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Jeder Gipfel beginnt mit einem ersten Schritt

Mein Puls steigt bereits beim Anflug auf Kathmandu, als kurz vor der Landung plötzlich die Felskette des Himalaya mit seinen gewaltigen Felsgraten und Eisflanken, den markanten Gipfeln und diesem unvergleichlichen Panorama auftaucht. Ich sehe den Lhotse und den Dhaulagiri, den Cho Oyu und den Makalu. Und natürlich sehe ich auch den Mount Everest. Er ist in diesem Moment 100 Kilometer entfernt, aber unübersehbar. Selbst auf diese Entfernung strahlt er etwas Besonderes aus.

Auf dem Weg ins Hotel in Kathmandu kommt, geprägt von den buddhistischen und hinduistischen Einflüssen, zwischen hupenden Autos, Kühen, Motorrädern und Rikschas eine ganz besondere Stimmung in mir auf. Während es bei uns Hunderte von Straßenregeln gibt, gilt hier, glaube ich, nur eine: niemals nachgeben. Wer die Fahrbahn wechselt oder überholen möchte, macht keinen Schulterblick und analysiert erst mal die Situation. Nein, hier hupt man kräftig und gibt Gas. Wenn Sie glauben, dass der Arc de Triomphe in Paris ein Abenteuer ist, dann sollten Sie nach Kathmandu kommen. Das Chaos der Stadt verschlägt mir erst mal die Sprache, und ich bin heil­froh, als ich die Taxifahrt durch die engen Gassen unbeschadet überlebt habe. Mein Fokus lag so sehr auf dem Everest, dass ich nicht damit gerechnet hatte, bereits vorher in eine komplett andere Welt einzutauchen. Aber ich begegne diesen neuen Eindrücken mit großen Augen und offenen Armen und finde sie sehr erfrischend, sodass die Aufregung und Vorfreude praktisch minütlich steigt. Es liegt so viel hinter mir, und etwas Großes vor mir. Mein Mann Arne und Sylvie, meine Freundin und Trainingspartnerin, sind bei mir, was mir zusätzliche Kraft gibt. Hier in Kathmandu treffe ich auch zum ersten Mal die anderen Expeditionsteilnehmer. Die Gruppe besteht aus insgesamt 23 Personen, die aus den unterschiedlichsten Ländern kommen und aus den unterschiedlichsten Gründen hier sind. Zwölf von ihnen werden auf dem Gipfel stehen, aber das wissen wir jetzt noch nicht. Aktuell schweißt uns nur das gemeinsame Ziel zusammen.

Wir werden nicht die einzige Expedition am Berg sein. Im Basislager warten bereits Hunderte andere Bergsteiger und

diverse andere Expeditionen darauf, den Gipfel zu erstürmen. Auch sie steigen aus ganz unterschiedlichen Gründen auf den Mount Everest. Zwei grundlegende Typen lassen sich dabei unterscheiden. Die eine Gruppe ist hier, um den Everest zu erobern, die andere, um ihn zu erleben.

Die Motivation der Eroberer kann ich bis zu einem gewissen Grad verstehen, aber nicht immer teilen. Diese Gruppe verfügt nicht immer über die notwendigen Bergsteigererfahrungen, sie sind Kämpfer, die eine Liste zum Abhaken haben, aber nicht immer den notwendigen Respekt. Ich weiß, dass ich gerade sehr viele Menschen in eine Schublade stecke und es wie immer Ausnahmen gibt, aber diese Art des Bergsteigens hat sich mir nie erschlossen. Die Eroberer haben keine Demut vor dem Everest, sie sehen in ihm schlicht einen Gegner, den sie besiegen müssen, um sich selbst etwas zu beweisen. Sie klettern nicht nach oben, um den Ausblick zu genießen oder herauszufinden, wie man das Geschaffte würdigen kann. Sie haken den Gipfel buchstäblich ab und machen sich auf den Weg zum nächsten.

Die andere Gruppe, also die, die den Berg erleben möchten, wird meiner Meinung nach den nachhaltigeren Effekt davontragen. Für diese Menschen bietet der Berg tolle Lektionen und gibt einem etwas mit, das man sonst vermutlich nicht gelernt hätte oder gar nicht hätte lernen müssen. Ich komme im Verlauf meiner Geschichte zu vielen Dingen, die ich lernen musste, um überhaupt loszugehen, und vielen Dingen, die ich lernen durfte, während ich auf dem Berg war. Dabei geht es um die realistische Zielsetzung und das Durchhaltevermögen in schwierigen Zeiten, um die Vorbereitung und die Leidenschaft, aber auch darum, sich selbst zu kennen und seine Kräfte einzuschätzen. Und dann, auf einer ganz anderen Ebene, geht es um die Verbindung zur Erde und anderen Menschen.

Mein Zeltpartner Bob, ein erfahrener Bergsteiger und wunderbarer Mensch, von dem ich später noch viel erzählen werde, brachte mir sinngemäß ein Zitat des französischen Schriftstellers René Daumal aus seiner Novelle «Le Mont Analogue» nahe: «Man kann nicht für immer auf dem Gipfel bleiben, man muss irgendwann wieder runter. Warum also überhaupt aufsteigen? Deshalb: Wer oben war, weiß, was unten ist, aber wer nur unten ist, der weiß nicht, was oben ist. Der, der klettert, sieht. Der, der absteigt, sieht nicht länger, aber er hat gesehen. Es ist eine Kunst, sich in den unteren Regionen basierend auf dem zu verhalten, was man weiter oben sah. Auch wenn man es nicht länger sieht, so weiß man es noch.»

Mit anderen Worten: Die Erfahrungen, die man in 8 848 Metern macht, kann einem niemand nehmen – wenn man sie entsprechend würdigt und aufnimmt. Ich mag diesen Gedanken und dieses Zitat und versuche, danach zu leben.

Später werde ich mit absoluter Gewissheit sagen, dass unsere Gruppe im normalen Leben nie zueinander gefunden hätte. So ist es ja manchmal, wenn man besondere Erlebnisse durchmacht und sich hinterher fragt, ob man sich auch angefreundet hätte, wenn man sich an einem Dienstagmorgen an einer Bushaltestelle begegnet wäre. Der Everest und die Erfahrungen, die wir dort machen werden, führen uns auf eine besondere und wunderbare Art zusammen, die auch noch Jahre später halten wird. Drei, die mir gleich auffallen, sind die US-Amerikaner Jim, Craig und (der eben schon erwähnte) Bob, die gemeinsam für den Everest trainiert haben. Alle drei sind erfahren, topfit und versprühen diese besondere Energie, die einem klarmacht, dass sie wissen, was sie tun. Es bricht mir noch heute das Herz, dass nur zwei von ihnen auf den Gipfel gelangten.


»Krise ist ein produktiver Zustand. Man muss ihm nur den Beigeschmack der Katastrophe nehmen.«

Max Frisch


Wir bleiben insgesamt drei Tage in Kathmandu. Und gleich am ersten Morgen nach meiner Ankunft werde ich mit der Realität des Berges konfrontiert: Die legendäre Journalistin Elizabeth Hawley – damals bereits stolze 88 (!) Jahre alt und 2018 mit 95 Jahren verstorben – besucht uns im Hotel. Die beeindruckende Frau mit einem in meinen Augen unglaublichen Lebenslauf (googeln Sie Elizabeth gerne, es lohnt sich) zeichnet seit der Erstbesteigung von 1953 jede einzelne Bezwingung des Everest auf und kann natürlich die ein oder andere Geschichte erzählen – was sie auch gleich tut. Sie berichtet von bekannten und unbekannten Bergsteigern, von erfrorenen Gliedmaßen und dem einen oder anderen, der gar nicht mehr vom Berg zurückkehrte. Elizabeth Hawley hat sie alle kennengelernt, und die Tatsache, dass ich sie treffen darf, lässt die Vorfreude in mir noch mehr steigen. Ich hoffe, dass ich in ein paar Wochen als «erfolgreiche Besteigung» in ihre Analen eingehe.

Nach der ersten Akklimatisierung in Kathmandu schultern wir unser Gepäck und machen uns auf die nächste Etappe Richtung Everest – und die reicht, um sich endgültig darüber klarzuwerden, dass wir nicht nur zum Spaß hier sind. Wenn Sie im Internet «gefährlichster Flughafen der Welt» eingeben, werden Sie feststellen, dass ein Aufstieg auf den höchsten Punkt der Welt unmittelbar mit ihm zusammenhängt. Nur wenige Piloten können hier landen und haben auch je nur einen Versuch. Denn wenn sie sich verschätzen oder nicht aufpassen, fliegen sie entweder gegen einen sehr harten Felsen oder fallen in einen sehr tiefen Abgrund. Der Flug selber dauert nur eine halbe Stunde und ersetzt einen einwöchigen Fußmarsch, ist also angesichts der vielen Kilometer zu Fuß, die noch vor mir liegen, eine gute Alternative. Das Besondere am Lukla-Flughafen ist seine Lage mitten am Berg, aber auch die zwölfprozentige Neigung der Start- und Landebahn. Da am Ende dieser Schotterpiste der besagte Felsen steht, starten die abfliegenden Maschinen in dieselbe Richtung, aus der die Flugzeuge im Landeanflug kommen. Eine weitere Schwierigkeit ist das Wetter, das mitunter schnell umschlagen kann und gelegentlich dafür sorgt, dass der Flughafen gesperrt wird, was lange Wartezeiten mit sich bringt. Dieser Umstand ist auch die erste Lektion am Berg: Und wenn du dich noch so sehr auf den Kopf stellst, das Wetter kannst du nicht beeinflussen. Wir haben wettertechnisch Glück, aber mein Mann und ich nehmen trotzdem unterschiedliche Maschinen nach Lukla. Nur für den Fall. Der Gedanke, dass der Anflug gefährlicher sein könnte als der Berg an sich, kann einen nach der geglückten Landung schon schmunzeln lassen.

Auch wenn am Berg selbst jeder für sich selbst verantwortlich ist, besteigt man den Everest nie allein, sondern als Teil

einer Expedition. Während der Vorbereitung habe ich mich für das amerikanische Expeditionsunternehmen IMG (International Mountain Guides) entschieden. Ich kenne die in Seattle ansässige Organisation bereits aus dem Vorjahr, als ich versuchte, den Cho Oyo zu besteigen. Wir nutzten schon auf der damaligen Reise von Kathmandu nach Tibet die Zelte, das Satellitentelefon und sogar den Koch von IMG. Dabei beeindruckte mich besonders der Expeditionsleiter Ang Janbu, der über exzellente Kontakte verfügt und sogar einen Helikopter für Notfälle zur Verfügung hat (ich verrate noch nicht zu viel, wenn ich zugebe, dass dieser Helikopter mir noch große Dienste leisten wird). IMG veranstaltet schon seit den 1990er-Jahren Expeditionen zum Everest und hat bei den dort arbeitenden Sherpas und Guides einen ausgezeichneten Ruf. Er basiert auch auf dem strengen Auswahlprozess. Bevor man mit IMG auf den Berg geht, muss man Tourenberichte und Erfahrung vorweisen. Bergsteiger, die nicht über die notwendige Erfahrung verfügen, um den Gipfel gesund zu erreichen und heil wieder runterzukommen, werden nicht mitgenommen. Mich überzeugt diese Einstellung, und in Zeiten des sogenannten Massentourismus bin ich froh zu wissen, dass meine Gruppe aus erfahrenen Bergsteigern bestehen wird.

Apropos Massentourismus. Ich möchte gar nicht zu viel dar­über schreiben, aber häufig werde ich gefragt, wie «voll» es denn nun wirklich auf dem Berg war. Ob es stimmt, dass Hunderte von Leichen am Weg nach oben liegen (nein), ob es tatsächlich zu Staus am Gipfel kommt (ja), ob der Berg eigentlich mittlerweile eine Müllhalde ist, weil niemand seinen Müll mit runternimmt (ein entschiedenes Nein!) und ob es wirklich noch so besonders ist, auf den Everest zu steigen, wenn mittlerweile jeder halbwegs gut trainierte Mensch hochkommt (das muss jeder selbst beurteilen). Ich werde diese Fragen zu gegebener Stelle noch ausführlicher im Buch beantworten. Eines vorweg: Dass der Berg viele Menschen anzieht, liegt in seiner Natur. Er ist und bleibt nun mal der höchste, und allein aus diesem Grund wird er immer Menschen anziehen, und es wird immer Menschen geben, die versuchen werden, nach oben zu kommen. Und solange diese Menschen bereit sind, das entsprechende Geld dafür zu zahlen, wird es keine Begrenzung geben.

Aber dank des Auswahlverfahrens von IMG weiß ich, dass die Mitglieder meiner Expedition über Erfahrung verfügen werden. Außerdem werde ich durch die amerikanische Organisation praktisch gezwungen, Englisch zu sprechen, wodurch ich meine Sprachkenntnisse endlich auffrischen kann. Gratis Sprachkurs und eine Gipfelbesteigung? Prima Deal. Ich will jetzt noch nicht zu viel verraten, aber ich kann sagen, dass ich in sechs Wochen, wenn ich mich auf dem Rückweg vom Gipfel befinden werde, heilfroh bin, dass ich Ang Janbu und seinen Kollegen Greg Vernovage an meiner Seite habe. Also, wenn Sie auch mal auf den Everest möchten, dann sollten Sie sich die Website von IMG auf jeden Fall mal angucken …

Dass IMG bei den Sherpas und Guides vor Ort wie erwähnt über einen exzellenten Ruf verfügt, beruhigt mich auch, denn der Everest ist sicher nicht der freundlichste Ort der Welt. Ein Krankenhaus gibt es nicht, einen netten desinfizierten Operationssaal für etwaige Probleme schon mal gar nicht. Wenn hier etwas passiert, darf das nur bis zu einer Höhe von 6 000 Metern passieren, und dann hilft es ganz sicher, wenn man sich auf Profis verlassen kann. Und ich bin froh, dass ich diese erfahrenen Profis für den Fall der Fälle an meiner Seite habe.

Aber da ist noch ein Gedanke, den ich allerdings so gut es geht verdränge. Ich bin zwar in erster Linie Bergsteigerin, aber ich bin in diesem Moment auch Krebsüberlebende. Ich gelte als geheilt, und ich fühle mich bestens. Aber trotz allem sind die Nebenwirkungen der Chemo immer noch spürbar und für eine Expedition auf den Everest auch nicht ganz ungefährlich. So litt ich bei meiner Ankunft am Berg immer noch unter Neuropathie, einer Erkrankung des peripheren Nervensystems, was bedeutet, dass meine Finger und Zehenspitzen taub waren. Darüber hinaus hatte ich kein Gefühl für Kälte – an einem der kältesten Orte der Welt nicht unbedingt vorteilhaft. Und dann ist da auch tief drinnen der Gedanke oder eher die Frage, was passiert, wenn auf dem Berg etwas passiert. Was, wenn ich auf 7 000 Metern plötzlich dasselbe Bauchziehen habe wie vor zwei Jahren auf dem Mount Denali? Oder was, wenn der Blinddarm oder der Weisheitszahn anfängt zu zicken? Plötzliche Krankheiten, die bei uns auf Normalnull sofort behandelt werden können, können 5 000 Meter weiter oben zu ernsthaften Problemen führen. Was, wenn zu Hause etwas passiert, während ich auf 7 000 Metern durch die Lhotse-Wand klettere? In diesem Moment merke ich einmal mehr, dass man sich

einfach nie immer auf alles vorbereiten kann. Bei gewissen Dingen reicht es eben nicht, Erfahrung zu haben oder Literatur gewälzt zu haben. Auf gewisse Dinge haben wir einfach keinen Einfluss, auch wenn wir uns noch so anstrengen. Am Everest gilt das vielleicht noch mehr als auf Normalnull, und ich bin kein Fan dieses Gedankens. Das Wetter, der Berg, die Lawinen, das sind alles Variablen in meiner Gipfelgleichung, die ich nicht beeinflussen kann. Hier brauche ich eben auch einfach Glück, Vertrauen und die Fähigkeit, gewisse Dinge loszulassen. Ich könnte mich damit verrückt machen, darüber nachdenken, was wohl passiert, wenn der Krebs zurückkommt. Ich könnte bei jedem Ziehen im Bauch ans Umdrehen denken. Die Angst, das gebe ich offen zu, ist da. Aber das Ziel ist in diesem Moment einmal mehr größer. Die Kraft, die der Wunsch in mir auslöst, lässt mich weitergehen, die hinderlichen Gedanken verdrängen, sie erlaubt es mir, mich auf das zu konzentrieren, was ich tun kann. Ich kann meine Krankheit oder das Wetter am Berg nicht kontrollieren, aber ich kann einen Fuß vor den anderen setzen. Ich kann mich auf meine mentale Stärke berufen, auf mein Training, meine Erfahrung und Vorbereitung und mein Team. Und all dies zusammen erlaubt es mir, diese Krise langsam hinter mir zu lassen.

Aber jetzt bin ich erst mal in Lukla. Von hier aus haben wir einen zehn Tage langen Treck zum Basislager des Mount Everest vor uns und bekommen dafür die ersten Helfer zur Seite gestellt: Neben den Sherpas, von denen uns einige bis auf den Berg begleiten, sind auch die Yaks bis ins Basislager mit von der Partie. Die zotteligen Tiere, so erfahre ich von den Einheimischen, sind in den Hochregionen der wichtigste Helfer der Menschen, und das aus allerlei Gründen. Zum einen dienen sie als Lasttier und können bis zu einer Höhe von über 7 000 Metern bis zu 80 Kilo tragen und dabei auch noch stolze 30 Kilometer pro Tag zurücklegen. Praktischerweise sind sie auch sehr kälteresistent, Temperaturen bis zu −30 Grad vertragen sie problemlos. Wenn die Bergsteiger nach Hause fliegen, wird die Wolle der Yaks geschoren, und wenn es nicht mehr als Lasttier dienen kann, liefert es eisen- und zinkreiche Nahrung. Zudem können die Tiere Milch geben, und Yakleder eignet sich bestens zur Weiterverarbeitung. Und als sei das noch nicht genug, wird der Kot der Tiere getrocknet und als Brennmaterial genutzt, was zwar nicht besonders gut riecht, aber angesichts der Tatsache, dass es hier keine Heizungen gibt, erträglicher ist als zu frieren. Ich nenne die zotteligen Gefährten – nicht ganz ernsthaft – die eierlegende Wollmichsau.

Die Tiere unterstützen auch uns beim Tragen, denn viele von uns haben bis zu 210 Kilo schweres Gepäck dabei. Nein, nein, ich habe keinen Kühlschrank mitgebracht, aber so so unhandliche Dinge wie Sauerstoffflasche und Zelt. Und mein Gepäck kommt dabei auch nur auf 40 Kilo. Vielleicht kommt beim Packen immer der Schwabe in mir durch. Ich packe immer eher sparsam, damit ich am Flughafen keine Unmengen für das Übergepäck bezahlen muss. In diesem Zusammenhang werde ich auch oft gefragt, wie man sein Gepäck für den Everest zusammenstellt. Immerhin stellt einen ja schon eine zweiwöchige Strandreise vor eine Herausforderung. Zumindest weiß ich, dass es bei mir so ist. Die Antwort ist in diesem Fall aber ganz einfach: Es gibt eine Liste, die uns von IMG zur Verfügung gestellt wird und die man systematisch abhakt, um sicherzustellen, dass man nichts vergisst. Im Strandurlaub kann man Bikini und Handtuch notfalls vor Ort kaufen, auf dem Everest gibt es keinen Supermarkt, und niemand möchte kurz vor dem Khumbu-Eisgletscher feststellen, dass er seinen Helm zu Hause vergessen hat.

Unser Weg von Lukla zum Everest-Basislager führt uns durch das Khumbu-Tal und mitten rein in eine Berglandschaft mit einem wahrlich einzigartigen und unverwechselbaren

Panorama. Sie ist auch die Heimat der Sherpas, einer kleinen Volksgruppe, die sich aufgrund ihrer enormen Anpassungsfähigkeit an extreme Höhen sowie ihrer Kraft und Ausdauer als treue und zuverlässige Bergbegleiter weltweit einen Namen gemacht hat. Natürlich wird auch unsere Gruppe von einigen Sherpas begleitet, und ich kann die wichtige Rolle, die jeder Einzelne von ihnen dabei spielt, nicht genug hervorheben. Ich lerne viel über das Leben der Einheimischen, und mit jeder Geschichte wächst mein Respekt vor der Leistung und der Einstellung der Menschen, die ganz ohne Maschinen oder sonstige Hilfsmittel harte Feldarbeit verrichten, um ihre Familien zu ernähren. Diese harte Arbeit wird dabei meist von den Frauen erledigt, da die Männer wochenlang unter schweren Bedingungen auf Expeditionen unterwegs sind. Und doch wirkt jeder Einzelne von ihnen heiter und freundlich. Auch die Kinder

helfen bei der Arbeit. Wer die Möglichkeit hat, eine Schule zu besuchen, muss einen Schulweg von mehr als zwei Stunden absolvieren und dabei auch noch schwere Lasten ins nächste Dorf tragen. Wenn ich dies mit unserem Leben vergleiche, kann ich nur schmunzeln, besonders wenn ich an unsere Kinder denke und die Gedanken, die wir uns machen. Ist der Schulranzen zu schwer? Ist der Schulweg zu lang? Oh je, es regnet, ich fahre das Kind besser mit dem Auto in die Schule. Diese krassen Gegensätze lassen mich oft innehalten, wenn mir die Sherpas von ihren Leben erzählen. In den nächsten Wochen sind sie Weggefährten und Freunde, Helfer und Köche, sie stehen mit Rat und Tat zur Seite, und das selbst noch auf über 8 000 Metern. Sicher, eine Besteigung des Mount Everest ist ohne sie möglich, aber diese wunderbaren Menschen machen es mir so viel leichter und werden darüber hinaus im Laufe der Zeit zu engen Freunden. Dank sozialer Medien ist es mir auch jetzt noch möglich, mit einigen von ihnen in Kontakt zu bleiben, und dabei vermisse ich besonders Kalj, unseren wunderbaren Koch. Im Basislager steht er jeden Morgen lange vor uns auf, um uns mit warmen Tee, Toast und Porridge zu begrüßen und für den Tag zu stärken.

Das Khumbu-Tal lebt ausschließlich vom Tourismus und den Einnahmen, die der Berg mit sich bringt. Hier oben funktionieren nur wenige Handys, hupende Autos und sonstigen Straßenlärm sucht man vergebens. Hier gibt es nur den eigenen Körper und die eigenen Gedanken. Der Weg ins Basislager hilft mir loszulassen. Ich merke, wie sich meine Probleme, die ich von zu Hause mitgebracht habe, immer mehr verflüchtigen, und sammele Kraft und Inspiration, während sich mein Kopf auf das einstellt, was sich direkt und in Farbe vor mir aufbaut: die unglaubliche Weite des Himalaya.

Auch der Fußmarsch ins Basislager kann mit einem 30-minütigen Helikopterflug ersetzt werden. Das ist aber nicht ratsam. Die Reise zu Fuß durch den Himalaya dient der ersten Akklimatisierung, der Gewöhnung an die Höhe. Viele, die darauf verzichteten, mussten vor dem Gipfel wieder umdrehen. Darüber hinaus gibt es einen weiteren Vorteil, sich zu Fuß aufzumachen: Dieser Treck ist mit Abstand der schönste der Welt. Mit dem Blick auf den Riesen Everest und seine vielen Schwestern neben ihm wandere ich durch diese beeindruckende Landschaft und nehme jeden Moment in mir auf. Wir durchwandern viele kleine Dörfer, die uns immer mehr in die einmalige, durch den Buddhismus und Hinduismus geprägte Kultur eintauchen lassen. Der Klang der Gebetstrommeln, der ganz besondere, kaum zu beschreibende Geruch in der Luft, erfüllen mich mit einer besonderen Energie. Ich bestaune die Manisteine, die mit dem buddhistischen Mantra «om mani padme hum» beschriftet sind, was übersetzt in etwa « Juwel in der Lotusblüte» bedeutet und im buddhistischen Glauben ein Ausdruck von Mitgefühl und Liebe ist. Und natürlich fehlen auch die bei uns bekannten bunten Gebetsfahnen nicht, die hier zu Hunderten aufgehängt sind und für eine ganz eigene, spannende Atmosphäre sorgen. Ich wünsche jedem, dass er diese Stimmung einmal persönlich erleben kann. Die Freundlichkeit der Menschen, die farbenfrohe Atmosphäre, der unverwechselbare Geruch in der Luft sind fast surreal und ein einmaliges Erlebnis, das man nur schwer vergisst.

Auch das Kloster Phangboche liegt auf dem Weg, wo wir eine Gebetsstunde der Mönche miterleben dürfen. Für uns klingen die ständig wiederholten Mantras wie das mechanische Herunterleiern eines Gebets und mögen im ersten Moment unverständlich und sinnlos erscheinen. Dabei geht es aber um das Versinken, um die Meditation und das Näherkommen zum Göttlichen. Eine einzigartige Erfahrung ist auch der Besuch beim Lama Geshe, einer Art geistlicher Superstar im Himalaya. Bergsteiger kommen vor ihrem Aufstieg zu ihm, um sich von ihm segnen zu lassen. Wir bilden da keine Ausnahme. Allerdings gibt es den Segen nicht ganz umsonst. Man rollt eine kleine Gabe in einen Schal, den man dem Lama feierlich überreicht. Dieser entnimmt die Spende und legt einem den Schal um den Hals, murmelt seinen Segen und entlässt einen in die Zukunft. All diese besonderen Erfahrungen, in Kombination mit dem unverwechselbaren Panorama vor mir, zaubern mir immer wieder ein Lächeln ins Gesicht. Ich bin wirklich hier. Ich bin schon so viele Schritte gegangen, habe schon so viel erreicht. Nun gilt es, den nächsten großen Schritt zu

Auf dem Gipfel gibt's keinen Cappuccino

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