Читать книгу Hans Ritter und seine Frau - Hedwig Courths-Mahler - Страница 5

2. Kapitel.

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Hans Ritter stahl sich fort aus dem geselligen Treiben, das in den beiden Festsälen des Hofrats Schlüter herrschte. Er konnte nie grosses Gefallen finden an dem bunten Durcheinander einer grossen Gesellschaft. In seiner harten, entbehrungsreichen Kindheit und ersten Jugend war er im Herzen ein Einsamer geworden, ein Mensch, der in sich selbst Genüge findet, weil er es von früh auf in sich finden musste.

Früher, als er noch ausserhalb des Gesellschaftskreises stand, dem er jetzt angehörte, hatte er oft Sehnsucht nach dem bunten, glänzenden Treiben gehabt. Aber jetzt, da er eine glänzende Lebensstellung einnahm und durch eigene Kraft reich und unabhängig geworden war, jetzt, da er sich durch anstrengendes, unermüdliches Schaffen und durch geniales Erfassen des Augenblicks auf eine Höhe emporgeschwungen hatte, die ihn weit über seine ursprüngliche Sphäre hinaushob — jetzt wusste er, dass sein Sehnen in diesem Treiben feine Erfüllung fand.

Es kostete ihn jedesmal Überwindung, einer Einladung Folge zu leisten. Er tat es auch nur, weil er sich selbst zwingen wollte, sich in jeder Lebenslage, in jeder Gesellschaft, zurechtzufinden und zu behaupten.

Niemand hätte ihm anmerken können, dass er sich im Innern unfrei fühlte in der Gesellschaft, dass er ein Empfinden hatte, als bewege er sich ungeschickt. Nur er selbst war sich bewusst, dass ihm diese gesellschaftliche Sicherheit nicht aus der später in strenger Selbsterziehung von ihm erworben worden war. Allein niemand wäre auf den Gedanken gekommen, dass Hans Ritter sich nicht ganz selbstverständlich in den besten Formen bewegte.

Heute hatte er wieder einige Zeit seine geselligen Pflichten erfüllt, und nun sehnte er sich nach einigen Minuten des Aufatmens, des Alleinseins.

Bärbchen und Lorchen hatten ihm, den Ermahnungen ihrer Mutter folgend, abwechselnd Gesellschaft geleistet, aber nun hatte die Tanzlust die jungen Damen erfasst, und sie waren untergetaucht in den fröhlichen Reigen. Die Hofrätin thronte in einem der Nebenzimmer im Chor der Mütter, und die Schwestern benützten ihre Abwesenheit im Saal, um fahnenflüchtig zu werden. Hans Ritter konnte nicht tanzen. Da hielten es die tanzlustigen Mädchen an seiner Seite nicht aus. —

Langsam ging er an den tanzenden Paaren vorüber. Er hätte sich wohl mit seinen achtunddreissig Jahren noch zu der tanzlustigen Jugend rechnen können und vielleicht hätte er gern die eine oder die andere im Tanz umschlungen, wenn er nur des Tanzens kundig gewesen wäre.

Seine Augen ruhten jedoch wohlgefällig auf den Frauen und Mädchen, die so leicht beschwingt über den blanken Fussboden dahinglitten. Er hatte schon damals eine unbeschreibliche Vorliebe für schöne, elegante Frauen gehabt, als er noch für ein bescheidenes Monatsgehalt auf dem Kontorschemel sass, hinter seinem Pult in dem Kassenzimmer des grossen Bankhauses. Schon damals war stets ein seltsames Sehnen in ihm erwacht, wenn er seidene Frauenkleider rauschen hörte, wenn er elegante Frauen, in kostbare Pelze und duftige Spitzen gekleidet, an sich vorübergehen sah, oder wenn er einen schmalen, elegant beschuhten Frauenfuss auf dem Trittbrett eines Wagens erblickte. Dann hatte sein Herz geklopft, vor seinen Augen war ein rosiger Rebel gewesen und er hatte sich in leuchtenden Farben ausgemalt, wie es sein müsse, wenn man solch ein zartes, feines, wohlgepflegtes Geschöpf in den Armen halten könne.

Und wenn ihn etwas noch hätte anspornen können, zu seinem rastlosen Schaffen, so wäre es wohl der Gedanke gewesen, eines Tages ein Ziel zu erreichen, das ihn gleichberechtigt an die Seite einer solchen Frau stellte. Er hatte später genug elegante Frauen kennen gelernt und sah, dass viele von ihnen nur hohle, gedanken- und herzlose Puppen waren. Er wollte aber ein Weib besitzen, das nicht nur ein schönes, elegantes Äussere, sondern auch einen hohen inneren Wert befass, ein Weib mit einer reichen Seele. Und die hatte er bisher nicht gefunden. Da blieb er lieber einsam.

Man merkte diesem Mann nicht an, dass er auch Träumen und Idealen nachstreben konnte. Alle, die ihn kannten, wussten, dass er ein Mann der Tat, des kühnen Erfassens war. Er erschien kurz entschlossen, unbewegt, fast hart — ein Mensch, der unbeirrt seinem Ziele zustrebt, der klar und nüchtern seinen Vorteil abwägt. Er besass eine kantige Stirn, die sich über tiefliegenden, stahlblauen Augen wölbte, ein breites Kinn und einen herben, schmallippigen Mund, dessen charakteristische Linien durch einen sehr kurz gehaltenen Lippenbart nicht verdeckt wurden. Dieser Mund war fast immer fest geschlossen.

Seine Gestalt war gut proportioniert, seine Bewegungen hatten etwas Beherrschtes, Gezügeltes an sich.

Meist blickten seine Augen scharf und fühl. Sie funkelten wie geschliffner Stahl, wenn er erregt war, und sahen kühn und zufassend ins Leben, zugleich auch scharf abwägend. Niemand wusste, dass diese Augen in seltenen Stunden auch weich und zärtlich blicken konnten — nur seine Mutter wusste das — und die verriet es niemandem, denn sie stand seinen jetzigen Gesellschaftskreisen fern und kam mit keinem dieser eleganten Menschen zusammen.

Hans Ritter war der Sohn eines schlichten Handwerkers, der seinem Beruf zum Opfer fiel, als sein Sohn zehn Jahre alt war. Die Mutter hatte dann für sich selbst und ihr einziges Kind Brot schaffen müssen und sich redlich gemüht, dass Hans die Realschule, auf die fein Vater ihn geschickt hatte, weiter besuchen konnte. Schwer war es ihr manchmal geworden, aber sie hatte es durchgesetzt, weil es des Satten und des Sohnes Wunsch gewesen war.

Nachdem Hans die Realschule mit vorzüglichen Zeugnissen verlassen hatte, kam er zu einem kleinen Bankier in die Lehre. Dieser erkannte bald die hervorragende Begabung des jungen Mannes und verschaffte ihm nach beendeter Lehrzeit eine gute Stellung in einem englischen Bankhause. In dieser Stellung vermochte Hans seinem Chef durch kühnes Erfassen des Augenblicks einen grossen Dienst zu erweisen, wodurch derselbe vor dem Verlust einer kolossalen Summe bewahrt blieb. Man beförderte ihn und zahlte ihm eine Gratfikation von 2000 Pfund. Diese Summe, also zirka vierzigtausend Mart, war der Grundstein zu feinem jetzigen Vermögen. Nach einigen Jahren wurde ihm ein führender Posten an einer grossen deutschen Bank angeboten. Er kehrte zurück und nahm diese Stellung an.

Sein Vermögen vermehrte er durch kluges, vorsichtiges Handeln. Sein grosser Fleiss, seine eminente Tüchtigkeit, brachten ihn schliesslich als Direktor an die Spisse seiner Bank.

Dann kaufte er eines Tages, als er zum Besuch seiner Mutter wieder einmal in seiner Vaterstadt weilte, ein grosses, weites Wiesengelände für billiges Geld. Kurze Zeit darauf wurde dieses Gelände, in dem Hans Ritter fast sein ganzes erworbenes Vermögen angelegt hatte, zu industriellen Zwecken gebraucht. Hans Ritter verkaufte es — fast für den zehnfachen Preis — und war ein reicher Mann geworden.

Seine Stellung als Bankdirektor gab er nun auf, er wollte frei sein für grosszügiges Wirken und Schaffen, wozu ihm in seiner emporblühenden Vaterstadt Gelegenheit geboten wurde. Die wenigsten Menschen wussten, dass er in dieser Stadt seine Laufbahn begonnen hatte. Sein Lehrmeister, der alte Bankier, war längst gestorben und sonst erkannten ihn wenig Menschen wieder. Er sprach auch nie von seiner Vergangenheit.

Man hatte ihn in den Aufsichtsrat verschiedener Gesellschaften gewählt, und trotz seiner noch jungen Jahre war er schon eine einflussreiche Persönlichkeit. Niemand fragte ihn, aus welchen Kreisen er stammte, alle Türen standen ihm offen.

Er war aufwärts gestiegen mit zäher Beharrlichkeit und unentwegter Zielsicherheit. Nicht einmal hatte er dabei das Gefühl des Schwindels gehabt. Je höher er stieg, desto sicherer wurde sein Blick. Er hatte etwas von einem unwiderstehlichen Eroberer an sich.

Neben seiner genialen Begabung, seinem klugen, scharfen Blick und seiner beispiellosen Schaffenskraft war ihm auch das Glück dienstbar gewesen, ohne das er wohl kaum so weit gekommen wäre.

Hans Ritter bewohnte jetzt eine sehr schöne, in ihrer Einfachheit vornehm wirkende Villa, die er sich hatte bauen lassen. Dieser Villa eine Herrin zu geben, war sein Wunsch, aber bisher hatte er die rechte noch nicht gefunden.

Dass die Hofrätin Schlüter für ihre Töchter auf seine Hand spekulierte, wusste er nicht. Er wurde von vielen Müttern und beiratsfähigen Töchtern mit begehrlichen Blicken betrachtet; es gab viele junge Damen, die gern Herrin in Villa Ritter geworden wären.

Lorchen und Bärbchen flogen im Tanz dahin — und Hans Ritter verliess den Saal.

Um Ausgang desselben, der zu den Nebenzimmern führte, streifte eine schlanke, weissgekleidete Mädchengestalt an ihm vorüber — Felicitas Wendland.

Ihr duftiges Spitzenkleid verfing sich in einer abstehenden Klammer des schönen Brillantringes, den Hans Ritter als einzigen Schmuck trug. Ein seines Spitzenfädchen blieb in der goldenen Klammer hängen und fesselte die beiden Menschen einen Augenblick aneinander.

Mit einer Entschuldigung löste Hans Ritter behutsam das zarte Gewebe aus der Gefangenschaft und sah bittend in die braunen, sonnig leuchtenden Augen des jungen Mädchens.

Ein Lächeln huschte um ihren Mund.

„Es hat nichts zu sagen, Herr Ritter, ich bin ohne Schaden davongekommen, wie ich sehe. Im übrigen hätte ich selbst auf mein Kleid achten müssen,“ sagte sie freundlich.

Hans Ritter sah mit einem eigentümlichen Blick in das reizende Mädchengesicht. Ein seltsames Gefühl hatte ihn durchrieselt, als er den Stoff ihres Kleides festhielt und dabei zufällig mit ihren Händen zusammenstreifte. Ganz dicht musste sie eine Weile bei ihm stehen, der feine, diskrete Duft der vornehmen Dame stieg aus ihren Kleidern zu ihm auf. Aber er blieb ruhig und beherrscht, wie immer.

„Nein, nein, gnädiges Fräulein, ich allein bin schuld, dass Ihr Kleid gefangen wurde. Mein Ring ist der Attentäter. Ich muss ihn unschädlich machen,“ sagte er und zog den Ring vom Finger, um ihn in der Westentasche zu bergen.

Sie lachte leise.

,,Also lassen wir die hochnotpeinliche Schuldfrage offen,“ sagte sie und ging mit einem anmutigen Neigen des goldblonden Köpfchens weiter.

Er blieb stehen und sah ihr nach. Das leise Rauschen ihres seidenen Unterkleides war noch einen Augenblick vernehmbar. Seine Augen folgten ihrer elastischen und graziös ausschreitenden Gestalt. Wie anmutig und stolz zugleich der schöne Kopf auf ihren klassischen Schultern ruhte! Jetzt neigte sich ihr Nacken in wahrhaft königlicher Haltung vor einem hochgewachsenen, jungen Offizier mit einem herrlichen Adoniskopf, der mit einem Lächeln auf sie zutrat.

Hans Ritter wandte sich, wie unangenehm berührt, ab. Das Lächeln dieses Offiziers schien ihn zu reizen. Er sah noch, wie der Offizier seinen Arm um die schlanke Mädchengestalt legte und mit ihr davontanzte.

Mit einem finsteren Gesicht begab sich Ritter in das Nebengemach, in dem einige ältere Herren plaudernd beisammen sassen. Er war bekannt in den Räumen der hofrätlichen Wohnung und durchschritt schnell mehrere Zimmer. So kam er endlich in den kleinen Salon der Hausfrau, der nur durch eine rotverschleierte Lampe matt erleuchtet wurde. Dieser Salon lag so abseits, dass er hoffen konnte, eine Weile ungestört zu bleiben.

Vorsichtig liess er sich in einer der durch die dicken Mauern gebildeten Fensternischen nieder, in denen Sessel standen, und zog die Fensterportieren hinter sich zusammen, so dass er nun sicher in seinem Versteck ruhen konnte.

Mit einem Seufzer der Erleichterung lehnte er sich in den Sessel zurück und streckte sich behaglich aus. Den Kopf zurücklegend, schloss er die Augen.

Er dachte an Felicitas Wendland. Ganz deutlich stand ihre lichte Erscheinung vor seinem geistigen Auge. Alle Einzelheiten ihrer Person hatte er im Gedächtnis — den lockigen, goldigen Scheitel über der klaren, weissen Stirn, den feingeschwungenen Mund, der so lieblich lächeln konnte, und die stolz und zugleich gütig blickenden Sonnensaugen — sogar das winzige, braune Mal über dem linken Mundwinkel, der so entzückend weich in dem Oval der Wangen verlief, sah er ganz deutlich vor sich.

Zum ersten Male hatte Ritter Felicitas Wendland an einem Sommermorgen von leuchtender Schönheit gesehen. Auf dem Reitwege des nahen Waldes war sie, an der Seite ihres Vaters, umgeben von mehreren Offizieren, stolz zu Ross an ihm vorbeigezogen. Er hatte sie lachen hören. Es war ein goldiges Lachen, das ihm das Herz warm machte und das er ebensowenig vergessen konnte, wie den Anblick der eleganten Reiterin in dem knapp sitzenden, schwarzen Tuchkleid.

Sie war ihm damals als eine sehr schöne und beneidenswert glückliche junge Dame erschienen.

Wenige Wochen später hörte er, dass General Wendland nach kurzer Zeit gestorben sei, und abermals einige Wochen später war ihm Felicitas flüchtig bei einem Besuch von der Hofrätin vorgestellt worden.

Auch in ihrem Trauerkleid machte sie ihm den Eindruck einer stolzen, unnahbaren jungen Dame. Sie sprach kaum einige Worte mit ihm und verschwand. Hier in diesem Salon war es gewesen, Hans Ritter wusste es noch ganz genau.

Die Hofrätin ahnte nicht, dass Hans Ritter ihr Haus so oft besuchte, weil er hoffte, Felicitas zu begegnen. Ihr Anblick allein schon war ihm eine unbeschreibliche Wohltat, er löste ein wohliges Empfinden in ihm aus. Und wenn er sie gesehen hatte — was nur selten und flüchtig geschah, weil die Hofrätin ihre Nichte klug von dem reichen Freier zurückzuhalten wusste — dann konnte er so recht vergnügt werden, als sei ihm ein grosser Wunsch erfüllt worden. In solchen Momenten plauderte und scherzte er angeregt mit Bärbchen und Lorchen, was die Hofrätin zu kühnen Hoffnungen ermutigte.

Heute nun hatte er Felicitas zum ersten Male in grosser Toilette gesehen und ein seltsam heisses Gefühl hatte ihn durchzuckt, als sie vorhin neben ihm gestanden und einige freundliche Worte mit ihm gewechselt hatte.

Ob sie auch eine so oberflächliche, seelenlose Puppe war, wie die meisten Weltdamen?

Er konnte es nicht glauben. Ihre Augen blickten zwar stolz und flammend, aber auch gütig, und ihr Lachen verriet ein warmes Empfinden. Viel würde er darum gegeben haben, wenn er einen Blick in ihre Seele hätte tun können.

So sass er in tiefe Gedanken versunken, bis ihn plötzlich das leise Geräusch nahender Schritte aufschreckte. Gleich darauf vernahm er das leise, diskrete Rauschen eines seidenen Frauenkleides und zugleich die Stimme derselben jungen Dame, die seine Gedanken eben beschäftigt hatte. Durch einen Spalt in der Portiere, sah er Felicitas Gestalt, von der Lampe rosig beleuchtet. Neben ihr aber stand der junge Offizier mit dem Adoniskopf — es war der Leutnant Harry Forst.

Ritter wollte sich erheben und sich bemerkbar machen, aber wie gelähmt blieb er sitzen. Felicitas Wendland hatte sich mit einem leisen, zärtlichen Ausruf in die Arme des Offiziers geschmiegt und sagte mit innigem Ausdruck:

„Gottlob, Harry, hier sind wir allein und ungestört — endlich können wir uns wieder einmal aussprechen.“

Zärtlich und hingebungsvoll umfasste sie den Hals des Offiziers, der sich unruhig in dem dämmernden Raum umsah. —

„Harry — ach Harry — wie grässlich ist dies Heimlichtun! Es widerstrebt mir unsagbar,“ fuhr Felicitas fort.

Hans Ritter war zu Mute, als stocke ihm der Herzschlag, vor Erschrecken. Es war ihm furchtbar peinlich, Zeuge dieser intimen Szene zu sein, und doch sagte er sich, dass er jetzt unmöglich hervortreten könne, ohne der jungen Dame eine tiefe Beschämung zu bereiten. Es war wohl das Beste, er blieb reglos auf seinem Platz, bis die beiden jungen Menschen sich wieder entfernt hatten. Nun er einmal ihr Geheimnis kannte, kam es nicht darauf an, ob er noch einige Worte mehr vernehmen würde. Das wider Willen erlauschte Geheimnis würde bei ihm sicher verwahrt bleiben.

Mit einem seltsam schmerzenden Gefühl sah er, wie sich das schöne Mädchen an den Offizier schmiegte. Und mit einem dunklen, forschenden Blick streifte Hans Ritter das Gesicht des Offiziers.

Wie war ihm doch? Hatte man Leutnant Forst nicht in Verbindung mit der Tochter seines Geschäftsfreundes, des Kommerzienrats Volkmer gebracht? Ja doch — der Kommerzienrat selbst hatte ihm doch vor einigen Tagen eine Anspielung gemacht, dass sich seine Tochter demnächst mit einem Offizier verloben würde, der sich schon seit Monaten um sie bewerbe. Aber das konnte doch unmöglich derselbe sein, der Felicitas Wendland in den Armen hielt?

Eine merkwürdige Unruhe beherrschte den sonst so ruhigen Mann.

Leutnant Forst löste jetzt Felicitas Arme von seinem Halse und sah sich wieder ängstlich um. „Um Gotteswillen, Fee — sei doch vorsichtig! Wenn uns jemand hierher folgte!“

Sie hob den Kopf und sah mit einem Blick zu ihm auf, der dem Lauscher den Herzschlag stocken liess.

„Kein Mensch kommt hierher, Harry. Ach — und wenn auch — was wäre schliesslich dabei? Wenn man uns hier überraschte, dann wäre eben mit einem Male dieses schreckliche Heimlichtun zu Ende. Wir haben keines Menschen Blick zu scheuen!“

Harry Forst nagte an seinem dunklen Bärtchen und sah unsicher in ihre strahlenden Augen. Dann sagte er Hastig und gepresst:

„Ja, Fee — ein Ende muss gemacht werben — so geht das nicht weiter. Dieser Zustand ist für dich und mich unerträglich.“

Sie lächelte glücklich. „Ach — gottlob, mein Harry — ich habe ja schon so lange darauf gehofft, dass du ein Ende machen würdest mit diesen Heimlichkeiten. Nein, zieh deine Stirn nicht in böse Falten, ich will dir aus deinem Schweigen keinen Vorwurf machen; ich weiss ja, dass es nicht anders ging. Als du mir damals, vor Papas Erkrankung, deine Liebe erklärtest, da dachten wir beiden, wir könnten uns schon am nächsten Tage stolz vor aller Welt als Brautpaar bekennen. Aber als du am nächsten Morgen bei meinem Vater um mich anhalten wolltest, war er über Nacht plötzlich schwer erkrankt. Du konntest ihn leider nicht sprechen — er starb, mein armer, lieber Papa — ehe du mich von ihm fordern konntest. Während des Trauerjahres konntest und wolltest du dann nicht mit deiner Werbung hervortreten. Aber nun — nun wirst du Onkel und Tante alles sagen, nicht wahr? Ach, Harry — ich habe dies Jahr, im Hause meiner Verwandten nur ertragen in der Hoffnung auf unsere gemeinsame Zukunft! Glaube mir, es lebt sich nicht gut bei Tante. Laura — als arme, lästige Verwandte. Wenn ich nicht gewusst hätte, dass du mich bald erlösen würdest, wäre ich viel lieber in die Welt hinausgegangen, im mir mein Brot zu verdienen.“

Hans Ritter lauschte atemlos.

„Das ist die Frau, die du lange vergeblich gesucht hast — eine Frau mit einem tapferen, warmen Herzen, mit einem tiefen Empfinden —, aber sie ist dir unerreichbar — ist dir verloren, noch ehe du sie fandest,“ dachte er.

Der Offizier aber zog die Stirn immer mehr zusammen und sagte nun unsicher: ,,Welch ein törichter Gedanke, Fee! Du lebst doch sicher und behütet im Hause deiner Angehörigen.“

Sie lachte leise und reckte kräftig ihre jungen Arme.

,,Ach, dieser Gedanke scheint allen Menschen töricht zu sein, nur mir nicht. Sieh, wenn ich dich nicht hätte, ich würde ihn sofort ausführen. Aber nun blicke nicht so finster, als wollte ich dir davonfliegen, du törichter Harry. Ich bleibe hier und warte, bis du mich heimholst, mein Liebster. Lass es aber bald sein, Harry — lass es bald sein.“

Es lag eine so bestrickende Weichheit und Süssigkeit in dieser zärtlichen Bitte, dass Hans Ritter die Hände fest um die Lehne feines Sessels krampfte. Dieser süsse bittende Ton trieb ihm das Blut in heissen, raschen Schlägen zum Herzen, trotzdem er einem andern galt. Er vergass, dass er hier als Lauscher sass. Das junge Paar hatte sich dicht neben seinem Versteck in zwei Sesseln niedergelassen und er konnte die beiden jungen Gesichter vor sich sehen. Er blickte in die heiss und zärtlich aufflammenden Augen des jungen Mädchens und sah den unfreien, wenig liebevollen Ausdruck in Forsts Gesicht. Ihm war, als müsse er aufspringen und mit der Faust in dieses schöne Männergesicht schlagen, in dem ein Zug von Falschheit lauerte.

Zugleich überkam ihn ein Gefühl der Bangigkeit für dieses zärtliche, hingebende Mädchen, das seinen ganzen Stolz demütig zu den Füssen des Mannes legte, den es liebte. Hans musste wieder daran denken, dass man Leutnant Forst mit Ellen Volkmer in Verbindung brachte.

Harry Forst hatte sich hastig über die Stirn gestrichen, als sei ihm zu heiss geworden.

,,Liebe Felicitas“, sagte er etwas steif und förmlich, was sonderbar abstach gegen ihren zärtlichen Ton, ,,es ist gut, dass ich dich heute ungestört sprechen kann. Ich bin heute in dieser Hoffnung hierher gekommen und hätte auf jeden Fall eine Unterredung mit dir herbeiführen müssen. Schon lange Zeit liegt mir allerlei auf dem Herzen, ohne dass ich mich mit dir hätte aussprechen können. Es mag auch jetzt nicht die passende Zeit und der passende Ort sein für das, was ich dir zu sagen habe — aber es geht nicht anders. Und nun bitte ich dich inständig, höre mich ruhig an und sei vernünftig.“

Sie richtete sich hastig im Sessel empor und sah ihn befremdet, fast erschrocken, an. „Harry, du sprichst so seltsam — so kalt und ruhig — so ganz anders als sonst. Vernünftig soll ich sein? Dich ruhig anhören? Was hast du mir zu sagen?“

Ihre Augen blickten ihn bang und forschend an. Er wich ihrem Blicke aus. „Herrgott, Fee, es hat sich doch so vieles in unserem Verhältnis geändert, seit deines Vaters Tod! Dass du das nicht von selbst begreifen kannst,“ stiess er schroff hervor.

Sie umfasste krampfhaft die Lehne ihres Sessels und ihr Gesicht wurde starr. „In unserem Verhältnis? Nein, Harry — sage das nicht! Du und ich — wir lieben uns doch so, dass daran nie etwas geändert werden kann, nicht wahr? Die äusseren Verhältnisse — ja, die haben sich geändert seit dem Tage, da du mir von deiner Liebe sprachst. Aber das kann doch auf unsere Beziehungen zueinander keinen Einfluss haben.“

Er wich ihrem angstvollen Blick aus.

„Beides ist nicht voneinander zu halten, Fee. Als ich dir damals von meiner Liebe sprach, da — nun ja — da glaubte ich, du seiest reich. Eure ganze Lebensführung deutete darauf hin. Und dann — dein Vater hatte eine einflussreiche Stellung, er hätte wohl manches für mich tun können, wenn ich sein Schwiegersohn geworden wäre. Deshalb war ich leichtsinnig — und sagte dir, dass ich dich liebte.“

Sie sah ihn starr an.

„Deshalb — warst du — leichtsinnig? Leichtsinnig? Deshalb warbst du um mich — weil du mich für reich hieltest — weil mein Vater —?„

Tonlos kam das über ihre blassen Lippen.

„Nun ja doch,“ unterbrach er sie hastig. „Du weisst doch, dass ich arm bin. Nie hätte ich gewagt, dich in eine so ernste Lage zu bringen, wenn ich gewusst hätte, dass du arm bist wie ich und dich an mein armseliges Dasein gebunden.“

Sie atmete auf, wie von einer furchtbaren Last befreit, und lächelte tapfer.

„Ach, nur meinetwegen sorgst du dich? O, du weisst ja nicht, wie wenig mir das alles gilt, wie anspruchslos ich sein kann! Ich werde glücklich sein mit dir auch in den bescheidensten Verhältnissen; deine Liebe wird mich für alles entschädigen.“

,,Aber bedenke doch — ich besitze kaum dreissigtausend Mark Vermögen. Die Zinsen davon sind meine knappe Zulage.“

Sie lachte sorglos. „Und ich besitze zwanzigtausend Mark — das sind schon fünfzigtausend.“

„Das würde noch nicht einmal zu der üblichen Kaution reichen,“ wehrte er ab.

„Oh, die fehlenden zehntausend Mark bekommen wir schon zusammen, mein Harry. Da sind die Möbel meines Vaters, die in einem Speicher lagern. Wir suchen uns davon aus, was wir brauchen, um uns ein bescheidenes, trauliches Heim einzurichten. Den Rest verkaufen wir. Du siehst, es wird alles gehen. Du kannst mir glauben, dass ich dir ein sehr praktisches, sorgsames Hausmütterchen sein werde.“

Es lag eine frohe Zuversicht in ihren Worten.

Er rückte unruhig auf seinem Sessel.

„Das sieht alles ganz leicht, ganz durchführbar aus. Aber in Wirklichkeit ist es anders. Wir find beide nicht geschaffen, uns in so kleinlichen Verhältnissen wohlzufühlen. Und weil ich das klar übersehe, deshalb muss ich für uns beide vernünftig sein. Ich darf nicht leiden, dass du mir Opfer bringst. Und deshalb bitte ich dich — gib mir mein Wort zurück! Wir können uns unter den obwaltenden Umständen nicht angehören. Verzeihe mir, dass ich mich damals von meiner Liebe hinreissen liess. Hätte ich Eure Verhältnisse besser gekannt, hätte ich gewusst, dass dein Vater so bald sterben würde — ich hätte meinem Gefühl keine Worte gegeben.“

Blass, mit erloschenen Augen sah sie ihn an.

,,Das — kann doch — dein Ernst nicht sein — nach alledem, was zwischen uns war? Harry — mein Gott, Harry — liebst du mich denn nicht mehr?“

„Doch, Felicitas — ich liebe dich — und ich bedaure unendlich, dich aufgeben zu müssen.“

Sie presste die Hände ans Herz. „Müssen? Du musst ja nicht — du musst ja nicht! Wir können auch in bescheidenen Verhältnissen glücklich sein. Ach — Du weisst ja nicht, wie gering meine Ansprüche ans Leben geworden sind! Sieh dies Kleid — ich habe es selbst modernisiert. Ich kann mir alles selbst arbeiten, denn ich bin sehr geschickt. Du sollst sehen, wie billig und hübsch ich mich kleiden werde. Und sparsam wirtschaften will ich! Wir können doch gar nicht voneinander — Harry — das kann dein Ernst nicht sein!“

Es lag eine heisse Angst, ein banges Mahnen in ihren Worten, und dieser Ton schnitt dem Lauscher ins Herz.

Ein heisser Zorn auf Harry Forst erfüllte Hans Ritter — ein heisser wilder Zorn. Auch Forst blieb nicht unbewegt bei Felicitas Flehen. Er liebte sie wirklich, so weit sein Charakter einer Liebe fähig war. Aber so, wie sich das junge Mädchen von ihm geliebt glaubte, so wie sie ihn liebte — so liebte er sie nicht. Er wollte jetzt um jeden Preis los von ihr, wollte die Fessel lösen, die er sich in falschen Voraussetzungen übergestreift hatte.

Da er nun sah, dass sie nicht verstand, was er wollte, beschloss er, ganz schroff und rücksichtslos vorzugehen. Viel Zeit blieb ihm nicht. Er musste dieses Haus heute abend als freier Mann verlassen — um jeden Preis. Und es war auch für sie das Beste. Sie kam am schnellsten über die Enttäuschung hinweg.

Und so sagte er endlich nach einem tiefen Aufatmen hart und kalt:

„Liebe Felicitas, ob du in Wirklichkeit solch ein Los erträglich finden würdest, weiss ich nicht. Ich glaube es kaum. Ganz bestimmt aber weiss ich, dass ich nicht dafür geschaffen bin. Ich kann nicht in die Misere einer solchen Ehe untertauchen und will auch dich davor bewahren. Und deshalb bitte ich dich: Lass uns in Frieden auseinander gehen. Lass uns die Erinnerung an unsere Liebe wie einen schönen Traum bewahren. Wir wollen ein Verhältnis lösen, das unter andern Voraussetzungen geschlossen wurde — das heisst: gebunden waren wir ja im Grunde beide noch nicht — nicht wahr?“

Sie starrte mit entsetzten Augen in sein Gesicht, ihre Lippen zuckten in unterdrückter Qual.

„Nicht gebunden? Nicht gebunden — also — was — was war ich dir da — wenn nicht deine Braut?“

Er fuhr sich nervös über die Stirn. Herrgott! — sei doch vernünftig, nimm es nicht so schwer, es weiss ja kein Mensch darum, als wir beide. Ich kann nicht anders handeln, als ich tue, Deinetwegen und meinetwegen nicht! Es wäre Wahnwitz, wollten wir uns fürs Leben binden! Es ist auch schon zu spät — ich habe mir den Rückzug abgeschnitten, ich darf mich nicht in meinem Beschluss beirren lassen. Ich will es kurz machen, Felicitas. Weiss Gott — es wird mit schwer, es dir zu sagen, dass — dass ich — nun — dass ich um die Hand von Ellen Volkmar angehalten habe. Morgen früh hole ich mir das Jawort ihres Vaters — morgen abend soll unsere Verlobung proklamiert werden, gelegentlich der Soiree im Hause ihrer Eltern. Nur, um dich schonend vorzubereiten, bin ich heute abend hierher gekommen, denn ich weiss, du bist mit deinen Verwandten morgen dort eingeladen. Ich wollte dich nicht unvorbereitet hingehen lassen. Und ich bitte dich herzlich: sei vernünftig und beherrsche dich! Ellen weiss natürlich nichts von unseren Beziehungen — deinetwegen verschwieg ich sie ihr. Nimm es nicht tragisch, Fee; glaube mir, es ist das beste für uns beide. Du wirft es mir noch Dank wissen. Gib mir deine Hand zum Abschied.“

Die letzten Worte sprach er bewegt, es überkam ihn nun doch etwas Weiches, Schmerzliches, als er sie so zusammengesunken vor sich sitzen sah.

Aber jetzt sprang Felicitas plötzlich mit einem Ruck auf. Ihr blasses Gesicht war erstarrt in Schmerz und Pein. Mit einem halb unterdrückten Wehlaut presste sie die Hände zusammen und wich vor ihm zurück. Und dann streckte sie abwehrend die Hand aus und rief, ausser sich vor Scham und Zorn:

,,Geh — geh! Du bist frei! — Lass mich allein!“

Er trat zu ihr und wollte ihre Hand fassen. „Fee — um Gotteswillen! Beruhige dich. Sei vernünftig?“

Sie zog ihre Hand hastig zurück und lachte schneidend auf: „Rühr mich nicht an! Geh — ich ertrage deinen Anblick nicht!“ stiess sie heiser hervor.

Er stand noch eine Weile unschlüssig. Sie zitterte am ganzen Körper und vermochte sich kaum aufrecht zu halten. Noch einmal wies sie stumm mit hastiger Abwehr, nach der Tür — da ging er langsam hinaus.

Felicitas starrte ihm eine Weile mit irren Blicken nach. In ihrem Gesicht zeigte sich ein Ausdruck, in dem Zorn, Schmerz, Scham uno Verachtung um die Herrschaft stritten. Dann schlug sie die Hände vor das Antlitz und brach in ihrem Sessel zusammen.

„Wie ich mich schäme, dass ich diesen Mann geliebt habe — wie ich ihn verachte!“ stiess sie zwischen den Zähnen hervor.

Sie krallte die Hände in das Polster der Sessellehne und ein qualvolles, trockenes Schluchzen erschütterte ihre Gestalt.

„Wer löscht die Schmach, die er mir angetan hat!“ rief sie verzweifelt.

Da trat Hans Ritter, unfähig, sich länger zurückzuhalten, aus seinem Versteck hervor und stellte sich an ihre Seite.

„Ich — wenn Sie es wünschen, mein gnädiges Fräulein,“ sagte er fest und ruhig, obwohl die Erregung in ihm tobte.

Sie zuckte erschrocken zusammen und blickte voll Scham und Entsetzen zu ihm auf.

„Sie — Sie hier?! — Was wollen Sie hier?“ stammelte sie fassungslos.

Er blickte voll warmer Teilnahme in ihr zuckendes Gesicht, blieb aber ganz ruhig und beherrscht.

„Ich war ungewollt Zeuge Ihrer Unterredung mit Leutnant Forst, mein gnädiges Fräulein. Ich konnte nicht aus jener Fensternische entweichen, ohne von Ihnen gesehen zu werden. Ihr Geheimnis wäre auf ewig in meiner Brust verschlossen gewesen, ich hätte mich nach Ihnen unbemerkt entfernt. Aber da vernahm ich Ihren Ausruf, uno da hielt es mich nicht länger. Und da bin ich nun, um Sie zu fragen: Wollen Sie meine Frau werden? Wollen Sie jetzt an meinem Arm zur Gesellschaft zurücklehren — als meine Braut? Wollen Sie mit Ihrer Verlobung der des Leutnants Forst zuvorkommen? Ich meine — das müsste Ihnen nach dieser Kränkung — nach dieser beispiellosen Kränkung eine kleine Genugtuung bereiten!“

Sie richtete sich langsam halb empor, die Augen in fassungslosem Staunen auf ihn gerichtet.

„Wie denn — wie ist mir denn — mein Gott, bin ich denn von Sinnen? Sie wollten — nachdem, was Sie gehört haben — Sie wollten? —“

„In aller Form in diesem Augenblick um Ihre Hand anhalten — ja,“ sagte er, ohne dass ein Zug seines Gesichts sich verändert hätte.

Sie erhob sich vollends und sah ihn mit brennenden Augen an.

,,Warum? Warum wollen Sie das tun — für mich, die ich Ihnen fast fremd bin? Was bin ich Ihnen?“

„Nichts, als ein wehrloses Weib, das ein Bube in seinen heiligsten Gefühlen gekränkt hat!“

„Und deshalb — deshalb allein — bieten Sie mir Ihre Hand? Sie, der, wie ich weiss, zu den begehrtesten Partien dieser Stadt gehört? Sie, der unter den Besten zu wählen — der die Hand nach jeder anderen nur auszustrecken braucht?“ stammelte sie ungläubig, ganz benommen.

„Ich strecke meine Hand nur nach Ihnen aus — gerade nach Ihnen.“

Sie stützte sich schwer auf ihren Sessel, weil ihre Knie zitterten.

„Und warum? Nur weil es Ihrem ritterlichen Empfinden zuwiderläuft, dass ein anderer mich beschimpfte?“

Seine Augen blitzten wie blanker Stahl, sonst merkte man ihm keinerlei Erregung an, trotzdem er wusste, dass er jetzt im Lebensspiel alles auf eine Karte gesetzt hatte.

„Vielleicht auch, weil mich die Tapferkeit Ihres Wesens, die Tiefe ihres Empfindens und die Opferfreudigkeit Ihrer Liebe für Sie einnahmen.“

Sie schüttelte verwirrt und verständnislos den Kopf.

„Die Opferfreudigkeit einer Liebe, die einem anderen galt? Sie waren doch Zeuge unserer Unterredung — haben gehört, wie ich mich an diesen anderen klammerte — wie ich mich demütigte, weil ich nicht verstand, dass er mich los sein wollte! Haben Sie nicht gehört, wie deutlich er werden musste, ehe ich begriff? Wie ich — ach — Sie wissen nicht, wie es jetzt in mir aussieht! Aber ich liebte diesen Menschen — ja — ich liebe ihn vielleicht noch — ich weiss ja nicht, was ich jetzt empfinde — es ist alles wie zerrissen in mir. Und trotzdem wollten Sie mir Ihre Hand bieten? O mein Herr — Sie sollten nicht so leichtsinnig sein! Wenn ich sie nun annähme — Ihre Hand — um mich zu rächen für diese Schmach? Wenn ich jetzt Ihre Stimmung nützte?“ rief sie voll Bitterkeit und Erregung.

„Ich wünsche, dass Sie es tun — es ist mir Ernst damit,“ sagte er ruhig.

Sie vergass einen Augenblick ihr Leid, in grenzenlosem Staunen über diesen Mann, den sie bisher wenig beachtet hatte. Mit grossen Augen sah sie in sein markiges, ehernes Gesicht.

„Was sind Sie denn für ein Mensch? Man hat mir gesagt, Sie seien ein kühner, unbeugsamer und nüchterner Mann mit vielen praktischen Tugenden — man hat mir gesagt, dass — doch einerlei — ich habe Sie jedenfalls auch stets nur kühl, beherrscht und unempfindlich gesehen. Aus solchem Stoff sind doch nicht Phantasten gemacht! Was sind Sie denn für ein Mensch, dass Sie einem Mädchen, an dem Sie bis heute kalt und fremd vorübergingen, ohne es zu beachten, solch ein grosses Opfer bringen wollen?“

Er sah, wie die Erregung in ihr bebte, wie sein Verhalten sie von dem ersten, Herbsten Schmerz ablenkte. Auch jetzt in dem vollsten Sturm ihres Empfindens blieb sie noch die anmutige, elegante Weltdame. Und nie war sie ihm schöner, vornehmer erschienen, als in dieser demütigenden Lage — nie war ihm ein Weib begehrenswerter erschienen, als dieses, von einem Gewissenlosen verlassene Mädchen.

Zugleich aber war auch ein gutes, weiches Empfinden für sie in seiner Brust.

Er strich sich langsam über die Stirn.

„Was für ein Mensch ich bin? Ich kann Ihnen darauf keine unparteiische Antwort geben. Wenn Sie auf meine Werbung eingehen, werden Sie es vielleicht eines Tages selbst herausfinden — wenn es Ihnen der Mühe lohnt. Ich kann Ihnen jetzt nur sagen, dass ich von dem Wunsch durchdrungen bin, Ihnen zu helfen, die Demütigung zu verwinden, die man Ihrem stolzen Sinn zugefügt hat. Im übrigen — ich habe schon seit geraumer Zeit die Absicht, mich zu verheiraten, ohne bisher eine Dame gefunden zu haben, deren Persönlichkeit meinen Wünschen entsprach. Ich wollte eine Frau aus der besten Gesellschaft — trotzdem ich — ein Emporkömmling bin. Das wissen Sie vielleicht nicht. Ich bin nämlich der Sohn eines Handwerkers. Mein Vater war Zimmermann; bis vor ungefähr zehn Jahren war ich ein Fremdling in der guten Gesellschaft. Das sage ich Ihnen, damit Sie wissen, mit wem Sie es zu tun haben.“

Es zuckte in ihrem Gesicht und ihre Augen blickten dunkel und schmerzlich in die seinen.

„Das alles ist so seltsam — so seltsam. Ich weiss nicht, was ich denken, was ich tun soll. Wenn ich jetzt Ihre Hand annähme — es lockt mich, es zu tun — so würde es nur geschehen, um — dem anderen zu zeigen — dass — dass ich mich nicht verzehren werde in verschmähter Liebe, nur, um ihm heimzuzahlen — was er mir getan. Und dann — vielleicht dann auch noch, um aus diesem Hause zu kommen. Ich bin meinen Verwandten eine Last — sie haben mit sich selbst zu tun. Unter anderen Umständen hätte ich für Ihre Werbung nur ein schroffes nein gehabt. Bedenken Sie wohl, aus welchen Gründen ich Ihre Hand annehmen würde. Wenn Sie mich trotz alledem zur Frau begehren — nun gut — ich bin in einer verzweifelten Stimmung und weiss nicht, ob ich morgen schon bereue, was ich heute tue. Auch Sie sollten sich fragen, ob Sie das nicht morgen tun werden.“

Sie sagte das alles hastig, mit unruhig flackernden Augen. Er blieb ruhig wie zuvor.

„Ich habe nichts zu bedenken und bitte Sie nochmals um Ihre Hand.“

Da streckte sie ihm ihre zitternde Rechte entgegen.

„Sie wollen es — es sei,“ sagte sie, heiser vor Erregung.

Er fasste mit einem festen und doch zarten Griff nach der feinen, weissen Mädchenhand und als er sie in der seinen fühlte — so zart und weich, wie eine Blume — da durchrieselte ihn ein heisses Gefühl. Langsam führte er sie an seine Lippen.

„Ich danke Ihnen. Und wenn Sie nun imstande sind, wieder unter Menschen zu gehen, so gestatten Sie mir, dass ich Sie zu Ihrem Herrn Onkel führe, um ihm Mitteilung zu machen, dass wir uns — verlobt haben.“

Sie stiess einen zitternden Atemzug aus. Seine Augen hielten sie in einem seltsamen Bann. Sie wusste nicht, ob sie Furcht vor ihm empfand oder ob sie ihm vertraute. Aber eins war ihr klar — er Half ihr, diese Stunde der Verzweiflung aufrecht zu tragen und eine unsagbare Demütigung zu überwinden. Zugleich setzte er sie durch seine Werbung in den Stand, Harry Forst noch heute Abend zu zeigen, dass sie ihm nicht nachtrauern würde. Dafür musste sie Hans Ritter dankbar sein — das würde sie ihm nie vergessen.

Noch einmal sah sie ihn mit grossen, forschenden Augen an. —

„Wenn es denn Ihr Wille ist — so lassen Sie uns gehen,“ sagte sie düster.

Er verneigte sich und legte ihre Hand auf seinen Arm.

So schritten sie nebeneinander in den Saal zurück. Fest und ruhig ausschreitend, führte er sie durch die bunte Menge.

Frau Hofrat hatte sich eben Bärbchen und Lorchen aus der Reihe der Tanzenden geholt und schalt sie in einer Ecke leise aus, dass sie nicht wussten, wo Ritter geblieben war.

„Da geht er, mit Fee am Arm!“ rief Bärbchen jetzt erleichtert und wollte den mütterlichen Ermahnungen entfliehen.

„Bleib!“ rief die Hofrätin gebieterisch.

Sie sahen nun alle drei mit unruhigem Staunen dem stolz und aufrecht ausschreitenden Paar nach, vorläufig nicht wissend, was sie davon denken sollten. Auch Leutnant Forst, der unweit des Eingangs zum Saal mit einem Kameraden zusammenstand und mit unruhigen Blicken die Saaltür im Auge behalten hatte, sah Hans Ritter mit Fee an sich vorüberschreiten.

Betroffen sah er in ihr blasses, starres Gesicht. Ihre Augen schweiften stolz und kalt über ihn hinweg. Und Ritter bohrte seine Augen einen Moment drohend in die seinen, so dass er unwillkürlich zusammenzuckte und sich fragte: „Was war das? Was sollte dieser Blick bedeuten?“

Felicitas wusste nicht, was sie tat. Sie ging an Hans Ritters Seite, als sei sie sich selbst eine Fremde.

Und dann standen sie beide vor Hofrat Schlüter, der sie mit seinen schwarzen Augen befremdet anstarrte.

Kurz und bündig teilte ihm Ritter mit, dass er sich soeben mit Felicitas verlobt habe, und bat ihn, dies seinen Gästen bekannt zu geben.

Hofrat Schlüter blickte sich beklommen nach seiner Gattin um. Er kannte ihre Pläne in bezug auf Ritter und befand sich in einer unbehaglichen Verfassung, obwohl er Felicitas die gute Partie von Herzen gönnte.

Kaum hatte er einen etwas gequälten Glückwunsch hervorgestammelt, als auch schon neben ihm seine Gattin auftauchte, die es nicht für ratsam hielt, Ritter lange in Fees Gesellschaft zu lassen.

Als sie hörte, was geschehen war, verlor sie einen Augenblick ihre Fassung, und bekam einen beängstigend roten Kopf vor Zorn und Ärger darüber, dass ihre Nichte ihren Töchtern den reichen Freier vor der Nase weggenommen hatte. Aber sie fasste sich sofort wieder und brachte es fertig, eine hocherfreute, mütterlich-liebevolle Miene zu zeigen.

Wenige Minuten später verkündete Hofrat Schlüter der aufhorchenden Gesellschaft, dass seine Nichte Felicitas Wendland sich soeben mit Herrn Hans Ritter verlobt habe.

Diese Nachricht rief allseitige Überraschung hervor. Am meisten überrascht aber war Harry Forst. Er war zusammengezuckt wie unter einem Schlage, als er diese Ankündigung vernahm. Blass, mit brennenden, forschenden Augen sah er zu Felicitas hinüber, die dem Sturm von Glückwünschen stolz und ruhig standhielt und deren Arm Ritter so selbstverständlich in dem seinen hielt. Nie war ihm Ritters Erscheinung so imponierend erschienen, wie in diesem Augenblick.

Die Augen des Brautpaares streiften zu Forst hinüber. In denen Ritters blitzte und funkelte es wieder drohend auf, aber die Augen Felicitas blickten kalt und abweisend in die des Mannes, der sie so namenlos gekränkt hatte. Forst biss wie im Krampfe die Zähne zusammen. Jetzt fühlte er mit peinvoller Schärfe, was er verloren — oder vielmehr aufgegeben hatte. Mit einem seltsam quälenden Gefühl verliess er kurz darauf die Gessellschaft. Er war nun frei, wie er es gewünscht hatte — aber zufrieden war er dennoch nicht.

***

Hans Ritter und seine Frau

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