Читать книгу Wenn Rache süchtig macht - Heidi Oehlmann - Страница 4
2. Kapitel – Betty
ОглавлениеIch halte vor einer Bar namens Blackbox. Von außen sieht der Schuppen nicht besonders einladend aus. Bei dem Namen wundert es mich nicht weiter. Es ist mir nicht so wichtig, es war der erste Laden, den ich entdeckte. Ich wüsste auch nicht, wo ich sonst hingehen sollte. Normalerweise gehe ich nicht aus. Den Genuss von Alkohol und das Einatmen von Zigarettenrauch versuche ich zu meiden. Beides ist nicht wirklich gesundheitsfördernd und passt somit nicht zu meinem Lebensstil. Viel zu lange habe ich meinen Körper mit Fett und unnötigen Kalorien traktiert. Das ist jetzt endlich vorbei. Heute ist es allerdings etwas anderes. Schließlich habe ich einen Grund zum Feiern. Da kann ich mir schon mal ein Glas Sekt genehmigen.
In der Kneipe ist noch nicht allzu viel los. Es liegt aber weniger an dem Laden als an der Uhrzeit. Immerhin ist es gerade Mal kurz vor neun. Die Bar wird sich in den nächsten Stunden bestimmt noch ordentlich füllen. Dann werde ich nicht mehr hier sein.
Ich gehe an die Bar und bestelle mir ein Glas Sekt.
»Gibt es was zu feiern?«, fragt mich der Barkeeper neugierig.
Ich antworte nur mit einem »Ja« und drehe meinen Kopf in eine andere Richtung. Obwohl ich gut gelaunt bin, habe ich keine Lust auf eine Konversation. Noch viel weniger bin ich in der Stimmung für einen Small Talk. Ich will nicht darüber reden, warum ich in Feierlaune bin. Wie sollte ich auch den Grund für meine gute Laune erklären? Es reicht doch, wenn ich weiß, warum ich mir ein Glas Sekt gönne.
Der Barkeeper scheint es zu akzeptieren. Nachdem er mir das Glas Sekt auf den Tresen stellt, widmet er sich wieder seinen Gläsern, die er bereits bei meiner Ankunft polierte.
Ich sehe mich in der Bar um. Die anderen Leute scheinen sich genauso zu langweilen, wie ich es tue. Also konzentriere ich mich auf mein Getränk und denke an Marc. In Gedanken proste ich ihm zu. Dabei kann ich mir ein Grinsen nicht verkneifen. Meine Mundwinkel verselbstständigen sich ohne mein Zutun. Gleichzeitig hoffe ich, dass mich in diesem Augenblick niemand beobachtet. Jeder, der mich so sieht, hält mich bestimmt für verrückt. Ganz falsch wird die Person mit ihrer Vermutung nicht liegen. Immerhin habe ich heute einen Menschen umgebracht und freue mich darüber. Schlimmer noch, ich feiere meine Tat. Normal ist das sicher nicht.
Nachdem ich mein Sprudelwasser ausgetrunken habe, bemerke ich das der Schuppen sich langsam füllt. Mir fällt ein Männerüberschuss auf. Kaum eine Frau hat sich in die Blackbox verirrt. Wenn ich mich so umsehe, weiß ich auch warum. Unter den Typen in dem Laden sind ein paar Gestalten, denen man nicht allein im Dunkeln begegnen möchte. Bei den meisten handelt es sich aber um ganz banale Trunkenbolde, die erst unter Alkoholeinfluss gesprächig werden. Bevor ich in die peinliche Situation gerate, dass mich einer von ihnen anspricht - unter Alkohol denken die meisten Kerle, sie können jede haben - beschließe ich zu gehen.
Ich will gerade zahlen, als zwei kräftig gebaute Damen hereinkommen.
Endlich mehr weibliche Gäste, denke ich. Die beiden Frauen kommen an den Tresen und setzen sich genau neben mich. Sie sind in eine Unterhaltung vertieft. So weit ich es verstehen kann, geht es um einen Mann. Die Dunkelblonde mit den kurzen Haaren scheint Stress mit ihrem Freund Michael zu haben. Ich lausche heimlich dem Gespräch und bestelle mir noch ein Glas Sekt. Die beiden Damen bevorzugen Wein.
Die Kurzhaarige scheint sich bei ihrer Freundin auszuweinen. Caro - so wie sie heißt - hat sich mit Michael gestritten, weil er ihren Jahrestag vergaß.
Wenn ich das höre, bin ich froh, in keiner festen Beziehung zu sein. Genau genommen habe ich gar keine Bindung, noch nicht mal ein lockeres Techtelmechtel. Das ist auch gut so. Sobald sich zwei Menschen aneinander binden, gibt es nur Probleme. Das muss ich nicht haben! Dennoch höre ich den beiden weiterhin neugierig zu.
Dann nehme ich zwei Männer wahr, die scheinbar über meine Thekennachbarinnen lästern. Ich habe deutlich die Worte fette Seekühe verstanden.
Wie ich solche Typen hasse! Diese Art von Mann kriegt im eigenen Leben nichts gebacken und muss sich über andere Menschen das Maul zerreißen. In mir brodelt es vor Wut.
Ich schaue zu den beiden Frauen. Caro und ihre Begleiterin scheinen nichts von dem Geläster mitzubekommen. Sie sind immer noch in ihrem Gespräch über Michael vertieft.
Meine Ohren verlassen ihre Unterhaltung. Meine Aufmerksamkeit liegt bei den beiden Männern, die keine fünf Meter von mir entfernt an einem Tisch sitzen. Sie ziehen weiterhin über die beiden Mädels her. Dabei sollten sie erst mal bei sich selbst anfangen. Der Dünnere der beiden sieht nicht nur ungepflegt aus, er ist nicht mal in der Lage sich den Schaum seines Biers aus dem Oberlippenbart zu wischen. Ich finde ihn einfach nur ekelhaft.
Und der andere Typ hat mit seiner Figur überhaupt kein Recht, sich über die Körper der beiden Frauen lustig zu machen. Sein Bierbauch ist so dick, dass er gegen den Tisch drückt. Er quillt sowohl über als auch unter der Tischplatte hervor. Bei der Fülle könnte er seine Wampe gleich auf dem Tisch ablegen. Das sähe vielleicht nicht ganz so schlimm aus. Oder doch! Wenn ich mir das Bild so vorstelle, ist es genauso ekelerregend. Ich versuche mich nicht auf die Äußerlichkeiten der beiden Kerle zu konzentrieren, sondern ihre Worte zu verstehen. Es gelingt mir sogar.
Während ich den beiden Männern zuhöre, denke ich daran, wie es mir früher erging. Ich höre wieder die Worte Betty ist ein Fetti. Dieser Satz bringt mich zum Kochen. Im Gegensatz zu damals würde ich mir so etwas heute nicht mehr gefallen lassen. Mit meinem neuen Aussehen gelange ich aber nie wieder in diese Lage. Dennoch kann ich nicht dabei zuschauen, wie andere Menschen fertiggemacht werden, nur weil sie ein paar Kilo zu viel auf die Waage bringen.
In mir wächst das Bedürfnis, den beiden Lästermäulern eine Lektion zu erteilen. Ich habe das Verlangen, mich im Namen von Caro und ihrer Freundin zu rächen.
Einen Moment denke ich darüber nach, wie ich es anstellen könnte. Dann kommt mir die Idee. Ich habe noch einen Rest von meinen getrockneten Eisenhutblättern in der Tasche, die ich den beiden Herren gern zum Probieren servieren würde. Es ist fraglich, ob meine Spezialmischung für beide Männer reicht. Es war schließlich nicht geplant, an diesem Tag noch andere Personen, außer Marc, damit zu versorgen. Außerdem hat mein letztes Opfer mehr von den getrockneten Blättern bekommen, als es nötig gewesen wäre. Ich will es auf einen Versuch ankommen lassen. Selbst wenn es mir nicht gelingen sollte, beiden Typen den Garaus zu machen, sollen sie wenigstens ein bisschen leiden. Die Frage ist nur, wie ich sie dazu bringen könnte, die tödlichen Blätter zu sich zu nehmen. Ich kann sie den Kerlen wohl kaum ins Bier schütten und erwarten, dass sie es trinken. Eine andere Lösung muss her. Ich denke nach, wie ich mit ihnen in Kontakt kommen kann, ohne sie direkt ansprechen zu müssen. Dann habe ich die Lösung.
Provokativ schaue ich zu ihnen rüber und fahre mir dabei mit der linken Hand durch meine braunen schulterlangen Haare. Der Dicke bemerkt mich und stupst seinen Saufkumpanen an. Beide Männer starren mich an. Ich lächele ihnen zu und halte demonstrativ mein Glas Sekt in die Luft, um ihnen zuzuprosten. Sie prosten zurück. Der Dickere winkt mir zu und deutet an, ich soll zu ihnen kommen. Diese Einladung schlage ich selbstverständlich nicht aus. Ich gehe zu ihnen an den Tisch, setze mein schönstes Lächeln auf und sage: »Na ihr beiden Hübschen!«
»Hallo schöne Frau«, sagt der Dicke.
Mit einem zaghaften »Hallo« begrüßt mich der andere.
»Ich bin die Tina. Und wie heißt ihr?«
Meinen richtigen Namen wollte ich ihnen nicht verraten. Wobei mein genannter Name nicht ganz gelogen ist. Es ist einer meiner Kosenamen. Meine Mutter gab mir zu meiner Geburt den schrecklichen Namen Bettina, der sich nur zu gut zum Hänseln eignet.
Der mit der fetten Wampe stellt sich als Wolfram und der Ungepflegte als Dieter vor.
Ich setze mich zwischen die Männer an die Kopfseite des Tisches. Dieter faselt etwas von wegen Nachschub holen und verschwindet in Richtung Theke. Nun bin ich mit Wolfram alleine. Ich nutze die Chance und flirte wie eine Weltmeisterin mit dem schmierigen Typen. Ich ekele mich ein wenig vor mir selbst. Gleichzeitig bin ich erstaunt über mein schauspielerisches Talent. Wolfram scheint mir das Theaterstück abzukaufen.
Noch bevor ich mich versehe, liegt seine Hand auf meinem Knie. Irgendwie habe ich so etwas befürchtet. Solche Schluckspechte wollen doch alle nur das eine. Ich lasse mir natürlich nicht anmerken, wie sehr es mich anwidert. Glücklicherweise habe ich meine Reflexe im Griff. Die Hand, die zu einer Ohrfeige ausholen will, halte ich in Schacht.
Ich lächele Wolfram an. Für ihn scheint mein Lächeln ein Freibrief zu sein, mit seiner Hand meinen Oberschenkel hinauf zu wandern. Ich weiß genau, worauf es hinauslaufen soll und halte Wolframs dicke Hand, die noch auf meinem Schenkel liegt, fest und sage zu ihm so naiv, wie ich nur kann: »Warte! Nicht hier.«
»Gut. Gehen wir zu mir?«
»Und was ist mit deinem Kumpel?«
»Was soll mit ihm sein?«
»Wir können ihn doch nicht einfach alleine zurücklassen.«
»Der kommt schon klar!«
»Vielleicht will er ja mit uns kommen.«
»Du willst uns beide? Ist das dein Ernst?«
»Warum nicht?«
»Du gefällst mir!«
Ich lächele ihn so süß an, wie ich nur kann. Innerlich bin ich total nervös. Hoffentlich geht mein Plan auf. Sonst habe ich in wenigen Minuten ein riesiges Problem, besser gesagt zwei abstoßende Probleme.
»Ich gehe schon mal bezahlen und gebe Dieter Bescheid.«
»Ups, ich muss meinen Sekt auch noch bezahlen.«
»Das mache ich schon.«
»Danke! Du bist so süß.«
Als Wolfram mir den Rücken zukehrt, verdrehe ich die Augen und sehe zu den beiden Frauen an der Theke, die immer noch in ihrem Gespräch vertieft sind. Sie haben nicht den geringsten Schimmer davon, was ich vorhabe, nur um sie zu rächen.
Ich stehe auf und gehe zur Theke. Wolfram hat bereits bezahlt. Die beiden würgen sich noch schnell einen Kurzen hinunter. Wahrscheinlich müssen sie sich ein wenig Mut antrinken. Sollen sie nur. Es wird ihr letzter Schnaps sein, sofern mein Plan aufgeht.
»Von mir aus können wir gehen. Das Taxi müsste jedem Moment da sein«, sagt Wolfram.
»Sehr gut«, höre ich mich sagen. Ich spüre, wie mein Herz immer schneller schlägt. Wie ferngesteuert gehe ich mit den beiden Typen nach draußen.