Читать книгу Das geraubte Halsband der Franziska von Hohenheim - Heiger Ostertag - Страница 12

Blutdiamanten

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Junker von Schack rollte gegen eine Holzplanke und war kurz davor, über einen Abgang in das Schiffsinnere zu stürzen, da gelang es ihm im letzten Moment, ein Spannseil zu packen und seinen Fall aufzuhalten. Er richtete sich an dem Seil halb auf und zog sich dann an einem seitlichen Pfosten vollends in die Höhe. Carl blickte um sich. Links sah er Ferdinand, der ebenfalls einen Halt gefunden hatte. Das Deck war jetzt völlig in der Schräge und alles – Werkzeug, Kisten und andere Behältnisse – rutschte nach Backbord. Das Schiff bekam eine immer größere Schräglage und geriet dadurch in Teilen tief unter Wasser.

„Wir müssen von Bord!“, schrie Carl. Er hangelte sich zur Steuerbordseite und setzte zum Sprung in den Fluss an. Über die Schulter blickend nahm er wahr, dass sich auch die anderen bereit machten, den sinkenden Kahn zu verlassen. Carl holte tief Luft und sprang ins eisige Wasser. Er tauchte tief unter in das grünlichgraue Dunkel.

Der Schock der Kälte fuhr ihm durch Mark und Bein, und einen Augenblick hatte er das Gefühl, sein Herz stände still. Dann schoss er mit einem kraftvollen Stoß wieder in die Höhe, tauchte auf und schnappte mit offenem Mund nach Luft. Links von ihm war im Grau des Nebels die schwärzliche Masse des untergehenden Schiffes zu erkennen, rechts lag das Ufer, an dem Menschen aufgeregt umherliefen und etwas riefen, was Carl nicht verstand. Er merkte nur, wie ihn die Kälte mehr und mehr zu lähmen drohte.

Gerade noch schaffte er es, das rettende Ufer zu erreichen, wo ihn hilfreiche Arme packten und ans Land zogen. Leutnant Neipperg half dem Durchnässten auf die Beine. Neben ihm wurden Ferdinand von Montmartin und Friedrich ebenfalls an Land geholt. Carl schaute sich um, der Graf und sein Gegner waren nirgends zu sehen.

„Wo sind Graf du Breuil und Captain Knowles?“, fragte er atemlos.

„Sie sind noch immer im Wasser“, antwortete Neipperg.

„Boote, wir brauchen Boote“, rief Carl. „Wir müssen sie suchen!“

Zwei der Soldaten waren bereits losgelaufen, um von einer weiter oben gelegenen Anlegestelle ein Ruderboot zu besorgen. Kurze Zeit später kehrten sie mit einem Boot zurück. Carl wollte, trotz seiner nassen Kleidung, die ihn die Kälte scharf spüren ließ, mit nach den Vermissten suchen. Aber Melchior von Talheim hielt ihn zurück.

„Lasst Neipperg nach Graf du Breuil und Captain Knowles suchen. Ihr müsst Euch erst trockene Kleidung anziehen, sonst holt Ihr Euch den Tod. Ich habe einen Boten um eine Kutsche nach Hause geschickt. Bis diese kommt, nehmt meinen Mantel. Ich will den Männern helfen, ein Feuer zu entzünden, dass Ihr alle Euch wärmen könnt.“

Ferdinand von Montmartin und der Diener Friedrich hatten von den Soldaten ebenfalls Mäntel bekommen. Trotzdem schien vor allem der ältere Friedrich unter der Kälte zu leiden, denn er zitterte stark. Mittlerweile wurde es acht, und der Nebel löste sich allmählich auf. Neippergs Boot war am gegenüberliegenden Ufer zu sehen, wo der Leutnant und ein Soldat nach den Vermissten forschten. Gerade, als nach vielen vergeblichen Versuchen, das feuchte Holz zu entzünden, das Feuer endlich qualmend zu brennen begann, rollte eine Kutsche vor, aus der überraschenderweise Melchior von Talheims Frau Madeleine sowie eine Magd stiegen. Resolut übernahm Frau von Talheim die Versorgung der Durchnässten. Alle drei wurden sofort in Decken gehüllt und ins Haus am Kaffeeberg abtransportiert.

Dort ließ die Hausfrau in Holzzubern heiße Bäder zubereiten und verabreichte zudem jedem einen heilsamen Kräutertrunk. Es ging auf zehn Uhr morgens zu, als sich Carl von Melchior und seiner Gattin dankend verabschiedete und zur Solitude aufbrach. Friedrich, der das unfreiwillige Bad schlechter überstanden hatte, und hustete und schniefte, sollte später folgen. Von Graf Geoffrey du Breuil und Captain Knowles war noch immer keine Spur gefunden.

Frisch gewandet ließ sich der Junker Punkt zwölf beim Herzog melden. Herzog Karl Eugen war bereits am Vormittag zur Solitude gefahren, um dort später am Tag mit ausländischen Gästen einen Jagdausflug zu unternehmen und dabei einige Gespräche zu führen, anschließend wollte er nach Grafeneck. Der Herzog war mit seinen Gedanken bereits bei dem geplanten Wildtreiben, als Carl von einem Lakaien in das Privatkabinett des Herzogs geführt wurde. Karl Eugen, der bei Carls Eintreten an seinem Sekretär gesessen hatte, erhob sich und trat auf ihn zu. Gekleidet war der kräftige Mann in einen grünen, pelzverbrämten Jagdrock, der an den Ärmeln mit Stickerei verziert war. In seinem glatten, vollen Gesicht mit der langen Nase und den geschwungenen Brauen saßen ein paar listig funkelnde Augen. Der Junker vollführte die zeremonielle Verbeugung, was seine Durchlaucht mit einem kurzen Nicken beantwortete. Er betrachtete Carl und schien sich zunächst kaum darauf zu besinnen, weswegen er den Junker zu sich bestellt hatte. So sprach der Fürst recht allgemein über die Lage im Lande und die politischen Fragen im Reich und war schon dabei, Carl zu entlassen, als ihm offenbar einfiel, warum er ihn hatte kommen lassen.

„Ah, bester Schack. Jetzt weiß ich wieder, warum ich Ihn sehen wollte“, bekannte Karl Eugen freimütig. „Ich habe für Ihn einen Spezialauftrag. Er hat sicher von der Halsbandgeschichte gehört. Er weiß schon“, fuhr der Herzog etwas ungeduldig fort, als Carl ihn überrascht ansah, „die Sache mit dem Collier der Pariser Juweliere Böhmer und Bassenge. Der Schmuck, den Marie Antoinette von Ludwig nicht annehmen wollte. Wir sprachen doch im Januar bereits darüber. Ich …“, der Herzog schwieg kurz und suchte offenbar nach den richtigen Worten. „Ich denke, ich habe einen Interessenten für das Collier gefunden. Kurz, sorge Er dafür, dass die Herren Böhmer und Bassenge hierherkommen und mir den Schmuck präsentieren. Anfang April will ich die Angelegenheit geklärt sehen. Wie Er das macht, ist seine Sache. Ich weiß, Er hat seine französischen Connectionen, die Er zu nutzen versteht“, fügte seine Durchlaucht mit gnädigem Lachen hinzu.

Damit war der Junker entlassen.

Überrascht und nachdenklich kehrte dieser in sein Domizil zurück. Er hatte in der Tat von der sonderbaren Schmuckgeschichte gehört. Ein Collier für den Preis von sechzehn mal hunderttausend Livres, das war eine schier undenkbare Summe. Was wollte der Herzog mit dem Schmuck? Dass seine Durchlaucht unter die Diamantenhändler gegangen war, schien Carl gar zu unglaublich. Wollte er das Halsband vielleicht selbst erwerben? Etwa als Geschenk für die Reichsgräfin zu Hohenheim? Auch dieser Gedanke war zu aberwitzig und zu abenteuerlich, als dass Carl ihn für wahrscheinlich hielt. Seinen Informationen nach waren die herzoglichen Kassen ziemlich geleert, jedenfalls nicht gefüllt genug, um eine derartige Summe auch nur im Entferntesten aufbringen zu können. Zumindest war ihm jetzt klar, was der Herzog damals im Januar mit seinen geheimnisvollen Worten gemeint hatte. Worte, über die er tagelang nachgegrübelt hatte, und deren Sinn sich jetzt höchst einfach erklärte. Nur, was wollte Karl Eugen mit dem französischen Halsband? Und hatten womöglich die Reisenden in der seltsamen Kutsche mit den herzoglichen Wünschen zu tun?

Zu Hause traf er den hustenden Friedrich an, dem das morgendliche „Badevergnügen“ noch stark zusetzte, sodass Carl ihn von einem anderen Bediensteten zu Bett bringen und durch eine Magd versorgen ließ. Ihm selbst hatte sein Tauchgang im Neckar wenig geschadet, eine Tatsache, die Carl auf sein allmorgendliches Kaltwasserritual zurückführte. Von Ludwigsburg und den Vermissten hatte Friedrich nichts Neues berichten können. Daher entschloss sich der Junker, nochmals Melchior von Talheim aufzusuchen, um zu erfahren, ob der Graf und sein englischer Kontrahent endlich gefunden wären. Hoffentlich hatte das Duell für die beiden Männer nicht tödlich geendet.

Zum dritten Mal innerhalb der letzten vierundzwanzig Stunden ritt der Junker nach Ludwigsburg, um Melchior von Talheim aufzusuchen. Nach einem raschen Ritt auf frischem Ross kam er gegen zwei am Kaffeeberg an. Carl übergab sein Pferd einem Knecht und ließ sich bei Melchior melden. Er wurde von einem Diener in die Gästestube geführt, wo er zu seiner Überraschung die komplette Morgenmannschaft beim Mittagessen antraf. Alle saßen da: der Gastgeber Melchior von Talheim, der etwas blasse Ferdinand von Montmartin, Joseph von Neipperg und, in friedvoller Zweisamkeit, Graf Geoffroy du Breuil sowie, mit verbundener Schulter, der Captain der Royal Navy Charles Henry Knowles!

„Freund Carl!“, rief Melchior hocherfreut. „Gut, dass Ihr auch kommt. Wir haben überall nach Graf Geoffroy und Charles Henry Knowles gesucht und wollten schon aufgeben, da haben wir unsere Vermissten vor einer guten Stunde schließlich doch noch gefunden. Und wo, denkt Ihr, fanden sich die beiden Streithähne? Ihr ratet es nie! In Marbach, in einer Schenke am Fluss, saßen die Herren gemütlich in Decken gehüllt am warmen Feuer, während eilfertige Mägde deren Kleidung trocken bügelten. Bei einer Bouteille guten Bottwartälers lösten Graf Geoffroy und Captain Henry ihre eigenen und dazu alle englischen, französischen und amerikanischen Probleme. Das nenne ich wahre Diplomatie!“

Der Junker war froh, dass die Dinge eine derart gute Wendung genommen hatten. Allerdings meinte er, der Graf und sein vorheriger Kontrahent hätten die anderen ein wenig früher über den guten Ausgang ihres unfreiwilligen Ausflugs ins Wasser informieren können.

Ferdinand von Montmartin, der offenbar ähnlich empfand, wandte sich an seinen englischen Gast: „Wisst Ihr, Henry, beim nächsten Mal, wenn Ihr in Eurem Gemüt die Lust nach einem Zweikampf verspürt, stürzt Euch gleich ins kalte Wasser und trinkt dann mit Eurem Gegner auf das gegenseitige Wohl. Das scheint mir besser, als wenn andere Euch beim Badengehen ebenfalls begleiten müssen.“

Lachend gelobte der Captain Besserung, allerdings nur für den Fall, dass Geoffroy du Breuil den gleichen guten Vorsatz fassen würde. Der Graf schloss sich sofort an und versprach, künftig Wasser und Flüssen mehr positive Aufmerksamkeit zu schenken, was zwar etwas Anderes war, von der Gruppe dennoch mit Gelächter quittiert und angenommen wurde.

„Was gibt es bei Euch Neues?“, wandte sich Melchior von Talheim an den Junker. „Friedrich sagte, der Herzog habe Euch schon heute Nacht sehen wollen?“

„Es geht um einen Auftrag, so viel, denke ich, darf ich sagen“, antwortete Carl. „Ich habe für unseren gnädigsten Landesherrn bestimmte Persönlichkeiten von Paris nach Stuttgart zu laden und unter Umständen auch von dort hierher zu geleiten. Wer das ist und weshalb er oder sie in die Residenz kommen sollen, das ist allerdings eine nicht öffentliche Angelegenheit.“

„Ein Geheimauftrag“, rief Melchior von Talheim, „das bedeutet neue Abenteuer. Freund Carl, da bin ich natürlich dabei.“

„Wo seid Ihr dabei, Melchior?“, fragte eine weibliche Stimme von der Tür her. „Doch nicht bei irgendwelchen gefährlichen Reisen oder Euren berüchtigten Mantel- und Degenfahrten?“

Es war Madeleine von Talheim, Melchiors schöne und energische Gattin, die, gerade nach den Gästen schauend, die Worte ihres Gemahls gehört hatte.

Melchior drehte sich überrascht zu seiner Madeleine um. Ihre Blicke begegneten sich und führten ein kurzes, aber nachhaltiges Gefecht aus. Schließlich wandte der Gastgeber sich wieder seinen Freunden zu, wobei eine leichte Röte sein Gesicht überzog. „Nun, Freunde“, begann er, „ich muss sehen, ob“ – doch er wurde von Carl unterbrochen, der verstanden hatte, was vor sich gegangen war, und der Melchior helfen wollte, sein Gesicht zu wahren.

„Ich danke Euch für das Angebot, Melchior. Aber der Auftrag hat bestimmte Aspekte, die mich zwingen, nahezu allein nach einer Lösung zu suchen. Der Herzog wünscht absolute Diskretion, daher habe ich schon fast zu viel erzählt und muss Euch alle bitten, die Geschichte umgehend zu vergessen.“

Die Übrigen, froh, dass Carl Melchior aus der peinlichen Lage geholfen hatte, stimmten rasch zu. Auch Melchiors schöne und doch strenge Gattin schien mit der Wendung zufrieden und kehrte, nachdem sie sich noch um das leibliche Wohl der Runde gekümmert und frisches Brot sowie einige neue Flaschen hatte bringen lassen, der munteren Gesellschaft den Rücken.

Das Gespräch der Herren wandte sich dem Thema des Tages, mithin dem Schiffsuntergang zu, und bald war der kleine Zwischenfall vergessen. Vor allem überlegte man, warum das Neckarschiff so plötzlich leck geworden und gesunken war. Im März lag nach der Schneeschmelze der Pegelstand des Neckars zwischen Ludwigsburg und Marbach meist bei elf bis zwölf Fuß. Ein Auf-Grund-Laufen war daher auszuschließen, vielleicht war das Boot auf etwas unter Wasser gestoßen, das nicht sichtbar gewesen war. Verschiedene Varianten wurden betrachtet und meist verworfen. Letztlich blieb die Angelegenheit ungeklärt.

Der junge Neipperg und Ferdinand von Montmartin, die etwas abseits saßen, eröffneten eine neue Gesprächsrunde, indem beide eifrig über die von Johann Gottfried Herder in den letzten beiden Jahren herausgebrachten „Volkslieder“ zu debattieren begannen.

„Ich schätze Herder durchaus“, sagte Neipperg, „doch noch mehr begrüße ich, dass der Berliner Buchdrucker Himburg Goethes gesammelte Schriften jetzt schon in dritter Auflage herausgegeben hat.“

„Ich halte das für verfrüht. Goethe wird sicher noch mehr schreiben als das, was er bisher publiziert hat. Ich bin überzeugt, dass er die deutsche Literatur noch stark beeinflussen wird. Wie sieht es denn mit der englischen Literatur aus?“, wandte sich Montmartin an seinen Freund Knowles. „Gibt es bei Euch ein Goethe ähnliches Talent?“

„Ich bin kein großer Leser“, gab der Captain zu. „Meine Schwester jedenfalls liebt Henry Fieldings ‚Tom Jones‘ über alles.“

„‚Tom Jones‘ ist in der Tat amüsant“, ließ sich Geoffroy du Breuil hören. „Ich allerdings habe mich köstlich über ‚Tristram Shandy‘ amüsiert. Euer Laurence Sterne hat eine wirklich skurrile Art, die Dinge zu beschreiben.“

„Und die ‚Candide‘ Eures Landsmanns Voltaire, bester Graf“, fragte Knowles, „das Buch ist doch sicher ebenfalls nach Eurem Geschmack?“

Es entspann sich eine ausgiebige Diskussion über die zeitgenössische Literatur, über Voltaire, Lichtenberg, Wieland und Klopstock, über das Sentimentale und, wie sollte es auch anders sein, über Goethe.

Am späten Nachmittag endlich brachen die Gäste auf. Der Junker verabschiedete sich von Melchior und den Freunden und wollte gerade sein Pferd besteigen, da trat Geoffroy du Breuil auf ihn zu und zog Carl zur Seite. Dieser überließ das Pferd dem Diener und schaute den Grafen fragend an.

„Hört, Carl“, begann Geoffroy. „Ich denke, ich weiß, warum Euch der Herzog nach Paris senden will. Und ich weiß auch, dass Ihr den Besuch von Paris liebend gern vermeidet. Lasst mich an Eurer Stelle dorthin reisen. Die Herren Böhmer und Bassenge sind mir gut bekannt und ich dächte, ich hätte eher Erfolg, die beiden zum Besuch Stuttgarts und zum Transport des kostbaren Schmuckes über eine solche Entfernung zu überreden, als wenn Ihr dies versuchtet.“

„Woher wisst Ihr von dem Wunsch des Herzogs?“, fragte Carl überrascht.

Der Graf lächelte. „Ihr vergesst, dass ich bereits vorgestern mit Eurem Landesherrn ein kurzes Gespräch hatte. Karl Eugen fragte mich ganz nebenbei, ob ich die Herren Böhmer und Bassenge kennen würde und wisse, welchen Preis sie aktuell für das von ihnen für Madame Dubarry gefertigte Collier verlangten. Ich antwortete, dies sei sicher ganz im Belieben der beiden Herren, und ich mit dem Metier der Juwelierkunst zu wenig vertraut, um verlässliche Preisangaben machen zu können. Sicher aber wäre es möglich, über derlei Dinge direkt zu verhandeln. Karl Eugen schien die Auskunft zu gefallen, und er entließ mich sehr gnädig mit dem Versprechen, morgen meinem Anliegen mehr Zeit zu widmen.“

„Euer Anliegen ist sicher das Gleiche wie jenes Eures Duellgegners Charles Henry Knowles“, mutmaßte der Junker.

„Das mag sein, jedenfalls hat mir der Captain mehr erzählt, als er wohl vorhatte. Aber seid beruhigt, es geht nicht darum, Eure Landeskinder in französische Uniformen zu stecken und zum Kriegsdienst zu pressen. Frankreich genügt die württembergische Neutralität, also kein ‚Regiment Rieger‘, damit ist Versailles schon zufrieden.“

„Besucht mich morgen in der Solitude“, schlug Carl vor. „Dann können wir in Ruhe über alles sprechen und vielleicht zu einem gemeinsamen Plan kommen.“

Geoffroy du Breuil stimmte zu, und der Junker bestieg endlich sein Ross und trabte in Richtung seiner Wohnung davon. Der Graf kehrte in Melchiors Haus zurück. Dass seine Unterredung mit Carl von Schack aufmerksam verfolgt worden war, entging ihm dabei.

Franziska von Hohenheim saß in ihrem Boudoir und las zum wiederholten Male den Brief, den ihr Herzog Karl Eugen vor Kurzem mit eigener Hand geschrieben hatte.

Herzallerliebste Franzele!

Könnt ich doch noch heute alle deiner Ungemächlichkeiten auf mich nehmen, um Dir zu zeigen, dass nichts meiner Liebe, der zärtlichsten aller Lieben vor Dir gleichet. So will ich denn schauen, dass ich Dir das zu eigen geben kann, was ich Dir zu geben kürzlich versprach …

Oh bester Karl, dachte sie und nahm das Medaillon mit seinem Porträt in ihre Hand. Ich hoffe, Ihr steht zu Eurem Wort und werdet mich einst ehelichen. Das wäre mir weit wichtiger als alle Colliers und aller Schmuck dieser Welt. Obwohl, denke ich, einer Anprobe werde ich nicht abgeneigt sein.

Am nächsten Morgen gegen elf, man schrieb den neunten März, meldete Friedrich, dem es wieder besser ging, seinem Junker den Grafen Geoffroy du Breuil.

Es war ein warmer Vorfrühlingstag, und die beiden Herren beschlossen, ein wenig im Walde zu spazieren, um die gute Luft und die ersten Sonnenstrahlen zu genießen.

„Ich habe über Euren Vorschlag nachgedacht, bester Graf“, nahm Carl das gestrige Gespräch wieder auf. „Ich denke, das ist eine vorzügliche Idee, und es wäre eine große Hilfe für mich, wenn Ihr den gewünschten Kontakt herstellen würdet und die Juweliere Böhmer und Bassenge direkt hierher brächtet. Allein, verzeiht mir die Frage: Was ist Euer Vorteil bei der Sache?“

„Nun“, versetzte der Graf mit einem Lächeln, „zum einen pflege ich meinen Freunden zu helfen, zum anderen denke ich, dass es gut wäre, wenn dieses Collier Frankreich verließe. Ich fürchte, dem Schmuck haftet etwas an, was für das Wohl des Landes und der Krone von üblen Folgen sein könnte.“

„Und da wollt Ihr das Übel lieber nach Württemberg verfrachten, als dass es länger bei Euch bliebe?“, meinte Carl skeptisch.

„Nein, versteht mich nicht falsch. Der Schmuck wurde, wie Ihr wisst, zuerst für Madame Dubarry, der Mätresse von Ludwig XV., angefertigt. Dann wollte vor zwei Jahren Ludwig XVI. Königin Marie Antoinette das Collier schenken. Es war nicht der Preis, weswegen die Königin das Geschenk ablehnte, es war Madame Dubarry und die Tatsache, dass das Halsband ursprünglich für jene gedacht gewesen war, was ihr das Geschenk verleidete. Ihr kennt die Königin, denn sie hat Euch nach Eurer Löwentat sogar die Gunst eines Privatempfanges gewährt. Dann wisst Ihr sicher, wie es in ihrer Umgebung aussieht. Intrigen und Kabalen, eine Grube voller Skorpione ist dagegen ein angenehmer Aufenthaltsort.“

Carl nickte zerstreut. Er erinnerte sich noch gut, wie er auf seiner Reise nach Paris einer unbekannten Dame begegnete und diese vor einem aus einer Menagerie entlaufenen Löwen gerettet hatte. Die schöne Dame war die junge Königin Marie Antoinette gewesen, und zum Dank hatte sie Carl mit hohen Gunstbeweisen belohnt, die ihm nebenbei den Neid des Hofes und die Todfeindschaft des Grafen de Polignac eingebracht hatten. Dass er sich darüber hinaus im jugendlichen Überschwang in die Königin verliebt und diese ihm ebenfalls Sympathie entgegengebracht hatte, war sein großes Geheimnis geblieben.

Mittlerweile hatten sie das Ufer des Bärensees erreicht. Carl bückte sich, nahm einen flachen Kiesel und ließ den Stein über die Wasseroberfläche tanzen. „Wie stellt Ihr Euch den Ablauf vor?“, fragte er den Grafen, während er dem springenden Stein nachsah.

„Die Angelegenheit erscheint mir recht einfach zu sein“, sagte Geoffroy. „Ich habe heute Audienz bei Eurem Herzog und werde seiner Durchlaucht die Vorschläge des Versailler Hofs im Hinblick auf das von Frankreich gewünschte Abkommen vorlegen. Ich gehe davon aus, dass Karl Eugen in Absprache mit seinen Beratern, darunter wohl auch Kammerherr von Erlenburg, die eine oder andere Änderung des Textes fordert; das ist der diplomatische Brauch. Mit der Neufassung in der Tasche reise ich übermorgen zurück nach Versailles und bin spätestens in drei Wochen zusammen mit dem Collier und mit einem der Juweliere, sei es Böhmer oder Bassenge oder ein anderer Beauftragter, wieder in Stuttgart. Vielleicht seht Ihr die Herren auch eher, so es das Schicksal will. Ihr präsentiert die Herren und den Schmuck Eurem Herzog, und der Auftrag ist erledigt.“

„Ihr glaubt nicht, ich solle besser persönlich nach Paris reisen?“, forschte Carl nach.

„Das wird nicht nötig sein“, erwiderte Geoffroy du Breuil. „Ich sagte bereits, dass Ihr unter Umständen schon früher Böhmer oder Bassenge begegnen werdet.“

„Wie meint Ihr das, Graf? Ich fürchte, ich verstehe Eure Andeutungen nicht“, fragte Carl.

„Ich habe Kenntnis von Gerüchten, dass es die genannten Herren vorgezogen haben, wegen gewisser widriger Umstände Paris zu verlassen“, antwortete du Breuil gedehnt. „Doch mehr kann ich mangels exakten Wissens nicht sagen.“

„Das klingt leicht mysteriös“, sagte der Junker.

„Wie alles, das mit dem Versailler Hof zu tun hat“, antwortete der Graf leichthin.

Über andere Dinge plaudernd wanderten die Herren zur Solitude zurück.

Am übernächsten Tage reiste Geoffroy du Breuil ab, wobei er Carl von Schack eine Nachricht zukommen ließ, er müsse sich um nichts weiter sorgen, die bewusste Angelegenheit sei bei ihm in guten Händen.

Der Junker begrüßte es, die Aufgabe auf diese Weise bearbeitet zu sehen, denn andere Ereignisse machten es erforderlich, dass er sich ihrer schnellstens annahm. In Heilbronn, Stuttgart und Ludwigsburg kam es gehäuft zu Einbrüchen und Diebstählen. Der Junker befürchtete zunächst ein Wiederaufleben der alten Mainhardter Räuberbande, die fast ein Dutzend Jahre raubend und mordend vor allem den Mainhardter Wald, aber auch andere Landesteile aufs Grausamste unsicher gemacht hatte, bevor ein Großteil ihrer Mitglieder vor sieben Jahren in Pfedelbach mit dem Schwert hingerichtet worden waren. Gewisse Anzeichen deuteten darauf hin, dass die damaligen Raubzüge gesteuert gewesen waren. In Verdacht war damals der Wirt des Mainhardter Gasthauses „Zur Linde“, ein Mann namens Weiß, geraten. Dieser, ein herzoglich-württembergischer Zöllner und zudem Gemeinderat, nahm an den Räubereien natürlich nicht in Person teil, sondern agierte im Hintergrund als Räuberhauptmann, Diebswirt und Hehler. Dem Wirte allerdings konnte nie etwas bewiesen werden, und Weiß solle, so hieß es, im letzten Jahr friedlich im Bett gestorben sein.

Carls Nachforschungen zu den aktuellen Diebstählen wiesen stark auf einen Berufsgenossen des sauberen Herrn Weiß hin: Johann David Linse, ältester Sohn des aus Stuttgart stammenden Metzgers Häusser und der Klara Wildermuth aus Rielingshausen, war eine Zeit lang Kellermeister und Kellner in Heidelberg gewesen. Seine Eltern betrieben die Gastwirtschaft „Zum Weißen Rößle“, die außerhalb der Stadtmauern von Großbottwar lag. Nach dem Tod ihres ersten Mannes ehelichte die Mutter den ebenfalls aus Stuttgart stammenden Metzger Andreas Linse. Nach dessen Ableben kehrte Johann David nach Großbottwar zurück, um mit der Mutter und seinen Schwestern das Gasthaus weiterzuführen. Schon im letzten Jahr hatte die Polizei Johann David für den Diebstahl von 160 Gulden bei der Witwe Grönninger in Großbottwar verantwortlich gemacht, ihm aber die Tat nicht nachweisen können. Das außerhalb der Stadtmauern liegende Gasthaus „Rößle“ galt als Treffpunkt für das fahrende Volk und Personen von zweifelhaftem Ruf und Linse als ihr heimlicher Hehler.

Junker von Schack ließ das Gasthaus und die Wirtsleute von mehreren Agenten rund um die Uhr beobachten, um so weitere Aktivitäten der Räuber im Keim ersticken zu können. Dies besonders, da zur gleichen Zeit eine Bijouteriefabrik – Les Entrepreneurs en Bijouterie –, welche Uhrketten aus Gold und Silber und andere Galanterien dieser Art herstellte, ihren Sitz aus Pforzheim nach Ludwigsburg verlegte. Daneben ließ Carl nach der ominösen Kutsche fahnden. Doch die Hinweise, die seine Leute erhielten, führten nicht weiter.

Dafür gab es andere Erfolge. Denn acht Tage später bekam der Junker die Meldung, einer seiner Polizeiagenten, ein gewisser Sebastian Scheyer – wegen seiner Vorliebe für Uniformen auch „der blaue Bastel“ genannt – habe einen größeren Fang getan.

Scheyer hatte bei den Dörflern keinen besonders guten Ruf. Er trank gern das eine oder andere Glas Branntwein, und man erzählte sich, dass der blaue Bastel gegenüber Dieben und Gaunern oft sehr großzügig sei. Wenn er die Körbe verdächtiger Weiber kontrolliere, verhielte er sich bei jüngeren Gaunerweibern häufig sehr wohlwollend, besonders, wenn diese hübsch waren.

Doch in diesen Märztagen schien Scheyer seine Arbeit als Landstreifer ernst genommen zu haben. Nördlich von Ochsenbach im Zabergäu, wo er derzeit wohnte, sah Scheyer am Weg hinter einer Hecke Rauch aufsteigen. Das schien ihm weit abseits des Ortes merkwürdig zu sein. Er schlich näher heran, spähte vorsichtig durch das Buschwerk und erblickte dort eine Gruppe von Leuten, die ihm äußerst verdächtig vorkam, vor allem weil er glaubte, unter ihnen den bekannten Fälscher und Dieb Fritz Demath zu erkennen. Demath, ein untersetzter, dicklicher Mann mit grau meliertem Haar und rötlichem Gesicht, dem ein Auge fehlte, stach mit seinem hellen Rock und dem roten Kamisol deutlich aus der Gruppe hervor. Scheyer holte rasch Verstärkung herbei und nahm die ganze Bande, darunter mehrere Weiber und Kinder, fest. Die Gefangenen wurden nach Ochsenbach geführt, wobei die Weiber nur langsam liefen und immer wieder Gründe fanden, zurückzufallen und anzuhalten. Eine behauptete, sie müsse dringend ihre Notdurft verrichten und verschwand dann im Unterholz. Auch anderen Weibern gelang die Flucht. Doch die Männer, denen vorsorglich Ketten angelegt worden waren, konnten alle nach Ochsenbach gebracht werden. Dort wurden sie vernommen und gründlich durchsucht. Dabei trat genug Belastendes zutage, so mehrere Beutel mit falschen Münzen, etliche gefälschte Pässe und einiger, offenbar gestohlener Schmuck. Das Wichtigste aber war die Festnahme des Fritz Demath, in dessen Kleidern die falschen Pässe gefunden worden waren. Demath war in den letzten Jahren als Betrüger und Falschmünzer vielfach in Erscheinung getreten und hatte auf Bestellung auch als Fälscher jede Art von Urkunde hergestellt. Mehrfach verhaftet, konnte er bislang jedes Mal entwischen; seine Festnahme war ein schöner Erfolg für die herzogliche Polizei.

Etwas mehr als zwei Wochen waren mit solchen und ähnlichen Beschäftigungen vergangen und die Osterfeiertage gerade vorüber, da wurde Carl die Botschaft gemeldet, die beiden Juweliere Böhmer und Bassenge seien in Ludwigsburg eingetroffen und warteten untertänigst darauf, sich Herzog Karl Eugen zu präsentieren.

Der Herzog war mit einem Gast, dem preußischen General Graf von Wurmser, unterwegs. Junker von Schack und Leutnant von Neipperg machten sich daher mit einem Trupp Soldaten zu Pferde auf den Weg nach Ludwigsburg, wo die Herren am Marktplatz unweit der Manufaktur Quartier genommen hatten, um diese abzuholen und sicher in die Residenz zu geleiten.

Von Neipperg und Carl wurden nach ihrer Ankunft sogleich zu den Herren geführt, die sie mit großer Höflichkeit begrüßten. Böhmer war ein untersetzter, rundlich wirkender Mann mittleren Alters, dessen Haar sich deutlich gelichtet hatte. Sein Kinn war schwach ausgeprägt und zu dem fast weiblich wirkenden Mund passte die hohe Fistelstimme. Ganz anders wirkte Bassenge auf den Junker. Er war ein ernster, streng blickender Mann von hoher, schlanker Gestalt, dessen tief liegende Augen die Besucher misstrauisch musterten.

„Verzeiht mir, Ihr Herren“, sagte Bassenge, nachdem sie einige Höflichkeitsfloskeln gewechselt und Carl erklärt hatte, der Herzog sei abwesend und sie würden von Neipperg und ihm als Gäste nach Stuttgart eskortiert werden. „Wir führen, wie Ihr wisst, ein nicht unbedeutendes Schmuckstück mit uns. Wir dachten, Herzog Karl Eugens Residenz befände sich in Ludwigsburg, nun sprecht Ihr von Stuttgart. Wer gibt uns die Sicherheit, dass Ihr berechtigt seid, uns aufzusuchen, und dass Ihr uns wirklich zu dem gewünschten Ansprechpartner für unseren Handel führen werdet?“

„Ihr müsst uns nicht folgen“, antwortete der Junker kühl. „Ihr könnt hierbleiben und ich werde zu Eurem Schutz einen Trupp Soldaten postieren. Aber glaubt mir, in der neuen Residenz werdet Ihr es bequemer haben als hier.“

Die Herren wechselten kurz einige Worte in einer Sprache, die Carl nicht verstand, denn es war nicht Französisch. Dann nahm Böhmer das Wort, indem er Carl, diesmal auf Deutsch, ansprach. So wie es klang, schien der Mann Elsässer zu sein. „Ihr entschuldigt, Herr von Schack, unser Misstrauen. Doch es wird sicher das Beste sein, wir bleiben hier und warten auf die herzogliche Order.“

„Wie Ihr wollt“, erwiderte Carl mit einer Verneigung. „Ich empfehle allerdings zumindest den Umzug in den Gästeflügel des Schlosses von Ludwigsburg.“

Dieser Vorschlag wurde nach kurzer Diskussion angenommen, und die beiden Juweliere zogen nebst einigen Dienern, von Neippergs Soldaten begleitet, in das Schloss um, wo ihnen Carl durch den Verwalter rasch einige Räume richten ließ. Nachdem er den Verwalter noch angewiesen hatte, auch für das leibliche Wohl der Gäste zu sorgen, und die Bewachung geregelt war, verabschiedete sich der Junker. Leutnant von Neipperg hingegen blieb als wachhabender Offizier vor Ort.

Herzog Karl Eugen kehrte am nächsten Abend nach Stuttgart zurück. Carl von Schack fand erst am folgenden Morgen Gelegenheit, den Herzog über die Ankunft der Juweliere zu unterrichten. Seine Durchlaucht war von dieser Tatsache sehr angetan und lobte die schnelle Arbeit des Junkers. Für den Abend befahl er um acht Uhr die Präsentation des Schmuckes im Marmorsaal des Neuen Schlosses. Die Vorbereitungen dazu hatten in aller Stille zu erfolgen, die Reichsgräfin von Hohenheim solle mit dem Collier überrascht werden, erklärte seine Durchlaucht. Der Junker möge alles Diesbezügliche mit dem Kammerherrn von Erlenburg besprechen. Dann ließ sich der Fürst berichten, was Carl im Hinblick auf das neu aufgekommene Räuberwesen bisher unternommen hatte. Auch mit diesen Maßnahmen war der Herzog sehr zufrieden. Carl wurde gnädigst entlassen und begab sich sofort zu August von Erlenburg, um mit diesem die abendlichen Abläufe zu besprechen.

Die beiden Freunde kamen überein, die Anreise der Juweliere und vor allem den Transport des Schmucks durch Leutnant von Neipperg und einen Reitertrupp begleiten zu lassen. Erlenburg schlug außerdem vor, den Herren in der Kanzlei Räume anzuweisen, wo eine Bewachung leichter möglich schien. Sicher war sicher.

„Ich frage mich nur, wie die Herren unbehelligt von Paris bis nach Ludwigsburg gekommen sind“, sagte der Junker nachdenklich.

„Wahrscheinlich hat niemand bei ihnen größere Schätze vermutet, und so unsicher sind die Straßen nicht in deutschen Landen.“

„In deutschen Landen nicht, womöglich aber in Frankreich.“

„Das mag sein, wie es wolle“, erwiderte Erlenburg lachend. „Die Herren Böhmer und Bassenge und ihr Collier sind heil angekommen, alles andere muss uns nicht kümmern.“

Erstaunlicherweise vollzog sich die Übersiedlung nach Stuttgart ohne große Komplikationen; Böhmer und Bassenge schienen verstanden zu haben, dass von Neipperg zu ihrem Schutz antrat und weder ihnen noch dem wertvollen Gepäck seitens des Leutnants irgendwelche Gefahren drohten.

Etwas Anderes störte allerdings den geplanten Ablauf. Franziska von Hohenheim, der der ganze Aufwand galt, fühlte sich an diesem Freitagabend, es war der 31. März, aufgrund der Anstrengungen der letzten Tage und ihrer Tätigkeit in der „Ecoll“ im höchsten Grade ermüdet, und die Präsentation wurde auf den kommenden Sonntagmittag in Hohenheim verschoben.

Der Herzog schien mit der Verlegung des Termins seltsam zufrieden. Er empfing die Juweliere zunächst nur in Carl von Schacks und August von Erlenburgs Gegenwart – und begann über den Preis zu verhandeln!

„Der Preis von sechzehn mal hunderttausend Livres ist natürlich höchst fantastisch“, eröffnete Karl Eugen das Gespräch. „Ich weiß, es handelt sich bei dem Collier um eine besondere Kostbarkeit“, wehrte seine Durchlaucht sogleich Bassenge ab, der darauf antworten wollte. „Aber sagt selbst, Ihr Herren, wer soll Euch diese Summe zahlen?“

„Eure Durchlaucht verzeihen“, ließ sich jetzt die Fistelstimme Böhmers hören, „aber Eure gnädigste Durchlaucht braucht den Schmuck nicht zu kaufen. Wenn das Collier oder der Preis missfällt, braucht Eure Durchlaucht nur zu befehlen, und wir reisen, nach Zahlung unserer Reisespesen, unverzüglich wieder ab.“

Diese Worte schienen dem Herzog wenig zu schmecken.

„Aber was wäre“, fragte er lauernd, wobei er Junker von Schack und dem Kammerherrn bedeutungsvolle Blicke zuwarf, „was wäre, wenn ich den Schmuck einfach behielte?“

„Wir vertrauen darauf, dass Eure Durchlaucht solches sicher nicht tun werden“, meldete sich jetzt mit ernster Stimme Bassenge. „Für eine solche Tat ist Eure Durchlaucht zu edelmütig und von zu nobler Gesinnung. Im Übrigen haben wir vorgesorgt und Kopien angefertigt. Nur ein wahrer Juwelenkenner kann den echten vom falschen Schmuck unterscheiden.“

„Wahrlich, Ihr habt vorgesorgt“, bestätigte der Herzog mit trockenem Lachen. „Doch ich könnte Euer gesamtes Gepäck konfiszieren lassen“, fügte er drohend hinzu.

„Das würde Eurer Durchlaucht nichts nützen, denn wir haben den echten Schmuck vorgestern an einem speziellen Ort in Sicherheit gebracht und nur die Kopie dabei. Sollte das Collier als solches Euch zusagen und wir uns über den Preis einigen, dann würde einer von uns das Original holen und Euch dieses untertänigst überreichen.“

„Schlau, schlau“, erwiderte der Herzog, dessen Miene Carl ansah, dass ihn die Antworten sehr verärgerten.

„Aber“, sprach der Juwelier schnell weiter, der wohl erkannt hatte, wie bedenklich nah sie sich einem Ausbruch des herzoglichen Zornes befanden, „natürlich haben Eure Durchlaucht nur gnädiglich gescherzt, und wir werden im sicheren Wissen Eurer herzoglichen Großmut und Ehre Euch das wirkliche und echte Collier am Sonntag wie befohlen präsentieren.“

„Gut, gut“, antwortete der Herzog, immer noch leicht verstimmt, doch sichtlich zufriedener. „Aber wehe Euch, wenn Wir am Sonntage nicht den wahren Schmuck zu sehen bekommen!“

Mit einem Wink waren Böhmer und Bassenge entlassen.

„Ein aufrührerisches Duo, diese Juweliere“, wandte sich der Herzog an den Kammerherrn und an Carl und verzog das Gesicht. „Sie sollten froh sein, dass sie mein Gastrecht genießen, sonst würde ich …“, er hielt inne und ließ offen, was er dann zu tun gedächte.

„Nun“, sagte er schließlich an Carl gewandt. „Ihr solltet die beiden jedenfalls gut bewachen lassen.“

Eine Stunde später saßen August von Erlenburg und Carl von Schack in Erlenburgs Wohnung und unterhielten sich bei einer edlen Flasche Cannstatter über das Geschehen.

„Die Herren haben ihre Karten hoch ausgereizt“, meinte Carl. „Einige Worte mehr und der Herzog wäre in Rage geraten. Die Folgen wären für beide sicher höchst unangenehm gewesen. Es ist mancher schon für weniger Widerworte auf dem Hohenasperg gelandet.“

„Die Herren sind für ihre seltsamen Auftritte bekannt“, erklärte Erlenburg. „Böhmer soll kürzlich vor der Königin weinend auf die Knie gefallen sein. ‚Madame‘, rief er, ‚ich bin ruiniert, bankrott, entehrt, wenn Sie weiterhin die Kette zurückweisen. Ich gehe von hier aus geradewegs zum Fluss und ertränke mich!‘ Marie Antoinette antwortete, dass sie dies für keine schlechte Idee halte – und Böhmer stand auf und entfernte sich. Ein völlig verrücktes Verhalten!“

„Jedenfalls hat er nicht das Gewünschte erreicht“, erwiderte der Junker. „Das Collier ist nach wie vor unverkauft. Aber dass die Herren sich vorsehen, erscheint mir durchaus vernünftig zu sein.“

„Gewiss, da habt Ihr recht. Ich denke auch, dass der Herzog gar zu plump vorging. Mit Drohungen ist bei solchen Leuten wenig zu erreichen. Die einzige Sprache, welche sie verstehen, ist die des Geldes.“

„Mag sein, nur fürchte ich, unser Herzog ist in dieser Sprache außerordentlich wortkarg. Die Zeiten eines Joseph Süß Oppenheimers, der aus Nichts Geld zu machen verstand, sind längst vorüber“, erwiderte Carl.

„Nicht aus Nichts“, korrigierte Erlenburg. „Der Mann war aktiv. Er gründete eine Tabak-, Seiden- und Porzellanmanufaktur und die erste Bank des Landes, die er natürlich selbst betrieb.“

„Das klingt mir zu positiv“, entgegnete Carl. „Oppenheimer drehte kräftig an der Steuerschraube und verkaufte gegen hohe Gebühren Handelsrechte für Salz, Leder und Wein.“

„Und er handelte mit Edelsteinen und Edelmetallen“, sagte Erlenburg. „Oppenheimer wäre in der jetzigen Situation der richtige Mann, um mit unseren schlauen Juwelieren handelseinig zu werden.“

„Das wird nicht mehr zu machen sein, nachdem Oppenheimer vor über vierzig Jahren gehängt worden ist“, sagte Carl abschließend. „Schon schauerlich, dass sein Leichnam sechs Jahre lang in einem eisernen Käfig öffentlich zur Schau gestellt wurde und erst unser Herzog Karl Eugen ihn bei seinem Regierungsantritt abhängen und verscharren ließ.“

August von Erlenburg sagte nichts weiter zu diesem Thema, und das Gespräch wandte sich anderen Gebieten zu.

Der Sonntagabend kam und mit ihm die Stunde der Präsentation des Schmuckes. Der Herzog hatte in seiner Ungeduld der Gräfin schließlich erzählt, was er geplant und arrangiert hatte. Der Herzog wählte das weiter im Park gelegene Gartenhaus aus, um dort Franziska das Collier zu überreichen, damit sie das Halsband im Glanze der Spiegel anlegen und sich ihrem Geliebten in trauter Zweisamkeit präsentieren könne. Das Gartenhaus, das eigentlich den Namen „Wirtshaus zur Stadt Rom“ trug, war das erste Gartenbauwerk und vor vier Jahren errichtet worden. Es lehnte sich mit seiner Rückseite an drei hohe Bögen an, welche die „Bögen vom Goldenen Haus des Neros“ genannt wurden. Im Innern des Gartenhauses gab es neben einem ovalen Saal ein gelbes und ein rotes Gemach sowie eine Bauernstube. Carl von Schacks Aufgabe war es, für die Sicherheit Sorge zu tragen und die Juweliere wohlbehalten von Stuttgart nach Hohenheim zu geleiten. Dort sollte er von Böhmer und Bassenge den Schmuck entgegennehmen; die Herren hatten auf eine Übergabe vor Ort bestanden. Darauf hatte Carl das Collier dem Herzog weiterzugeben, der das Halsband der Reichsgräfin von Hohenheim höchstpersönlich überreichen und anlegen wollte.

Junker von Schack, Leutnant von Neipperg und Ferdinand von Montmartin sowie ein Trupp Reiter holten die Herren um sieben Uhr abends direkt an der Kanzlei ab. Die Juweliere stiegen, begleitet von zwei Dienern, die ein dunkles Kästchen mit sich führten, in eine bereitstehende Kutsche. Dann fuhren sie gen Hohenheim, von ihrer Eskorte links und rechts sorgsam bewacht. Nach einer halben Stunde abendlicher Fahrt war das alte Garbsche Schlösschen mit den neuen, in der Entstehung befindlichen Bauten erreicht. Vor dem Gebäude zeigten sich im Schein von unzähligen Lampen und Lichtern die neuen Flügel, der Kavaliersund der Wirtschaftsbau. Die Kutsche fuhr hinunter zum Parkeingang und hielt dort. Böhmer und Bassenge stiegen aus und überwachten die Übergabe des Kästchens an Junker von Schack. Böhmer ließ das Behältnis vorsichtig öffnen und überprüfte im Beisein Leutnant von Neippergs und Ferdinand von Montmartins den Inhalt im Schein einer kleinen Lampe. Das Collier glitzerte und funkelte in allen Spektralfarben. Sorgfältig nahm der Juwelier es heraus und untersuchte die Fassung der Steine und den Kettenverschluss. Dann klappte Böhmer den Kasten eigenhändig zu und überreichte ihn dem geduldig wartenden Carl von Schack. Der Junker drehte sich um und trug das Kästchen hin zum nahenden Herzog, der eben vom Corps de Logis, in welchem der Fürst und Franziska ihre Wohnräume hatten, hinab zum Park schritt. Mit einer Verbeugung übergab Carl den Schmuck. Karl Eugen übernahm persönlich die Schatulle und wandte sich nun, von vier Gardesoldaten und dem Junker begleitet, in ruhigem Schritt zu dem im Park gelegenen Gartenhaus. Dort bezogen die Soldaten Posten, Carl von Schack öffnete die Eingangspforte, und der Herzog betrat das Gebäude. Der Junker schloss die Tür und kehrte zum Vorplatz zurück.

Zusammen mit Leutnant von Neipperg brachte er die Herren Böhmer und Bassenge zurück nach Stuttgart.

Franziska von Hohenheim stand im roten Gemach vor einem großen Kristallspiegel und betrachtete sich ausgiebig. In ihrem weiten, orangeroten Gewand mit dem Spitzenoberteil machte sie eine gute Figur, und sie wusste die Augen Karl Eugens auf sich gerichtet. Doch ihre eigene Aufmerksamkeit galt nur dem Collier, das ihren schlanken, weißen Hals so wundersam schmückte. An einer Diamantenkette hingen in Doppelreihen vier Juwelenbänder, die sich wie Zöpfe öffneten. Oben waren in drei Halbkreisen weitere Schmuckelemente angeordnet. In der Mitte leuchtete und strahlte ein Diamant von ungeheurer Reine und Klarheit. Wie von einem Magnet angezogen, als ob jene Ätherkräfte, jenes Fluidum, welches Friedrich Anton Mesmer zwischen den lebendigen Körpern annahm, zwischen ihr und den Steinen existierte, tauchte ihr Blick völlig in den leuchtenden Glanz ein. Szenen und Bilder zogen an ihrem Inneren in rascher Folge vorüber. Sie war in einem weiten Ballsaal inmitten einer Vielzahl festlich gekleideter Paare, die sich fröhlich im Tanz und im Takt der Musik drehten. Dann erlebte sie einen abrupten Wechsel der Szene: Um sie ballte sich eine tobende Menge, die laut einen Namen schrie, den Franziska nicht verstand. Die Männer und Frauen trugen rote Hüte und starrten hasserfüllt auf einen Herrn in schwarzer Robe und weißer Perücke. Das nächste Bild zeigte ein auf den Boden gepresstes, halbnacktes Weib, in dessen Schultern sich glühende Eisen bohrten. Eine Dame von großer Schönheit betrachtete von einem Alkoven die düstere Szene, während aus ihren Augen bittere Tränen flossen. Weitere Orte und Plätze schlossen sich an, Menschen über Menschen, ein einziges Wogen und Fließen.

Starr und unbeweglich verharrte die Gräfin in ihrer inneren Schau, atemlos in erschreckter Betrachtung gebannt. Herzog Karl Eugen, der nicht verstand, was mit ihr geschah, trat besorgt zu Franziska hin und legte ihr sacht die Hand auf die Schulter.

„Franzel, was ist dir? Was hast du? Gefällt dir der Schmuck nicht? Sag was!“, bat er und strich ihr in einer hilflosen Geste übers Haar. „Franzel?“

Da erwachte Franziska von Hohenheim aus ihrer Starre. Blinzelnd schaute sie sich um, als ob sie nicht recht wisse, wo sie sich befände. Dann sah Franziska das besorgte Gesicht Karl Eugens und lächelte wie erlöst. Entschlossen griff sie mit beiden Händen in den Nacken, öffnete den Verschluss des Colliers und löste es vorsichtig von ihrem Hals. Sie zögerte kurz, betrachtete es noch einmal und schüttelte dann verneinend den Kopf. Sie wandte sich zum Herzog und gab ihm, mit einem tiefen Knicks, den Schmuck zurück.

„Ich danke Euch, liebster Karl, für den Schmuck und dass ich ihn sehen und anlegen durfte. Es ist ein herrliches Collier, und es sind wahrhaftig wunderbare Juwelen, deren Glanz alles übertrifft, was ich je an Schmuckstücken sehen durfte. Doch ich fühle, es geht eine gefährliche Macht von diesen Steinen aus, und mir ist, als ob Blut aus ihnen flösse und ich flüssiges Feuer an meinem Halse trüge.“

Noch einmal warf die Gräfin einen fast begehrlichen Blick auf den Schmuck, dann rief sie laut: „Ich will dieses Halsband nicht, nicht für diesen Preis und für das Schicksal, das es in sich birgt!“

„Dir gefällt das Collier also nicht?“, fragte der Herzog halb enttäuscht, halb erleichtert. „Bist du dir wirklich sicher?“

„Das, liebster Karl, das bin ich wirklich“ bestätigte Franziska mit fester Stimme, „und nun lasst uns das Halsband in seine Schatulle legen, damit es mir aus den begehrlichen Augen kommt.“

Der Herzog tat, worum sie ihn gebeten, öffnete den Kasten, legte das Collier hinein, schloss ihn sorgfältig und stellte dann das Behältnis auf einen kleinen Tisch am Fenster. Daraufhin reichte Karl Eugen Franziska den Arm und beide begaben sich in den Nebenraum, wo ein Nachtmahl für sie zubereitet war. Dort erwartete die Gräfin eine weitere Überraschung. Eine kleine Schachtel lag neben ihrem Platz. Als sie diese öffnete, fiel ihr Blick auf ein prächtiges siebenreihiges Perlenhalsband, in dessen Mitte ein großer Smaragd glänzte. Sie nahm es mit einem Ruf der Freude hervor, legte es sogleich an und wandte sich zum großen Seitenspiegel, wo sie sich hin- und herdrehte und das Halsband von allen Seiten betrachtete.

„Gefällt dir der Schmuck?“, fragte der Herzog, trat nahe an sie heran und strich ihr mit der Hand sanft über den zarten Nacken.

„Das Halsband ist wunderschön“, sagte die Gräfin mit einem Lächeln. „Es ist kostbar und doch von einfacher Eleganz und kleidet mich weitaus besser als der französische Tand. O Karl, ich danke Euch aus vollem Herzen!“, rief sie und umarmte Karl Eugen ungestüm.

„Nun, nun“, sagte der Herzog und rückte seine Frisur zurecht. „So stürmisch? Da muss ich es recht getroffen haben. Ich dachte mir schon, dass meinem Franzel das fremde Collier nicht gefällt“, meinte er dann selbstgefällig. „Dieses Halsband bringt deinen weißen Hals viel besser zur Geltung als das ganze glitzernde Übermaß aus Paris.“

Der Rest des Abends verging mit angenehmen Plaudereien, gefälligen Scherzen und amourösen Tändeleien.

Carl von Schack, der bei August von Erlenburg genächtigt hatte, erhielt am nächsten Morgen die Nachricht, er möge am Mittag die Herren Böhmer und Bassenge nach Hohenheim geleiten und ihnen dort das Collier wieder aushändigen. Seine Durchlaucht verzichte auf den Schmuck, und daher bestehe kein Grund, diesen länger als nötig in Hohenheim zu lassen. August von Erlenburg solle bei der Übergabe ebenfalls anwesend sein und den Juwelieren einen Beutel von 300 Gulden als Ausgleich für die Reiseauslagen überreichen. Ein Trupp Soldaten habe dann die fremden Gäste bis zur nördlichen Landesgrenze hinter Vaihingen an der Enz zu begleiten.

Mittags um ein Uhr holten Schack und Erlenburg zusammen mit Ferdinand von Montmartin und Leutnant von Neipperg die Herren Böhmer und Bassenge mit einer Kutsche und in Begleitung einiger Reiter ab. Unterwegs informierte Erlenburg die Juweliere über die Entscheidung des Herzogs, den Schmuck nicht zu erwerben, was beide, ohne eine Miene zu verziehen, zur Kenntnis nahmen. Auch das Reiseentgelt wurde ohne Einwand akzeptiert.

Um halb zwei erreichten sie Hohenheim und der Junker sowie der Kammerherr und ein Soldat wurden von einem Bediensteten zum Gartenhaus geführt. Vor dem Gebäude stand seit gestern Abend ein Doppelposten, der beim Anblick Neippergs Haltung einnahm und salutierte.

„Melde, Herr Leutnant, keine Vorkommnisse!“, schnarrte der ältere der beiden Soldaten.

Neipperg dankte und Carl ließ durch den Diener die Eingangstür aufschließen. Der Mann geleitete die Herren weisungsgemäß zu dem Tisch, auf dem gestern Abend das Schatzkästchen abgestellt worden war. Auf einen Wink des Junkers öffnete der Bedienstete den Kasten und Carl stellte fest, dass sich das Collier im Innern befand. Er ließ den Deckel wieder schließen und das Behältnis vom begleitenden Soldaten übernehmen. Sie verließen das Gartenhaus und brachten den Schmuckkasten zur Kutsche, vor der Böhmer und Bassenge bereits warteten. Der Soldat wollte seine Last in das Kutscheninnere stellen, doch Bassenge stoppte ihn mit einer gebieterischen Armbewegung.

„Ihr erlaubt, Herr von Schack?“, wandte er sich mit einer Verbeugung an den Junker. „Nur ein Blick, dass keine Verwechslung geschieht.“

Carl nickte Neipperg zu, der dem Soldaten einen kurzen Befehl gab. Dieser öffnete erneut das Schmuckbehältnis. Bassenge trat an den Kasten heran, griff hinein und nahm das Collier heraus. Er hielt es gegen das Licht und betrachtete das Gesamtwerk. Dann zog er ein besonders geschliffenes Glas aus einer Tasche seines Obergewandes und studierte eingehend einzelne Steine und den Verschluss. Kopfschüttelnd wandte er sich an Böhmer, der neben ihm stand und das Vorgehen seines Kollegen aufmerksam beobachtet hatte. Die beiden wechselten einige Worte in der gleichen Sprache, die sie bereits bei ihrer Ankunft benutzt hatten. Dann nahm der Elsässer den Schmuck in die Hand und unterwarf ihn der gleichen akribischen Prüfung wie Bassenge. Darauf sagte er, ebenfalls kopfschüttelnd, einige Worte und legte das Collier in das Kästchen zurück.

Nun wandte sich Bassenge an den Kammerherrn von Erlenburg. „Sie entschuldigen, verehrter Herr Kammerherr“, sagte er mit schiefem Lächeln, „es liegt hier wohl ein Irrtum vor. Das da drinnen“, er wies mit einer verächtlichen Handbewegung auf den Kasten, „das ist nicht unser Schmuck, sondern ein geschicktes Imitat. Ich bedauere, aber diese Imitation sehen wir nicht als unser Collier an und werden es auch nicht als solches annehmen. Wir ersuchen Euch höflichst, uns das richtige und echte Halsband zu übergeben!“

Erlenburg und Schack standen wie vom Donner gerührt. Was faselte der Mensch da? Der Schmuck, den sie soeben aus dem Gartenhaus geholt hatten, sollte eine Fälschung sein? Das konnte nicht stimmen, Bassenge musste sich irren oder … Doch an eine Alternative mochte Carl nicht denken. Jedenfalls war das eine ungeheuere Anschuldigung, auf die er reagieren musste.

Der Junker wandte sich an Leutnant von Neipperg. „Herr von Neipperg, nehmt bitte die Herren zu ihrem Schutz in Haft, bis wir die Angelegenheit geklärt haben.“

„Setzt uns nur fest, wenn es dem Auffinden des Schmuckes dienlich ist“, sagte Bassenge in ironischem Tonfall. „Doch will ich nicht hoffen, dass wir derart unserer Juwelen, des zu zahlenden Preises und dazu der Freiheit verlustig gehen sollen. Ich denke, König Ludwig wird über solche Tatsachen und vor allem über die Verhaftung seiner Hofjuweliere nicht sehr erfreut sein.“

„Darüber können wir später sprechen“, meinte Carl trocken. „Zum Glück ist Ludwig weit weg, und die Königin ist, wie ich gehört habe, Euch weniger wohlgesonnen.“

Der beiden Herren wurden in die Kutsche verfrachtet und unter Begleitung nach Stuttgart abtransportiert.

„Was geschieht nun?“, fragte von Erlenburg, als die Kutsche im Staub der Straße verschwunden war.

„Der Herzog sollte unverzüglich informiert werden, und ich muss gleichzeitig herausfinden, was geschehen ist. Zunächst lasse ich das Collier von dritter Seite überprüfen, um festzustellen, ob Bassenges Behauptung den Tatsachen entspricht.“

„Gut, tut das, Carl“, erwiderte Erlenburg. „Ich selbst habe Zweifel an den Aussagen des Herrn Bassenge. Selbst wenn das Collier eine Fälschung sein sollte, muss das nicht heißen, dass jemand Anderes den Austausch vorgenommen hat. Denkt an den Freitagabend, als sich Bassenge und Böhmer gegenüber Herzog Karl Eugen rühmten, sich gegen jedweden Versuch, ihnen den Schmuck widerrechtlich oder zu einem anderen als den von ihnen gewünschten Preis zu nehmen, abgesichert zu haben.“

„Das stimmt“, erklärte der Junker. „Ich erinnere mich ebenfalls an die diesbezügliche Bemerkung: ‚Im Übrigen haben wir vorgesorgt und Kopien angefertigt.‘ Und dann sagte Bassenge, nur ein wahrer Juwelenkenner könne den echten vom falschen Schmuck unterscheiden.“

„Ihr erinnert Euch richtig“, bestätigte der Kammerherr. „Am Schluss behauptete der Mann noch, sie hätten den echten Schmuck an einem speziellen Ort versteckt und nur die Kopie dabei.“

„Nichtsdestoweniger könnte es auch sein, dass der Schmuck wirklich durch einen Dritten ausgetauscht wurde. Hier in Hohenheim oder auch anderswo, bei seiner Prüfung gestern in nächtlicher Stunde mag Bassenge sich getäuscht haben“, überlegte Carl.

„Zumal Böhmer den Schmuck prüfte und nicht Bassenge“, warf Montmartin ein, der bisher geschwiegen hatte.

„Ihr habt recht“, sagte Carl. „Aus dieser Tatsache ergibt sich natürlich noch eine ganz andere Möglichkeit! Vielleicht hat Böhmer uns getäuscht oder zu täuschen versucht.“

„Das mag sein oder auch nicht“, meinte Erlenburg skeptisch. „Doch sagt, wer soll das Collier auf seine Echtheit prüfen? Habt Ihr einen zuverlässigen Mann zur Hand?“

„Ich werde August Heinrich Kuhn hinzuziehen. Kuhn wird das Halsband auf seine Echtheit hin überprüfen. Der Mann ist ein geschickter Goldschmied und Juwelier und versteht wirklich sein Handwerk. Der wird klären können, ob Bassenge mit seiner Behauptung recht hat oder nicht. Zudem ist Kuhn verschwiegen, was zum jetzigen Zeitpunkt des Falles absolut notwendig ist.“

„Des Falles?“, fragte Ferdinand von Montmartin.

„Genau“, bestätigte Carl. „Der Fall des Halsbandes der Reichsgräfin von Hohenheim!“

Carl beauftragte einen Soldaten damit, den Juwelier August Heinrich Kuhn aus Stuttgart nach Hohenheim bringen zu lassen. Herzog Karl Eugen und die Reichsgräfin hatten das Schloss am Morgen mit unbekanntem Ziel verlassen. Somit war es möglich, in aller Ruhe das Halsband auf seine Echtheit zu prüfen und die Behauptung des Franzosen, dass das Collier eine Fälschung sei, zu bestätigen oder zu widerlegen. Ferdinand von Montmartin ritt zur Solitude, um noch einige Korrespondenz zu erledigen.

August von Erlenburg und Carl von Schack nutzten die Zeit bis zur Ankunft des Stuttgarter Juweliers, um durch den neuen Schlosspark zu flanieren, sich die reizvolle Anlage und ihre baulichen Neuerungen anzuschauen und dabei die zu erwartenden Folgen eines Raubes oder Austauschs des kostbaren Schmuckes zu erörtern.

Die Natur hatte in den letzten Tagen einen kräftigen Sprung gemacht. Überall duftete es nach Frühling, es blühte und grünte, und der Park von Hohenheim leuchtete in den exotischsten Farben. In den letzten vier Jahren hatten Herzog Karl Eugen und Franziska Reichsgräfin von Hohenheim die Anlagen des Parks vielfältig umgestalten lassen. Eine fiktive Ortschaft, das „Dörfle“, war auf imaginären römischen Ruinen errichtet worden, alle notwendigen Gebäude und öffentlichen Einrichtungen, samt gotischer Kapelle und mittelalterlichem Kloster, wurden maßstäblich entworfen und nachgebaut. Ein Rathaus fehlte ebenso wenig wie das genannte „römische Wirtshaus“, die Meierei und eine Köhlerhütte. Daneben gab es eine Cestius-Pyramide, Säulen vom Tempel des Jupiter, Hüttchen und Heuwagen, oft aufs Feinste dekoriert und als elegante Boudoirs ausgestattet. Auch an den Wasseranlagen war in der letzten Zeit viel getan worden. Aus Bruchsal war extra der Ökonomierat Schwartz gekommen, um den Herzog und die Reichsgräfin entsprechend zu beraten und zu unterstützen.

„Natürlich ist es denkbar, dass uns die Herren Böhmer und Bassenge zu täuschen versuchen“, sagte soeben der Kammerherr, „und darauf hoffen, dass der Herzog zur Vermeidung eines Skandals zur Zahlung einer großen Entschädigung bereit wäre.“

„Nun, dann haben unsere Franzosen die Rechnung ohne den Wirt gemacht“, erwiderte der Junker. „Nie im Leben wird unser gnädigster Landesherr auch nur einen Kreuzer freiwillig zahlen. Sicher könnte ein Täuschungsversuch vorliegen, aber irgendwie glaube ich einfach nicht daran.“

„Was aber wäre, wenn Böhmer und Bassenge mit ihrer Aussage recht hätten und ein Dritter das Collier entwendet hat?“, fragte Erlenburg.

„Das müsste von langer Hand vorbereitet gewesen sein“, erklärte Carl. „Jemand hätte von außen kommen und den Austausch vollziehen müssen. Das könnte hier in Hohenheim oder bereits vorher geschehen sein und bei der Überprüfung des Schmuckes gestern Abend wäre dann entgangen, dass der Schmuck falsch war. Doch“, unterbrach Carl seine Darstellung, „sollten wir unsere Überlegungen und Spekulationen hinten anstellen, bis wir sicher sind, was sich ereignet hat und ob wirklich eine Fälschung vorliegt.“

Sie hatten das untere Ende des Parks erreicht und spazierten in einem Bogen langsam zurück.

Der Juwelier August Heinrich Kuhn war inzwischen eingetroffen. Er wurde zum Gartenhaus geführt, wo Carl das „Halsband“ hatte verschließen und bewachen lassen. Dort wurde die Schatulle mit dem angeblich gefälschten oder vielleicht doch echten Collier hervorgeholt, damit es bei Tageslicht im Schein der Sonne untersucht werden konnte. Um die Überprüfung zu erleichtern, brachte man einen Tisch aus dem Haus und bedeckte ihn mit einem weißen Leinentuch. Der Juwelier Kuhn breitete das Halsband auf dem Tisch aus, zog aus einem Stofftäschchen eine feine Lupe hervor und begann seine Arbeit. Er nahm Teile des Schmuckes vorsichtig hoch. Im Sonnenlicht glitzerten und funkelten die Steine, sodass weder Carl noch der Kammerherr hätten sagen können, ob es sich um Juwelen oder wertloses Glas handelte. Kuhn betrachtete Stein für Stein und prüfte Zentimeter für Zentimeter des Geschmeides. Dann legte er das Halsband langsam zurück.

„Und?“, fragte Kammerherr von Erlenburg ungeduldig, der es vor Spannung kaum aushielt. „Ist das Collier echt?“

Kuhn schaute auf, blickte einen Augenblick sinnend in die Ferne und schüttelte dann wie zweifelnd den Kopf. „Es ist seltsam“, sagte er, „der Schmuck ist echt und er ist nicht echt.“

„Was meint Ihr mit dieser Aussage?“, fragte Carl. „Entweder ist das Collier echt oder es ist falsch, wie kann es beides sein?“

„Nun“, erwiderte Kuhn, „die Sache ist einfach. Ein Teil der Steine ist lediglich aus gut geschliffenem Glasimitat. Der andere Teil dagegen besteht aus lupenreinen Diamanten!“

Carl von Schack warf August von Erlenburg einen überraschten Blick zu. Die Angelegenheit wurde immer merkwürdiger.

„Von den über sechshundert Steinen“, erklärte Juwelier Kuhn, „sind, soweit ich das sehe, die großen Juwelen in der Mitte des Schmuckes entfernt worden, also die sechs im Zentrum und sämtliche im Bereich der sogenannten Zöpfe. Die äußere Umfassung dagegen ist zum Großteil echt.“

„Warum macht man so etwas?“, fragte Erlenburg. „Diesen Austausch müsste doch jeder Kenner sofort entdecken.“

„Das ist richtig, Herr Kammerherr, doch warum die Steine wohl auf diese Art vertauscht worden sind, entzieht sich naturgemäß meiner Kenntnis.“

„Was schätzt Ihr, ist das Collier in diesem Zustand noch wert?“, wandte sich Carl an Kuhn.

„Es ist nach wie vor eine schöne Arbeit und mehr als die Hälfte der Diamanten sind echt. Sie müssten herausgenommen und zu einem neuen Collier verarbeitet werden. Dann könnte ein geschickter Händler mit ihnen vierzig- oder fünfzigtausend Gulden erzielen, vielleicht auch mehr.“

Carl ließ die Aussagen August Heinrich Kuhns von einem Sekretär protokollieren, bedankte sich bei ihm und entließ dann den Juwelier.

Carl von Schack, August von Erlenburg sowie Ferdinand von Montmartin und Leutnant von Neipperg saßen in Erlenburgs Wohnung und besprachen bei einem kleinen Essen das Erlebte. Der Herzog und die Reichsgräfin wurden erst in drei Tagen von ihrem gemeinsamen Frühlingsausflug zurückerwartet. Bis dahin war es notwendig, das weitere Vorgehen geklärt zu haben und vor allem erste Ergebnisse zum Fall präsentieren zu können.

„Es scheint sich in der Tat um einen veritablen Fall zu handeln“, eröffnete der Junker die Gesprächsrunde. „Lasst uns überlegen, was zu seiner Aufklärung zu tun ist und wie wir die Angelegenheit systematisch angehen können.“

„Am besten“, meinte Ferdinand von Montmartin, „listen wir auf, was alles über die Ankunft der beiden Juweliere und des Halsbandes an Fakten vorliegt.“

„Dieses Vorgehen würde uns helfen, den möglichen Zeitpunkt des Austausches einzugrenzen“, stimmte der Junker zu.

„Wenn die Juwelen überhaupt bei uns im Herzogtum ausgetauscht worden sind“, warf Erlenburg ein, „woran ich meine Zweifel habe.“

„Das klären wir später“, entgegnete Carl, „lasst uns jetzt Ferdinands Vorschlag folgen und alles aufschreiben, was uns bekannt ist. Also: Am Mittwoch, dem 29. März erreichen die Herren Böhmer und Bassenge zusammen mit drei Dienern Ludwigsburg, wo die Herren am Marktplatz unweit der Manufaktur Quartier nehmen. Neipperg und ich reiten mit einigen Soldaten dorthin, um die Franzosen abzuholen und sicher in die Residenz zu geleiten. Die Herren weigern sich, uns zu folgen, sind aber bereit, in den Gästeflügel des Ludwigsburger Schlosses umzuziehen. Leutnant von Neipperg bleibt als wachhabender Offizier zurück.“

Der Junker wandte sich an Neipperg. „Gab es irgendetwas Besonderes, Joseph?“

Der Leutnant schüttelte den Kopf. „Das Schloss war die Nacht über an den Eingängen wie üblich bewacht. Ich selbst habe die Posten um Mitternacht und um sechs Uhr morgens kontrolliert. Vorkommnisse gab es keine.“

„Das heißt“, sagte Montmartin, „die Eingänge waren sicher, aber sonst könnte jemand zwischen Mitternacht und sechs Uhr morgens in das Schloss eingestiegen sein und den Austausch vorgenommen haben.“

„Oder der große Unbekannte befand sich bereits im Gebäude und agierte von innen heraus“, schlug Erlenburg vor.

„Oder es ist überhaupt nichts passiert, und das alles sind reine Mutmaßungen“, schaltete sich Carl ein. „Lasst uns erst einmal die Liste vervollständigen, bevor wir uns in wilden Spekulationen verlieren.“

Ein Diener räumte die Teller ab und brachte auf Erlenburgs Befehl hin eine Karaffe mit Wein. Er stellte vor jedem einen Becher und schenkte den Herren nacheinander ein.

„Böhmer und Bassenge blieben bis zum Freitagmorgen in Ludwigsburg“, erklärte Leutnant von Neipperg und trank einen Schluck. „Dann wurden sie von mir und einem Reitertrupp nach Stuttgart geleitet und in der Kanzlei einquartiert.“

„Die Präsentation am 31. fand nicht statt, anstelle dessen führte der Herzog ein Gespräch mit den Juwelieren“, fuhr Erlenburg fort. „In der Unterredung kam es zu den Aussagen Bassenges, es beständen Kopien beziehungsweise das Original sei verborgen, was den Herzog erzürnte. Dann kehrten die Herren in die Kanzlei zurück und blieben dort bis zum Sonntagabend.“

„Halt“, unterbrach ihn Carl. „Haben die beiden am Freitagabend das Halsband mit ins Schloss gebracht?“

„Nein“, antwortete Neipperg bestimmt. „Ich wollte die Juweliere gerade abholen, da kam die Nachricht, dass die Präsentation verschoben sei, der Herzog aber dennoch Böhmer und Bassenge zu sich befehle. Ich ließ die Herren zu ihm geleiten, ein Kästchen hätte mir auffallen müssen, doch ein solches war nicht dabei.“

„Dadurch besteht die Möglichkeit, dass der Austausch in der Kanzlei erfolgte“, überlegte Carl. „Aber weiter. Am Abend des 2. Aprils kam es schließlich zur Übergabe des Schmucks. Dieser verblieb in seiner Schatulle im Gartenhaus bis zum späten Vormittag des folgenden Tages. Dann erst wurde die Fälschung entdeckt.“

„Die zum Teil keine Fälschung ist. Aus meiner Sicht spricht vieles dafür, dass das saubere Duo Böhmer und Bassenge selbst die Geschichte geplant und durchgeführt hat“, sagte August von Erlenburg. „Der Herzog wird sicher zum gleichen Ergebnis kommen.“

„Wenn dem aber nicht so ist“, erwiderte der Junker ruhig, „dann könnte etwas ganz Anderes dahinterstecken.“

„An was denkt Ihr, Carl?“, fragte Ferdinand von Montmartin.

„Ich denke an eine Intrige“, antwortete Carl, „darauf angelegt, das Ansehen des Herzogs und natürlich auch der Reichsgräfin von Hohenheim zu beschädigen.“

„Da könnte etwas daran sein“, überlegte August von Erlenburg, „die deutschen Höfe haben sich bislang der herzoglichen Dame gegenüber ablehnend verhalten. Vor allem die Herzogin von Braunschweig schätzt unsere Reichsgräfin sehr gering.“

„Aber dass die Herzogin deswegen gleich eine Intrige anzetteln würde, scheint mir doch allzu unwahrscheinlich“, warf Ferdinand von Montmartin ein.

„Im Hinblick auf Juwelenfälschung und Unterschlagungen ist in Braunschweig gerade ein Fall anhängig“, sagte Carl nachdenklich.

„Was für ein Fall?“, fragte August von Erlenburg. „Erzählt, Carl!“

„Es handelt sich um den Fall des Simson Alexander David, ein Sohn des braunschweigschen Hof- und Kammeragenten Alexander David“, begann Carl von Schach. „Vor zwei Jahren richtete David ein Geschäft als Kunst- und Galanteriewarenhändler ein. Daneben fungierte er als offizieller Einnehmer des hessischen Lottos für das Braunschweiger Gebiet. Dieses Geschäft wurde von David offenbar nicht ordnungsgemäß geführt, und so klagte ihn die hessische Behörde letztes Jahr wegen Untreue und Betrugs an. Es wurde ferner behauptet, David habe, als einer der Lieferanten von Juwelen für die Mätressen des Thronfolgers, diesen mit gefälschten Steinen, die er aus Holland und Frankreich bezog, betrogen. Die Braunschweiger Behörden ermitteln. Ein interessanter Fall, aber wahrscheinlich ohne Bezug zu dem hiesigen Geschehen“, schloss Carl seinen Kurzbericht.

„Jedenfalls eine merkwürdige Angelegenheit“, meinte der Kammerherr nachdenklich.

„Mir ist am Samstagabend auch etwas Merkwürdiges aufgefallen“, sagte Leutnant von Neipperg, der längere Zeit geschwiegen hatte. „Ich kehrte gerade in meine Wohnung in der Altstadt zurück, da sah ich zwei Damen der besseren Gesellschaft in Begleitung eines eigentümlich wirkenden Herrn in eine dunkle Kutsche steigen, die sich augenblicklich in Bewegung setzte und im raschen Tempo an mir vorbei in Richtung Holzmarkt und Esslinger Vorstadt fuhr.“

„Was meint Ihr mit ‚eigentümlich wirkend‘, Joseph?“, fragte Carl, dem seine eigenen Kutschenbegegnungen deutlich vor Augen traten.

„Lasst mich weitererzählen, dann werdet Ihr verstehen, was ich gemeint habe“, antwortete der Leutnant. „Der Mann, ich denke, er muss wohl um die vierzig sein, trug einen langen, schwarzen Mantel und eine Maske!“

„Eine Maske?“, fragte August von Erlenburg überrascht. „Der Mann war maskiert?“

„Wie ich eben sagte“, fuhr von Neipperg fort. „Das Gesicht des Herrn war durch eine schwarze Maske verborgen. Die Damen dagegen trugen Schleier, die ebenfalls ihre Gesichter verdeckten. Doch beim Einsteigen verrutschte einer der Damen der Schleier und“, der Leutnant stockte einen Moment und strich sich mit der Hand über die Stirn. Er schien unruhig zu sein, stellte Carl verwundert fest.

„Ich glaubte, die Frau zu erkennen, aber ich muss mich geirrt haben.“ Gedankenverloren nippte Neipperg an seinem Becher.

„Nun sagt schon, Joseph“, drängte Ferdinand von Montmartin. „Wen glaubt Ihr, erkannt zu haben?“

„Ich glaubte, in ihr ‚Arlecchina‘ erkannt zu haben, jene Frau, die ich auf der venezianischen Redoute in Ludwigsburg vor jetzt sechs Jahren kennenlernte. Ihr wisst, Carl, dass ich die Dame und ihre Freundin, eine Colombina, vor den Zudringlichkeiten zweier anderer Masken, einem Pantalone und einem Brighella, schützte, weswegen diese mich zum Duell forderten.“

„Ihr meint, die eine Dame sei jene Arlecchina gewesen?“, fragte Carl. „Ihr erinnert Euch, dass Ihr vor vier Jahren glaubtet, sie ähnle jener Toten vom Monrespos-See?“

„Ihr sprecht von der geheimnisvollen Botin des Conte Caracanti, von Baronesse Melissa?“, forschte August von Erlenburg.

Der Junker nickte und wandte sich wieder an Neipperg. Der Leutnant überlegte kurz und bestätigte Carls Annahme.

„Ihr habt recht, Carl, die Frauen sahen sich ähnlich.“

„Könnte es nicht sein, dass Eure alte Bekannte, die Baronesse Sylvia von Korff erneut im Spiel ist?“, fragte Erlenburg. „Soviel ich weiß, ähnelte sie ebenfalls der Toten und Eurer Arlecchina.“

„War Arlecchina blond?“, wandte sich Carl an Neipperg.

„Nein, Arlecchina hatte dunkles, geradezu nachtschwarzes Haar“, antwortete der Leutnant träumerisch.

„Wie dem auch sei“, meinte August von Erlenburg. „Haare kann man färben, Damen haben in dieser Hinsicht spezielle Kenntnisse und Fähigkeiten. Sicher auch die Baronesse von Korff.“

„Die Baronesse von Korff“, wiederholte Carl nachdenklich. „Nein, werter Freund, da geht mit Euch die Fantasie durch. Wir sollten bei den Fakten bleiben. Was könnt Ihr noch über den Mann und die Kutsche sagen, Joseph?“, fragte er den Leutnant.

„Der Mann wirkte recht groß, er schien glatt rasiert, und von der Art seines Auftretens war er sicher ein Herr von Stand.“

„Dann müsste es ein Leichtes sein, festzustellen, wo er und die Damen in Quartier gewesen sind“, rief Ferdinand von Montmartin. „Die Polizeiordnung verpflichtet unsere braven Wirte, die Ankunft und Abreise von Reisenden zu melden.“

„Falls die Fremden in einem Gasthof abgestiegen sind“, warf Erlenburg ein. „Ich halte es für wahrscheinlicher, dass der Herr und die Damen auf einem privaten Besuch waren.“

„Auch das lässt sich klären“, meinte Carl. „Von unsren mehr als siebzehntausend Einwohnern kommt nur ein sehr kleiner Teil als Gastgeber infrage. Aber vorerst gibt es außer der Maske nichts, was auf einen Zusammenhang mit dem Juwelentausch hinweisen könnte. Was war mit der Kutsche?“

„Die Kutsche war eine zweispännige Kalesche“, antwortete Leutnant von Neipperg. „Sie hatte eine dunkelbraune Farbe, die Pferde, ich glaube, sie waren ebenfalls braun oder vielleicht auch schwarz. An den Kutscher kann ich mich nicht erinnern.“

„Gab es ein Wappen?“, fragte der Junker nach.

„Jetzt, wo Ihr fragt, erinnere ich mich“, sagte Neipperg. „Es gab ein Wappen oder vielmehr eine Art Emblem. Ein Dreieck, in dessen Mitte sich drei Zirkel befanden!“

„Ein adliges Wappen mit dieser Aufmachung kenne ich nicht“, meinte Erlenburg kopfschüttelnd. „Nur Handwerker und Baumeister benutzen Zirkel.“

„Das ist alles Spekulation“, meinte Carl und erzählte kurz von seinen eigenen Begegnungen mit der ominösen schwarzen Kutsche.

„Wir brauchen Fakten. Ferdinand und ich werden erst einmal die Herren Böhmer und Bassenge eingehend befragen. Joseph kann währenddessen klären, woher seine geheimnisvollen Fremden kamen.“

„Ich werde mich wegen des Wappens an Reinhard Ferdinand Heinrich Fischer wenden“, erklärte August von Erlenburg. „Fischer ist, wie Ihr wisst, von Hause aus Bildhauer und von Philippe de La Guêpière zum Architekten ausgebildet worden. Seit fünf Jahren lehrt er als Professor für Civilbaukunst an der Militärakademie der Hohen Karlsschule. Wenn einer weiß, was die Zirkel bedeuten, dann Professor Fischer.“

Carl von Schack, Ferdinand von Montmartin und Leutnant von Neipperg verabschiedeten sich von ihrem Gastgeber und brachen auf, um ihren jeweiligen Untersuchungen und Befragungen nachzugehen.

Das geraubte Halsband der Franziska von Hohenheim

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