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Оглавление2. Lucys Entdeckung auf dem Dachboden
Mittlerweile, es ist schon später Nachmittag, geht Lucy zu ihrer Mutter und fragt sie, ob sie auf den Dachboden darf, um dort ein wenig durch die alten Sachen zu stöbern. „Ja, natürlich“, sagt ihre Mutter, „aber bitte, bring da oben nicht so viel durcheinander, am besten ist übrigens, gar nichts durcheinanderzubringen. Und leg bitte alles wieder in die Kiste zurück, aus der du es herausnimmst.“
„Ja, mach ich“, antwortet Lucy, und läuft die Treppe hinauf zum Dachboden. Lucys Mutter weiß, warum Lucy gerne dort oben ist. Sie stöbert immer durch die alten Fotoalben, die Lucys Mutter auf dem Dachboden verstaut hat.
Am liebsten betrachtet sie die Fotos von ihrem Vater, an den sie sich kaum noch erinnern kann. Drei Jahre alt war Lucy, als er starb. Lucys Mutter weiß, dass, obwohl Lucy sich kaum an ihn erinnern kann, sie in doch sehr vermisst.
Auch heute öffnet Lucy gleich die Kiste, in der die Fotoalben liegen. Sie nimmt eines der unteren Alben heraus, auf dem in verschnörkelter Schrift „Lucy, ein Jahr alt“ geschrieben steht.
Mit dem Buch setzt sich Lucy in den alten, knarzenden Schaukelstuhl, der auch auf dem Dachboden steht, und fängt an, in dem Fotoalbum zu blättern.
Da ist gleich auf der zweiten Seite dieses Foto, das sie so liebt.
Als kleines Kind sitzt sie bei ihrem Vater auf dem Schoß und zwickt ihn in die Wange. Ihr Vater lacht sie an, so dass man seine weißen Zähne sieht.
Es wäre schön, noch eine Erinnerung zu haben, außer diesen Fotoalben, denkt Lucy.
Irgendwas, einen Gegenstand vielleicht, oder ein Kleidungsstück, das man in die Hand nehmen und an sich drücken könnte.
Lucys Blick fällt auf die zweite Kiste. Was ist da eigentlich drin? Sie kann sich gar nicht erinnern, da mal hineingesehen zu haben.
Lucy legt das Album zur Seite und geht zu der anderen Kiste. Wenn sie alte Sachen von Papa finden könnte!
Neugierig öffnet sie den Deckel. Musik-CDs und einige Sachen, an die sie sich überhaupt nicht mehr erinnert. Puppen, allerlei Puppenkleidung, Plüschtiere und vieles mehr.
Das meiste hatte Kim und Sam gehört, Lucy hatte eigentlich nie mit Puppen gespielt. Und da, ganz unten versteckt, eine Spraydose. Was das wohl ist?
Lucy nimmt die Spraydose heraus und liest, was darauf geschrieben steht. „Zauberhaarspray“! Das klingt spannend!
Lucy liest ganz interessiert weiter, was noch auf der Dose steht.
Das ist ja toll! Man sprüht das Haarspray auf die Puppenhaare, und wenn man die Haare dann noch mit kaltem Wasser nass macht, färben sie sich blau! Das will Lucy unbedingt ausprobieren.
In diesem Moment ruft ihre Mutter zum Abendessen. Lucy steckt die Spraydose schnell wieder in die Kiste und macht sich auf den Weg nach unten. Zum Abendessen müssen alle pünktlich am Tisch sitzen, da besteht Lucys Mutter drauf. Die gemeinsamen Mahlzeiten sind heilig.
Lucy befürchtet, dass es heute ein unangenehmes Abendessen wird. Die Sache von heute Nachmittag wird wieder zur Sprache kommen, und das war ja ziemlich peinlich. Auch wenn natürlich Kim ganz alleine an allem schuld war.
Lucy schiebt sich auf ihren Platz auf der Eckbank. Als alle am Tisch sitzen und ihr tägliches Tischgebet sprechen, das sie von ihrem verstorbenen Vater so übernommen haben, da er aus Wyoming in den USA stammte, und dort ein Tischgebet üblich ist, sagt Lucys Mutter: „So Kim, du bist dran.“
Kim senkt den Kopf und murmelt etwas Unverständliches. Die Mutter sieht Kim an: „Ein bisschen lauter bitte, so dass Lucy es hören kann!“
„Entschuldige, Lucy, dass ich dich vorhin nicht ins Bad gelassen habe“, sagt Kim. Es ist zwar immer noch gemurmelt, aber man kann es zumindest verstehen.
Lucy nimmt die Entschuldigung gerne an, da sie weiß, wie ungern Kim das geradegemacht hat.
„So, und jetzt kein Wort mehr über das, was vorhin passiert ist“, sagt die Mutter. Lucy atmet auf. Gott sei Dank, da hat Mutter schon mal einen Riegel vorgeschoben, denkt sie für sich.
Zufrieden sitzt sie auf ihrem Platz, schaut mit einem Dauergrinsen in die Runde und bemerkt, dass Kim vor Wut beinahe platzt.
Zu gerne würde sie sich über Lucy lustig machen, das kann Lucy ihr ansehen. Lucy weiß, wenn Kim sich nicht an Mutters Anweisung hält, darf sie bestimmt nicht auf den Schuljahresabschlussball, auf den sie sich schon seit Wochen freut. Es ist das Ereignis des Jahres für sie.
So unterhalten sie sich über alles Mögliche, was sonst noch an diesem Tag geschehen ist. In der Schule, bei der Mutter in der Arbeit, und beim Spielen auf der Straße mit den Freunden.
Die Einzige, die heute nicht viel zu sagen hat, ist Lucy. Sam, Lucys zweitälteste Schwester, fragt sie schließlich: „Was hast du denn heute so gemacht, Lucy?“
Alle sehen dabei Lucy an, und Lucy antwortet ganz langsam und fast ein wenig traurig, wobei sie allerdings nicht mehr grinst: „Ach, in der Schule war alles ganz ruhig, wir haben wie immer eine Menge Hausaufgaben aufbekommen, und als ich die fertig hatte, bin ich auf dem Dachboden gegangen und hab ein wenig in den Kisten gestöbert.“
Weder Tom, noch Sam, noch Kim, oder ihre Mutter, fragen daraufhin noch einmal nach, was sie denn genau auf dem Dachboden gemacht hat, denn jeder weiß, dass Lucy sich immer die Fotoalben mit den Bildern von ihrem Vater ansieht.
Wenn sie sich als Geschwister auch sonst nicht immer grün sind, in diesem Punkt sind sich alle einig. Das ist etwas ganz Persönliches für jeden in der Familie, bei dem jeder, der versucht, Lucy auf andere Gedanken zu bringen, nur auf Stein beißen kann.
Alle haben den Verlust ihres Vaters auf die eine oder andere Art und Weise verarbeitet und gelernt, damit zurechtzukommen. Aber es haben auch alle irgendwann verstanden, dass Lucy nicht darüber hinwegkommt, dass ihr Vater nicht mehr da ist.
Ihre Mutter hatte ihnen mal erklärt, dass jeder anders mit so einer Situation umgeht und sie auch anders verarbeitet. Und da Lucy die Jüngste ist, braucht sie halt dafür etwas länger.
Nachdem es schon fast acht Uhr abends ist und der Tisch und die Küche wieder aufgeräumt sind, gehen Sam, Lucy und ihre Mutter ins Wohnzimmer, um noch etwas Musik zu hören, denn einen Fernseher gibt es nicht im Haus. Da ist Mutter dagegen.
Tom geht auf sein Zimmer, wo er sich noch ein Buch zur Hand nimmt, und Kim verabschiedet sich nach draußen und trifft sich auf der Straße noch mit ein paar Freundinnen.