Читать книгу Dunkle Wolken über Bernice - Heidi Christina Jaax - Страница 5
Baronin Therese de Bernice
ОглавлениеMarie holte Amelie im Schulraum ab, „deine Mutter kommt heute nicht zum Mittagessen herunter, sie möchte dich aber gerne sehen und erwartet dich jetzt.“ Amelie folgte Marie zu den Räumen ihrer Mutter, beim Eintreten stieß sie einen Freudenschrei aus: „Oh Maman“ und flog in deren ausgebreitete Arme. Diese lag bequem auf einer Ottomane, auf einem Beistelltisch davor stand ein leichtes Mittagessen. Der Raum war mit zierlichen weißen Möbeln eingerichtet, Licht durchflutet durch drei bis zum Boden reichende Flügeltüren aus Glas, welche nach Südwest gerichtet waren. Ausladende Palmen gaben dem Raum ein mediterranes Flair. „Wie geht es dir heute Maman?“ „Sehr gut ma petite, le Docteur hat mir nur Schonung verordnet und da muss ich ihm wohl gehorchen.“ Aufmerksam betrachtete Amelie ihre schöne, zarte Mutter, obwohl sie hinfällig war und ständig ruhen musste, machte sie keinen unglücklichen Eindruck.
In diesem Moment betrat auch Amelis Vater den Raum, er küsste zuerst sanft seine Frau und umarmte dann seine kleine Tochter. „Wie geht es meinen beiden Liebsten“, erkundigte er sich mit einem besorgten Blick auf seine Frau. „Wunderbar Henri, le Docteur ist nur so streng mit mir, ich fühle mich wie eine Gefangene.“ „Nur Geduld Liebes, es ist ja bald vorbei, dann kannst du alles nachholen, was du jetzt entbehren musst“. Das verstand Amelie nun überhaupt nicht, was war bald vorbei? Und warum hatte der Vater eine derart strahlende Laune, wo Maman doch krank hernieder lag? Erwachsene waren doch mitunter sehr merkwürdig und wie sie sich ansahen, als ob sie gar nicht mehr im Raum wäre. Monsieur Rodwig, der neben seiner Tätigkeit als Kammerherr auch die Aufgaben des Butlers übernommen hatte, meldete gerade: „ Es ist angerichtet.“ Amelie und der Baron verabschiedeten sich liebevoll und gingen gemeinsam zum Speisezimmer.
Auf dem Weg erkundigte sich der Vater nach den Schulstunden und war sehr an den einzelnen Unterrichtsthemen interessiert. Schließlich setzten sich beide zu Tisch, Mademoiselle Darnelle wartete schon. Da ihre Position über der des übrigen Gesindes lag, nahm sie ihre Mahlzeiten mit der Herrschaft ein. Es wurde nicht viel gesprochen bei Tisch und Amelie war froh, als die Tafel aufgehoben wurde. Da sie sehr schnell Unmengen essen konnte, was absolut ungehörig im Sinne der guten Manieren war, fieberte sie nun dem Ausflug zum Fluss entgegen. In Hinsicht auf den Störfaktor des am Nachmittag erwarteten Besuchs, wollte sie keine unnötige Zeit verlieren, zumal das Wetter hielt, was es am Morgen versprochen hatte. Und sie schlüpfte sie eilig durch die Pforte zum Garten hinaus, Jules würde schon ungeduldig warte, da auch er zur Versorgung der Pferde wieder zeitig im Schloss sein musste.
Schon aus der ferne konnte sie ihn am Horizont erkennen, er hatte seine selbstgebastelte Angel dabei und noch eine zweite für Amelie mitgebracht, da eine Baroness derartiges nicht besaß. Sie rannte das letzte Stück des Weges, sobald sie außer Sichtweite des Schlosses war, um keine Sekunde der kostbaren freien Zeit zu verschenken. Atemlos kam sie am Fluss an, „hallo Jules, da bin ich, das Mittagessen hat sich endlos in die Länge gezogen und ich musste noch zu Maman, weil sie sich heute nicht wohl fühlte. Sie ist so viel alleine in ihrem Boudoir, das dauert mich, da ich sie doch so sehr liebhabe.“ „Na jetzt ist es ja noch früh genug, ich habe schon alles für uns vorbereitet.“ „Soll ich Würmer ausgraben als Köder oder nehmen wir harte Brotkrumen?“ „Na du bist mir vielleicht eine merkwürdige Baroness, andere Mädchen schreien schon beim Anblick von Würmern und du willst sie sogar ausbuddeln.“ „Das sehe ich anders, ich glaube ich bin völlig in Ordnung so wie ich bin! Vielleicht sind die anderen Mädchen merkwürdig?“ „ Na ja, du bist mir auf jeden Fall lieber als die anderen, meine Schwestern eingeschlossen.“
In stiller Harmonie saßen sie zwei Stunden am Fluss und in dem mit Wasser gefüllten Eimer sammelten sich schon einige Forellen und Schierlinge, diese würden den kargen Speiseplan von Jules Familie an diesem Abend auf erfreuliche Art ergänzen. Amelie konnte leider keine mitnehmen, da ihr das Angeln mit Kindern des Gesindes strengstens verboten war und der Kontakt zu Jules nur im Pferdestall geduldet wurde, wo er seine Arbeit zu verrichten hatte. Zudem war diese Freizeitgestaltung nicht das, was man für ein Mädchen von vornehmer Herkunft als standesgemäße Beschäftigung erachtete. Als die Sonne tiefer stand, mahnte Jules zur Eile, denn auch er war von dem Besuch aus Devore betroffen, da er die Kutschpferde versorgen musste.
Unangenehm berührt dachte sie an die Teestunde mit der bigotten Madame Devore und ihren feisten und absolut dummen Töchtern, welche jeweils ein und zwei Jahre älter waren als sie. Da sich Amelie noch umziehen und waschen musste, vom Frisieren mal ganz abgesehen, eilte sie schnellen Schrittes auf das heimische Schloss zu, nachdem sie Jules ein wehmütiges „na dann bis Morgen“ zugerufen hatte. Jules sah ihr noch eine Weile hinterher, wie sie flink wie eine Gazelle über die Wiesen eilte. Schließlich stieß er einen tiefen Seufzer aus und packte seine Angelsachen zusammen um sich seinerseits auch dem Schloss zuzuwenden.
Marie war außer sich über die späte Heimkehr ihres Schützlings und den Zustand ihrer Kleidung, ganz zu schweigen von den Trauerrändern unter den Fingernägeln. Die Waschschüssel war bereits gefüllt, saubere Kleidung und die dazu passenden geknöpften Stiefelchen lagen schon bereit. „ Schnell kleine Amelie, soeben ist die Kutsche mit den Gästen vorgefahren und dein Haar müssen wir auch noch frisieren. Wie schaffst du es nur derart viele Knoten hineinzubringen und einen Hut hast du auch wieder nicht getragen, dein Gesicht ist gerötet von der Sonne. Wie soll aus dir nur jemals eine vornehme, junge Dame werden?“ „Überhaupt nicht Marie, ich bleibe so wie ich bin. Hier auf Bernice stört das doch niemanden und ich werde niemals von hier fortgehen!“ Sprach sie und drückte der verdutzten Marie einen Kuss aufs Haar, eilte dann mit wehenden Röcken zu den Räumen ihrer Mutter, wo der Besuch wegen deren Hinfälligkeit erwartet wurde.
Unterwegs begegnete ihr Mademoiselle Darnelle, „Amelie, deine Mutter erwartet dich in ihrem Boudoir, der Besuch ist bereit eingetroffen.“ Erst kurz vor der Tür verlangsamte Marie ihre Schritte, vernahm die schrille Stimme der Nachbarin, welche mit ihren Töchtern bereits eingetreten war. Sie strich sich noch einmal über das Haar, atmete tief durch und wappnete sich mit Gleichmut, um den drei ungeliebten Besucherinnen höflich gegenübertreten zu können.
Sie klopfte an die Tür, wartete das zarte „entrez“ ihrer Mutter ab und trat ein, wobei ihr Blick gleich auf ihre leidende Mutter fiel, welche auf der Chaiselonge ruhte. „Na da bist du ja endlich mon Petite, begrüße unsere lieben Nachbarinnen, wir warten schon eine ganze Weile auf dich. “Amelie deutete einen Knicks an, „Guten Tag Madame Devore, schön euch zu sehen Babette und Marianne“, wobei sich ihr fast der Magen umdrehte angesichts dieser lüge aus Höflichkeit. Madame Devore hob ihr Lorgon, betrachtete Amelie mit einem kritischen Blick. „Ach da ist ja die Kleine und was für eine frische, gesunde Farbe sie wieder hat.“ Was wie ein Kompliment klang, war in Wirklichkeit eine Rüge, denn es schickte sich nicht für Damen von Stand einen gebräunten Teint zu haben. Eine vornehme Blässe galt als angemessen, wie sie ihre eigenen Töchter zur Schau trugen. Therese de Bernice verzog schmerzhaft den Mund angesichts dieser Rüge, fand jedoch das Erscheinungsbild ihrer Tochter doch ansprechender als den künstlichen Aufputz der beiden Nachbarstöchter.
Beide waren blond gelockt, edel und pompös gekleidet, jedoch von korpulenter Statur und mit teigigen Gesichtszügen gesegnet, die denen der Mutter glichen. Amelie musste beim Anblick der beiden ein Lächeln unterdrücken. Wie immer trug Babette blaue Gewänder und Marianne kleidete sich komplett in Rosa, was Amelie immer an ein kleines, gemästetes Schweinchen erinnerte. Während Marianne im Geiste nicht die Intelligenteste jedoch von sanftem Wesen war, vereinte Babette in ihrem Wesen Dummheit mit boshafter Arroganz. Ihre spitze Zunge war unter ihren Alterskameradinnen sehr gefürchtet.
Nach der Begrüßung servierte Jaques den Tee zusammen mit Petit Fours und kleinen Honigkuchen, dann folgte der von Amelie gefürchtete Satz: „Kinder, geht ein wenig spielen oder im Park spazieren“, sagte Baronin de Bernice mit leiser, sanfter Stimme. „Und dass ihr euch nicht schmutzig macht, Marianne vergiss nicht wieder deinen Hut aufzusetzen. Babette, denk daran, dass du bald eine junge Dame bist“, fügte Madame Devore eindringlich hinzu. Amelie seufzte unmerklich auf, machte einen braven Knicks und verließ mit Babette und Marianne den Raum.
Mit diesen beiden aufgeputzten Püppchen konnte sie wirklich nichts anfangen, welch eine Zeitverschwendung! „Was unternehmen wir nun?“ fragte sie lustlos ihre Gäste. „Wie wäre es mit einer Promenade durch den Park“ schlug Marianne vor. Ich wäre für Verkleiden und neue Frisuren üben, Amelie würden ein paar Striche mit der Bürste auch nicht schaden“ verlautete Babette mit einem hämischen Seitenblick auf ihre Gastgeberin. Schließlich kam man überein auf dem Dachboden nach alten Festroben zu suchen und die dazu passenden Frisuren zu entwerfen. Wie immer hatte Babette ihre Wünsche durchgesetzt. Amelie seufzte erneut, nun jedoch etwas weniger dezent, auch dieser Nachmittag würde vorübergehen, schließlich hatte sie es vormals ja schon des öfteren heil überstanden. Dennoch war sie heilfroh, als die Uhr in der Eingangshalle fünfmal schlug und sich der ungeliebten Pflicht einer Gastgeberin entledigen durfte.
Nach einem gemütlichen Abendessen mit ihrem Vater und einer anschließenden Diskussion über Reitpferde im Rauchsalon, war die Welt für sie wieder in Ordnung. Vor dem zu Bett gehen huschte sie noch einmal zu ihrer Mutter ins Zimmer um ihr eine gute Nacht zu wünschen. Diese lag bereits zu Bett und machte einen erschöpften und angegriffenen Eindruck. Madame Devore war noch um einiges anstrengender als ihre Töchter, die arme Maman! Amelie drückte ihr eine zarten Kuss auf die Wange und diese umarmte sie mit der Sanftheit einer liebenden Mutter. Danach strebt sie ihrem Turm zu, wo Marie schon wartete um sie zu entkleiden. „Na meine Kleine, hattest du einen schönen Tag?“ „Bis auf den Besuch am Nachmittag war mein Tag wirklich wunderschön.“ Als sie später vor sich hin träumend in ihrem Himmelbett lag, freute sie sich auf den nächsten Morgen und dachte: „So wie das Leben jetzt ist, könnte es eine weile bleiben“. Dann schlief sie glücklich und zufrieden ein.