Читать книгу Atlan 778: Schatzkammer des Todes - Harvey Patton - Страница 4
1.
ОглавлениеRückblende
Die YOI I glitt aus dem Linearraum ins Normaluniversum zurück. Sofort liefen alle Ortungen an, die Bildschirme wurden hell, und der Navigator führte die fällige Standortbestimmung durch.
»Alles in Ordnung, Obmann«, meldete er nach einer Weile, »wir sind am richtigen Punkt herausgekommen. Auch die STERNENSEGLER ist zugleich hier aufgetaucht, sie ist dicht hinter uns. Wir können das Orientierungsmanöver, wie vorgesehen, beenden und unseren Linearflug fortsetzen.«
Obmann Soray, der Schiffsführer, nickte zufrieden. Er erhob sich und wandte sich an Hauptmann Derlag, seinen Stellvertreter.
»Gut, dann übernimm jetzt du das Kommando, ich ziehe mich in meine Kabine zurück. Oder hast du noch irgendwelche Fragen?«
»Keine, Obmann«, erklärte Derlag militärisch kurz. »Ich hoffe, dass auch weiterhin alles glatt abgeht, so dass ich dich nicht in deiner Ruhe stören muss.«
Soray lächelte gequält.
»Danke, Hauptmann, aber damit hapert es zur Zeit. Es war wohl kein sehr guter Gedanke, eine derart zahlreiche Besatzung auf diesen Flug mitzunehmen; das Gewimmel hier an Bord geht mir auf die Nerven. Doch in ein paar Tagen sind wir wieder zu Hause, und dann steht mir noch eine Dekade Urlaub zu.«
Er verließ die Schiffszentrale, in ihr blieben nur Derlag, der Navigator und der Pilot zurück. Langsam ging er den Korridor entlang und genoss es förmlich, dass ihm jetzt niemand begegnete.
Seit kurzem herrschte an Bord der YOI I die Nachtperiode, alle übrigen Besatzungsmitglieder befanden sich in ihren Kabinen und schliefen wohl bereits.
Nicht sehr komfortabel, denn ihre Quartiere waren überbelegt. Normalerweise hatte das Aufklärungsschiff der Tessaler nur sechs Mann an Bord, diesmal jedoch die vierfache Anzahl.
Man hatte sie ausgeschickt, um in der Maske von Händlern auf dem Planeten Cirgro möglichst viele Glückssteine an sich zu bringen. Vor einiger Zeit war ein Daila nach Tessal verschlagen worden, und von ihm hatte man von der Existenz dieser geheimnisvollen Gebilde erfahren.
Mehr noch, er hatte einen bei sich gehabt, und das hatte auf dem Planeten einiges Aufsehen erregt. Er war ein Duplikat dessen, der als Heiliger Stein in einem Tempel verehrt wurde, und auf Cirgro sollte es unzählige davon geben!
Was lag also näher, als sich mehr von ihnen zu beschaffen?
Der Obmann seufzte leise, als er nun daran dachte, dass aus dem scheinbar leichten Vorhaben ein glatter Fehlschlag geworden war.
Inzwischen war im Muruth-System allerhand geschehen, und dabei hatten die Steine ihr Psi-Potenzial verloren. Mit ihnen ließ sich absolut nichts mehr anfangen, wie es hieß, und obendrein war es unmöglich geworden, auf Cirgro zu landen. Dies hatten die Tessaler von einem silberhaarigen Hominiden namens Atlan und seinen Begleitern erfahren.
Auf den anderen Planeten des Systems gab es solche Steine nicht, und das war mehr als bedauerlich. Es hatte ganz so ausgesehen, als sollten die Tempel auf Tessal keine weiteren Reliquien bekommen.
Nur eine vage Möglichkeit gab es noch.
Soray war außer Atlan auch einem anderen Mann begegnet, der sich in Gesellschaft eines mehr als exotischen fremden Wesens befand. Dieser Goman-Largo hatte vorgegeben, auf irgendwelchen Umwegen noch intakte Glückssteine beschaffen zu können. Und diese Aussicht hatte den Obmann natürlich gereizt.
Dieser Fremde hatte jedoch verlangt, als Vorleistung zunächst nach Tessal gebracht zu werden. Soray hatte zugestimmt, und so war die STERNENSEGLER mit Goman-Largo und Neithadl-Off der YOI I auf dem Weg dorthin gefolgt.
Eine Panne hatte die Tessaler jedoch gezwungen, unterwegs auf einem Depotplaneten ihrer Rasse zu landen. Der Aufenthalt dort hatte mehrere Dekaden gedauert, und in dieser Zeit hatte Soray viel Zeit zum Überlegen gehabt.
Bis dahin war sein Volk nur relativ wenig in Berührung mit den anderen Rassen von Manam-Turu gekommen. Es hatte sich in seinem Raumsektor sein eigenes kleines Sternenreich aufgebaut und fühlte sich stark genug, um keinen Gegner fürchten zu müssen. Doch von Atlan hatte der Obmann erfahren, dass es anderswo Machtfaktoren gab, mit denen durchaus nicht zu spaßen war.
Da waren nicht nur die Hyptons und Ligriden, mit denen es viel Ärger und Kämpfe gab, sondern auch noch ein geheimnisvolles Wesen namens EVOLO. Von ihm hieß es, dass es unsichtbar und praktisch unangreifbar war, und allein das war schon sehr bedenklich.
Daneben sollte es aber auch noch imstande sein, sich durch eine psionische Beeinflussung selbst in den Reihen seiner schärfsten Gegner Verbündete zu schaffen. Es konnte seine Spione also überall haben, und nun hatten sich die Tessaler erstmals in der Nähe seines Wirkungsbereichs gezeigt. Hatten sie vielleicht so sein Interesse auch an ihnen geweckt – war Goman-Largo womöglich ihr Werkzeug?
Möglich war alles!
Auch die Tatsache, dass er engen Kontakt zu Atlan gehabt hatte, war kein schlüssiger Gegenbeweis. Soray war in erster Linie Soldat, und als solcher musste er naturgemäß vor allem an die Sicherheit seines Volkes denken. Hatte er einen Fehler begangen, als er den Fremden erlaubt hatte, ihnen nach Tessal zu folgen?
Dieser Gedanke hatte den Obmann schon während des Aufenthalts auf Tichex geplagt, er hatte ihn jedoch für sich behalten. Jetzt kam er ihm jedoch aufs neue und ließ ihn nicht mehr los.
Soray erreichte seine Kabine, warf sich auf sein Lager und sah überlegend vor sich hin.
Sein Verdacht blieb, aber es gab bisher nicht den geringsten Beweis dafür. Ebenso gut konnten Goman-Largo und die Exotin auch vollkommen harmlos sein, und ihr Interesse an Tessal ebenfalls. Außerdem erwartete man dort von dem Obmann, dass er neue Heilige Steine heranschaffte, und das vergrößerte seinen Zwiespalt noch.
Dann werden wir eben besonders gut aufpassen müssen, wenn wir erst wieder zu Hause sind!, dachte er schließlich. Das Schiff der Fremden ist relativ klein. Viel Unheil anrichten können sie damit kaum.
Das Unheil war jedoch bereits im Gang, wenn auch auf eine ganz andere Weise, als Soray vermuten konnte.
Er hatte seine Überlegungen beendet, entspannte sich nun und bereitete sich auf die wohlverdiente Nachtruhe vor. Plötzlich lag jedoch ein seltsam brausendes und dröhnendes Geräusch in der Luft, der gesamte Schiffskörper schien in Schwingungen geraten zu sein.
Ein solches Phänomen trat sonst höchstens auf, wenn ein Schiff mit hoher Fahrt in eine Lufthülle eindrang, ohne vom Schutzschirm umgeben zu sein. Hier befand sich die YOI I jedoch im leeren Raum, weit von jedem Himmelskörper entfernt ...
Was soll das nur bedeuten, beim Heiligen Stein!, dachte der Obmann alarmiert.
Er trug die Verantwortung für Schiff und Besatzung, also wollte er aufspringen, um in die Zentrale zurückzueilen. Dazu kam es aber nicht mehr, die Bewegung wurde bereits im Ansatz gewaltsam gestoppt. Ein übermächtiger Druck presste den Schiffsführer tief auf sein Lager zurück, hielt ihn dort fest und trieb die Luft aus seinen Lungen.
Mit ihr kam ein stöhnender Laut aus seiner Kehle, doch davon merkte er schon nichts mehr. Der Druck wurde noch stärker und bewirkte, dass er innerhalb einer einzigen Sekunde das Bewusstsein verlor, und so wie ihm erging es auch allen anderen im Schiff.
Sie kamen dabei relativ gut davon, denn fast alle wurden im Schlaf von diesem Schock überrascht. Die drei Männer im Steuerraum waren zwar wach, aber schon beim ersten Anzeichen dieser Anomalie bauten sich automatisch Prallfelder rings um ihre Körper auf. Sie wurden trotzdem noch tief in ihre Kontursitze gestaucht und waren nicht mehr imstande, auch nur ein Glied zu rühren.
Sie verloren ihr Bewusstsein im gleichen Moment wie Soray, nun gab es im ganzen Schiff niemand mehr, der registrieren konnte, was weiter geschah.
Und das war schlimm genug ...
Die YOI I wurde von einem Augenblick zum anderen aus dem normalen Raum gerissen und zu einem Bündel aus reiner Energie. Als solches legte sie mitsamt ihren Insassen eine große Entfernung in einem übergeordneten Medium zurück, wurde dann wieder zu Materie und setzte in stabilem Zustand auf einer festen Oberfläche auf.
Die Tessaler blieben jedoch noch lange besinnungslos. Und so konnte auch keiner von ihnen das bewusst erleben, was danach mit ihnen und ihrem Schiff geschah.
*
»Wach endlich auf, Obmann!«, sagte eine laute Stimme.
Soray hätte am liebsten noch tausend Stunden weitergeschlafen, er fühlte sich so matt und zerschlagen, wie nie zuvor in seinem Leben. Doch die Stimme gab keine Ruhe und drängte immer weiter, eine Hand packte seine Schulter und rüttelte ihn durch.
Widerwillig gab er schließlich nach, atmete einige Male tief durch und öffnete dann langsam die Augen.
Zuerst sah er jedoch kaum etwas, erst nach und nach nahm in dem trüben Dämmerlicht um ihn herum ein Gesicht scharfe Konturen an. Er kannte es, das wusste er – aber woher nur ...?
Dann setzte aber plötzlich sein Gedächtnis wieder ein, und er wollte sich ruckartig aufrichten. Es blieb jedoch beim Versuch, schon im nächsten Moment sank er stöhnend wieder zurück, und rote Ringe tanzten vor seinen Augen. Ihm tat jedes Glied einzeln weh.
Er biss die Zähne zusammen, und allmählich ebbten die Schmerzen wieder ab. Nun setzte er sich langsam auf, sah Derlag an und fragte verständnislos: »Was ist geschehen, Hauptmann? Wo sind wir hier?«
Sein Stellvertreter hob hilflos beide Hände.
»Wir wissen es nicht«, bekannte er. »Auf jeden Fall nicht mehr im Schiff, sondern in einer subplanetaren Anlage, wie es scheint. Wie wir aber hier hergekommen sind ...«
»Wissen wir auch nicht!«, vollendete der Obmann mild sarkastisch, erhob sich nun ganz und sah sich um. Sein Verstand arbeitete nun wieder, und er entsann sich des seltsamen Geschehens im Schiff, als dessen Folge er bewusstlos geworden war. Ob die beiden Fremden wohl etwas damit zu tun haben mochten? Hatten sie den Zwischenfall inszeniert, um ihn und seine Leute auszuschalten und in ihre Gewalt zu bringen?
Dieser Verdacht lag nahe, aber Soray schob ihn vorerst beiseite. Mit dieser Frage konnte er sich später noch befassen, jetzt musste er erst einmal feststellen, wie die allgemeine Lage war.
Er erkannte, dass er sich in einem ziemlich großen Raum befand, der durch wenige Leuchtflächen an der Decke nur spärlich erhellt wurde. Er war rechteckig, und an den beiden Längswänden standen zwei Reihen von niedrigen metallenen Liegestätten. Sie waren oval und mit einem Kunststoff bespannt, der eine Mulde bildete, für einen der hochgewachsenen Tessaler allerdings reichlich klein.
Ein Teil dieser seltsamen Betten war noch belegt, darauf befanden sich die Besatzungsmitglieder der YOI I, die noch besinnungslos waren. Das war mehr als die Hälfte, die bereits Erwachten kümmerten sich um sie. Die Luft in diesem Raum war zwar atembar, aber besaß einen leicht modrigen Geruch.
Die Augen des Obmanns gewöhnten sich an das trübe Licht, und nun erkannte er noch mehr. Der Kunststeinboden war nicht nur mit Staub bedeckt, sondern auch mit grauen Fladen, die von der Decke und den Wänden abgeplatzt waren. Er sah auf das Muldenbett, auf dem er zuvor gelegen hatte, und bemerkte, dass auch seine Bespannung Risse aufwies, und damit stand sein Urteil fest.
»Du hattest Recht, Derlag«, bemerkte er, »dies muss zweifellos eine unterirdische Anlage sein. Eine sehr alte allerdings, die schon lange nicht mehr benutzt und von irgendwelchen fremden Wesen errichtet wurde, der Form dieser Liegen nach. Hat sich eines von ihnen hier blicken lassen, seit du zu dir gekommen bist?«
Der Hauptmann schüttelte den Kopf.
»Nein, hier war niemand außer uns, Obmann. Ich sehe aber dort im Staub irgendwelche Fußspuren, sie kommen von dem Eingang da vorn und führen auch wieder dahin zurück.«
»Woraus zu schließen ist, dass unsere Entführer jedenfalls keine Flügel besitzen«, sagte Soray in einem Anflug von Galgenhumor. Er ging ein Stück weiter, bis er sich unter einer der Leuchtflächen befand, bückte sich dann und betrachtete die Spuren aufmerksam. Auch sie hatten eine ovale Form und waren relativ klein, stammten also auf keinen Fall von hominiden Wesen.
Für die Füße der seltsamen Exotin waren sie aber wiederum um einiges zu groß, und das brachte seine anfängliche Vermutung ins Wanken. Weder Goman-Largo noch Neithadl-Off konnten ihn und seine Leute in diesen Raum transportiert haben, das stand nun fest.
Nein, doch nicht ganz!, verbesserte er sich in Gedanken. Es ist schließlich auch möglich, dass sie über irgendwelche Helfer verfügen, die hier gewartet hatten und die Arbeit für sie taten.
Soray beging einen groben Denkfehler, aber dessen wurde er sich jetzt noch nicht bewusst.
Er bedachte nicht, dass weder dem Modulmann noch der Vigpanderin die Position von Tessal und die Flugstrecke dorthin vorher bekannt gewesen waren. Sie hatten gar nicht wissen können, wohin sie diese Reise bringen würde, und deshalb auch keine Entführung planen und durchführen können. Sie waren jetzt in Bezug auf ihn und die YOI I nicht weniger ratlos als er selbst.
»Wir werden es herausfinden«, knurrte er und richtete sich auf. Dabei fiel sein Blick auf einen Gegenstand an der rechten Hüfte des Hauptmanns, und die gelben Pupillen seiner Augen weiteten sich.
»Man hat dir sogar deine Waffe gelassen, Derlag!«, stellte er überrascht fest. »Das ist zwar reichlich merkwürdig, es macht unsere Lage aber nicht ganz so aussichtslos, wie es bisher schien. Komm, wir sehen einmal nach, wie es damit bei den anderen steht.«
Es stellte sich heraus, dass auch der Pilot und der Navigator ihre Kombistrahler noch besaßen. Als Soldaten im Dienst war das Vorschrift für sie, und so hatte auch die jeweilige Mannschaft in der Zentrale sie angelegt.
Infolge der Nachtperiode waren das aber nur diese drei Männer gewesen; alle übrigen hatte man hier hereingebracht, wie sie in ihren Betten gelegen hatten, also kaum bekleidet und waffenlos. Doch drei Strahler waren erheblich besser als gar nichts, und so hellte sich das schmale Gesicht des Obmanns um einiges auf.
»Wir warten jetzt noch ab, bis sich alle wieder erholt haben«, bestimmte er. »Wenn sich bis dahin hier keiner unserer Entführer gezeigt hat, brechen wir aus! Wer sich uns entgegenstellt, wird niedergeschossen ... nein, nur paralysiert«, korrigierte er sich. »Ein tessalischer Soldat bringt niemand um, wenn es sich vermeiden lässt, und nur von Lebenden können wir erfahren, was mit unserem Schiff geschehen ist und wo wir es finden können.«