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1953 - Der Schwur am Brunnen

Aufbruchstimmung in Deutschland. Die ersten Motorroller und VW-Käfer eroberten die Straßen. Ich war dreizehn Jahre alt, Schülerin eines Real-Gymnasiums für Mädchen in Frankfurt am Main. Mein verehrter Lehrer Müller aus der Volksschule hatte mich ermutigt, die Aufnahmeprüfung für die „höhere Schule“ zu machen. „Ich weiß, dass du das schaffst!“ Und ich habe es geschafft.

Von Anfang an fühlte ich mich in der neuen Schule unwohl. Die Mädchen kamen aus so genannten „besseren Kreisen“. Ihre Väter waren Juristen, Journalisten oder Kaufleute. Manche Mütter hatten eine akademische Ausbildung. Meine Mutter war Hausfrau und mein Vater ein verheirateter Mann. Damals habe ich mich geschämt, wenn ich mich für die unterschiedlichen Namen rechtfertigen musste. „Wieso das denn?“, fragten die Klassenkameradinnen. Ich war anders als sie, fühlte mich ausgegrenzt, argwöhnisch beäugt.

Im Sommer 1953 wurde unsere Klasse für ein Radio-Hörspiel ausgewählt. Wir waren sofort elektrisiert: Man würde unsere Stimmen im Radio hören! Unsere Namen! Zuhause beschwor ich meine Mutter, bis zur Sendung ein modernes Radio zu besorgen. Wir hatten noch einen „Volksempfänger“ aus der Nazi-Zeit.

Wenige Tage nach der Ankündigung, ging eine Lehrerin durch die Reihen und verteilte Texte für die bevorstehenden Probeaufnahmen. Als ich nach einem Blatt greifen wollte, raunte sie: „Das kannst du nicht.“ Es war, als würde mir der Boden unter den Füßen weggezogen. Dieser Satz brannte sich in mein Herz. Wie in Trance sah ich die Lehrerin an mir vorbeigehen. In diesem Moment war ich wie gelähmt, unfähig, mich zu wehren. Hinter meinem Rücken wurde getuschelt. „Die kann das nicht.“ In mir wuchs die Empörung. „Ihr werdet es schon sehen! Euch werde ich es zeigen! Ich bin besser als ihr alle zusammen!“

Noch ein Mädchen aus meiner Klasse durfte nicht mitmachen. Waltraud, eine pummelige, schwarzhaarige Schülerin, mit der ich manchmal den Schulweg teilte. Als der Unterricht zu Ende war, nahm ich Waltraud zur Seite. Ich wollte mir ein Versprechen geben und dazu brauchte ich eine Zeugin. In der Nähe der Schule gab es einen Brunnen, an dem ich manchmal das Wasser beobachtete, das aus der oberen Etage heraussprudelte. Dort wollte ich einen Schwur ablegen. Ich war tief verletzt, aber auch voller Empörung. Ich vermutete, dass meine unklaren familiären Verhältnisse hinter der Ablehnung standen. Man wollte mich nicht. Ich passte nicht in dieses Elite-Gymnasium. Diese Diskriminierung forderte meinen Widerstand heraus. „Die werden schon sehen“, sagte ich zu Waltraud. „Was meinst du denn?“ Ich zerrte Waltraud an der Jacke, damit sie mitkam.

Am Brunnen angekommen, zog ich ein Zehn-Pfennig-Stück aus meinem kleinen Geldbeutel und warf es ins Wasser. Ich legte Mittel- und Zeigefinger meiner rechten Hand übereinander und sagte zornig und mit zitternder Stimme: „Hiermit schwöre ich: „Ich werde es allen zeigen und ich werde euch beweisen, dass ich eines Tages im Radio sprechen werde!“ Ich bekräftigte es noch einmal: „Ich schwöre es!“ Waltraud war fassungslos. „Wie willst du das denn machen?“, fragte sie. „Warts ab, du wirst es sehen.“ Ich war überzeugt: „So wird es kommen.“


So wird es kommen

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