlich.
Letztere Eigenschaften hatten ihn allerdings nach Anettes Aufbruch dazu gebracht, gemächlich in seine Höhle zurück zu trotten.
Aufs Fliegen hatte er keine Lust mehr gehabt.
Gelegentlich seufzend lag er auf seinen Schlafplatz, rauchte ein paar seiner Lieblingskräuter, blies kleine, süße Wölkchen und schlief sanft ein.
Ein schöner Traum wurde ihm geschenkt: Er saß mit Anette vor seiner Höhle, sie hatte auf seiner linken Pranke sitzend ganz eng an ihn geschmiegt den Arm um seinen Hals gelegt, und sie beobachteten einen Sonnenuntergang, der das Land in Gold und Purpurfarben tauchte.
Sie trug einen goldenen Reif in ihrem Haar, goldene Armreifen und einen Ring mit einem leuchtenden Stein, Schmuck aus dem Drachenschatz, den er ihr geschenkt hatte, als sie seine Frau geworden war.
Wirklich ein schöner Traum!
Als Willi erwachte, musste er ein wenig bitter in sich hinein lachen.
Seine Phantasie hatte seit seiner Jugend wirklich nichts an Kühnheit eingebüßt.
Anette seine Frau......., das war gar zu lustig - aber doch ein schöner Gedanke!
Er war ein Drache, ein 658 Jahre alter, komischer Drache, der aufpassen musste, dass er sich mit seiner Schwärmerei und seiner Abenteuerlust nicht in Schwierigkeiten brachte.
Erst einmal kroch er aus seiner Höhle heraus, sah, dass ein neuer, wunderschöner, sonniger Herbsttag heraufgezogen war und beschloss, die Wärme und den herrlichen Ausblick zu genießen, der ihn immer wieder begeisterte.
So flog er hinauf auf seinen Ausguck und ließ glücklich seinen Blick über die herrliche Landschaft gleiten, die unter ihm lag.
Tief und genüsslich zog der die frische Bergluft ein.
Aber er musste ständig an die junge Frau denken, an ihren Kuss und wie sie dabei so zärtlich und hingebungsvoll an seinem Hals gehangen hatte. Dabei vergaß über den ganzen Tag das Essen und hatte in der Nacht Schwierigkeiten, in den Schlaf zu finden.
Morgen würde er Anette endlich wieder sehen.
Die Vorfreude ließ ihn ganz aufgeregt werden. Sein sonst so gutes Zeitgefühl versagte völlig, er raste drei oder viermal in der Nacht aus der Höhle, um nachzusehen, ob der Tag endlich anbräche und als er in dieser Hoffnung jedes Mal enttäuscht wurde, musste er einfach seinem Drachentemperament etwas Luft machen, ein wenig herumbrüllen, Feuer spucken und wild grölend durch die Luft jagen.
Das Dorf hatte einmal mehr seine nächtliche Unterhaltung.
Anette verfolgte das Spektakel in der Hütte ihres Schäfers, in halb freudiger, halb banger Erwartung des morgendlichen Treffens ebenfalls schlaflos.
Robert drehte sich im Halbschlaf zur Wand, brummte, dass das mit dem Drachen wirklich lästig sei und schlief wieder fest ein.
Sie wälzte sich unruhig von einer Seite auf die andere, fand, wie schon so oft auch keinen Schlaf.
Nur dachte sie diesmal nicht über ihr freudloses Leben mit ihrem Robert nach und über eine frühere, vergangene Liebe, die ihr immer noch nachhing; nein, diesmal dachte sie an den Drachen, aber ihre Gefühle waren so anders als die, die sie früher erlebt und empfunden hatte.
Sie sah ihn vor sich in seinem schimmernden Schuppenpanzer, stolz und schön, wie er sie freundlich anschaute, seine geheimnisvoll funkelnden Augen ganz auf sie gerichtet. Wie er seine Flügel um sie gebreitet und sie mit seinem Zauber belegt hatte, als er ihr diesen wunderbaren Kuss gab.
Dieser Kuss hatte auch bei Anette bisher nicht gekannte Gefühle erwachen lassen.
Sie sehnte sich danach, wieder so geküsst zu werden. Mit aller Leidenschaft begehrte sie dieses Zauberwesen, diesen geheimnisvollen Drachen. Aber den Gedanken, dass sie für ihn mehr als nur Freundschaft empfand, wollte sie einfach nicht zulassen. Sie drehte sich heftig um und fiel dann endlich doch in den Schlaf, erwachte aber kurz nach Sonnenaufgang wieder.
An diesem Morgen war sie viel früher unterwegs als sonst, liebkoste ihre erstaunten Ziegen um einiges herzlicher als üblich und ihr Herz sprang vor Freude, als sie sich der Alm näherte, wo sie den Drachen wieder sehen wollte.
Aber der war nirgends zu sehen, obwohl es schon Mittagszeit war.
Willi hatte nach der unruhigen Nacht noch lange vor seiner Höhle gesessen, bis die Sonne aufgegangen war und nach einem Frühstück aus Heidel- und Brombeeren, welche er sehr mochte, und die es jetzt hier oben reichlich gab, war er auf einmal einfach eingenickt.
Die Mittagssonne, die ihm ins Gesicht schien, hatte ihn schließlich geweckt.
Er war furchtbar erschrocken und flog eiligst zu der Bergwiese, wo er Anette und ihre Ziegenherde schon lagern sah. Die Tiere flüchteten erst einmal in die Büsche, als er da so unvermittelt über den Wipfeln der Bäume angerauscht kam. Nur die Erinnerung, dass er ihnen ja nichts getan hatte, ließ sie wieder ruhig werden.
Denn Willi bot wirklich einen beängstigenden Anblick, wenn er mit weit entfalteten Flügeln, Hals, Pranken und Schwanz ausgestreckt, durch die Luft schoss, ein sausenden Geräusch und jeder Menge Wind verursachte.
Nur einige Schritte vor Anette landete er elegant und sachte, hopste ihr flügelschlagend, mit halb offenem Maul und der wieder lustig heraushängenden, roten Drachenzunge freudig entgegen.
Anette fiel ihm einfach um den Hals und drückte ihn herzlich.
"Mein lieber Drache, ich habe mich ja so auf Dich gefreut", flüsterte sie in sein rechtes Ohr, das sie dann gleich anfing, ganz liebevoll zu kraulen.
"Was war denn letzte Nacht los?" fragte sie ihn zum Scherz betont vorwurfsvoll. "Das ganze Dorf konnte mal wieder kein Auge zu tun!"
Aber sie lachte gleich wieder.
"Das ganze Theater hat doch hoffentlich nichts mit mir zu tun?“
Willi schaute verlegen zur Seite, räusperte sich einmal, zweimal, hustete, schmatzte, leckte sich über die Lippen und sah Anette völlig verzweifelt an.
"Ach, Anette, dauernd muss ich nur an Dich und Deinen Kuss denken!
Eine junge Frau wie Du und ein alter Drachen wie ich, was soll das nur werden?"
So leichtfertig sie das Erwachen solcher Gefühle bei dem Drachen auch heraufbeschworen hatte, so sehr erschreckte dies jetzt die junge Frau.
Sie erkannte, dass das nun kein Spaß mehr war und vor allem, dass sie sich hüten musste, mit dem Drachen ein Spiel zu spielen.
Aber das beabsichtigte sie auch nicht, sonst wäre sie heute nur hierhergekommen, um ihm zu sagen, dass er ein netter Kerl wäre, aber sie sei eine einfache Hirtin , die mit ihrem Schäfer in Frieden leben wolle.
Genau das wünschte sie ja auch nicht mehr, das war ihr auf einmal klar geworden.
Nicht klar war ihr allerdings, wie das alles weiter gehen sollte. In diesem Punkt waren der Drache und sie sich völlig einig.
Sie verbrachten einen herrlichen, romantischen Tag zusammen, saßen eng nebeneinander und schließlich hockte Anette auf der linken Pranke des Drachen, so wie es in seinem Traum gewesen war. Er legte seinen Flügel sanft um ihre Schultern und sie schauten, Wange an Wange, ins weite Tal hinab und träumten.
Zwischendurch erzählte der Drache lustige Geschichten oder versuchte, Anette mit seinen Erfahrungen oder Überlegungen zu beeindrucken, was ihm aber nur teilweise gelang.
Sie lachte gelegentlich und meinte, er sei ein lieber Schlaumeier.
Und sie küssten sich wieder.
Anette öffnete dieses Mal nicht so schnell die Augen, wie beim ersten Mal!
Als die Sonne sank, wurden sie beide immer stiller und wussten, dass der Abschied nahte.
Anette klammerte sich plötzlich an den Drachen.
Tränen liefen ihr über die Wangen, aber sie wischte sie weg, sprang auf und rannte los.
Ein paar Schritte vom verdutzten Drachen entfernt hielt sie inne, drehte sie sich wieder um rannte zurück, küsste ihn auf seine Nase und flüsterte, dass sie wieder kommen würde, sehr bald. Dann lief sie endgültig davon, gefolgt von ihren verdatterten Ziegen, deren Glöckchen heftig bimmelten.
Willi ließ sich ganz flach auf den Boden gleiten und sah ihnen mit gemischten Gefühlen nach.
Worauf hatte er sich da nur eingelassen?
Die Freude, die er in Anettes Nähe empfand, machte einem hoffnungslosen Gefühl Platz. Sie war eine schöne, junge Frau und würde sich irgendwann einem hübschen Kerl, einem Menschen wie sie selbst zuwenden, ihn vergessen.
Was sollte sie auf die Dauer auch mit so einem alten Monster wie ihm anfangen?
Er hatte in ihren Gedanken gelesen. Sie sehnte sich nach Geborgenheit, Zärtlichkeit - und einer Familie.
So sehr sie jetzt vielleicht die Zeit mit ihm genoss, sie würde sich niemals entschließen können, für immer seine Gefährtin, seine Drachengeliebte zu werden und mit ihm in einer Höhle oder vielleicht in einer Burg zu hausen. Er konnte, wenn er wollte, seine Gestalt wechseln, aber von seinem ganzen Wesen her blieb er immer ein Drachen.
Er könnte ihr seine Liebe und ein schönes Zuhause geben, könnte all seine Drachengeheimnisse mit ihr teilen, aber ihren Wunsch nach Kindern würde er ihr bei all seiner Zaubermacht nicht erfüllen können.
Wieder verfluchte er die Tatsache, dass er ein Zauberwesen war, das eigentlich in einer andern Welt zuhause war.
Traurig, aber zugleich auch wieder glücklich flog er in seine Höhle zurück, wo er sich mit seinem Rauchvergnügen und seinen Büchern ablenkte, bis er spät in der Nacht endlich einschlief.
Auch Anette dachte auf dem langen Heimweg mit einiger Besorgnis über ihre so unerwarteten Gefühle für den Drachen nach, die da in ihr erwacht waren.
Lustlos hatte sie nach ihrer Heimkehr ein einfaches Essen zubereitet, war jedoch später aus einer Art Pflichtgefühl bereitwillig auf Roberts ungeschickte Zärtlichkeiten eingegangen und hatte in dieser Nacht das Bett mit ihm geteilt.
Am nächsten Morgen war sie aber in aller Frühe hinaus zu dem kleinen Wasserfall gegangen, der kurz vor dem Dorf über einen Felsen hinab sprang und einen klaren, kühlen See füllte.
Sie hatte im frischen Wasser gebadet und Roberts Küsse und Berührungen von sich abgespült.
Es war ihr klar, dass sie dieses Leben mit dem nüchternen und in Wahrheit lieblosen Schäfer in der ungemütlichen Hütte eigentlich nicht mehr wollte.
Aber sie konnte sich auch nicht wirklich vorstellen, wie es mit dem Drachen gehen solle.
So ungeklärt blieb das Verhältnis zwischen Willi und Anette eine ganze Zeit; sie sahen sich von nun an fast täglich. Anette stahl sich neuerdings frühmorgens aus der Hütte und Robert bemerkte mit der Zeit, dass sie etwas anderes als die Sorge um das Wohl ihrer Ziegen und die Lust am Wandern in die Berge trieb. Er stellte sie zur Rede aber sie wich ihm aus. Sie wusste immer noch nicht, was aus ihrer Liebe zu dem Drachen werden sollte.
Immerhin wusste sie inzwischen, dass sie Willi liebte.
Robert ließ Anettes offenkundige Veränderung keine Ruhe; er schlich ihr eines Tages den ganzen Weg zu der gewissen Alm hinauf nach und konnte kaum glauben, was er dann sah:
Anette traf sich mit dem DRACHEN auf einer Bergwiese und .... sie fiel ihm um den Hals und küsste ihn!
Sie war die Geliebte dieses Ungeheuers!
Inzwischen war es Ende Oktober und das Wetter hielt sich immer noch.
Die Tage waren schon recht kurz, aber erstaunlich mild.
Der Drache erlebte eine unheimliche Veränderung an sich. Er wurde heiter und fröhlich, aber war dabei nicht mehr ganz so unerträglich albern, wie er es als Jungdrachen gewesen war. Und er hatte die tollsten Ideen.
Nicht, wie man am besten irgendjemanden erschrecken, foppen oder ärgern könnte. Sondern er dachte sich für Anette schöne Geschichten aus, machte Liebesverse für sie und versuchte, sie bei jedem Wiedersehen mit einer neuen Überraschung zu erfreuen.
Dann gab es aber auch Tage, an denen ihn Zweifel und düstere Gedanken plagten, in denen er sich schon von Anette verlassen oder ausgenutzt sah. Das waren dann wieder Tage und Nächte, an denen das Dorf so einiges aushalten musste. Hätten die Dorfbewohner geahnt, dass der Drache Liebeskummer hatte, hätten sie gewusst, dass Liebeskummer einen Drachen rasend machen kann, sie hätten sich vielleicht nicht gar so sehr über seine Kapriolen und seinen Krach gewundert oder aufgeregt und etwas mehr Verständnis für seine Gefühlsstürme gehabt.
Der Schäfer Robert hatte zu Anette gesagt, er meine, die Sache mit dem Drachen nehme langsam überhand. Es wäre Zeit, dass sie wieder zu ihrem alten Leben zurückfände, in das sie nun mal hineingehöre.
Er war etwas aus seiner eintönigen Ruhe aufgeschreckt, fürchtete nicht zu Unrecht, dass Anette seiner überdrüssig geworden sei. Aber er konnte sich auch nicht entschließen, die Gründe, weshalb Anette sich plötzlich für einen Drachen interessierte, bei sich und dem langweiligen Leben, das er ihr bot, zu suchen.
Eine Woche später war dann etwas passiert, was den Dingen eine dramatische Wendung gab:
Weil ihn Anette schon drei Tage nicht besucht hatte, war Willi das erste Mal bis zum Rand des Dorfs geflogen, da er sie unbedingt hatte sehen wollen.
Er hatte sich eine tolle Überraschung ausgedacht und jenseits der Berge aus einer Gärtnerei eine große Menge roter Rosen "besorgt".
Er wollte es Rosen über ihr regnen lassen!
Die Blumen im Maul war er über den Häusern des Dorfes gekreist.
Ein paar spielende Kinder hatten ihn entdeckt und mit ihrem Geschrei ihre Eltern in Panik versetzt, die irrtümlicherweise glaubten, der Drache greife ihre Kinder an.
Willi hatte vor Erstaunen, dass ihm jemand solche Gemeinheiten zutrauen würde, die Rosen fallen lassen und aus Versehen ein bisschen Feuer gespuckt.
Leider hatte sein Feuerstoß eine große Scheune in Brand gesetzt.
Die Dorfbewohner waren empört gewesen und hatten den Drachen, der die ganze Zeit doch nur an seine Anette gedacht hatte, angegriffen.
Weil sie vor ihm nicht solchen Respekt, wie vor seinem grausamen Vorgänger hatten, schossen einige junge Männer mit Pfeilen und Speeren nach ihm. Einer davon hatte Willi am Bauch getroffen, war in der weichen Haut stecken geblieben, hatte ihm gehörig wehgetan und ihn verletzt.
Er hatte den Speer mit seinem Maul herausgerissen und war sich plötzlich der gefährlichen Situation bewusst geworden.
Jetzt geriet er richtig in Wut.
Schnell hatte er erstmal seinen verwundbaren Bauch den weiter heran fliegenden Speeren abgewandt. Sie prallten nun wirkungslos von seinem Panzer ab.
Dann flog er in einem großen Bogen über das Dorf, raste dann im Sturzflug darüber hinweg und brannte aus Rache noch ein paar andere Gebäude an, bevor er den Rückzug antrat und zu seinem Berg zurückkehrte.
Seine schönen Rosen lagen zertreten am Boden und er war an Körper und Seele verletzt!
Der schon so lange währende Frieden zwischen dem Drachen und den Menschen im Dorf war in Gefahr zu zerbrechen.
Willi hatte heftig aus seiner Wunde geblutet und war erst einmal in seine Höhle gekrochen, um seine Verletzung zu versorgen. Glücklicherweise war sie nicht sehr tief, der Speer hatte sich unterhalb der Rippen durch das Fettpolster in die Muskeln gebohrt.
Das hatte zwar stark geblutet und war schmerzhaft, aber nicht gefährlich.
Er saugte die Wunde aus, konzentrierte sich und leckte mit seiner Zunge über die Wundränder, da schlossen sie sich und waren wieder fest verheilt.
Seine neuen Kräfte der Magie wirkten und waren wirklich ganz nützlich.
Aber in einem neuen Anflug von Zorn raste Willi erneut aus der Höhle heraus, richtete sich auf, spannte seine Muskeln, wuchs zu einem riesigen Untier an, schnaubte Rauch und Feuer und beschloss zu zeigen, dass er entschlossen war, seine Stellung zu behaupten.
Und Anette müsse auch irgendwann wissen, was sie wolle.
Er war der mächtige Drache, der Herrscher seines Berges und der Gegend ringsum, und daran würde sich nichts ändern!
Das Drachenblut, das Willi aus seiner Verletzung unterwegs verloren hatte, verfärbte alles, auf das es traf, leuchtend violett - Steine, Pflanzen, Bäume und auch das Wasser. In eine kleine Quelle, die im Wald unterhalb des Berges entsprang, war auch etwas getropft. Sie bekam eine helllila Färbung und hieß fortan die Drachenquelle.
Die Buchenhausener hatten nach Willis "Überfall" eine Dorfversammlung abgehalten.
Einige Bauern, deren Gebäude beschädigt oder gar ganz abgebrannt waren, heizten die Stimmung an. Es sei nun genug: Der ewige Krach und nun auch noch der Feuerüberfall am helllichten Tag!
Keiner habe den Drachen je belästigt oder ihm einen anderen Grund für diese Abscheulichkeiten gegeben.
Es habe sich auch gezeigt, dass dieser Drache gar nicht so mächtig sei, wie der Alte, der ihre Vorfahren in Angst und Schrecken versetzt hatte.
Jetzt sei eine Gelegenheit, sich dieses Monstrums, das in dieser Welt ohnehin nichts mehr verloren habe, ein für alle Mal zu entledigen. Es sei verletzt, geschwächt und könne von ein paar entschlossenen Männern endgültig erledigt werden.
Es meldeten sich auch gleich ein paar Freiwillige, die den Berg ersteigen, in die Höhle vordringen und den Drachen im Schlaf töten wollten. Die meisten von ihnen waren noch ziemlich jung und der, der Willi mit dem Speer verletzt hatte, war auch dabei.
Er hieß Georg, wie der sagenumwobene Drachentöter, und hielt sich nun auch für einen solchen.
Er war zwar groß und stark, aber sonst war er ein großes Kind, wie die meisten "Helden".
Und er führte auch das große Wort.
"Dem Drachen werden wir’s schon zeigen", rief er und machte sich selbst zum Anführer der 13 Mann starken Truppe, die in zwei Tagen zum Drachenberg aufzubrechen plante. Bis dahin wollten sich die Bauern gut ausrüsten und einen Plan für ihr Vorhaben ausarbeiten.
Anette erschrak furchtbar, als sie von diesen jüngsten Ereignissen hörte, die sich während ihrer Abwesenheit zugetragen hatten. Sie war mit ihrer Ziegenherde diesmal in die andere Richtung gezogen, aus dem Tal hinaus auf die Stadt zu, und hatte in einem Schuppen die Nacht verbracht.
Die junge Frau hatte allein sein und nachdenken wollen, deshalb war sie einmal länger von zuhause fort geblieben.
Ihrem Robert hatte sie das vorsichtshalber angekündigt, damit der sich keine Sorgen machte.
Am Mittag des dritten Tages ihrer Abwesenheit war Willi in seiner Sehnsucht ins Dorf gekommen und das Unheil hatte seinen Verlauf genommen.
Robert hatte ihr nach ihrer Rückkehr alles berichtet.
Er war zwar nicht unzufrieden, dass es dem Drachen an den Kragen gehen sollte, aber beteiligen wollte er sich doch nicht.
Insgeheim hoffte er die ganze Zeit, dass sich danach ihr Leben wieder beruhigen würde, dass Anette einsehen würde, dass der Drache nichts für sie sei.
Aber er sagte und vor allem tat er nichts, was Anette entsprechend hätte umstimmen können.
Jedoch erzählte er ihr auch, dass Georg den Drachen verletzt hatte und nun die Männer im Kampf gegen den Drachen anführen werde.
Georg war Anettes früherer Geliebter gewesen.
Sie liebte ihn zwar auch noch, aber nur wie einen Bruder oder fast wie ihr Kind.
Er war so unselbständig und problembeladen und hängte sich immer noch an Anette, machte keine Anstalten, eine neue Geliebte zu suchen, mit der er zusammen sein könnte.
Das war für Anette und ihre Beziehung zu Robert stets eine Belastung gewesen, mit der sich der Schäfer aber solange abfand, als seine Bequemlichkeiten nicht darunter litten.
"Dschordschi" - wie ihn Anette immer nannte, hatte es nie aufgegeben zu glauben, dass sich Anette eines Tages doch wieder ihm zuwenden würde und daraus im ganzen Dorf auch keinen Hehl gemacht.
Sein Äußeres stand im krassen Gegensatz zu seinem kindlichen Gemüt, er war ein stattlicher, junger Mann. Von Robert hatte er über Anettes Freundschaft zu dem Drachen erfahren und da er sowieso auf alles und jeden in Bezug auf Anette eifersüchtig war, kam ihm die Gelegenheit, den Drachen zu bekämpfen, wie gerufen.
Er hoffte auch, sich so vor Anette beweisen zu können.
Nur geriet Anette nun in eine arge Zwickmühle.
Eigentlich war sie entschlossen gewesen, ihr Verhältnis mit dem Schäfer Robert weiter zu führen, wie bisher und mit Willi ihre Bedürfnisse nach Zärtlichkeit auszuleben.
Der Schäfer war zwar ziemlich einfalls- und phantasielos, aber zuverlässig und berechenbar. Er hatte noch nie einen großen Sinn für Romantik gehabt, war dafür praktisch veranlagt und ein guter Ratgeber, wenn sie Sorgen mit ihren Tieren hatte. Das Leben mit ihm bot keine Höhepunkte - aber Sicherheit, und die brauchte sie vor allem, wie sie meinte. Robert brachte auch Geduld für ihre jugendliche Unruhe auf und war geneigt, ihr letztlich den Seitensprung mit dem Drachen zu verzeihen.
Sie würde also wahrscheinlich ein weiteres Beispiel dafür werden, dass sich eine Frau letztlich für die "Vernunft" und nicht für ihre Liebe entschieden hätte, dabei aber heimlich ihren Mann untreu wäre. Denn ihr Herz schlug eindeutig für den Drachen da oben auf dem Berg, dem es jetzt an den Kragen gehen sollte.
Aber ausgerechnet ihr Georg wollte dies tun. Sie wusste nicht, ob sie mehr um ihn oder das geliebte Monster fürchten sollte. Bei Georgs dümmlicher Entschlossenheit kam es sicher zum Äußersten.
Wechselweise sah sie vor ihrem geistigen Auge den Drachen oder Georg blutend den letzten Atem aushauchen; beide Möglichkeiten gefielen ihr gleich wenig.
Sie besuchte den angehenden Helden auf dem Hof seiner Eltern, um ihm sein Vorhaben auszureden.
Georg missdeutete ihr Kommen völlig; in seinem Wunschdenken glaubte er, Anettes Sorge um ihn sei ein Zeichen wiedererwachter Liebe.
Er verstand kein bisschen, was sie eigentlich von ihm wollte, nämlich dass er sich etwas abkühlen und nachdenken solle. Sie beschwor ihn, dass er das Unsinnige seines Vorhabens einsehen, die unnötige Gefahr vermeiden und den Drachen in Ruhe lassen solle.
Aber im Gegenteil, der junge Mann fühlte sich noch ermuntert.
Anette war verzweifelt. Sie wäre sogar so weit gegangen, um des lieben Friedens willen Georg zu versprechen, zu ihm zurück zu kehren, wenn sie damit hätte erreichen können, dass die gewalttätige Auseinandersetzung zwischen zweien, die sie beide liebte, verhindert worden wäre. Georg gefiel sich derart in seiner Beschützerrolle - er glaubte wirklich, Anette vor dem Drachen beschützen zu müssen - dass sie bald einsah, nichts ausrichten zu können und ging bedrückt wieder zu der Schäferhütte.
In der Nacht fasste sie einen folgenschweren Entschluss.
Noch vor dem Morgengrauen schlich sie sich leise davon, ließ ihre Ziegen im Pferch und eilte zum Drachenberg.
Die Sonne stand noch nicht hoch, als sie vor Willis Höhle anlangte. Ihr Blick schweifte kurz über das Tal und sie fragte sich, ob sie wohl jemals wieder so glücklich wie in den letzten Wochen diese Landschaft würde betrachten können.
Leise rief sie nach Willi.
Nichts rührte sich in der Höhle, also begann sie mit dem Abstieg ins Innere des Berges.
Sie war noch nie im Inneren der Drachenhöhle gewesen und der Gedanke machte ihr auch etwas Unbehagen, obwohl sie wusste, dass Willi ihr niemals etwas antun würde.
Vielleicht war es auch nur die stetig zunehmende Dunkelheit, die ihr Herz so beklommen werden ließ.
Schließlich konnte sie sich den Weg nur noch ertasten.
Als sie in der eigentlichen Höhle ankam, sah sie Willi auf seinem Schlafplatz liegen, die glühenden Augen halb geschlossen.
Er hatte sie erwartet und als sie in seinen Blickwinkel kam, sprang er freudig auf und eilte ihr entgegen; zwar hatte er ihre Gedanken gelesen, aber er wollte der Wahrheit nicht ins Auge sehen.
"Ist das wunderbar, dass Du mich endlich einmal in meiner Höhle besuchen kommst. Mache es Dir recht gemütlich! Jetzt kann ich Dir endlich einmal meinen ganzen schönen Krimskram zeigen."
Damit wollte er auch sogleich beginnen.
Anette stiegen die Tränen in die Augen, wie er herumwuselte, ein bequemes Lager für sie bereitete, ein paar schöne Gegenstände herbeischleppte und sie mit großen Kinderaugen vor Anette aufbaute.
"Willi, ich bin nicht zum Spaßen hergekommen", sagte sie endlich. "Wir beide müssen jetzt ganz vernünftig sein. Ich habe die ganze Geschichte gehört, die da unten im Dorf passiert ist und ich mache Dir überhaupt keinen Vorwurf. Ich weiß, dass Du bestimmt nichts Schlimmes tun wolltest, aber mit dieser Meinung bin ich im Dorf leider alleine.
Ich habe Dich sehr, sehr lieb, aber ich kann es mir nicht vorstellen, hier in Deiner Höhle mit Dir zu leben.
Und da ist noch etwas.
Unter den Menschen, die Dich bekämpfen wollen, sind Freunde von mir, an denen mir auch viel liegt. Ich kann den Gedanken, dass ihr gegenseitig versuchen könntet, euch gegenseitig umzubringen, nicht ertragen."
Sie machte eine Pause. Als sie weiter sprach, konnte sie den Drachen nicht mehr anschauen.
"Lieber Willi, könntest Du nicht einfach von hier verschwinden?
Du musst mir glauben, dass auch mir dieser Gedanke das Herz zerreißt, aber besser so, besser Dich in Sicherheit zu wissen und zu verhindern, dass Menschen aus dem Dorf zu Schaden kommen.
Du findest bestimmt irgendwo anders eine schöne Höhle und neue Freunde.
Flieg weg, mein geliebter Drache, flieg weit übers Land und komme nie mehr wieder."
Mit diesen Worten stand sie auf, stürmte durch den Gang zum Höhlenausgang und den Berg hinab. Die Tränen liefen ihr in Strömen über das Gesicht und vom Staub und den Versuchen, sich die Augen zu wischen, war sie bald ganz verschmiert.
So aufgelöst kam sie in der Schäferhütte an, warf sich vor den Augen des erstaunten Robert auf ihr Bett und schluchzte laut in das Kissen.
Der ging achselzuckend aus der Tür und überließ Anette ihrem Schmerz.
Willi saß da, als hätte ihn der Donner gerührt.
Er hatte noch ein schönes Kleid im Maul, das er ihr schenken wollte, und sah halb lächerlich, halb jämmerlich aus, jedenfalls ganz verdutzt.
Das war etwas viel auf einmal: Anette wollte ihn loshaben….!
In seinem Inneren fing es an zu brodeln und zu grollen, er war nahe dran, aus der Höhle zu fahren, seine ganze Wut zu ballen und das Dorf samt seinen lästigen Bewohnern dem Erdboden gleich zu machen. Das wäre, wenn er sich anstrengte, eine Sache von knapp fünf Minuten gewesen, dann wäre der Frieden wieder hergestellt und er der Herr der Lage.
Aber so wollte er sich doch nicht hinreißen lassen.
Dann wäre er ja keinen Deut besser gewesen, als sein düsterer Vorgänger, den er wegen seiner Gewalttätigkeit und Brutalität verachtete - und er wäre der Versuchung der dunklen Mächte erlegen.
Er zwang sich zu Ruhe und Besonnenheit. Als er genau nachdachte, bemerkte er Anettes Absicht, auch ihn zu beschützen. Und "mein geliebter Drache" hatte sie gesagt, also kein Grund zur Panik!
In solchen Situationen musste ein kluger Drache die Ruhe bewahren, und so einer wollte er ja schließlich sein.
Jetzt wurde ihm auch endlich die Warnung klar, die ihm Anette gebracht hatte. Offenbar braute sich da etwas zusammen, während er friedlich in seiner Höhle gesessen und an nichts Böses gedacht hatte.
Die Bauern waren tatsächlich so kühn, ihn in seiner Höhle angreifen zu wollen! Das belustigte ihn fast schon wieder. Diese Ahnungslosen hatten wirklich keine Vorstellung, was ein Drache in seiner Höhle vermochte, welche Macht er gerade dort hatte.
Also kein Grund zur Sorge, aber Wachsamkeit konnte nie schaden.
Willi wollte den Angriff der Bauern abwehren, sich dauerhaft Respekt verschaffen, aber es sollte niemand dabei zu Schaden kommen. Das war sein Entschluss, den er nach gründlichem Nachdenken fasste.
Anettes Vorschlag, einfach zu verschwinden, war für ihn natürlich vollkommen unannehmbar. Er fühlte sich sehr wohl, hier in seiner Höhle.
Dort hatte er zu sich selbst gefunden, war mit seinem Berg verwachsen. Und er liebte die Gegend, sie war seine Heimat geworden.
Die Auseinandersetzung mit dem Dorf beruhte ja nur auf einem Missverständnis, das durfte er nicht überbewerten. Wenn er klug vorging, konnte er sich die Bauern mit ein paar eindrucksvollen Beweisen seiner Macht vom Hals halten und erreichen, dass erst einmal wieder Ruhe einkehrte. Dann wollte er versuchen, mit dem Dorf Kontakt aufzunehmen und wieder Frieden zu schließen.
Schließlich hatten die Menschen und er eine lange Zeit keine Probleme miteinander gehabt; seine Anwesenheit gab dem Dorf sogar einen gewissen Schutz vor möglichen anderen Gefahren.
Und er würde anbieten, den angerichteten Schaden mit etwas Gold aus dem Drachenschatz wieder gut zu machen.
Willi blieb stur in seiner naiven Überzeugung, er könne ein Teil, ein Mitglied dieser Welt sein und von ihr als solcher akzeptiert werden.
Aber zunächst musste er auf der Hut sein und einen Plan für sein weiteres Vorgehen machen.
Er beschloss, erst einmal aus der Höhle zu kriechen und sich einen Überblick zu verschaffen. Ein klarer Spätherbstmorgen ermöglichte ihm eine weite Sicht ins Tal.
Von seinem Platz am Höhleneingang aus konnte er jede Bewegung zwischen dem Dorf und dem Berg genau beobachten. Er bemerkte, dass sich eine Gruppe bewaffneter Männer mit Pferden und einem Wagen vor dem Dorf versammelte und für den Abmarsch bereit machte.
Der günstigste Augenblick, sie anzugreifen, wäre zweifellos, wenn sie etwa eine halbe Stunde vom Dorf entfernt, mitten im Tal wären. Er könnte sich hinter einem der seitlichen, kleinen Berge versteckt halten und sie dann vollkommen überraschen. Die Bauern rechneten überhaupt nicht mit einem Angriff und erwarteten, ihn von seiner Verletzung erschöpft und schlafend in der Höhle vorzufinden und am allerwenigsten dachten sie sicher zu dem von ihm gewählten Zeitpunkt an einen Überfall des Drachen.
Er würde sie vollends überrumpeln können.
Sachte ließ er sich in die Luft gleiten, segelte langsam, knapp über den Baumwipfeln in ein Seitental und flog die Stelle, an der er die Möchtegern - Drachentöter erwarten wollte, vorsichtig von hinten an.
Ein hervorstehender Felsen bot sich als Ausguck an, dort ließ er sich nieder und behielt den Weg durchs Murmeltal, auf dem der kriegerische Haufen entlang ziehen musste, genau im Auge.
Er selbst war vom Dorf aus nicht zu sehen.
Ungefähr eine dreiviertel Stunde später sah Willi erst zwei Reiter, eine Art Vorhut, und dann den Rest der Kolonne den Weg zum Berg hinauf ziehen.
Er, holte tief Luft, machte sich noch einmal so richtig seine Wut bewusst und in Sekundenschnelle schwoll er zu einem schrecklichen, riesig großen Drachen an. Dann ließ er sich von einer Windböe emportragen, schwang kräftig seine Flügel und warf sich dem Feind entgegen.
Diesmal achtete er genau darauf, dass er seinen verwundbaren Bauch vom Feind abgewandt hielt.
Im Nu hatte er die völlig überraschte Gruppe erreicht.
In rasendem Sturzflug umrundete er sie und spie Feuer, soviel er nur konnte, zielte aber so, dass die Flammen zwar niemanden verletzten, aber die Männer und Pferde nur knapp verfehlten.
Die Tiere waren sofort in Panik geraten und hatten ihre Reiter abgeworfen. Die Zugpferde des Wagens waren durchgegangen, der Lenker gerade noch abgesprungen und das Gefährt verschwand zusammen mit den übrigen Pferden in einer Staubwolke in Richtung des Dorfes.
Rund um die Männer schlugen hohe Flammen, die Willi durch immer neue Feuerstöße nährte. Er veranstaltete einen ungeheuren Feuerzauber, brüllte, dass den Männern die Ohren dröhnten und tobte sich so richtig aus.
Die armen Bauern lagen zitternd auf dem Bauch flach am Boden und drückten ihre Gesichter ins Gras, die Hände hinter dem Nacken verschränkt.
Sie erwarteten ihr sicheres Ende.
Plötzlich war es ganz still. Nach einiger Zeit wagte es der erste und mutigste der Bauern - es war Georg - leicht den Kopf zu heben und sich umzuschauen. Die Luft schien rein zu sein.
Erleichtert seufzte er auf und sah sich aber nochmals vorsichtig um.
Der Drache war fort.
Erleichtert rief er es den anderen zu. Nach und nach erhoben sie sich und wurden sich klar, dass ihnen außer dem Schrecken nichts zugestoßen war. Erleichtert fielen sie einander in die Arme.
Eilig kehrten sie in das Dorf zurück, um ihre Familien und Freunde zu beruhigen, die voller Verzweiflung den Angriff des Drachen vom Dorf aus mit angesehen hatten und sich nichts anderes hatten vorstellen können, als dass ihre Lieben in dem Feuersturm umgekommen wären.
Das Dorf feierte ein Fest aus Freude über die glückliche Rückkehr der Männer; die Pferde mitsamt dem Wagen waren längst schon wieder im Dorf angekommen.
Die Stelle, an der Willi das Tal versengt hatte, blieb lange ein schwarzes Mahnmal für alle, die den Weg entlang zogen.
Fortan hatte tatsächlich niemand mehr Lust, sich mit dem Drachen anzulegen. Und als sich zeigte, dass keine weiteren Überfälle mehr erfolgten, beruhigte sich allmählich wieder alles. Willi hatte gesiegt, ohne wirklich Schaden und Leid anzurichten.
Den Dorfbewohnern wurde bald klar, dass der Drache sie großzügig geschont hatte.
Trotzdem mochte sich außer einer unglücklichen, jungen Frau niemand vorstellen, mit dem Drachen Freundschaft zu schließen.
All diese Ereignisse hatten Anette in eine arge Krise gestürzt.
Sie wollte nun doch ihr Leben ändern, hatte bemerkt, dass das selbst gewählte Dasein einer Ziegenhirtin, so wie sie es die ganzen Jahre geführt hatte, nicht alles war, was sie sich wünschte und die Leere, die Freudlosigkeit, die in ihre Beziehung zu Robert eingekehrt war, hatte sie gründlich satt.
Mit dem Drachen hatte sie Wunderbares erlebt, hatte das Gefühl gehabt, ihre Seele könne auf einmal wieder atmen und lachen. Sie hatte das Träumen wieder entdeckt.
Aber ein Drache war nun einmal ein Drache.
Das Leben mit ihm hätte seine schönen Seiten gehabt, wäre vielleicht abwechslungsreich und interessant gewesen. Aber es hatte so wenig, was ihr vertraut war und ihr Wunsch nach einer richtigen, eigenen Familie könnte mit dem Drachen in dieser Welt niemals in Erfüllung gehen, bei aller Zauberei, zu der er in der Lage war. Dieser Gedanke machte sie traurig aber entschlossen.
Und Georg müsse sich endlich auch damit abfinden, dass sie ihn wie einen guten Freund oder vielleicht sogar Bruder mochte, aber nicht mehr.
Anette saß zusammengekauert, die Füße angezogen, auf der Holzbank vor der Schäferhütte, ihre beiden Katzen umschmeichelten sie.
Sie dachte nach und zuletzt war sie sich sicher:
Morgen würde sie ein letztes Mal auf den Berg steigen und dem Drachen Lebewohl sagen.
Stille Tränen rannen ihr über die Wangen und ließen auf ihrer weißen Hemdbluse rasch große, nasse Flecken wachsen.
Sie würde sich von ihren Lieben trennen, einen vollkommen neuen Weg einschlagen.
In der Stadt lebte eine Freundin, die vor zwei Jahren dorthin geheiratet hatte, mit deren Hilfe würde sie die erste Zeit überstehen und ihr Leben neu ordnen können.
Sie war eine schöne, junge Frau, in vielem geschickt, und hatte ein freundliches Wesen - die Welt stand ihr offen, wenn sie sich nicht vor ihr verschloss.
Es war an der Zeit, ihr Geschick in die Hand zu nehmen!
Willi war nach seinem so erfolgreichen Überraschungsangriff im Tal zufrieden in seine Höhle zurückgekehrt, hatte etwas später einen Rundflug in großer Höhe unternommen und festgestellt, dass für die weitere Zukunft keine Gefahr mehr bestand.
Er hatte seine Ruhe wieder. Wenigstens für die nächste Zeit.
Nun konnte er seine Gedanken wieder ganz auf Anette richten, die er trotz all der Ereignisse nicht einen Moment vergessen hatte.
Gern wäre er ins Tal zu ihr geflogen. Bei diesem Gedanken wurde ihm ganz warm ums Herz.
Aber das wäre nicht klug gewesen und so blieb es bei der Vorstellung an ein freudiges Wiedersehen.
Nach ein paar Stunden Träumerei und Schwelgen in schönsten Gedanken wurde er etwas nüchterner und fing an, ernsthaft nachzudenken.
Er liebte Anette von Herzen, glaubte in ihr die Partnerin gefunden zu haben, die er sich immer gewünscht und erträumt hatte. Ja, erträumt.
Aber Träume sind nun mal Träume.
Er war ein Drache, hatte üble Angewohnheiten, war vom Alleinsein schrullig und egoistisch geworden. Sicher würde er nicht nachlassen, sich zu überschlagen, die schöne junge Frau zu verwöhnen, sie wie seine Königin zu behandeln.
Aber würde er von ihr verlangen können, auf eine richtige Familie zu verzichten, mit ihm in seiner Drachenhöhle zu hausen und auch seine düsteren Seiten zu ertragen?
Anette zu treffen war für ihn ein glückliche, schicksalhafte Wende gewesen. Er hatte seine Sprache wieder entdeckt, hatte endlich Zugang zur Großen Magie gefunden und sich dem Leben wieder geöffnet. Das alles konnte ihm keiner mehr nehmen.
Anette an sich zu binden wäre egoistisch gewesen, zu egoistisch selbst für einen alten, einsamen Drachen, der sich so sehr eine so schöne Gefährtin wünschte.
Aber er wollte unbedingt, dass Anette glücklich war.
Sie sollte in die Welt ziehen, ihn und das Dorf hinter sich lassen und ein neues Leben suchen. Jung, schön und klug, wie sie war, würde sie das auch selbst erkennen und auch sicher ihren Weg finden.
Dieser Gedanke stimmte ihn zuletzt sogar ein wenig froh, tröstete ihn aber nicht völlig über die Traurigkeit hinweg, die bei dem Gedanken an den Abschied in ihm aufstieg. Er würde die strahlenden Augen dieser fröhlichen jungen Frau nie mehr sehen, ihr Lachen nicht mehr hören. Sie würde ihm unglaublich fehlen.
Eine dicke Träne wuchs in seinem linken Auge, das dem Herz, das immer schwerer wurde, am nächsten war.
Willi hing an Anette, dabei aber auch ein ganzes Stück an seinen unrealistischen Träumereien von einer gemütlichen Zweisamkeit in seiner Drachenhöhle, mit lustigen Ausflügen in die Umgebung oder die ganze Welt. Davon, dass er sich an seiner Drachengeliebten erfreuen könnte, an ihrer Schönheit und ihrem Tun, sich mit ihr zu unterhalten und ihr seine Drachengeschichten zu erzählen. Und sie wäre mit diesem Leben glücklich und zufrieden....
Das war allzu egoistisch gedacht; aber Liebe birgt die Gefahr egoistischen Verlangens, lässt den Wunsch nach ständiger Nähe, Umklammerung entstehen.
Er würde sich sehr schnell daran gewöhnen, dass sie immer bei ihm wäre, so sehr, dass er vielleicht denken konnte, nie mehr ohne sie sein zu können.
Diese Gedanken erschreckten ihn, soweit durfte es nicht kommen.
Aber es war ohnehin kaum vorstellbar, dass sich eine junge Frau mit so einem Leben auf Dauer abfinden könnte. Früher oder später käme sicher in ihr dann diese gewisse Leere wieder. Anette würde erst still, dann traurig und schließlich ruhelos werden. Und irgendwann würde sie ihn so oder so verlassen, denn außerdem war sie ein im Vergleich zu ihm sehr kurzlebigen Geschöpf. Das würde ihm jedenfalls das Herz brechen. Nein, soweit durfte er es nicht kommen lassen.
Eine wunderschöne, wenn auch ziemlich kurze Zeit hatte er mit Anette gehabt.
Er war mit ihr unbeschwert und fröhlich gewesen, hatte dieses herrliche Gefühl der Verliebtheit genossen, alles hatte sich seitdem verändert.
Das musste ungetrübt bleiben. Der Drache las es ganz deutlich in ihren Gedanken: Anette würde ihn jetzt verlassen und das war gut so! Für sie beide!
Willi schüttelte den Kopf und lachte sein polterndes Drachengelächter, als er sich dabei erwischte, dass er im Stillen ein wenig hoffte, Anette würde eines Tages doch zu ihm zurückkehren. Aber warum sollte er sich diesen schönen Traum nicht gönnen, solange er sich klar war, das es auch immer ein Traum bleiben würde? Er machte es sich in seiner Höhle gemütlich, rauchte seine Pfeife und las eine lange Geschichte, bis er schließlich ruhig einschlief.
Am nächsten Tag regnete es.
Der Drachenberg lag in dichten Wolken und hätte Anette den Weg zur Drachenhöhle nicht genau gekannt, sie hätte sich hoffnungslos verirrt. Schweren Herzens war sie glitsch nass den langen Weg den Berg hinauf gewandert.
Als sie, am Höhleneingang angekommen, kleine Rauchwölkchen aufsteigen sah, schmunzelte sie und stieg hinab in Willis "Wohnzimmer". Willi lag auf seinem Schlafplatz und hob aber gleich den Kopf, als er Anette kommen sah.
"Hallo Willi", rief sie ihm leise entgegen. Ihre Stimme zitterte ein wenig.
" Ich bin gekommen, um Dir für immer Lebewohl zu sagen."
Weiter kam sie nicht, sie stürzte auf Willi zu, hing ihm am Hals und schluchzte laut.
Willi legte zärtlich seinen Flügel um ihre Schultern und rieb sanft seine Wange an der ihren.
"Ich weiß, meine Geliebte, und meine Geliebte wirst Du dennoch immer bleiben. Wie könnte ich Dich je vergessen?"
Er nahm diese Gestalt des etwas älteren Mannes mit leicht ergrautem Haar an, und hob Anette, die erschöpft auf einem Stein zusammengesunken war, sanft auf. Zärtlich schloss er sie in seine Arme. Sie schaute ihn verwirrt an, als er ihr ernst aber freundlich tief in die tränennassen Augen sah.
"Anette, weil ich Dich sehr liebe, kann ich nicht zulassen, dass Du unglücklich wirst. Du musst hinaus in die Welt, so jung und hübsch, wie Du bist. Dort musst Du Dein Glück suchen, nicht hier in der Drachenhöhle bei mir. Das hast Du ganz klug entschieden! Jaja, ich weiß das schon alles! Und, dass Du die Gegend verlassen, ganz neu anfangen willst.
Ich bin mir ganz sicher, dass dies das einzig Richtige ist!
Ich werde Dich nie vergessen und Dir in meinen Gedanken immer nahe sein! Und wenn Du in Bedrängnis bist, rufe mich und ich werde Dir beistehen, wie, das wirst Du dann schon sehen."
Willi in der Gestalt dieses majestätisch aussehenden Aristokraten umarmte und küsste Anette zum Abschied leidenschaftlich, sah ihr in die Augen und plötzlich wusste sie nicht mehr, was mit ihr geschah.
Als sie wieder zu sich kam, saß sie an einen Baum gelehnt unten im Murmeltal in der Nähe der "Drachenquelle". Auf ihrer Stirn drückte etwas, und als sie mit einer Hand nachfühlte, spürte sie einen schweren Reif. Den nahm sie ab und hielt ein kostbares, goldenes und mit Edelsteinen besetztes Diadem, das einer Königin Ehre gemacht hätte, in der Hand. Jetzt spürte sie auch an beiden Armen die breiten, dazu passenden, ebenfalls mit Juwelen geschmückten Armreifen und einen herrlichen Ring mit einem großen, klaren, funkelnden Stein an ihrem Finger.
Der Drache hatte sie zum Abschied reich beschenkt, wie er es einmal geträumt hatte.
Sie würde nie wieder arm sein.
Traurig dachte sie daran, dass sie ihm gar nicht mehr all das hatte sagen können, was sie sich vorgenommen hatte, dass er immer ihr Liebster bleiben würde und vieles andere mehr.
Aber ihr fiel ein, dass Willi ja ihre Gedanken hatte lesen können.
Sie sah den Ring an und drehte ihn versonnen leicht am Finger, während sie zärtlich an ihren Drachen dachte. Da hörte sie plötzlich seine Stimme.
"Ich wusste, dass Du schnell hinter das Geheimnis dieses Ringes kommen würdest, meine Geliebte. Immer wenn Du an mich denkst und den Ring am Finger drehst, sind wir vereint und können uns in Gedanken miteinander unterhalten. Aber wenn Du eines Tages den Mann triffst, den Du wirklich liebst, musst Du den Ring ablegen und in die Luft werfen. Dann kehrt er zu mir zurück und ich habe ihn als ewige Erinnerung an Dich.
Und jetzt lebe wohl, mein Schatz!"
Anette erwachte, wie aus einem Traum. Sie ging zurück in ihr Dorf - ein letztes Mal.
In der Hütte packte sie eine Umhängetasche und einen Rucksack mit dem Nötigsten und verabschiedete sich von Robert.
Der war nicht weiter überrascht und es tat ihm sehr Leid um seine Gefährtin aber mehr um seine lieb gewonnenen Bequemlichkeiten. Wiederum machte er keinen Versuch, sie zurück zu halten, sie umzustimmen.
Er drückte sie aber lange und überraschend innig, wünschte ihr Glück und ging mit raschen Schritten aus der Hütte zu seinen Schafen.
Bevor Anette endgültig Buchenhausen verließ, besuchte sie auch Georg noch einmal.
Der war nach dem Drachenkampf verändert. Er nahm Anette fest bei den Händen und sagte ihr, er werde nun endlich auf dem großen Hof seines Vaters das tun, was von ihm erwartet würde und seine Bubenstreiche beenden.
Auch eine Frau wolle er sich suchen "wenn ich schon Dich nicht bekomme", sagte er mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Er küsste Anette auf beide Wangen und sie trennten sich als gute Freunde.
Ein weiter Weg lag vor der jungen Frau, vor allem der Weg zu sich selbst. So sah sie es zumindest; aber sie war freudig entschlossen und dies drängte alle aufkommenden Ängste vor dem Unbekannten, das vor ihr lag, zurück.
Alleine wanderte sie zu der Stadt, in der sie ihr neues Leben finden wollte.
Aber ihren geliebten Drachen würde sie nie vergessen, vielleicht ihn sogar eines Tages wieder sehen........
Das kann doch nicht das Ende sein!
Märchen gehen immer gut aus!
Am Ende wird das Böse besiegt, der Schatz wird gefunden und das Liebespaar heiratet und lebt glücklich bis an sein Lebensende.
Auch dieses Märchen soll sein schönes Ende haben. Aber das wird noch ein Weilchen auf sich warten lassen.
Anette reiste also in die Stadt zu ihrer Freundin.
Ihr Leben veränderte sich rasch.
Sie war erfolgreich in allem, was sie unternahm, sodass es ihr gut ging und sie mehr als nur ihr Auskommen hatte. Bald konnte sie sich eine eigene Wohnung nehmen.
Der Segen des Drachen lag über ihr, beschützte sie und ließ alles, was sie anfasste, gut gelingen.
Und viele neue Freunde fand sie. Hier in der Stadt lebte man leichter, war gesellig und lustig. Auch einige nette junge Männer lernte sie kennen, fand in Martin, einem netten Arbeitskollegen, einen neuen Liebhaber und war recht glücklich.
Bei allem fehlte ihr aber sehr die Natur, die sie als Hirtin so lieben gelernt hatte.
Aber immer seltener drehte sie in dieser Zeit am Drachenring, um mit Willi zu sprechen.
Sie war ausgefüllt vom raschen Leben der Stadt, kam kaum zum Nachdenken.
Ihr Gefährte Martin war sehr verliebt in sie und bedrängte sie, seine Frau zu werden, eine Familie zu gründen. Er kam aus einem guten Hause, hatte freundliche, wohlhabende Eltern und ein Leben mit ihm wäre sorgenfrei und eigentlich genauso gewesen, wie sie es sich einmal erträumt hatte.
Sie musste sich entscheiden.
An einem Abend hatte sie sich allein in ihre Wohnung zurückgezogen, um ihre Gedanken zu ordnen.
Die Ehe mit Martin hatte viel Verlockendes, aber wirkliche Leidenschaft, welche sie damals mit dem Drachen erlebt hatte, empfand sie für ihn nicht. Sie hätte bei ihm Sicherheit, Wohlstand, eine Familie und Ansehen gefunden. Martin liebte sie vielleicht wirklich, wäre ihr ein treuer und fürsorglicher Ehemann.
Aber er hatte keine Phantasie und seine Bemühungen, zärtlich zu sein, waren ebenso unbeholfen, wie einst Roberts gewesen waren.
Bliebe sich hier in der Stadt, wäre dies auch der endgültige Abschied von ihrem Drachen - auf nimmer Wiedersehen. Sie würde sich niemals hier oder in der Nähe der Stadt mit ihm treffen können!
So musste sie wieder an die Küsse des Drachen denken, an die wunderbaren Gefühle, die sie erlebt hatte, wenn er sich in diesen älteren Mann verwandelt hatte und sie sich geliebt hatten.
Nie wieder hatte sie einen anderen Mann so begehrt, an keinen mit solch zärtlichem Verlangen gedacht.
In solche Erinnerungen versunken drehte sie ein wenig an dem Ring, wandte ihre Gedanken aber rasch wieder ab um keinen Kontakt zu Willi zustande kommen zu lassen.
Den Ring und die Erinnerung an den Drachen würde sie für Martin nicht aufgeben wollen, das wurde ihr nun klar.
Sie erinnerte sich, dass sie den Drachen verlassen hatte, weil ihr die starken Gefühle, die sie für ihn empfunden und die er genauso erwidert hatte, allein nicht ausreichend erschienen waren, auf Dauer glücklich zu sein. Denn selbst die größte Liebe zu einem Drachen, das hatte sie doch erkannt, konnte keine Zukunft haben.
Ein Drache war nun einmal ein Drache, ein Fabelwesen.
Sie aber war eine junge Frau aus Fleisch und Blut, mit dem Wunsch nach einer eigenen Familie, einem Heim, einem guten und verlässlichen Mann. Sie hatte sich immer ein solch einfaches Leben gewünscht, so wie sie es andere Frauen auch hatten. Dort hatte sie ihre Erfüllung gesehen, daran hatte sich auch jetzt nichts geändert.
Die Stadt mit ihrem Wohlstand, den vielen Bequemlichkeiten und dem Luxus erschien ihr nicht mehr so attraktiv wie früher, letztlich bedeutete ihr das alles nichts.
Sie wollte wieder ein Leben in freier Natur führen können, so wie sie es eigentlich von Kind an gewohnt gewesen war, unter ihres gleichen.
Eigentlich hatte sie dies ja schon einmal gehabt und jetzt war es ihr erneut wichtiger als alles andere.
Das Liebesabenteuer mit dem Drachen hatte ihr damaliges Leben gründlich aufgemischt. Sie war danach vor sich selbst und vor allem vor denen, die sie wirklich liebten und die ihr doch so viel bedeuteten davon gelaufen!
Anette schlug das Herz bis zum Halse, ihr Atem ging schwer und schnell.
Plötzlich hatte sie das Gefühl, ganz klar zu sehen und vor allem, sich endlich ihrer Gefühle sicher zu sein.
Die herrlichen Gefühlsstürme, die der Drache in ihr entfesselt hatte, die hatte sie durch seinen Zauber kennen gelernt. Nie zuvor hatte sie solche erlebt.
Aber die reichten für sie, so merkte sie jetzt, eben doch nur zum Träumen und Schwärmen aus.
Diese Zuverlässigkeit und Gleichmäßigkeit, nach der sie sich auf einmal wieder so sehnte, die hatte sie doch bei ihrem Robert gehabt, hatte sie nur nicht mehr zu schätzen gewusst!
Es war ihr so langweilig gewesen.....!
Aber - war es nicht auch zu viel von einem so guten, schlichten Menschen verlangt, die Träume und geheimen Wünsche einer jungen Frau zu erahnen oder gar zu erfüllen? Lag es nicht an ihr, sich ihm zu öffnen, ihm mitzuteilen?
Er wäre sicher glücklich darüber gewesen.
Wie Schuppen fiel es ihr von den Augen: Robert, der gute, ruhige, ein bisschen langweilige Robert, der war ihr wirkliches Glück! Und sie würde ihn schon noch gehörig aufwecken!
Tatsächlich war Anette im "Erwecken" sogar beim Drachen erfolgreich gewesen!
In dieser Nacht packte sie kurz entschlossen einige ihrer Habe, schenkte vieles ihrer Freundin, die ihr so sehr geholfen hatte und schrieb Martin einen kurzen Abschiedsbrief.
Bei Sonnenaufgang ließ sie die Stadt hinter sich und wanderte, einen Esel mit ihren Sachen am Halfter, auf das Gebirge und Buchenhausen zu.
Als sie die Spitze des Drachenberges schon erkennen konnte, etwa einen halben Tagesmarsch vor ihrer alten Heimat, sah sie auf einmal ein herrliches Schloss auf einer Anhöhe, gar nicht weit von der Straße entfernt. Das war ihr damals auf ihrem Weg in die Stadt gar nicht aufgefallen.
Sie war etwas müde und durstig. Das Schloss sah einladend aus, ein breiter Weg führte zu ihm hin. Kurz entschlossen lenkte sie ihre Schritte darauf zu. Dort könnte sie sicher um einen Schluck frischen Wassers bitten.
Am Tor wurde sie von Dienern in Livree´ empfangen und durch einen schönen Park mit Blumenrabatten und Wasserspielen zu einem Salon geleitet. Anscheinend wurde sie erwartet?
„Don Guillermo El Dragón lässt bitten….“
In dem weiten, prächtig ausgestatteten Raum saß ein älterer Herr, der ihr den Rücken zukehrte, sich aber langsam zu ihr umwandte.
"Willi!" schrie die völlig überraschte und überwältigte Anette auf und fiel vor Erstaunen und Erschöpfung in Ohnmacht. Als sie wieder erwachte, ruhte sie auf einer breiten Liege, die mitten im Park stand, im Arm des Drachen, der noch immer die ihr so wohlbekannte Gestalt des älteren Herrn angenommen hatte.
Er blickte sie zärtlich an.
"Bist Du zurückgekehrt, meine über alles Geliebte?" fragte er sie leise.
Sie schlang ihre Arme um seinen Nacken und zog ihn an sich.
Dann hielten sie sich in den Armen, küssten sich und konnten lange nicht voneinander lassen. Schließlich richtete sich Anette auf und sah sich verwundert um und fragte schließlich:
"Wie kommst denn Du hierher? Und dieses Schloss, das hat es doch vorher nicht gegeben?"
"Das gibt es in Wirklichkeit auch noch immer nicht", sagte Willi geheimnisvoll.
„Die ganze Zeit über, während Du in der Stadt warst, habe ich Dich beobachtet, habe sozusagen ein wenig über Dich gewacht. Ich wollte nicht, dass Dir etwas zustößt.
Aber meine Sorgen waren ja ganz unnötig; Du kannst sehr wohl alleine auf Dich aufpassen!“
Und nach einer Weile fuhr er mit leiser, ernster Stimme fort:
„Anette, auch Deine Gedanken in der Nacht vor Deiner Abreise sind mir nicht verborgen geblieben.“
Er seufzte tief.
„Du hast endlich Deinen Weg gefunden. Und Du hast ganz recht:
Ein Drache bleibt ein Drache.
Ich werde in gewissem Sinne immer zum Teil über den Wolken schweben, wohin Du mir nun einmal nicht folgen kannst. Und das ist für uns beide schlecht.
Du sehnst Dich nach einem ganz normalen Menschenleben in Ruhe und Gleichmäßigkeit.
Das tue ich zwar auch ein wenig. Aber Du hast endlich auch erkannt, dass Du Dir das, was Du mit Deinem Drachen erlebt hast, für Dich in ein ganz normales Leben hinüber retten kannst. Dass es nur an Dir liegt, vielleicht Deinem Robert ein bisschen Pfeffer in die Hosen zu streuen. Das wird ihm gut tun und auch bestimmt sehr gefallen.
Ich habe in Deinem Leben meinen Part gespielt und meinen Zweck erfüllt.
Zauberdrachen sollen ja auch Glück bringen; nun ist es an Dir, es fest in Deine Hände zu nehmen.
Du hast mir allerdings auch sehr viel Glück gebracht und mein Leben verändert!
Und nun lauf schnell zu Deinem Robert; ich war so frei und habe ihn mit ein wenig Zauberei bewegt, dass er Dir in mancher Hinsicht ein wenig entgegen kommt. Schau mal...“
Anette blickte hinüber zum Tor, in dessen Richtung Willis Hand wies.
Ein sanftes, aber auch freudiges Gefühl stieg in ihr auf, als sie dort eine schlanke, große Gestalt in bräunlicher Schäferkleidung, einem Filzhut auf dem Kopf, herantraben sah.
Ihren Robert.
Diese Wiedersehensfreude überdeckte rasch die leichte Beklommenheit, welche bei Willis Worten wie ein Schatten über sie gekommen war. Ihr wurde klar, dass sie nun endgültig gewählt hatte.
So sprang sie auch auf und rannte Robert entgegen, fiel ihm mit einem satten Kuss auf den Mund um den Hals. „Hallo Robert, altes Haus!“ zwitscherte sie regelrecht.
Der hielt sie glücklich in seinen Armen, sah ihr ruhig und liebevoll in die Augen, nahm sie dann sanft bei den Schultern, drehte sie in Richtung Buchenhausen, hakte sie unter und ging mit ihr langsam auf ihre wieder gefundene Heimat zu.
Ein letztes Mal noch drehte sich Anette um, aber der Palast, der Garten und Willi waren schon verschwunden.
Sie lehnte ihren Kopf an Roberts Schultern, legte ihren Arm um seine Hüften und so gingen sie mit gemütlichen Schritten nebeneinander her, bis Robert sagte:
„Anette, Du hast mir so gefehlt und ich glaube, ich habe Dich auch ein wenig mit meiner Langweile aus dem Haus getrieben. Ich will, dass Du meine richtige Frau wirst, wir wollen Kinder haben und ein glückliches Leben führen.“
Das war für Roberts Verhältnisse eine lange Rede gewesen. Es war ja auch ein ganz besonderer Anlass, das fühlten beide. Der Drache hatte sie letztlich wieder vereint.
Anette, die Neugierige, wollte jetzt aber wissen, wie es Willi angestellt hatte, dass Robert so passend zur Stelle war. Sie fragte ihn: „Robert, wie kommt es eigentlich, dass Du hier ausgerechnet jetzt aufgetaucht bist?“
„Ich hatte vor, Dich in der Stadt zu suchen, Dich nach Hause zu holen. Letzte Nacht hatte ich so merkwürdige Träume, als würdest Du mich rufen. Und die ließen mich nicht mehr los, Du weißt, dass ich sonst gar nichts auf so was gebe, aber das war doch zu merkwürdig! Auf jeden Fall bin ich dann heute Morgen früh losgegangen und wollte im Schatten dieses Heuschuppen dort“, er wies zurück auf die Stelle, wo vor wenigen Momenten noch der Palast des Drachen gestanden hatte, „ein wenig ausruhen. Da kamst Du auf einmal dahinter hervor und bist auf mich zu gerannt.
Warst Du da drin? Anscheinend hattest Du die gleiche Idee?“
Robert hatte offenbar weder den Park und das Schloss des Drachen sehen können und Anette erinnerte sich, dass sie es ja mit einem Zauberwesen zu tun gehabt hatte und schmunzelte bevor sie weiter sprach:
„ Ach, Robert, ich bin so froh, dass ich wieder bei Dir bin. Und meine früheren, etwas verrückten Träume, die gehören nun endgültig der Vergangenheit an.“
Mit diesen Worten streifte sie den Drachenring, den sie die ganze Zeit getragen hatte, vom Finger und warf ihn hoch über sich in die Luft.
Ein Rauschen über ihnen, ein leicht spürbarer Luftzug verriet ihr, dass Willi unsichtbar über sie hinweg geschwebt war und den Ring aufgefangen hatte; der fiel nämlich nicht mehr zu Boden.
Robert nahm davon gar keine Notiz, hakte seine Anette wieder mit einem frohen und lieben Blick unter, und sie schlenderten weiter gemeinsam auf ihr Dorf zu.
Willi hatte hinter einer dicken Wolke verborgen "seiner" Anette lange nach geblickt und ein paar dicke Tränen rannen aus seinen Augen, die er aber gleich tapfer weg wischte. Nun war sie endgültig aus seinem Leben gegangen, aber er hatte sie auch ein wenig geschubst.
Dabei war er sich ganz sicher, das richtige getan zu haben, auch wenn es ihm sehr schwer gefallen war.
Lilianas Prophezeiungen waren alle eingetroffen:
Eine Menschenfrau hatte seine magischen Kräfte erweckt und er war an dieser Beziehung mit Anette mit all ihren Höhen und Tiefen gereift. Ohne es zu ahnen war er auf dem Weg zu seiner Bestimmung - seine Fähigkeiten zum Wohle anderer einzusetzen, zu helfen, ohne an den eigenen Nutzen zu denken. Er flog in seine Höhle zurück - es gab viel zu tun! Seine Neugier war von Wissensdrang verdrängt worden - er wollte nun so vieles erkunden, viel lesen, andere Länder bereisen. Dabei würde er auch seinen Trennungsschmerz bald verwinden. Auch war sich Willi inzwischen sicher, dass Anette trotz ihrer Schönheit und ihres Liebreizes nicht "die" Traumfrau gewesen war, von der er eigentlich immer noch träumte. Aber dieses Bild war seit einiger Zeit etwas verblasst; anderes erschien ihm derzeit wichtiger. Eine Zeit des Studierens, Sammelns und des Reisens stand dem Drachen bevor. Und dieser neue Lebensabschnitt könnte eine ganze Weile andauern.......
Was gäbe es da noch von Anette und Robert zu berichten?
Ein langes, ruhiges und zufriedenes, aber nicht mehr so langweiliges Leben, wie früher einmal. Drei gesunde, prächtige Kinder.....und wenn sie nicht gestorben sind......
Halt, halt, halt!
Der Drache ist doch die Hauptperson - und Drachen haben ein langes Leben….!
Na schön, wenn er ein neues Abenteuer erlebt hat, - vielleicht erzähle ich Euch davon.....?
Ende
der zweiten Geschichte
Natürlich ist das nicht das endgültige Ende; wie es mit Willi weiter geht, erfahrt Ihr in der
Dritten Geschichte: