Читать книгу Wien by NENI - Haya Molcho - Страница 28
ОглавлениеSie ist einfach ein Phänomen. Von Kopf bis Fuß in Missoni gekleidet, mit passendem rotem Lippenstift und einer mit Blumen geschmückten Sonnenbrille aus Kunststoff begrüßt uns Susanne Widl im Schanigarten ihres berühmten Café Korb. So wie das Café im Herzen der Wiener Innenstadt ist seine Besitzerin ein zentraler und origineller Bestandteil der Wiener Gesellschaft. Susanne ist ebenso spontan wie herzlich und sorgt sich sofort darum, ob wir genug zu essen und zu trinken haben.
Das Café Korb ist seit langem ein wichtiger Ort für uns, unzählige Erinnerungen verbinden wir mit ihm. Wie so viele Korb-Stammgäste hat Haya hier oft stundenlang draußen auf der kleinen Terrasse gesessen, die jeden Gast zu einem Teil des öffentlichen Lebens werden lässt. Hier hat sie sich mit Freunden getroffen, manchmal schloss Samy sich ihnen an, und die Jungen kamen nach der Schule vorbei, um die Hausschlüssel abzuholen oder nach Hause mitgenommen zu werden.
Susanne wie auch das Café Korb haben spannende und miteinander verflochtene Lebensgeschichten. Model, Schauspielerin, Künstlerin, Muse und Restaurantbesitzerin – Susanne hat viele Seiten. Die Wände hier sind mit Fotos von ihr bedeckt, ein Portrait sticht besonders hervor: Susanne blickt direkt in die Kamera und hält einen großen Pudel. 1980 launchte das österreichische Mineralwasserunternehmen Römerquelle einen Werbefilm, der für Furore sorgte: Man sieht Schauspieler Eddie Constantine in einem repräsentativ eingerichteten Zimmer, vertieft in ein vertraulich wirkendes Tête-à-Tête mit einer attraktiven Frau, der aufwändig frisierte Pudel ist wohl als Anstandswauwau zu interpretieren. Plötzlich taucht Susanne auf, Blicke werden gewechselt und es sind überraschend die beiden Frauen, die zusammen weggehen, Mann und Pudel die kalte Schulter zeigend – Regie: Franz Novotny. Susanne hatte auch eine Rolle in Novotnys Kultfilm „Exit – Nur keine Panik“ u.a. auch mit Peter Weibel. Mit dem internationalen Künstler, Kurator, Autor und Medientheoretiker, der nunmehr seit mehr als 20 Jahren Vorstand und Direktor des „ZKM“ (Zentrum für Kunst und Medien, Karlsruhe) ist, verbindet Susanne eine seit 1972 bestehende Lebenspartnerschaft. Kennengelernt haben sich die beiden im Café Korb.
Über Susanne ist schon viel bekannt, aber wir möchten gerne von ihr selbst über ihr Leben und die Ursprünge des Café Korb hören. Susanne wurde 1944 in Wien geboren und wuchs in einer wohlsituierten Familie auf. Sie lebten in einer großen Wohnung in der Rathausstraße und Susanne besuchte eine Schule im nahegelegenen 8. Gemeindebezirk. Sie durchlebte eine sehr strenge und konservative Erziehung, schließlich wurde sie in ein Klosterinternat im 18. Bezirk gesteckt. Sie hasste es und riss immer wieder aus, flüchtete zur Wohnung ihrer Großmutter im 9. Bezirk. Von ihr lernte sie das Kochen. Die Großmutter übte den Beruf einer sogenannten Herrschaftsköchin aus und konnte mit ihren Tipps und Tricks Susanne für die Wiener Küche begeistern.
Susanne spricht sehr offen darüber, wie emotional kalt ihre Mutter war und wie nahe sie sich hingegen ihrem Vater fühlte. Der Traum ihrer Mutter war es gewesen, einen reichen Mann zu heiraten. Susannes Vater war in der Tat ein erfolgreicher Geschäftsmann, er besaß eine große Metzgerei und ihm gehörte die Halle am ehemaligen Zentralviehmarkt im Wiener Stadtteil St. Marx, ein beeindruckendes Industriedenkmal, heute als MARX HALLE aus der Wiener Veranstaltungs- und Kulturszene nicht mehr wegzudenken. Susanne nahm sich ihre Mutter sozusagen als Anti-Vorbild: Sie wuchs mit dem Wunsch auf, niemals von einem Mann abhängig zu sein.
Aus dem Gespräch mit ihr wird schnell klar, dass sie schon immer ein „Original“ war, immer ihre eigenen Ideen und Ziele hatte. Ihre Eltern versuchten vergeblich, sie konventionell zu erziehen. Sie wollte Psychologie oder Schauspiel studieren, ihre Eltern bestanden auf den Besuch der Höheren Töchterschule für Haushalt. Nicht überraschend hasste Susanne diese Schule und verbrachte ihre Zeit lieber mit Künstlern. 1966 ging sie zum ersten Mal nach New York, sie blieb zwei Jahre. Ein Portfolio sollte ihr den Beginn einer Karriere als Model ermöglichen. Kurz nach ihrer Ankunft zog sie bei einer wohlhabenden jüdischen Familie in der Lexington Avenue ein, die sie dafür bezahlte, sich um ihren Pudel zu kümmern. Susanne lacht, als sie sich daran erinnert. Sie liebte New York, musste aber nach Wien zurückkehren, als ihre Mutter einen Schlaganfall erlitt. Ihr Talent als Model zeigte sie weiterhin, sie besuchte die Modelschule und verfolgte schließlich ihre Karriere in London, Mailand, Paris und – wiederum – New York. Gleichzeitig spielte sie in Avantgarde-Filmen, Werbespots und schließlich auch am Theater, besonders in den 1970er Jahren. Sie war auch 1980 die erste Frau, die auf dem Wiener Opernball für einen Skandal sorgte, weil sie im Frack erschien.
Wie aber war das genau, fragen wir Susanne jetzt, mit ihr und dem Ort, an dem wir uns befinden, dem Café Korb? Als es am heutigen Standort eröffnet wurde, nahm der Kaiser persönlich teil. Man schrieb das Jahr 1904 und das Café war eines der ersten in Wien, in das Frauen allein gehen konnten, denn die vorausschauenden Besitzer hatten im oberen Stockwerk getrennte Herren- und Damensalons eingerichtet. Eine altehrwürdige Institution also, dabei gleichzeitig modern und weltoffen. Sigmund Freud war Stammgast im Café Korb. Von 1908–1910 nutzte er den Herrensalon im 1. Stock als Treffpunkt für seine „Mittwochs-Gesellschaft“, eine wöchentliche Zusammenkunft zum Thema Psychoanalyse. Vier Jahrzehnte später, 1948, kaufte Susannes Vater das Café für ihre Mutter, um ihr eine Aufgabe zu geben. 1950 übernahm sie die Leitung. Susanne wuchs sozusagen im Café Korb auf und half hier schon als Kind mit. Es war schon immer Teil ihres Lebens.
Nach dem Tod ihres Vaters ließ ihre Mutter in den 1960er Jahren den Innenraum ganz im Sinne der damaligen Zeit komplett erneuern. Susanne beschreibt liebevoll das alte Korb: Holzböden, Stühle von Thonet, Marmortische, Kristall-Luster. Kaum etwas davon ist geblieben, das Korb präsentiert sich heute im Stil der 1950er und 60er Jahre. Als ihre Mutter im Jahre 2000 starb, übernahm Susanne das Café und hauchte ihm neues Leben ein. Wie sie selbst verbindet es Tradition und Moderne auf eine ganz spezielle Art und spiegelt auch ihre Heimatstadt wider. Die einstige Kegelbahn im Untergeschoß wurde 2002 von Susanne als „Art Lounge“ eingerichtet. Vorbild dafür waren die Clubs und Jazz-Salons, die sie während ihrer Aufenthalte in New York kennengelernt hatte. Die Künstler Peter Weibel, Peter Kogler und Günter Brus haben den Raum gestaltet, regelmäßig finden hier Konzerte, Lesungen, Diskussionsveranstaltungen und vieles mehr in einzigartiger Atmosphäre statt.
Kaffehaus-Ober im Smoking kümmern sich um die Kunden, von denen viele – wie wir – Stammgäste sind. Drei junge Männer winken lächelnd und kommen zu uns, um mit Susanne zu plaudern. Susanne winkt zurück, freut sich offensichtlich sehr über die Begegnung und ist zum Scherzen aufgelegt. Es ist nicht das erste Mal, dass unser Interview von Bewunderern unterbrochen wird, die Hallo sagen und mit dieser Wiener Ikone plaudern wollen. Susanne nimmt sich Zeit für alle, sie bleibt fröhlich und ist eindeutig eine Inspiration. Ihr Motto „Sanftmut als Stärke“ beschreibt unsere Gastgeberin sehr treffend.
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