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5. Kapitel - Marta

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Wie ich den Montagmorgen hasse. Obwohl ich erst um neun Uhr anfangen muss, zu arbeiten und mich morgens nicht aus dem Bett quälen müsste, fällt es mir montags besonders schwer aufzustehen. Am Wochenende schlafe ich meistens bis um zehn, wenn nichts Bestimmtes ansteht. In der Woche hingegen muss ich spätestens halb acht aufstehen, um mich in aller Ruhe fertigmachen zu können und entspannt ins Büro zu kommen.

Ich öffne die Eingangstür der Agentur und gehe gemütlich die Treppe zum Büro hinauf. Es ist schon kurz nach neun, somit bin ich ein paar Minuten zu spät dran, aber es stört mich nicht weiter. Ich mache so viele Überstunden, da kann ich auch mal etwas später im Büro eintreffen. Na ja, genau genommen bin ich jeden Montag zu spät an meinem Arbeitsplatz.

Ich betrete das Großraumbüro und gehe auf meinen Schreibtisch zu. Von Weitem sehe ich Paul an seinem Platz sitzen. Er grinst mich an, als er mich entdeckt. Mein Blick wandert schnell in eine andere Richtung. Ich will keinesfalls, dass mein Kollege sich dazu genötigt fühlt, mich anzusprechen. Aber wie ich ihn kenne, wird er es dennoch tun und mich nicht einmal am Morgen in Ruhe lassen können.

An jedem besetzten Tisch hauche ich ein leises »Guten Morgen« im Vorbeigehen raus. Die meisten meiner Kollegen sind schon so in ihre Arbeit vertieft und nehmen mich nicht wahr.

Ich setze mich an meinen Schreibtisch, verstaue meine Tasche in der unteren Schublade und verschließe sie. Den Schlüssel stecke ich in meine Hosentasche. Nun freue ich mich auf eine knappe Stunde Ruhe, um mich zu akklimatisieren. Bis um zehn muss ich topfit sein. Montags haben wir Punkt zehn Uhr Besprechung. Dann wird darüber geredet, was ansteht und die Aufträge werden verteilt.

Ich schalte meinen Computer ein, lehne mich zurück und atme tief durch. Plötzlich steht Paul mit zwei Tassen Kaffee neben mir und stellt mir eine mit den Worten »Na, noch nicht ausgeschlafen?« auf den Schreibtisch.

Ich bin ein wenig verwundert. Denn ich kann mich nicht erinnern, dass Paul mir in der letzten Woche einen Kaffee gebracht hätte. Bisher baggerte er mich nur bei jeder noch so kleinen Gelegenheit an. Vielleicht ist das seine neueste Masche, um mich doch noch umzustimmen, mit ihm auszugehen.

»Danke!«, sage ich leise.

Auch, wenn ich jetzt einen Kaffee gebrauchen kann, um richtig wach zu werden, ist es mir ein bisschen unangenehm, das ausgerechnet Paul mir eine Tasse des Heißgetränks bringt. Das gibt mir das Gefühl, ihm etwas schuldig zu sein. Dabei ist es absoluter Quatsch.

Nur weil einem jemand einen Kaffee mitbringt, steht man längst nicht in seiner Schuld!, rede ich mir ein.

Paul scheint es anders zu sehen. Er bleibt neben meinem Schreibtisch stehen und erweckt nicht den Eindruck, zurück an seinen Arbeitsplatz gehen zu wollen. Ich habe das Gefühl, als ob er noch irgendetwas von mir will. Sicherlich wird er wie jeden Moment fragen, ob ich mit ihm essen gehe. Aber meine Antwort wird auch dieses Mal die gleiche sein.

»Und wie war dein Wochenende?«, fragt Paul nach einigen Sekunden des Schweigens und überrascht mich damit. Ich hätte mit allem gerechnet, aber nicht, dass mein Kollege einen Small Talk mit mir führen möchte.

Beschissen wäre geprahlt!, denke ich. Meine Gedanken wandern sofort zu der Begegnung mit Tom. Ich konnte die letzten beiden Nächte kaum schlafen, weil ich immer wieder daran denken musste.

»Ganz gut!«, flunkere ich.

»Ja? Was hast du denn so gemacht?«

»Nichts Besonderes. Ich war mit einer Freundin aus.«

»Aha. Das klingt ja nicht gerade begeistert.«

»Doch, doch! Wir hatten eine Menge Spaß. Ich bin einfach noch nicht ganz wach.«

»Okay. Dann will ich dich nicht weiter stören«, sagt Paul überraschenderweise und geht zu seinem Schreibtisch zurück.

Was war denn das? Ist Paul doch nicht so schlimm, wie ich dachte? So viel Rücksicht hätte ich ihm nicht zugetraut.

Ich greife nach der Tasse und nehme einen großen Schluck. Das heiße Getränk tut mir gut.

Woher wusste Paul, dass ich meinen Kaffee schwarz mag? Das kann er doch gar nicht wissen! Wird er auch nicht! In einen schwarzen Kaffee kann man sich bei Bedarf noch Milch und Zucker hineintun. Ist beides schon drin, kann man es nicht mehr rückgängig machen.

Ich bin über Pauls heutiges Verhalten ein wenig verwirrt. Irgendetwas muss mit ihm am Wochenende passiert sein. Warum sollte er sich sonst so verändert haben? Vielleicht war er schon von Anfang an so, und ich habe es nur nicht bemerkt, weil ich ihn einfach in eine Schublade gesteckt habe.

Ich stelle die Tasse wieder ab und schließe meine Augen vor Müdigkeit. Das Koffein wirkt noch nicht.

Ich sollte wirklich zeitiger ins Bett gehen!

Wenn das so leicht wäre, antworte ich mir gedanklich selbst.

»Marta, kommen Sie bitte in mein Büro!«, höre ich den Chef nach mir rufen.

Warum denn das? Was will der jetzt von mir?

»Ja, ich komme«, antworte ich.

Langsam stehe ich auf, werfe einen Blick zu Paul, der mich mitleidig anschaut, und gehe in das Chefbüro. Das Büro liegt gleich neben unserem Großraumbüro.

Der Chef ist schon vorgegangen. Als ich sein Büro betrete, steht er an einem seiner beiden Fenster und schaut hinaus.

Ich schließe die Tür, viel lauter, als ich es wollte und mein Chef, Oliver Knecht, dreht sich ruckartig um. Womöglich hat er sich erschrocken, als die Tür so geräuschvoll ins Schloss viel.

»Marta, es tut mir leid!«

»Was? Dass du kommst und gehst, wann es dir gerade passt? Oder, weil du deine Versprechen nicht hältst?«

Oliver schaut mich schweigend an. Anscheinend weiß er nicht so recht, was er sagen soll.

»Was willst du nun?«, frage ich weiter.

»Es tut mir leid! Ich rede ganz bestimmt bald mit meiner Frau und trenne mich von ihr!«

»Wer`s glaubt, wird selig! Das versprichst du mir schon seit Monaten. Ich kann dir nichts mehr glauben und ich will das auch nicht mehr!«

»Marta, bitte vertraue mir!«

»Nein, ich will dich privat nicht mehr sehen! Damit ist für mich dieses Thema beendet«, sage ich.

Anschließend verlasse ich wütend das Büro und gehe zurück zu meinem Schreibtisch.

Was glaubt der eigentlich, wer er ist?, schreit es in meinem Kopf. Ich habe mir diesen Mist schon lange genug angehört!

Ja, das habe ich tatsächlich! Um genau zu sein, seit der letzten Betriebsfeier vor drei Monaten. Wie es dazu kam, kann ich nicht sagen. An diesem besagten Abend floss der Alkohol in Strömen. Das führte zu einigen Lücken in meinem Erinnerungsvermögen. Ich kann mich nur noch erinnern, wie ich am nächsten Tag aufwachte und mich zu Tode erschrak, als ich den Chef neben mir in meinem Bett liegen sah. Ich schrie so laut auf, sodass Oliver wach wurde. Er schien sich damals noch genau daran zu erinnern, wie er in mein Schlafzimmer kam. Er tat so, als wäre sein Aufenthalt in meiner Wohnung, in meinem Bett, das Normalste von der Welt. Ich hingegen hatte im ersten Moment noch nicht mal eine Ahnung, ob zwischen uns etwas gelaufen war. Erst, nachdem ich Oliver vorsichtig darauf ansprach, wusste ich, wir hatten miteinander geschlafen.

Ich war so schockiert und bat ihn zu gehen. Oliver kam meiner Aufforderung glücklicherweise nach.

Es dauerte Stunden, bis ich mich innerlich so weit beruhigt hatte und wieder klar denken konnte. Eigentlich wäre die ganze Geschichte nicht so schlimm gewesen, wenn es sich nicht ausgerechnet um meinen Chef handeln würde, der zu allem Überfluss bis heute noch verheiratet ist.

In der darauf folgenden Woche hätte ich mich am liebsten krankgemeldet. Ich wollte partout nicht ins Büro gehen und auf ihn treffen. Schweren Herzens ging ich dann doch zur Arbeit und hoffte, wir beide könnten diesen Vorfall vergessen, und es als einen einmaligen Ausrutscher sehen. Da hatte ich die Rechnung aber ohne Oliver gemacht. Er tat nämlich nicht so, als wäre es für ihn eine einmalige Sache. Für ihn schien es etwas Ernstes zu sein. Zumindest verkündete er mir ein paar Tage nach diesem Vorfall, er hätte sich in mich verliebt und würde sich in Kürze von seiner Frau trennen.

Ich brauchte eine Weile, um mir klar darüber zu werden, ob ich genauso für ihn empfand. Anfangs war ich mir sicher, keine Gefühle für ihn zu haben. Doch bei jeder Gelegenheit zeigte er mir, dass er mich wollte. Ich fühlte mich geschmeichelt von den vielen Gesten. Irgendwann bin ich schwach geworden und habe mich auf Oliver eingelassen. Ich war mir am Ende sogar sicher, mich ein wenig in ihn verguckt zu haben.

Seitdem trafen wir uns mehrmals die Woche heimlich bei mir. Zu ihm konnten wir schließlich nicht gehen. Bei jedem unserer Treffen versprach er mir, er würde sich zeitnah von seiner Frau trennen. Anfangs glaubte ich ihm. Ich hatte nicht einmal ein schlechtes Gewissen seiner Frau gegenüber, weil Oliver mir immer wieder versicherte, zwischen ihm und ihr wäre es längst vorbei. Er schwor mir sogar, dass sie seit Längerem nicht mehr miteinander schliefen. Vielleicht hätte ich mich anders verhalten, wenn Kinder im Spiel gewesen wären, aber es gab zum Glück keine.

Bisher verachtete ich die Frauen, die sich in eine Beziehung einmischen und den Status Geliebte haben. Und plötzlich gehörte ich selbst zu ihnen. Natürlich schämte ich mich und habe bis heute mit niemandem - nicht mal mit einer meiner Freundinnen, die mir eine Standpauke nach der anderen halten würden, wenn sie davon wüssten - darüber gesprochen.

Ich redete mir immer wieder ein, die Beziehung zwischen Oliver und seiner Frau musste schon kaputt sein, bevor ich mit ihm im Bett landete. Für mich war es nur noch eine Frage der Zeit, bis unsere Beziehung offiziell sein würde. Ich glaubte wirklich, Oliver meinte es ernst mit der Trennung. Sonst hätte ich mich doch niemals auf diese heimliche Affäre eingelassen.

So langsam bekomme ich aber Zweifel an Olivers Aufrichtigkeit. Wenn er seine Frau wirklich nicht mehr liebt, hätte er sich längst von ihr getrennt. So groß kann seine Liebe zu mir also nicht sein, sonst würde er mich nicht so behandeln. Viel mehr scheint er mich als Spielzeug zu sehen, was er hervor holen kann, wann immer er Lust zum Spielen hat. Das wurde mir gestern so richtig bewusst.

Am gestrigen Abend tauchte er wieder unangemeldet bei mir auf, so wie er es in letzter Zeit oft tat. Er ging einfach davon aus, dass er mal eben schnell mit mir durch mein Bett hüpfen kann, bevor er zu seiner Frau nach Hause zurückkehrt und einen auf treu sorgenden Ehemann macht. Gleich nach seiner Ankunft machte Oliver mir klar, er hätte nicht so viel Zeit und wir müssten uns beeilen. Dieses Mal spielte ich nicht mit. Ich fragte ihn, wie lange es noch so weitergehen sollte und wann er endlich vorhat, mit seiner Frau zu reden. Wie ich es vorher bereits vermutete, bekam ich wieder die Antwort, die er mir jedes Mal gab. Er wollte in den nächsten Tagen mit ihr sprechen.

Die Trennung sollte schon seit Monaten in den nächsten Tagen stattfinden. Vielleicht ist es für ihn eine Auslegungssache, wie weit sich »in den nächsten Tagen« in die Zukunft strecken lässt.

Mit meiner Antwort »Gut, dann warte ich so lange auf dich, bis du es geklärt hast! Vorher brauchst du nicht mehr wieder zu kommen« hatte er nicht gerechnet. Oliver glaubte wirklich, er könnte mich ein weiteres Mal hinhalten, aber seine Hinhaltetaktik funktioniert bei mir nicht mehr. Ich bin mir einfach zu schade, das Spielzeug eines gelangweilten Ehemannes zu sein. Das sagte ich ihm auch und bat ihn zu gehen. Zum Abschied legte ich ihm nahe, er bräuchte keine weiteren Versuche bei mir starten, bevor er nicht mit seiner Frau gesprochen hat.

Da ich weiß, dass er sich nie von seiner Frau trennen wird, warte ich natürlich nicht darauf. So blöd bin ich dann auch nicht.

Nun graut es mir vor der Besprechung. Oliver wird mich die ganze Zeit anstarren und mich so versuchen unter Druck zu setzen. Am liebsten würde ich das Meeting sausen lassen und einfach abhauen.

Warum hast du dich nicht krankgemeldet? Dann würdest du jetzt schön entspannt zu Hause sein und müsstest dir das nicht antun.

Nun ist es für derartige Überlegungen allerdings viel zu spät!

Voller Anspannung warte ich, bis es zehn wird und ich die Begegnung endlich hinter mich bringen kann. Für den Rest der Woche habe ich dann hoffentlich meine Ruhe und kann mich wieder auf meine Arbeit konzentrieren.

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