Читать книгу Geld - du bittersüße Pleite! - Heike Kunzendorf - Страница 6

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Geld - du bittersüße Pleite

Kapitel 1: die Ankunft

Die Nacht ist schwarz. Schwärzer als je zuvor. Da wo einst das Licht die Welt erhellen sollte, wirft der Mond einen Schatten über sich.

Irgendwo in Amerika schläft selig ein Afrikaner mittleren Alters. Sein Körper weich gebettet auf einem schneeweißen Bettlaken ohne Matratze. Der Boden darunter ist hart, aber noch ist er ahnungslos, noch ist es ihm egal. Es ist ruhig- keine Menschenseele zu hören, kein Vogel der singt, keine Flugzeug- oder Autogeräusche die diese himmlische Ruhe stören könnten.

Dann passiert es der Traum ist vorbei.

Kurz bevor die Sonne aufgehen sollte wird er wach.

Nur langsam kommt er allmählich zu Bewusstsein. Er öffnet vorsichtig seine Augen, so als ahnte er was ihm passierte. Sein noch getrübter Blick wandert durch den Raum. Aber dieser Raum hatte nichts mit dem Gemeinsam in welchem er in gewohnter Weise aufwacht. Noch bevor er wirklich registriert wo er ist und vor allem nicht ist, beginnt sein Herz wie ein Presslufthammer zu schlagen.

Sofort reißt er seine Augen auf und will aufspringen, im gleichen Augenblick aber bemerkt er panisch, dass seine Hände und Füße hinter dem Rücken gefesselt wurden.

Hysterisch ruft er nach Hilfe. Nach einer kurzen Weile verzweifelter Angstschreie hört er viele aggressive Stimmen die ihn ermahnen umgehend leise zu sein, aber auch solche die verzweifelt klingen und ebenfalls Halt suchen, sowie anschließende unverständlich durcheinander sprechende Menschenlaute die in Aufruhr versetzt wurden. Einerseits erfüllt es ihm mit Angst aber auf der anderen Seite verleiht es ihm Kraft und Hoffnung- er ist nicht alleine!

Wie viel er auch brüllt um Antworten auf einige seiner im Kopf umherschwirrenden Fragen zu erfahren, die wirren Worte der Meute kommen unverschlüsselt bei ihm an.

Nach einer ganzen Weile, als seine Kehle schmerzt vor lauter Geschrei und seine Hilferufe offenbar sinnlos scheinen, wird er langsam ruhiger bis er schließlich ganz verstummt und mit ihm nach und nach die Geräuschkulisse.

Angestrengt beginnt er intensiver die Umgebung zu erkunden; der Boden, die Wände und die Decke sind nicht aus Lehm und Stroh, sondern aus Beton.

Es gibt keine Fenster nur ein Lüftungsschacht, die Größe des Raumes die ca.6 m2 umfasst, empfindet er nicht als beengend und auch so vermisst er eigentlich nichts.

Immer wieder fällt sein Blick auf ein kleines orange gelblich schimmerndes

Notlicht an seiner Wandseite in welches er für eine Weile tranceartig verschmilzt, es hat etwas beruhigendes, wärmendes.

Leider offenbart dieses Licht auch ein gewisses Detail, was besser im verborgenen Dunkeln geblieben wäre, denn als er sich genauer betrachtet bemerkt er auf seinem Kaki- und okkafarbenem Gewand verdächtige rote Flecken und Spritzer; auch seine Hände, soweit er sie sehen kann, sind durch und durch rotverschmiert.

Was war passiert? War es von ihm? Er weiß nicht wie ihm geschieht heiße und kalte Wellen wechseln sich im Sekundentakt ab.

Im gleichen Augenblick spürt er wie ein Anflug aus Panik seinen gesamten Körper von Kopf bis Fuß durchbohrt.

Sein Atem und Herzschlag beschleunigt sich rasant.

Er ist nicht mehr in der Lage auch nur einen klaren Gedanken zu fassen.

Sein einziger Wunsch ist es endlich aus diesem nicht enden wollenden Alptraum zu erwachen und seine liebe Familie wieder in die Arme zu schließen.

Überflutet von Emotionen schießen die Tränen nur so aus seinen verzweifelten Augen und vermischen sich mit einem purpurroten Tropfen auf dem sonst so unbeflecktem reinen weißen Kissen.

Mittlerweile breiten sich die Schmerzen von seiner Kehle aus in Nase und Rachen, das Schlucken wird zunehmend unerträglicher.

Zusätzlich stellt sich eine unangenehme Übelkeit ein die sich rasant steigert bis er sich schließlich mehrmals übergeben muss.

Vor lauter Erschöpfung schläft er schließlich wieder ein.

Die Sonne erhellt inzwischen die Außenwelt, nur erreichen ihre kraftvollen Strahlen nicht den Raum des Afrikaners und auch ebenso wenig die der anderen dort lebenden Mitmenschen.

Unsanft wird er von einer dunklen, sehr rauen Männerstimme, begleitend von einer an seiner Schulter schüttelnden eiskalten Hand geweckt:

„Aufstehen! Sind sie Ikem Akintola?”

„Für einen Traum fühlt sich das alles viel zu real an”, dachte er sich. Er reißt seine dunkelbraunen Augen auf; vor ihm steht ein großer breitgebauter, glatzköpfiger Amerikaner, komplett in Schwarz gekleidet.

Seine hellen Augenbrauen sind ernst zusammengezogen, die auffällig schmalen Lippen zusammengepresst, dabei zeigen seine Mundwinkel tief nach unten.

Abgerundet wird sein abschreckendes Erscheinungsbild durch einen breiten Ledergürtel an welchem sich ein großer Schlüsselbund, Handschellen sowie ein Schlagstock und zwei Pistolen befinden.

Auf seinem Namensschild steht “Rooney Patterson”, sein Blick scheint leer aber sehr ernst, bestimmt und angsteinflößend, seine Hände hat er fest in die Hüften gepresst.

Als er registriert, dass das was hier passiert echt ist zuckt er augenblicklich zusammen und ist hellwach, so als hätte man ihm gerade einen Eimer eiskaltes Wasser über seinen Kopf geschüttet.

„Ja, der bin ich, woher wissen sie meinen Namen? Was geht hier vor sich?”

Der Mann scheint nicht auf Ikem zu reagieren er schaut ihn bloß mit heruntergezogener Miene an, als er bemerkt, dass er im Erbrochenen steht schaut er angewidert darauf.

Unmittelbar danach läuft er zu einem kleinen unscheinbaren Wasserhahn in einer Ecke.

Ikem ist fasziniert von dem klaren Wasser was austritt und in ein Loch hinunterfließt

„Es tut mir sehr leid, konnte es nicht mehr zurückhalten”, erklärte sich Ikem vorsichtig.

„Wo bin ich hier, Warum halten sie mich hier fest? Was ist passiert?”

Noch bevor Ikem weiterreden kann wird er von Rooney

unterbrochen.

Dieser entgegnet mit scharfem Ton:„ Ich bin nicht befugt ihnen Auskünfte zu erteilen.”

So sehr Ikem auch versucht ihm doch noch brauchbares aus seinem Munde zu entlocken, Rooney hüllt sich in Schweigen.

Er beugt sich über Ikem und entfesselt ihn, bringt ihm jedoch fast gleichzeitig Handschellen an.

Ikem versucht sich dabei konzentriert die Schmerzen zu verbeißen. Seine Hand- und Fußgelenke sind mit roten Riemen durchzogen, an manchen Stellen blutig. Er muss eine ganze Weile gefesselt gewesen sein.

Rooney geht zur Gittertür vor, die Ikem aus seiner vorigen zusammengekauerten Position nicht so recht wahrnehmen konnte und fordert ihn mit dominanter Stimme auf ihm zu folgen.

Mit wackeligen Knien und langsamen Schrittes geht Ikem der Anweisung nach.

Rooney schließt die Tür auf und packt Ikem unmittelbar danach am Arm.

Sie passieren einen sehr langen, schmalen Gang, der durch flackernde Lichter an der Decke beleuchtet wird.

Um sie herum ist es leise- nur ein Gehuste, Geflüster und Gesäusel ist zu vernehmen.

Der Duft von Moder liegt in der Luft gepaart mit Angstschweiß und Schuld.

Beidseitig von ihnen befinden sich aneinander gereihte schwere, große schwarze Gittertüren, die von einer dicken massiven Betonschicht getrennt sind.

Es erinnert an ein Gefängnis oder Tierheim.

Neugierig schaut Ikem auf die sich dahinter befindenden Menschen, wobei jeder von Ihnen seine eigene “Zelle” besitzt.

Er blickt in helle sowie dunkele Gesichter, junge und alte, weibliche sowie männliche.

Es scheint zunächst eine größere Vielfalt zu geben, wobei relativ schnell erkennbar wird, dass hauptsächlich Menschen seiner Hautfarbe vertreten sind.

Zunächst widerstrebt er sich genauer hinzuschauen und versucht sich auf Rooney zu fixieren:

Dieser schreitet zielstrebig voran mit seinen schwarzen frisch polierten Lackschuhen, während er den leicht gebückt Barfuß gehenden Ikem beinahe am Arm hinter sich her schleift. „Wo sind eigentlich meine Schuhe?”, überlegt er.

Rooneys Gesichtsausdruck bleibt unverändert starr, wie in Stein gemeißelt.

Der Boden unter Ikem fühlt sich kalt, hart und befremdlich an. Plötzlich hört er links von ihm eine kindliche Stimme: „Mama komm zu mir, bitte”

wimmern.

Als er hinschaut sieht er ein kleines blondes Mädchen mit rosafarbenem, zerknitterten, schmutzigen Kleid - schätzungsweise gerade mal 5 Jahre, am Boden in sitzender Embryonalstellung, dabei umklammert sie fest ihren Teddybären. Ihr Kopf liegt auf ihren Knien, dann schaut sie hoch direkt in Ikems Gesicht. An ihrem Blick ist die gerade schwindende Hoffnung unverkennbar. Ihre Augen sind geschwollen und rot vor lauter weinen, frische Tränen kullern über die getrockneten auf ihrer Wange.

Wie versteinert bleibt er stehen, das was er sieht kann er einfach nicht glauben.

Sofort läuft ihm ein eiskalter Schauer über den Rücken so wie er noch keinen zuvor erlebte; fassungslos starrt er die Kleine an er ist zutiefst schockiert.

Reflexartig schießt ihm Wasser in seine Augen. Das kann unmöglich ein Gefängnis sein! Wo zum Teufel ist er hier?

Am liebsten würde er Rooney anschreien, dass er sie gehen lassen soll, doch er hat zu viel Angst vor dem was dann passieren würde. Dann könnte er auch nichts mehr für sie tun und vielleicht würde sie dann auch mit bestraft werden von denen. Also entscheidet er sich dafür nichts zu tun, erst mal.

Er wirft einen kurzen Blick zu Rooney dieser wirkt apathisch, fast emotionslos, so als hätten Beide gerade einen unterschiedlichen Film gesehen.

Im selben Augenblick spürt Ikem wie er weitergezerrt wird.

Von weitem wird eine graue Tür sichtbar auf die sie sich langsam zu bewegen.

Eine alte schreiende Frau die scheinbar denkt in ihrer Zelle würde es brennen, obwohl dies offensichtlich nicht stimmt, erlangt Ikems volle Aufmerksamkeit.

Nebenan spricht ein Mann mittleren Alters mit einem imaginären Vogel.

Nach einigen Metern erreichen sie ein beleuchtetes Schild, was knapp unter der Decke angebracht ist auf diesem steht “Neuankömmlinge” mit einem Pfeil in die Richtung, aus welcher sie gerade kommen. Ikem runzelt argwöhnisch die Stirn.

Nun sind bloß noch verschlossene weiße Türen an den Seiten zu sehen.

Geräusche sind kaum wahrnehmbar.

Einerseits ist Ikem erleichtert nicht noch mehr verstörende Bilder ertragen zu müssen, andererseits auch ziemlich besorgt was sich dahinter befinden könnte.

Die Tür auf die sie sich zu bewegen wird von Schritt zu Schritt größer, wobei der Gang dennoch unendlich lang erscheint.

Aber Ikem ist lange Strecken aus seiner Heimat gewohnt. Sein Kopf ist gefüllt mit absoluter Leere. Er denkt nichts, er will nichts mehr denken müssen. Diese Situation macht ihn krank, er betet dass ihn Irgendjemand da raus holt. Ihn und alle Anderen die dort womöglich unschuldig gefangen gehalten werden.

Auf einmal hören sie ein lautes grausiges Geschrei, was sogar den abgebrühten Rooney aufhorchen lässt.

Emsig prescht er auf eine der zahlreichen Türen zu, dabei wird Ikem stets mitgezogen.

Rooney schließt die verdächtige Tür auf; unmittelbar danach befinden sie sich in einem ca. 9 m2 großen Zimmer mit Matratze und zusammengeknüllter dünner Bettdecke. Hinter einem heruntergekommen aussehenden Duschvorhang ertönt ein schmerzerfülltes lautes Stöhnen.

Als er den Vorhang eilig zur Seite zieht liegt eine alte dunkelhäutige Frau hilflos auf dem Boden. Um ihren Kopf bildet sich eine Blutlache. Das Wasser aus der Duschbrause vermischt sich mit dem Blut und fließt schließlich in den Abfluss.

Ikem versucht sich reflexartig von Rooney loszureißen um ihr aufzuhelfen, bemerkt jedoch schnell, dass er noch Handschellen trägt. Rooney kontaktiert mit seinem Funkgerät die Sanitäter, die sofort zur Hilfe eilen und sie mit einer Krankenbahre abtransportieren.

Ikem schaut ihr mitfühlend hinterher.

Um nicht noch mehr Zeit zu verlieren gehen sie weiter und erreichen nun endlich die besagte Tür. Neben ihr befindet sich abermals ein leuchtendes Schild identisch positioniert mit der Aufschrift: „Nummer 0-5”, wieder in entgegengesetzter Pfeilrichtung.

Rooney zückt einen seiner vielen Schlüssel und schließt auch diese Tür auf.

Erwartungsvoll schaut Ikem was sich dahinter befindet: Es sieht aus wie ein großer Vorraum mit einigen weißen Stühlen umzingelt von einigen grauen Türen.

Rooney stoppt an der 2. Tür und klopft.

„Ja, bitte” ertönt es durch die Tür. Rooney öffnet einen Spalt und steckt seinen Kopf durch.

„Ikem Akintola ist der nächste wurde mir berichtet” entgegnet er hörig.

„Dann bring ihn herein”, antwortet die Stimme.

Rooney folgt der Anweisung und bringt Ikem rein, nimmt ihm die Handschellen ab und stellt sich direkt neben die Tür des Raumes.

Der Raum ist sehr hell beleuchtet. Ein älterer Mann im weißen Kittel, schätzungsweise 65 Jahre, mit grauem Bart, Brille und Halbglatze sitzt an seinem Schreibtisch. Ikem wartet auf eine Anweisung.

„Ich bin Dr. Matthew Walker, setzen sie sich bitte”, fordert er auf und verweist mit einer Handbewegung auf den Stuhl gegenüber.

Ikem setzt sich zögerlich und schaut den Arzt fragend an. Dieser fügt schließlich hinzu: „Sie sind mein Patient und ich werde sie gleich untersuchen um ihren Gesundheitszustand zu überprüfen.

Zuvor möchte ich sie bitten mir diesen Fragebogen auszufüllen”, mit einer kleinen Handbewegung möchte er Ikem ein blaues Klemmbrett mit einem Kugelschreiber anreichen, als er irritiert auf dessen rote Hände schaut und sich räuspert:,, möchten sie sich nicht erst einmal ihre Hände waschen, Mr. Akintola?” und deutet auf ein Waschbecken an der Wand.

Ohne zu zögern kommt Ikem der Empfehlung nach und wäscht sich gründlich Hände und Gesicht mit glasklarem fließenden Wasser und Seife, was für ein Segen! Dann trocknet er sich überwältigt ab setzt sich wieder hin, nimmt den Fragebogen entgegen aber schaut skeptisch darauf.

„Sie können doch lesen und schreiben?” Erkundigt er sich.

„Ja Sir, mein Vater hat es mir gelehrt er ist ein weiser Mann” antwortet Ikem stolz, denn es ist ein Privileg in seiner Heimat nicht üblich- 750 Millionen Erwachsene sind Analphabeten, durch zu wenig Schulen und Budget für Schulausstattung, Lehrermangel und Armut.

„Sehr gut” freut sich Dr. Walker und tippt während dessen etwas in seinen Computer.

Ikem nimmt den Kugelschreiber in die Hand und beginnt den Fragebogen auszufüllen.

Zunächst soll er seine persönlichen Daten wie Name, Geschlecht, Geburtsort und Adresse angeben. Anschließend wird nach Allergien, Blutgruppe, Operationen, Krankheiten und Medikamenten gefragt.

Es ist so leise, dass man eine Stecknadel hörte fiele sie auf den Boden.

Ikem ist sich unsicher er weiß nicht auf alles eine Antwort, dies bemerkt der Arzt und beruhigt „Das was sie nicht wissen lassen sie einfach offen und wir stellen es gemeinsam fest.”

Ikem willigt ein und wollte ihm gerade den fast vollständig ausgefüllten Bogen zurückgeben.

„Halt, ich bekomme da unten noch eine Unterschrift von ihnen” verweist der Arzt.

Unsicher signiert er das Papier, was bleibt ihm auch anderes übrig?

„So da hätten wir´s, darf ich sie dann bitten sich bis auf die Unterhose zu entkleiden und auf die Untersuchungsliege zu begeben.” Dr. Walker zeigt währenddessen auf eine schwarze Liege mit strahlend weißem Krepp, passend zu den Wänden sowie der Decke.

Misstrauisch begibt sich Ikem zu der Liege und beginnt sich auszuziehen, nun wird sein knochiger Körper sichtbar, er schämt sich, besonders vor Rooney.

Jedoch scheint es diesen nicht zu interessieren, er sieht gelangweilt aus und schaut weg.

Er setzt sich darauf mit einer weißen Unterhose aus Baumwolle die er, so wie alles andere was er zuvor trug, selbst hergestellt hat.

Dr. Walker tippt noch einen Satz zu Ende, dann erhebt er sich vom Stuhl, geht rüber zu Ikem, platziert sich neben ihn und horcht ihn mit einem roten Stetoskop ab, während Ikem tief ein- und ausatmen soll, kritisch behält er jede Handbewegung von dem Arzt im Auge.

Anschließend nimmt er ein Otoskop und schaut in beide Ohren.

Das Rhinoskop kommt danach zu Einsatz, beide Nasenlöcher werden ausgiebig erkundet. Ikem zuckt dabei zusammen, die Instrumente stets im Blick.

„Öffnen sie jetzt bitte weit ihren Mund und strecken dabei ihre Zunge raus,” befiehlt der Arzt, holt den Zungen Spatel hervor um seine Zunge damit herunterzudrücken während er gleichzeitig mit dem Kehlkopf Spiegel schaut.

„Aua”- nun kann Ikem seinen Schmerz nicht mehr zurückhalten.

„Wir machen nun ein Belastungs- EKG” verlangt Dr. Walker und führt Ikem zu einem schwarz-weißen Fahrradergometer, zunächst bringt er ihm Elektroden auf der Haut an, welche mit Kabel an einem EKG- Gerät verbunden sind.

Während er fleißig in die Pedalen tritt, schaut er sich beeindruckt im Zimmer um, alles ist so sauber und rein, die Gerätschaften und Instrumente glänzen tadellos um die Wette, da erinnert er sich an seinen letzten Arztbesuch vor etlichen Jahren: Es war ein weiter Weg dorthin, lange hatte seine Familie für die Bustickets in die Stadt gespart. Er kam in ein großes weißes Zeltlager mit eng aneinander gereihten Eisenbetten und westlichen Medizinprodukten.

Dort wurde seine Malaria erfolgreich und schnell behandelt.

Nach 20 Minuten ist er nass- geschwitzt und wird abgestöpselt.

„Nun zapf ich ihnen noch ein wenig Blut ab.” Fast im selben Moment hält er eine mittelgroße Spritze in der Hand und sticht in seine Vene. Ikem verbeißt den Schmerz.

„Abschließend messen und wiegen wir sie noch,” erklärt der Arzt.

Ikem stellt sich auf die Waage und an ein Stadiometer:„ 62 kg und 175 cm” stellt der Arzt besorgt fest.

„Mr. Patterson, sorgen sie für ausreichend Nahrung meines Patienten, des Weiteren muss er ausreichend trinken er ist leicht dehydriert.”

Besorgt gibt er Ikem sein Wasserglas, dieser trinkt es blitzartig aus.

„Jawohl, Sir” bestätigt Rooney dabei wirkt er ein wenig teilnahmslos.

„Sie können sich nun wieder anziehen, hier haben sie etwas gegen die gereizten Schleimhäute, bitte 3 mal täglich mit ein wenig Flüssigkeit einnehmen.” Der Arzt drückt ihm eine Packung mit Tabletten in die Hand.

Ikem nimmt all seinen Mut zusammen: „ warum bin ich hier?”, dabei schaut er Dr. Walker direkt in die Augen. Der sonst so teilnahmslose Rooney starrt zuerst Ikem überrascht mit großen Augen und leicht geöffnetem Mund an, sogleich wandert sein Blick gespannt auf Dr. Walker. Die Beiden sehen einander verwundert an, würdigen Ikem dabei keines Blickes.

Ziemlich schnell erlangt Dr. Walker wieder seine Fassung:

„ Ich darf ihnen dazu leider keine Auskunft geben, dies unterliegt nicht meinem Aufgabenbereich, meine Kollegin wird ihnen diesbezüglich gleich sicher weiterhelfen, auf Wiedersehen.”

Selbst noch ein wenig ungläubig über seine gerade erbrachte Courage verabschiedet sich Ikem und wird von Rooney wieder hinaus begleitet. der ihm unverzüglich wieder Handschellen anlegt.

Sie gehen direkt auf eine andere Tür zu, abermals klopft Rooney an.

Keine Reaktion. Dann klopft er erneut, diesmal mit noch kräftigeren und weiter ausgeholten Klopfbewegungen, so dass es im gesamten Eingangsbereich schallte.

„Ich bin gerade im Gespräch noch 5 Minuten, bitte”, ertönt eine weibliche Stimme aus dem Zimmer.

„Darf ich mich bitte solange setzen, ich fühle mich schwach,” bittet Ikem höflich.

Rooney schaut ihn ein wenig fragwürdig an, zuckt kurz mit den Schultern und bringt ein unfreundlich klingendes „meinetwegen” heraus.

Ikem nimmt auf einen der leeren Stühle Platz: „solche tollen Stühle gibt es in meinem Heimatort nicht”, überlegt er. Wenn es dort welche gibt sind sie meist schlecht verarbeitet und sehen nicht so chic aus.

Rooney bleibt auffallend dicht neben ihm stehen und lässt ihn nicht aus den Augen.

Die nicht enden wollenden Gedanken kreisen in Ikems Kopf umher: Was wenn er etwas Schlimmes getan hat?

Wie wird seine Mutter dies in ihrem hohen Alter

auffassen? Was seine Geschwister denken? Wie würden sie sich ihm gegenüber Verhalten? Es gelingt ihm nicht dieses Gedanken Karussell anzuhalten.

Überrumpelt von seinen Gefühlen kann Ikem die Tränen nur schwer zurückhalten. „Jetzt nur nicht weinen nicht vor Rooney”, betet er. Nur gelingt es ihm nicht. Rooney allerdings hat es nicht einmal bemerkter scheint gerade in sein Handy vertieft zu sein.

Nach einer gefühlten Ewigkeit öffnet sich die Tür und heraus kommt eine junge attraktive Frau mit langen Blonden Haaren, vollen Lippen und blauen Augen deren Blick getrübt erscheint.

Sie wird von einem anderen Mann, der die gleiche Bekleidung und Utensilien trägt wie Rooney, durch die gegenüberliegende Tür aus dem Ikem und Rooney anfangs kamen hinausbegleitet.

Rooney schaut der perfekt proportionierten Blondine solange nach wie es geht, dabei wandert sein Blick immer zwischen ihrem Po und den ellenlangen Beinen hin und her.

Ihr eng anliegender Rock schwingt bei jedem Schritt auf ihren High- Heels mit, bis schließlich die Tür zufällt.

Im selben Augenblick öffnet sich die Tür, worauf Ikem schon mit kontroversen Empfindungen gewartet hat und im Türrahmen steht eine Frau mittleren Alters, mit dunkel Braunen Haaren, locker zu einem Dutt gesteckt.

Aus ihrem knallrot geschminkten Mund erklingt eine wohlwollende freundliche Stimme, die ihn zu sich hinein bittet.

Als Rooney Anstalten macht ihn zu begleiten, sagt die Frau schließlich höflich aber bestimmt:

„Mr. Patterson, das wird nicht nötig sein, ich verfüge über eine ausgezeichnete Menschenkenntnis.” Widerwillig und beinahe trotzig setzt sich Rooney mit verschränkten Armen hin.

Wieder tritt er in einen maximal ausgeleuchteten Raum, wieder weiß. Automatisch fällt sein Blick auf eine pompöse Couch mit samtig rotem Stoffüberzug, welcher durch das helle Ambiente noch roter wirkt.

Ikem ist geblendet und kann es kaum erwarten von der netten Frau zum Sitzen aufgefordert zu werden.

Noch nie zuvor in seinem Leben genoss er so viel Komfort.

Sie setzt sich auf einen zu der Couch identischen roten Sessel gegenüber von ihm und schlägt mit Schwung ihre Beine übereinander. In Ihren Händen hält sie einen Notizblock mit Kugelschreiber:

„Es tut mir aufrichtig leid für diese Unannehmlichkeiten, denen sie ausgesetzt wurden, aber sie waren vollkommen außer sich und um sich und andere nicht zu gefährden mussten wir sie fesseln. Mr. Akintola. Ich bin übrigens Lawrence Cunningham, Psychiaterin”, dabei zeigt sie auf ein weißes Schild an ihrem roten Designeranzug, farblich abgestimmt zu den Möbeln im Raum.

„Wie geht es Ihnen, sie haben sicher sehr viele Fragen mitgebracht nehme ich an” erwartungsvoll schaut sie in sein Gesicht.

Ikem überlegt eine Weile dann antwortet er besorgt: „wo soll ich anfangen? Es ist so viel passiert aber ich kann mich kaum an etwas erinnern.”

„An was genau erinnern sie sich denn noch?”, erkundigt sich Dr. Cunningham.

„Ich bin zuletzt durch mein Dorf gegangen, zuvor hatte ich einiges mit meinem Freund getrunken, hatten an dem Tag mehr Einnahmen gemacht als sonst.” Nach einer kurzen Atempause fügte er noch hinzu:

„Wir arbeiten auf einer Baumwollplantage und fertigen Kleidungund Schuhe für die Dorfbewohner an, es hilft aber gerade mal zum Überleben… ”

„Und sie können sich sonst an wirklich nichts mehr erinnern?”, fällt ihm Cunnigham ins Wort.

„Nein, an gar nichts, ich muss wohl sehr betrunken gewesen sein…”, versucht sich Ikem zu erklären.

„Aber was ist denn nun passiert? Dr. Walker meinte, sie könnten mir weiterhelfen.”

„Also gut”, sie atmet tief ein und aus, dann fährt sie fort:„ einige unserer Mitarbeiter arbeiten in Afrika, da wir uns dort intensiv um Not leidende Menschen kümmern. In der besagten Nacht waren 3 von ihnen in Nigeria, genauer genommen in ihrem Heimatort Abagolou unterwegs, als sie zwei lautstark miteinander streitenden Männer sahen. Einer von ihnen waren sie…”

„Beschreiben sie mir bitte den anderen Mann”, unterbricht Ikem ungeduldig.

„Hmmm” überlegt die Psychiaterin, sehr groß und dünn, auffallend bunt gekleidet, mit bunten Bändern in die Haare geflochten…”

„Ajdin”! Ruft er aufgebracht und setzt sich kerzengerade hin. „Ja, ich glaube genauso hieß er”, Dr.Cunningham wollte gerade weitererzählen, da sprudelt es aus Ikem raus: „Was ist passiert? Habe ich ihm etwas angetan? Da war Blut an meinen Händen ist es von ihm? Wie geht es ihm? Wo ist er?” Ikems wird immer lauter sein Puls steigt aufs unermessliche, einerseits möchte er gerne wissen wie es weitergeht, aber andererseits hat er auch sehr viel Angst davor.

„Bitte beruhigen sie sich, Mr. Akintola. Sie haben schon genug Strapazen erlitten.”

Er starrt sie mit aufgerissenen ängstlichen Augen an.

Sie schaut zum Boden und gibt mit belegter Stimme zu:

„Ja es war sein Blut, sie waren außer sich und haben ihn mit einer zerbrochenen Glasflasche tödlich verletzt, wir haben versucht ihn zu retten, aber er ist leider verblutet.”

„Neeeeeiiiiin!” In dem Moment springt Ikem schockiert auf er schafft gerade noch „bitte niiiiiicht” zu schluchzen, nachdem er weinend zusammenbricht, während er immer tiefer und tiefer zu Boden sinkt.

Sofort nimmt sie Ikem in den Arm, während er zusammengekauert am Boden sitzt. Zunächst drückt er sie mit aller Kraft weg, dann lässt er es zu umarmt zu werden.

Nach einer langen Weile, als er sich langsam beruhigt, nimmt sie liebevoll seine Hände und streichelt ihm über die Wange: „Du kannst nichts dafür, du warst

betrunken, es warst nicht du der es getan hat. Das habe ich dir sofort angesehen. Menschen die schuldig sind haben nicht diesen Blick den du hast.

Außerdem war er sehr gemein zu dir er hat dich beleidigt und aufs äußerste provoziert. Unter anderen Umständen wärst du ruhig und gefasst geblieben.

„Ich habe meinen besten Freund getötet und sie spielen das herunter?

Wissen sie eigentlich wie ich mich fühle? Ich bin ein Mörder!

Unberechenbar! Mit dieser Schuld kann ich nicht weiterleben! Was soll meine Familie und die Dorfbewohner von mir denken?

Ich kann ihnen nie mehr unter die Augen treten- ich bin unberechenbar! Eine Schande!“

Ruft Ikem entsetzt. „Jetzt versteh ich es! ich bin verrückt daher bin ich hier, nicht wahr?” Mutmaßt Ikem.

„Nein, ich halte sie für Zurechnungsfähig und ein Leben in der Geschlossenen das haben sie nicht verdient dafür sind sie zu aufrichtig.” ermutigt die Psychiaterin.

„Weshalb sind sie so auf meiner Seite ich gehöre weggesperrt, allein schon damit mein Freund in Ruhe ruhen kann, ich werde meine Schuld begleichen, es muss eine harte Strafe für mich geben, für die Gerechtigkeit!” Ikem stellt sich erhobenen Hauptes hin und streckt ihr seine Hände entgegen, damit sie ihm Handschellen anlegen kann.

„Möchten sie das wirklich? Ins Gefängnis? Und dort ihr Leben wegwerfen? Sie haben immer sehr hart gearbeitet… für umsonst?” Sie schaut Ikem ungläubig an.

„Ja das ist es wo ich hingehöre, es war richtig von ihnen mich wie ein wildes Tier weg zu sperren eigentlich ist das Gefängnis noch viel zu mild, ich sollte sterben, töten und foltern sie mich, denn ich habe es verdient.” Ikem steht da wie ein gebrochener Mann aber fest entschlossen, Dr. Cunningham setzt sich wieder auf ihren Stuhl und schlägt wieder gekonnt ihre Beinen übereinander.

„Verzeihen sie, aber ihr Tod wird ihren Freund auch nicht mehr lebendig machen und ihre Tat nicht rückgängig, lassen sie uns das Beste daraus machen”, schlägt Dr. Cunningham vor.

„Wie bitte?” völlig fassungslos und empört sieht er sie mit strengem Blick an.

„Ich schlage ihnen einen Deal vor: wir verwischen Ihre Spuren und sie gehen nicht ins Gefängnis, dafür spielen sie ein Spiel mit uns.

Am Ende bekommen sie, sofern sie erfolgreich mitgespielt haben, 1000000 $ - das sind umgerechnet 387.500.000 Naira.” Dabei kann sie sich ein hämisches Grinsen nicht verkneifen.

„Das ist ja völlig verrückt, sie bestechen mich!” Stellt Ikem entsetzt fest.

„Überlegen sie doch einmal was sie mit dem Geld alles anstellen könnten, stellen sie sich doch einmal die strahlenden Gesichter ihrer Familie und Dorfbewohner vor. Sie könnten etwas großes schaffen, ihr Dorf aufbauen, den Menschen dort mit ihren Babys und Kindern eine Perspektive schaffen! Das hätte ihren Freund sicher stolz gemacht, ich schätze er hätte es so gewollt.

Helfen sie ihm, indem sie seiner Familie helfen. Dann ist er wenigstens nicht umsonst gestorben.”

Beherzt sieht sie ihn an.

Überrumpelt, schockiert und nachdenklich erwidert er ihren Blick.

„Was genau ist das denn für ein Spiel von dem sie vorhin berichteten?“ Erkundigt sich Ikem nicht mehr ganz so abgeneigt.

Da kann sie sich das hämische grinsen nicht mehr verkneifen und erklärt ihm gerne die Spielregeln: „ Es gibt die Nummern 0-10, wobei die 0 die schlechteste und die 10 die beste Nummer darstellt.

Durch unsere Expertise wird die Nummer festgelegt, je höher die Nummer, desto größer der Aufenthaltskomfort.“

„Was muss man denn tun um das Geld zu erreichen?“ erkundigt sich Ikem interessiert.

„Sie kommen zu den Mitspielern nach Hause, wenn sie 100 Tage dort waren bekommen sie das Geld. Unsere Mitspieler möchten ebenfalls gewinnen, daher werden sie versuchen es ihnen so schwer wie möglich zu machen, denn wenn sie vorher abbrechen bekommen die das Geld und sie gehen leer aus.“

„Und was wenn ich nicht gewinne? Werde ich dann trotzdem freigelassen?“ Fragt Ikem misstrauisch.

„Sie werden dann zwar freigelassen, aber wir können dann nicht mehr ihre Spuren verwischen und Alibis stellen, weil dies mit hohen Kosten verbunden ist, die wir so nicht tragen können, ein verschwindend geringer Teil wird dazu von ihrem Gewinn abgezogen, verstehen sie?“

„Aber was wenn ich auffliege bevor ich gewinne und sie die Spuren verwischen können?“ Dabei sieht er ziemlich skeptisch aus.

„Keine Sorge unser Team arbeitet professionell, es wird im Vorfeld grobe Beweise vernichten“, erklärt Dr. Cunningham.

„Sehen sie wir möchten ihnen nicht schaden wir arbeiten für die Menschen, besonders für die Armen und Hilfsbedürftigen, es sind genau diese, die unsere Unterstützung dringend benötigen.

Daher tun wir alles in unserer Macht stehende ihnen eine zweite Chance im Leben zu bieten“, dabei legt sie aufbauend ihre Hand auf Ikems Schulter.

„Und was ist mit den Kindern die ich gesehen habe? Müssen sie etwa auch spielen? Sie sind doch gar nicht Strafmündig“, stellt Ikem fest.

„Natürlich nicht, wir möchten so vielen Menschen wie möglich in schwierigen Situationen helfen, einige Kinder haben sich verirrt und suchen ihre Eltern oder andere Angehörige dann nehmen wir sie schützend auf um diese ausfindig zu machen. Meistens gelingt uns dies sehr schnell.“

Um Ikem eine weitere kritische Frage vorwegzunehmen, fügt sie abrundend hinzu:„ Ich gebe zu, dass es verstörend wirkt, wenn Kinder oder Unschuldige wie Gefangene gehalten werden, aber im offenen Bereich können wir sie dann besser beobachten und gegebenenfalls schneller eingreifen. Des Weiteren mangelt es ihnen an nichts, sie bekommen regelmäßig Essen und Trinken-

Apropos sie bekommen natürlich auch gleich erst mal eine ordentliche Stärkung. Sobald wir hier fertig sind bringen wir etwas auf ihr Zimmer.

„Meinen sie auf das gleiche in dem ich vorher war?“, erkundigt er sich. „Nein, sobald sich unsere Experten beraten haben, werden sie einer Nummer zugeordnet und unverzüglich in ihren Bereich gebracht.“

„Haben sie noch weitere Fragen, Mr. Akintola?“

„Ich weiß gerade gar nichts mehr“, gibt Ikem verzweifelt mit leiser belegter Stimme, zu dabei schüttelt er langsam seinen Kopf.

„Na schön, dann begleite ich sie noch zur Tür.“ Mit einem kühl anmaßenden „Kopf hoch!“ verabschiedet sie sich schließlich und zieht eilig die Tür hinter ihm zu. Zurück bleibt ein völlig überrumpelter Mann, der noch nicht mal annähernd registriert was hier gerade passiert ist.

„Setzen sie sich doch, es wird eine kleine Weile dauern“, ach, ja sein alter Freund Rooney, den hatte er schon ganz verdrängt. Wie automatisiert streckt Ikem ihm seine Hände entgegen.

„Ach nein, die brauchen sie jetzt nicht mehr“, winkt Rooney ab, dabei wirkt er so, als würde er krampfhaft versuchen sein freundlichstes Gesicht zum Vorschein zu bringen.

Was war mit Rooney los? Während er sich hinsetzt schaut er ihn irritiert an, denkt aber nicht weiter darüber nach- schließlich hat er viel größere Sorgen zu bewältigen. Negativ und positiv belastete Gefühle wechseln sich in ziemlich gleich bleibender Sequenz ab zwischen Schuldeingeständnis, Beschönigung sowie Resignation und durchwühlen seine Gedanken.

Nach und nach fällt ihm das Grübeln schwerer und das Grummeln in seinem Bauch wird lauter und lauter. Es ist das erste Mal in seinem Leben, dass ihm das Hungern zu Gute kommt.

Nun tritt das Essen vollkommen in den Fokus und um nichts anderes mehr schaffen es seine Gedanken zu kreisen.

Es ist schon eine Weile her als er die letzte Nahrung zu sich nahm. Es war eine Schüssel Egusi- Soup - Nigerias Nationalgericht, Hauptsächlich bestehend aus gemahlenen Melonenkernen (Egusi) aber so lange sättigt sie nicht…

Was es wohl gleich zu Essen gibt? Eine Vorstellung davon hat er nicht aber sein Magen ist gerade ziemlich kreativ.

Sein rumorender Magen wird durch das Öffnen einer Tür übertönt.

Aus einer der grauen Türen tritt ein sehr kleiner schmaler Mann in weißem Kittel hervor, mit einer zu seinem Gesicht überproportional wirkenden spitze Nase, was er durch voluminös geföhnte rötliche Haare, sowie einer großen Brille mit orangenem Gestell und seinem ausgeprägten Bart im selben Ton zu kaschieren versucht.

„Mr. Ikem Akintola?“ Fragt er. „Jawohl, Sir“, antwortet Ikem erwartungsvoll.

„Ich bin Joseph Ward, Professor für Neurologie und Sozialwissenschaften“, stellt er sich vor.

Ikem schaut beeindruckt zu ihm rauf, das würde er auch gerne studieren, gäbe es dafür eine Möglichkeit.

„Nun denn, ich möchte dies nicht noch unnötig in die Länge ziehen, meine Expertise ergab, dass sie der Nr.6 zugehörig sind, herzlichen Glückwunsch Mr. Akintola. Der Kollege Patterson wird sie zu ihrem Habitat führen. Einen angenehmen Aufenthalt.“ So schnell wie die Tür sich öffnete geht sie hinter ihm zu.

Ikem springt sofort hoffnungsvoll auf. Rooney geht voran und öffnet die Tür, durch jene die attraktive Blondine ging.

Da ist es wieder das leuchtende Schild diesmal ist „Nummer 6-10“, mit einem Pfeil in die Richtung, in welche sie sich gerade bewegen, angezeigt.

Dieser Trakt sieht genauso aus wie der vorige, allerdings scheint der Abstand zwischen den Türen größer und auch das Licht flackert scheinbar nicht so arg.

Wider Erwarten bleibt Rooney plötzlich stehen und schließt eine der vielen weißen Türen auf. Mit einem knappen „So, da wären wir“, entlässt Rooney seinen Schützling und schließt wieder hinter ihm ab. Unvorhergesehen befindet sich in seinem Zimmer eine weitere Person.

„Hallo, ich heiße Berhane Acheampong, du kannst mich Bene nennen, so nennen mich alle“, begrüßt ein netter Mann mittleren Alters ihn freudestrahlend.

Er hat dieselbe Hautfarbe wie Ikem scheint ungefähr im selben Alter zu sein und hat auch kurze schwarze Haare, nur ist er größer und um einiges breiter gebaut wie dieser.

Sein gepflegtes westlich geprägtes Erscheinungsbild fällt Ikem sofort auf.

Am liebsten würde er jetzt auch so aussehen, doch er trägt immer noch dieses blutverschmierte Gewand, was Berhane anscheinend in keinster Weise irritiert.

„Mein Name ist Ikem Akintola“, erwidert er mit deutlich skeptisch herausstechender Stimme und einem noch mehr verwunderten Gesichtsausdruck. Der Duft von Essen steigt ihm in die Nase.

Mittig des Raumes befindet sich ein Tisch mit einem üppig gefüllten Teller darauf die leckersten Dingen die er je gesehen hat:

Steak in Pfefferrahmsoße, Ofenkartoffel mit Sauerrahmsoße an karamellisierten Möhren dazu ein gemischter Salat mit Honig- Senf Dressing. Daneben steht eine Schale Panna Cotta sowie ein Glas randvoll Limonade.

„Ist das für mich?“ Fragt Ikem ungeduldig, während seine Zunge über die Lippen fährt.

„Bitte, ich habe schon gegessen.“

Unverzüglich setzt sich Ikem an den Tisch auf einen der zwei Stühle und schlingt fast ohne zu kauen in einem rasanten Tempo gierig das Essen runter, während er sich die Limonade in einem Zug einverleibt.

Mitfühlend beobachtet Berhane ihn und stellt ihm eine volle Wasserflasche dazu.

Zwischendrin kommentiert Ikem mit vollem Mund und lustvoll schmatzend seine Begeisterung über das köstliche Essen.

Satt und zufrieden wirft er seinen Oberkörper zurück an die Stuhllehne, wobei er lächelnd über seinen prallen Bauch reibt.

Nun kann er sich in Ruhe auf seine Umgebung konzentrieren.

Die Raumgröße beträgt ungefähr 15 m2; an der Wand steht ein Schrank, neugierig öffnet Ikem ihn: Darin sind Stapel gebügelter und gefalteter herrlich duftender Wäsche. Daneben steht ein Waschbecken, welches ihn nahezu einlädt sich die Hände zu waschen, er kann sich an dem glasklaren Wasser gar nicht mehr satt sehen. „Das Wasser ist so rein man kann sich ja beinahe darin spiegeln“, schwärmt Ikem.

„Ja ich weiß, aber man gewöhnt sich viel zu schnell daran“, philosophiert Berhane.

„Geh doch mal darein, dort gibt es noch mehr Wasser“, schlägt er vor und verweist auf eine kleine Kabine am Eingang. Den Ratschlag nimmt Ikem gerne an und öffnet voller Vorfreude die Tür. Dort befinden sich eine Toilette und eine Dusche.

Überwältigt steuert er auf die Toilette zu und betätigt die Klospülung, dabei beobachtet er fasziniert, wie das Wasser abfließt. Nun stellt er sich unter die Dusche, zieht seine Sachen aus und zieht vorsichtig den Hebel nach oben.

Beeindruckt beobachtet er wie das Wasser aus dem Duschkopf auf seine Haut fällt und an ihr prasselt bis es im Abfluss verschwindet.

Dann dreht er den Hebel ein wenig hin und her bis er schließlich die perfekte Temperatur gefunden hat.

„Was für ein Erlebnis!“ Ikem genießt das wohlwollend warme Wasser was seine verschwitzte Haut reinigt, bis er bemerkt, dass sich auf dem hellen Boden das klare Wasser leicht ins Hellrote verfärbt.

Er nimmt zwei volle Hände Duschgel und schrubbt emsig und mit viel Druck seinen gesamten Körper mehrmals sauber, bis seine Haut gerötet ist und schmerzt. Irgendwie fühlt er sich immer noch schmutzig, am liebsten würde er nie wieder aufhören sich zu waschen. Berhane klopft nach einer langen Weile an die Tür, um Ikem ein weißes sauberes Handtuch und neue Kleidung anzureichen.

Ikem streckt einen Arm heraus um es entgegenzunehmen, dabei entweicht eine Wolke warmer feuchter Luft die sich schnell im Raum ausbreitet und in

den Lüftungsschacht Emporsteigt.

Die Wasserperlen tropfen traurig an ihm hinab und verschwinden im Handtuch.

Seine Haut wirkt beim Abtrocknen noch dunkler durch das unschuldige Weiß.

Er hängt das durchnässte Handtuch über einen Bügel, dort kann es trocknen, so dass sich der Wasserdampf in der Welt verbreitet. Nichts geht wirklich verloren.

„Wohin kommt die schmutzige Wäsche?“ Möchte Ikem wissen.

„Warte, ich nehm’ sie dir ab“, Berhane läuft zu einem Wäschekorb und wirft diese mit einem Schwung hinein, dann legt er den Deckel darauf. Ikem zieht sich derweil an er ist begeistert von seinem neuen Outfit, wobei er sich erstmal an diesen westlichen Kleidungsstil mit Jeans und Hemd gewöhnen muss.

„Bist du auch die Nr. 6?“ Erkundigt sich Berhane bei seinem neuen Mitbewohner.

„Warum bist du hier Ikem?“ Fragt er vorsichtig weiter.

Sofort spürt er wie sich sein Herzschlag beschleunigt und ihm abwechselnd heiß und kalt wird. Obwohl diese Frage irgendwann kommen musste war er doch ziemlich unvorbereitet.

„Ach, es ist eine lange Geschichte“, verlegen schaut er weg.

„Ich würde sie gerne hören, du kannst mir ruhig alles anvertrauen,“ entgegnet er mit sanfter Stimme und fügt letztlich noch einen wichtigen Satz hinzu: „Wir sind alle keine Unschuldslämmer, ich habe auch schon sehr viel Mist im Leben gebaut, auf den ich sicher nicht stolz bin.“ Dabei klingt seine Stimme betroffen und bedrückt.

Ikem fasst seinen ganzen Mut zusammen, setzt sich auf eines der zwei sehr weichen Betten und erzählt ihm alles, denn Berhane ist auch ein Teilnehmer dieses Spieles und somit sitzen sie beide im selben Boot, außerdem lehrte seine Mutter ihm stets wie wichtig Ehrlichkeit sei.

Betroffen und sehr aufmerksam hört Berhane ihm zu.

Es fällt Ikem sichtlich schwer darüber zu reden, immer wieder muss er Pausen einlegen, seine Augen sind Tränen erfüllt, er hat Probleme dabei Töne herauszubringen, es fühlt sich so an, als würde ihm Jemand die Kehle zuschnüren.

„Ich bin mir sicher du bist ein guter Mensch, sonst würden sie dir nicht helfen“, baut er ihn auf.“ Daraufhin platzt es aus ihm heraus und er bricht in Tränen aus.

Berhane setzt sich zu ihm und nimmt ihn ganz fest in die Arme.

„Jetzt wird alles besser, das Leben bietet dir eine zweite Chance, ergreife sie, schaue nach vorne, wie sehr dich auch die Vergangenheit quält. Lass sie los, sprenge deine Fesseln, zeige es denen da draußen erhobenen Hauptes! Du bist stark und liebenswert Nun hast du sogar die Möglichkeit mit dem Geld die Welt zu einer besseren zu machen!“

„Ikem hat sich ein wenig beruhigt, er sieht ihn mit verquollenen Augen an:„ Du hast recht ich bin ein Harmonie bedürftiger Mensch, nicht mal einer Fliege kann ich etwas zu leide tun.

Wir haben wirklich sehr viel getrunken, so viel, dass ich nicht mehr zurechnungsfähig war. Es war nicht ich, sondern der Alkohol.“ Gestärkt wischt er sich die Tränen aus dem Gesicht. „In Zukunft werde ich nie wieder einen Schluck davon trinken, dann werde ich dieses Spiel hier gewinnen und von dem Geld meine Heimat aufbauen, oft haben wir darüber philosophiert, was wir alles mit sehr viel Geld tun würden. Dabei war es immer sein Wunsch in unsere Wirtschaft zu investieren, Infrastrukturen aufzubauen und leicht zugängliche Bildung für alle zu gewährleisten. Darin waren wir uns immer einig.“ Überzeugt erhebt er sich und ergänzt:„ ich werde es alles nur für ihn tun, er hätte es so gewollt, denn er verdient es in Frieden zu ruhen.“ Seine Augen beginnen zu funkeln, eine gewisse Leichtigkeit stellt sich ein.

„Das ist eine sehr gute Einstellung“, lobt Berhane.

„Darf ich denn auch deine Geschichte hören Bene? Aus welchem Ort in Afrika stammst du eigentlich?“, erkundigt er sich.

„Aber natürlich.“ Bene freut sich Ikem ein wenig Hoffnung gegeben zu haben.

„ Ich stamme aus Kongo, wohnte in dem Dorf Bageanha, das ist schon eine Weile her.“ Bin nach Amerika ausgewandert um ein neues besseres Leben zu beginnen.“ Sein sonst so unbeschwertes Gesicht zieht sich ernst zusammen.

„Mir wurde an einem Tag alles genommen, mein Haus, meine Familie, mein Leben.“ Sein Blick ist gefüllt mit Leere.

Ikem schaut ihn entsetzt und emphatisch an.

„Ich war eines Nachts weg, hatte mit meiner Frau einen heftigen Streit. als ich zurückkam war unser Haus in Trümmern, alle waren dort, meine liebe Frau und unsere 2 kleinen süßen Kinder.“ Berhane versucht sich krampfhaft die Tränen zu unterdrücken. Sein Mund beginnt zu zittern, seine Atmung wird schwer.

„Oh nein das tut mir so schrecklich leid“, stammelt Ikem schockiert und unbeholfen, dabei begleitet ihn das Gefühl, dass das egal was er nun sagte, unangebracht sei.

Berhane muss sich schwer konzentrieren um nicht die Fassung zu verlieren.

Ikem bringt ihm ein Glas Wasser, um nicht ganz so nutzlos zu erscheinen.

Nachdem er einige Schlucke getrunken hat, scheint es so, als hätte er sich wieder gefangen.

„Bin nach der ganzen Sache schwer abgestürzt, habe mir durch Drogengeschäfte das Geld zusammengespart… Jedenfalls, kam ich dann nach Georgia, bekam einen Job in einer Fast Food Kette, arbeitete fast genauso viel wie damals auf dem Feld aber kam dennoch kaum über die Runden. Den amerikanischen Traum hatte ich mir immer ganz anders vorgestellt.

Als Schwarzer werden dir viele Steine in den Weg gestellt, so dass der Hass deutlich spürbar ist. Die Trauer zog sich wie ein roter Faden durch mein Leben, nur die Drogen gaben mir Halt. Der Job wurde mir irgendwann gekündigt, weil ich high zur Arbeit erschien.“

Ikem schaut Berhane bemitleidend an.

„Aber dann, als mein Leben den tiefsten Punkt erreichte, ich auf der Straße mit ner Nadel in der Vene lag, Schaum vorm Mund hatte und in meinem eigenen Urin und erbrochenem lag, kamen meine Engel in schwarz!,“ schwärmt er aufblickend.

„Sie beatmeten mich, nahmen mich in ihre Obhut und gaben mir Opiatantagonisten, sonst wäre ich heute nicht mehr hier.

Dank ihrer Hilfe bin ich heute clean und habe meine Lebensfreude zurück.“ Sein Gesicht nimmt allmählich wieder die bekannte fröhliche Miene an.

Ikem blickt bewundernd zu ihm rüber.

„Wow, das was du alles durchgemacht und bewältigt hast ist unglaublich, du bist mein absolutes Idol!“ Bekennt er stolz zu ihm herauf blickend.

Auf einmal geht das Licht aus.

Geld - du bittersüße Pleite!

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