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3. Kapitel – Betty
Оглавление»Wo ist die Küche?«
»Dort«, sagt Wolfram, während er auf die Tür zu meiner linken zeigt.
»Gut, ich richte das Essen an. Macht ihr es euch doch schon mal bequem!«
Ich gehe in die Küche und öffne eine Schranktür nach der anderen, bis ich die Teller finde. Mit zitternden Händen nehme ich drei Teller aus dem Schrank und drapiere darauf das asiatische Essen, welches wir unterwegs besorgten.
Auf dem Weg zu Wolframs Wohnung bat ich die Männer darum, dass wir noch etwas zum Essen mitnehmen, da ich angeblich einen Bärenhunger hätte und die beiden Schmierlappen - so habe ich sie natürlich nicht angesprochen - sicher auch eine Stärkung vertragen könnten. Natürlich bin ich nicht hungrig. Ganz im Gegenteil, der Hunger ist mir seit dem Verlassen von Marcs Wohnung vergangen. Mir fiel auf die Schnelle nur keine andere Möglichkeit ein, um meinen Eisenhut an den Mann zu bringen. Außerdem brauchte ich dringend eine Pause von dem Gegrapsche.
Während der Taxifahrt fingen beide Kerle an, mich zu begrapschen. Sie schienen fast zeitgleich auf die Idee gekommen zu sein. Ich war so angewidert von den beiden Kerlen. Sie vermittelten mir den Eindruck, als hätten sie schon lange keine Frau mehr von Nahem gesehen. Ich bin für sie also so etwas wie ein Sechser im Lotto. Als dann eine Hand den Weg unter mein Top zu meinen Brüsten fand, und kurz darauf die zweite folgte, hielt ich es nicht mehr aus. Am liebsten hätte ich beide Typen mit ihren Köpfen aneinander geklatscht. Zu meiner Rettung entdeckte ich den Asiaten und bat ganz charmant um einen Stopp. Ich ging allein hinein, um etwas zu Essen zu holen. Bevor ich mich für ein bestimmtes Gericht entschied, überlegte ich in welchem Essen, der Eisenhut am wenigsten auffällt. Meine Wahl fiel auf eine schärfere Speise, um den ursprünglichen Geschmack durch meine Verfeinerung nicht zu verfälschen. Ich bestellte drei Mal Reis mit Ente und scharfer Soße. Obwohl ich kein Freund des Alkohols bin, nahm ich sogar noch eine Flasche Schnaps für die zwei Suffköppe mit.
Ich stelle einen Teller, der für mich vorgesehen ist, zur Seite. Auf die anderen beiden streue ich den getrockneten Eisenhut über die Soße und rühre ihn liebevoll unter, damit er unsichtbar wird. Mit den beiden Tellern und zwei Gabeln bewaffnet gehe ich ins Wohnzimmer.
Als ich das Zimmer betrete, traue ich meinen Augen nicht. Wolfram und Dieter haben sich während meiner Abwesenheit bis auf die Unterhose entkleidet. Im angezogenen Zustand sind sie schon mehr als nur Brechreiz auslösend anzuschauen. Was meine Augen nun verkraften müssen, grenzt an Körperverletzung.
Natürlich lasse ich mir meine Abscheu nicht anmerken. Ich lächele und überreiche jedem einen Teller und eine Gabel und sage: »Hier kommt eure Stärkung. Fangt schon mal an zu essen! Ich mache mich noch schnell frisch. Wo ist das Bad?«
»Rechts neben der Küche.«
»Gut ihr Süßen. Lasst es euch schmecken! Esst schön auf, damit ihr gleich genug Kraft habt!«
Wieder versuche ich so freundlich zu wirken, wie ich in dieser Situation nur kann, und setze mein süßestes Lächeln auf.
»Meinst du, wir schaffen dich nicht?«, fragt Dieter mit vollem Mund. Dabei fällt ihm etwas Reis aus dem Mund. Bei dem Anblick läuft es mir eiskalt den Rücken hinunter. Dennoch lächele ich.
»Wir haben schon genug Kraft. Mach dir darüber mal keine Sorgen«, antwortet Wolfram, der ebenfalls beginnt zu essen.
Ich freue mich, wie sie beide anstandslos mampfen. Ein letztes Mal schaue ich sie an und verschwinde im Bad.
Ich drehe den Wasserhahn am Waschbecken auf und setze mich auf die Badewanne. Dann versuche ich, mich zu entsinnen, wie lange es dauerte, bis Marc zu Boden fiel. Ich kann mich nicht erinnern. Zu meinem Bedauern habe ich nicht auf die Uhr gesehen. Schlimmer noch, ich habe nicht einen Gedanken daran verschwendet, die Zeit zu stoppen. Wozu auch? Diese Aktion hier habe ich nicht geplant. Nun weiß ich nicht, wie lange ich im Bad verharren muss, bis die beiden schmierigen Kerle außer Gefecht gesetzt sind. Ich schaue auf meine Armbanduhr. Es ist genau sechzehn Minuten vor zwölf. Ich beschließe mindestens bis Mitternacht im Badezimmer zu bleiben, bevor ich zu den Männern gehe. Erst dann weiß ich, ob mein Plan aufgeht. So lange muss ich mir die Zeit im Bad vertreiben.
Ich sehe mich um. Wie in der restlichen Wohnung ist auch im Bad sichtbar, dass es sich um einen Singlehaushalt handelt. Überall liegt eine Zentimeter dicke Staubschicht. Wolfram scheint es nicht so mit der Hausarbeit zu haben.
Ich stehe auf und schaue in das Schränkchen über dem Waschbecken.
Na immerhin hat er eine Zahnbürste, denke ich, als ich die abgenutzte Bürste in einem noch versiffteren Becher sehe. Daneben steht eine Dose Deospray. Ich nehme es und sprühe einmal in die Luft.
Boah, das kann nur das Klospray sein!, ist mein erster Gedanke, nachdem ich einen widerlichen Duft wahrnehme, den ich nicht deuten kann. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass jemand freiwillig diesen Geruch an seinem Körper trägt.
Ich stelle das Spray zurück und sehe mich weiter in dem Schrank um. Meine Augen streifen einen Kamm, dem mehr Zinken fehlen, als er noch besitzt. Dahinter liegt eine Kondompackung. Ich sehe mir die Packung an. Sie ist unbenutzt. Mir springt sofort das Verfallsdatum ins Auge. Die Kondome sind seit zwei Jahren abgelaufen. Ich kann mir ein Grinsen nicht verkneifen. Hatte Wolfram etwa seit mehr als zwei Jahren keinen Kontakt mit dem weiblichen Geschlecht? Das passt zumindest zu seinen gierigen Grapschattacken vorhin im Taxi.
Ich lege das verstaubte Päckchen zurück an seinen Platz und sehe erneut auf meine Uhr. Nun ist es fünf Minuten vor zwölf. Ich presse mein Ohr an die Tür und lausche. Es ist still. Ich kann nichts hören. Sind sie etwa schon im Reich der Toten? Ich hadere mit mir, ob ich gucken oder warten soll. Mein Puls schlägt schneller. Die Ungewissheit ist kaum noch auszuhalten.
Ich drehe das Wasser ab, entsperre fast geräuschlos die Tür und schleiche mich aus dem Bad in die Küche. Dort schnappe ich mir den übrig gebliebenen Teller mit meiner asiatischen Portion und gehe ins Wohnzimmer.
Als ich das Zimmer betrete, vernehme ich ein leises Keuchen. Es hört sich genauso an wie vor einigen Stunden bei Marc.
Das Geräusch kommt von Dieter. Er liegt auf dem Sofa und scheint sich nicht mehr rühren zu können. Seine Augen starren an die Decke.
Mein Blick wandert zu Wolfram. Er sitzt mit geschlossenen Augen auf dem Sessel. Ich bin mir unsicher, ob er schläft oder tot ist.
Auf dem Tisch stehen die fast vollständig geleerten Teller der beiden Männer. Bis auf einen kleinen Rest Reis haben sie alles aufgegessen. Es freut mich, dass die Ente mit der Soße und somit auch meine geheime Zutat den Weg in ihre Mägen fanden. Wieder mache ich mir Gedanken, ob mein Restbestand Eisenhut gereicht hat.
»Hallo!«, rufe ich.
Es kommt keine Reaktion.
Ich stelle meinen Teller auf den Tisch und gehe zu Dieter. Ich schaue ihm in seine starren Augen. Noch bewegt er sich. Er versucht, mit seiner linken Hand nach mir zu greifen. Es gelingt ihm nicht. Für mich sieht es so aus, als ob ihn jemand daran hindern würde, sich zu bewegen. Er ist wie gelähmt. Der Eisenhut zeigt also seine Wirkung. Im Moment kann ich nichts tun. Ich kann nur warten, bis Dieter seine letzte Kraft ausgeht.
Also gehe ich zu Wolfram und fühle seinen Puls. Schnell wird mir klar, er lebt noch. Sein Puls ist schwach. Ich setze mich auf den zweiten Sessel und warte. Mein Blick wandert zwischen den beiden Männern hin und her.
Ich erkenne mit jeder Minute, die ich in meiner Position verharre, dass Dieter schwächer wird. Nach einer letzten kleinen Zuckung liegt er reglos auf dem Sofa. Ich gehe zu ihm, prüfe seinen Puls und weiß, er hat es hinter sich. Dieter ist tot.
Für einen Moment bleibe ich bewegungslos stehen und starre ihn an. Dieser Mann kann nie wieder eine Frau verletzen. Ich lächele zufrieden vor mich hin.
Dann kommt mir Wolfram wieder in den Sinn. Ich gehe zu ihm rüber und studiere erneut seinen Puls. Er ist schwächer, als bei der letzten Messung. Also ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis er seinen letzten Atemzug hinter sich hat. Ich will nicht mit ihm im Wohnzimmer auf das Ende warten. Also entschließe ich mich, mit der Spurenbeseitigung zu beginnen.
Ich schnappe mir die Teller und gehe in die Küche. Die Essensreste fülle ich in die Tüte, die schon zur Anlieferung der Speisen diente. Die Styroporschächtelchen, in denen sich das Essen befand, stopfe ich ebenfalls in die Tüte. Nachdem alles darin verstaut ist, stelle ich den Beutel in den Flur vor die Wohnungstür und bläue mir ein, sie nachher nicht zu vergessen.
Ich greife in meine Tasche, die ebenfalls im Flur steht, und ziehe Marcs Geschirrtuch raus. Ich spüle erst das Geschirr, trockne es ab und verstaue es wieder in dem Küchenschrank. Dann beseitige ich meine Fingerabdrücke. Mit Marcs Geschirrtuch mache ich mich erst in der Küche und anschließend im Badezimmer zu schaffen. Ich wische jeden Schrank und jeden Griff ab. Selbst das Waschbecken im Bad und die Arbeitsplatte in der Küche bleiben nicht vor mir verschont.
Nachdem ich mir sicher bin, an alles gedacht zu haben, gehe ich zurück in die Stube. Auf Dieter werfe ich nur von Weitem einen kurzen Blick. An seinem Zustand wird sich kaum etwas verändert haben. Meine Aufmerksamkeit gilt Wolfram. Ich halte mein rechtes Ohr vor sein Gesicht und kann ein leichtes Atmen spüren.
»So ein Mist! Dieser Typ will einfach nicht aufgeben!«, fluche ich in Zimmerlautstärke.
Ich bin ratlos, ich weiß nicht, was ich tun soll. Nun bestätigt sich das, was ich zuvor in der Bar befürchtete. Mein Vorrat an Eisenhut reichte nicht mehr für zwei Männer. Es wundert mich nicht, dass gerade Wolfram noch nicht im Reich der Toten ist. Er ist viel kräftiger oder besser gesagt viel fetter als der dürre Dieter. Vielleicht hätte ich mein Trockenpulver besser verteilen müssen. Der Dicke hätte eine größere Portion bekommen sollen als der Dünne.
Nun ist es zu spät!
Ich denke erneut darüber nach, ob ich wirklich alle Spuren beseitigt habe. Obwohl ich im Wohnzimmer, außer den beiden Männern nichts anfasste, gehe ich auf Nummer sicher und wische sowohl den Tisch als auch den Schrank oberflächlich ab.
Als meine Arbeit getan ist, gehe ich ein weiteres Mal zu Wolfram, checke seinen Puls und seine Atmung, um festzustellen, er lebt immer noch. Er scheint in der Zwischenzeit zwar schwächer geworden zu sein, aber ich weiß nicht, ob es reicht, um meinen Plan als ausgeführt anzusehen.
Hibbelig und unruhig laufe ich auf und ab. Dann entdecke ich den Schnaps unter dem Tisch stehen. Mir wird ganz schwindelig bei dem Gedanken, wenn ich die Flasche, auf der sich meine Fingerabdrücke befinden, beim Verlassen der Wohnung übersehen hätte. Um ein Haar hätte ich Spuren hinterlassen.
So was darf mir nicht passieren! Ich muss einfach besser aufpassen!
Die Flasche ist noch fast voll. Das bedeutet, die beiden Schmierlappen haben kaum etwas getrunken. Ich denke über die Kombination von Gift und Alkohol nach. So weit ich weiß, kann Alkohol die Wirkung von Medikamenten beeinflussen. Also kann er doch auch Einfluss auf das Gift nehmen. Da die Pulle Schnaps sowieso weg muss, greife ich nach ihr. Ich drehe den Schraubverschluss auf, öffne Wolframs Mund und flöße ihm den Stoff ein.
»Mist!«, fluche ich.
Die Hälfte des Schnapses fließt ihm aus dem Mund. Ich drücke seinen Kopf weiter nach hinten und gieße das Gesöff langsamer ein. Es scheint zu funktionieren. Zumindest läuft kaum noch etwas daneben. Geduldig warte ich, bis sich die Flasche leert.
Ich schraube den Deckel auf die leere Pulle und bringe sie gleich, bevor ich sie doch noch vergesse, in den Flur zu dem anderen Müll. Dann gehe ich zurück zu Wolfram und horche, ob er atmet. Ich bin erleichtert, als ich keine Atmung feststellen kann. Mit der Gewissheit, dass er keiner Frau mehr zu nahe kommen kann, gehe ich ein letztes Mal durch die Wohnung. In jedem Raum verweile ich einen Moment, um sicherzugehen, nichts übersehen zu haben.
Als ich davon überzeugt bin, an alles gedacht zu haben, schnappe ich mir den Müllbeutel im Flur und öffne die Tür. Hastig wische ich die Türklinke der Wohnungstür mit Marcs Geschirrtuch ab und verlasse die Wohnung, ohne neue Spuren zu hinterlassen.
Geschafft! Nun bin ich draußen. Die frische Luft tut mir gut. Ich mache mich auf den Heimweg. Unterwegs schaue ich mich ständig nach einer Möglichkeit um, den Müll zu entsorgen. Die ersten Mülltonnen lasse ich links liegen. So nah an Wolframs Haus möchte ich den Beutel mit den Beweisen nur ungern wegwerfen. Zu nah an meiner Wohnung will ich die Tüte aber auch nicht wegschmeißen. Also beschließe ich einen Umweg über den nahe gelegenen Park zu machen, um dort die Beweise verschwinden zu lassen. Tagsüber halten sich so viele Leute in dem Park auf, da wird es nicht weiter auffallen, wenn ich die Mülltüte in einem der unzähligen Papierkörbe entsorge.