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1. Kapitel

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Gelangweilt saß ich mit einem öden Buch in der Sesselecke. Und wer war schuld daran? Mein Ehemann Stefan. Er hatte das Auto zu Schrott gefahren und mit dem Urlaubsgeld und unseren Ersparnissen ein neues gekauft. Die geplante Last-Minute-Reise ins Blaue war damit hin.

Dabei hatte ich erst vorige Woche meine Nachbarin davon unterrichtet, dass wir in ein paar Tagen wegfahren wollen.

„Wo fahrt ihr denn hin?“, hatte sie neugierig gefragt.

„Nach irgendwo.“

„So, hm, ist das eine Insel?“

Na, kann man ihr nicht übel nehmen. Die gute Frau macht immer nur in ihrem Schrebergarten Urlaub. Wenn sie Fernweh hat, guckt sie mit dem Fernglas über den Gartenzaun.

Stefan hatte auf das neue Auto bestanden. Denn ohne geht gar nichts. Eine Familie mit zwei Kindern braucht ein Auto dringender als Urlaub. Ist schon klar! Den Einkauf will niemand schleppen und Stefan muss auch irgendwie zur Arbeit kommen. Ein Mann, der was auf sich hält, fährt schließlich nicht mit Bus oder Bahn. Das ist unter seiner Würde. Was sollen die Arbeitskollegen denn denken?

Die Mädchen hatten ihren Freunden auch schon von der geplanten Reise erzählt und schmollten nun in ihren Zimmern. Josefine spielte mit ihrem Bauernhof und hielt dabei laut Selbstgespräche, wie Siebenjährige das nun mal tun. Annika saß am Computer, surfte und klagte ihren Chatfreunden ihr Leid, wie Vierzehnjährige das nun mal tun. Stefan lag in der Garage unter dem neuen Auto und bastelte, als ob es an einem neuen Auto etwas zu basteln gäbe.

Ich dagegen war nah dran, ins Koma zu fallen vor Langeweile.

*

Annika riss mich aus meinen Gedanken, sie rief. Wahrscheinlich war der Computer abgestürzt oder sie wurde von ihrer Schwester genervt.

„Sieh dir das an Mama!“ Sie war ganz aufgeregt. Ich scheuchte sie mit einer Handbewegung vom Stuhl und setzte mich. Sie hatte im Internet eine Seite geladen, die Werbung für einen Aufenthalt in einem Gruselschloss machte.

„Annika, unser Urlaub steht in der Garage und hat vier bis zum Boden reichende Räder.“

„Schau erst mal weiter!“ Sie hüpfte von einem Bein auf das andere.

Was ist denn das für ein Quatsch, dachte ich. Der Urlaub soll kostenlos sein. Aber nur, wenn man drei Wochen durchhält.

„Zehntausend Euro, wenn man nicht durchhält, das ist happig!“, stellte ich erschrocken fest.

„Wir werden doch wohl durchhalten. Wir haben schon so viele Gruselfilme gesehen.“ Annika war Feuer und Flamme.

„Aber bei Frankenstein hast du fast in die Hosen gemacht“, erinnerte ich sie vorsichtig.

„Ach, das ist doch ewig her. Noch mal würde ich da keine Angst kriegen. Die Filme mit den Außerirdischen habe ich auch durchgehalten.“

„Meinst du, die haben Außerirdische angeheuert?“

„Nein, ich meine nur, gruselig war das schon.“

Ich ging noch ein Stück weiter runter auf der Seite. „Ach, jetzt sehe ich, wo der Hase im Pfeffer begraben liegt. Hier steht, dass noch keiner drei Wochen durchgehalten hat.“ Wäre ja auch zu schön gewesen.

Annika schob ihre Brille hoch. „Scheinbar waren bis jetzt nur Idioten und Schwachköpfe dort.“

Wenn da mal nicht eine Herausforderung auf uns lauerte.

„Josefine!“, riefen wir beide gleichzeitig und mussten lachen. Die Kleine kam wiehernd um die Ecke.

„Sag mal, Josefine, würdest du gern Urlaub in einem Gruselschloss machen?“, fragte ich.

„Kann ich da meine Pferde mitnehmen?“ Sie ließ sich auf ihre vier Buchstaben fallen, rollte herum und buckelte.

„Siehst du, die hat keine Angst.“ Annika machte eine zufriedene Miene.

Ich versuchte es noch mal. „Da könnte es Gespenster geben!!“

„Gespenster sind Menschen, die sich mit einem Bettlaken verkleidet haben.“ Sie stand auf und schaute sich die Website an.

Viel mehr, als irgendein Gebäude im Nebel, konnte man nicht erkennen. Der Mauszeiger hatte sich allerdings in eine flatternde Fledermaus verwandelt. Hier und da tauchte unvermutet ein Gerippe auf, tat ein paar klapprige Schritte und verschwand. Aus dem Lautsprecher war ein leises „Huhu“ zu hören, untersetzt von einem blechernen Lachen.

Wir zweifelten keinen Moment mehr an unserem Durchhaltevermögen.

Stefan kam aus der Garage herein. Annika lotste ihn gleich an den Computer. Er las und lachte und fuchtelte mit seinen ölverschmierten Händen vor unseren Gesichtern rum. „Huhu!!“, rief er. Er konnte sich nur schwer beruhigen.

„Fahren wir da jetzt hin oder nicht?“, fragte ich.

„Da fahr ich nicht hin.“ Papa winkte ab.

„Du könntest dein neues Auto ausprobieren“, sagte ich beiläufig.

Stefan stellte die Ohren auf. „Du hast noch Geld fürs Benzin?“

„Die Kinder haben doch Sparbüchsen!“

Sofort brach ein Tumult los. Die beiden sahen ihr hart erspartes Taschengeld in Gefahr und probten den Aufstand.

„Nein, lasst mal, ein paar Euro habe ich noch“, stellte ich klar. „Außerdem sparen wir ja für drei Wochen das Haushaltsgeld. Ist nämlich mit Vollpension. Da steht es.“ Ich zeigte mit dem Finger auf den entsprechenden Eintrag.

„Da machen wir ja ein Schnäppchen“, freute sich Annika.

Stefan hatte mittlerweile die ganze Seite durchgelesen. Er glaubte nicht so recht an ein Schnäppchen. Ihm war sofort klar gewesen, dass die Schlossgeister einiges tun würden, um an ihre zehntausend Euro zu kommen. Er warnte uns.

„Ach was“, widersprach ich. „Wenn die Geister aufzucken, gibt es was auf die Mütze.“ Ich imitierte einen berühmten Boxer und teilte ein paar kräftige Schläge aus.

„Das haut keine Mücke um“, grinste Stefan. Aber er wollte kein Spielverderber sein. Und das Auto musste wirklich eingehend getestet werden.

Also gab er seine Zustimmung und ich durfte buchen. Ich klickte auf den entsprechenden Link und bestellte zwei aneinander liegende Doppelzimmer auf Schloss Lossenbrink. Mit einem flauen Gefühl im Magen erklärte ich mich mit der Zahlung von zehntausend Euro bei vorzeitiger Abreise einverstanden.

*

Ein paar Tage für Reisevorbereitungen, das war nicht viel. Was braucht man eigentlich alles? Alles Mögliche und Unmögliche ging mir durch den Kopf. Taschenlampen und Batterien dazu. Müsliriegel und Isodrinks für die Kondition. Ein Lexikon zur Erklärung des Unerklärlichen. Kerzen? Streichhölzer? Kann man mit Bonbons Gespenster bestechen? Oder sollte man sie verjagen? Mit Mäusefallen, Elektroschockern oder Pfefferspray? Oder ist das übertrieben? Ob ich noch mal ins Fitnessstudio gehe? Ein Schnellkurs in Selbstverteidigung ist bestimmt zu teuer, aber vielleicht reicht etwas Krafttraining. Ob man mit Psychologie etwas gegen Spuk ausrichten kann? Ich nahm mir vor, noch ein Buch zu dem Thema besorgen. Nicht dass noch einer von uns vor lauter Angst Wahnvorstellungen bekommt oder Stimmen hört. Kann man vor Angst eigentlich einen Herzanfall kriegen? Das brachte mich drauf: Erste-Hilfe-Zeug musste mit und Beruhigungsmittel.

Bekommt man so eine Knarre mit Gummigeschossen auch ohne Waffenschein? Gibt es heute noch Riechsalz gegen Ohnmachtsanfälle? Soll ich eine Lebensversicherung abschließen? War es überzogen, ein Testament beim Notar zu hinterlassen? Fragen über Fragen.

Ich beschloss, mich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Es braucht ja auch keiner wissen, was ich in meine Tasche packte. Außerdem wollten die unser Geld, nicht unser Leben!!

Folter inklusive!

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